Reinhard Döhl
texte und kommentare 2
[galerie im asemwald, 27.11.1981]
meine damen und herren, soweit sie der einladung zur heutigen ausstellungeröffnung gefolgt sind, erwarten sie neben den objekten und zeichnungen von frau laquay-ihm und einem musikalischen beitrag von elmar reiser vielleicht eine einführung, kommentare und texte von mir. die einführung habe ich bereits versucht, die texte und kommentare bringen mich in einige verlegenheit. zunächst, weil der heutige abend eine ausstellungseröffnung ist, sein rahmenprogramm also nicht zu dem eigentlichen anlaß konkurrieren, gar von den bildern des ausstellung wegführen sollte. zweitens, weil ich vor rund zehn jahren mir aus verschiedenen gründen vornahm, in stuttgart / um stuttgart / um stuttgart herum nicht mehr in eigener sache aufzutreten. und drittens, weil es mir stets schwer fiel, eigene texte zu kommentieren. was ich für die nächste halbe stunde also versuchen werde, ist demnach drittens problematisch, zweitens ein wortbruch und erstens ein kompromiß.
als sich bei den vorbereitenden gesprächen zu dieser ausstellung ergab, daß von mir eine lesung und für das einladende faltblatt texte erwartet wurden, gab ich frau laquay-ihm etwa 30 dreizeilige notizen zur auswahl. so schien mir gesichert, daß die im einladenden faltblatt abzudruckenden texte am ehesten den intentionen der künstlerin entsprachen. ich darf deshalb mit der von frau laquay getroffenen auswahl aus diesen notizen meine lesung beginnen.
notiz
umfrage
abendlandschaft
sprechstunde
nachruf
zwischen haselkeim-
schmetterlinge weinen nicht
immer diese höhepunkte
in folge
wetterbericht
herbst manöver
als die computer außer dienst gesetzt
mißglückte transplantation
einige hatten noch fragen
erntedankfest
ein einziger dieser kurzen texte ist direkt auf die arbeiten von frau laquay-ihm gemünzt. sie werden ihn herausgehört haben.
zwischen haselkeim-
er ist als notiz gewissermaßen das stenographische kürzel für das, was ich in der einführung zu dieser ausstellung versucht habe. die einführung ist also wennmansowill der kommentar zu dieser notiz und die zeichnung(en) von frau laquay-ihm ihre illustration, wie die notiz umgekehrt zu dieser (diesen) zeichnung(en) eine art subscriptio darstellt.
alle anderen notate des einladenden faltblatts stammen aus den "botnanger sudelheften", die eigentlich kalender sind, und die ich seit einigen jahren unregelmäßig führe. an eine publikation war bei ihnen zunächst nicht gedacht, vielmehr sollten sie nur festhalten, was mir notierenswert schien, gedanken, die einem so durch den kopf gehen, reflexe auf gelesenes, private antworten. als im september 1979 eine späte tochter geboren wurde,
9 9 1979
stellte ich statt einer geburtsanzeige 32 solcher notizen zu einem wegwerfheft zusammen, einer publikationsform, die ich in opposition zu buch- und kulturmarkt bevorzuge. eine zweite gruppe von notaten stellte ich für die diesjährige heißenbüttel-'festschrift' zusammen mit dem für mich überraschenden ergebnis, daß anläßlich der buchwochen durch die "stuttgarter nachrichten" publik wurde, was ich als private notate verstanden hatte. eine dritte gruppe von notizen gab ich frau laquay-ihm für ihr einladendes faltblatt zur auswahl.
die gründe, die mich vor jahren zu kalendernotizen, dem führen der "botnanger sudelhefte" veranlaßten, sind so vielschichtig, daß ich sie einzeln schlecht kommentieren kann. ein zentraler grund ist als kalendernotiz formuliert.
im kalender
sie kennen aus ihren kalendern sicherlich diesen freigelassenen raum für notizen. sie wissen auch, wie gefüllte terminkalender ihre besitzer in trab halten können. selber eingespannt in termine, in zeitnot und zeitverlust, erschien mir eines tages dieser raum für notizen als ein freiraum, als ein raum für notizen gegen eine zeit, die keine zeit mehr hat. so kann auch die notiz vom 9. september 1979 gelesen werden:
9 9 1979
denn das vollständige zitat der zweiten zeile lautet a la recherche du temps perdu und ist der originaltitel jenes berühmten versuchs von marcel proust, in verzweifeltem wettlauf mit der zerrinnenden kalendarischen zeit des eigenen lebens die verlorene vergangenheit kraft der erinnerung zurückzurufen. meine notiz läßt das bei proust entscheidende wörtchen perdu weg, ersetzt es durch die drei namen esther, franziska, luise mit ihren jeweiligen konnotationen und assoziationsangeboten. daß der zweiten teil der proustschen suche, im schatten junger mädchenblüte [a l'ombre des jeunes filles en fleurs] überschrieben ist, ließe sich mitbedenken.
mit zeit beschäftigen sich viele meiner "sudelheft"-notate, so auch der erste text des einladenden faltblatts
notiz
man kann diese drei zeilen auf zweifache weise lesen. als notiz, die grammatisch unvollständig lautet
als es zeit wurde
man kann aber auch lesen:
notiz
diese notiz würde dann nur noch lauten: die blumenuhren zu stellen. in beiden fällen ist die gewählte grammatische form die form der vergangenheit: wurde. das nimmt der hoffnung auf die blumenuhren die hoffnung, obwohl nur die blumenuhren den zeitverlust durch die quarz- und atomuhren rückgängig machen könnten. diese blumenuhren hat es wirklich gegeben, im 18. und 19. jahrhundert. floras uhren nannte der schwedische naturforscher carl von linné ein von ihm angelegtes blumenbeet, und in den großen, geometrisch angelegten europäischen gärten des 19. jahrhunderts waren die in form eines zifferblatts angelegten blumenbeete dekoratives mittel, die zeit zu bestimmen. falls sie selbst sich ihre uhr einmal nach der blumenuhr stellen möchten
geflecktes ferkelkraut öffnet sich um 6 uhr,
ich möchte noch ein paar zeitanzügliche kalendernotizen folgen lassen.
mai kundgebung
unfallbedingte staus auf den straßen
winterfreuden
sommerskilauf
in die wochen kommen
die vier jahreszeiten
sommernachtstraum wintermärchen
ein sommernachtstraum, das wintermächen zitieren natürlich in gleichsam kürzester form als titel die inhalte der entsprechenden shakespearestücke, die ich besonders schätze. die dritte jahreszeit ist durch die giftige herbstzeitlose vertreten, die aber auch zur herstellung eines medikaments verwendet wird, das ich gelegentlich einnehmen muß. aus den vier jahreszeiten ausgespart ist der frühling, der mir bereits sehr fern liegt, eine variante macht dies noch etwas deutlicher.
ein johannisnachtstraum
denn im johannisnachtstraum (wie christoph martin wieland shakespeares "midsummer-night's-dream" übersetzt) verbirgt sich auch der johannistrieb, das zweite - nicht immer ungefährliche - austreiben mancher holzgewächse; und umgangsprachlich die liebe des alternden mannes zu einer wesentlichen jüngeren frau.
am liebsten dacht er sie
liebebriefe
und die einladung
umgangssprachlich wird die redensart, die die letzte zeile zitiert, gebraucht, um ein unerfreuliches ende zu bezeichnen. dieser umgangssprachliche gebrauch ist aber falsch, wie ein blick ins matthäus-evangelium schnell einsichtig macht, dessen letzter vers die hoffnung vermittelt, ich bin bei euch alle tage bis an der welt ende.
dieses spielen mit mehrdeutigem, der versuch, einer vordergründigen bedeutung einen anderen sinn zu gewinnen, reizt mich bei meinen kalendernotizen immer wieder.
zuversicht
eine solche zuversicht formuliert, daß ein morgen nicht das schlechteste ziel ist, auf das hin man alle hoffnung fahren lassen kann. selbstverständlich läßt sich dies auch einfacher und ohne hinweis auf dantes "la comedia" sagen:
lektüre statt schlaf
oder es läßt sich hinter einem auf den ersten blick billigen witz verstecken:
radio eriwan
die radio-eriwan-witze mit ihrer stereotypen imprinzipja-formel sind hinreichend bekannt. weniger bekannt ist, daß ernst blochs großem gedanklichen entwurf der hoffnung vor der zeit der unmenschen ein versuch über den "geist der utopie", eine "utopie hoffnung" vorausging, der nach dem nationalsozialismus das "prinzip hoffnung" folgte mit dem schlußgedanken:
der mensch lebt noch überall in der vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor der erschaffung der welt, als einer rechten. die wirkliche genesis ist nicht am anfang, sondern am ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn gesellschaft und dasein radikal werden, das heißt sich an der wurzel fassen. die wurzel der geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die gegebenheiten umbildende und überholende mensch. hat er sich erfaßt und das sein ohne entäußerung in realer demokratie begründet, so entsteht in der welt etwas, was allen in die kindheit scheint und worin noch niemand war: heimat
.ich darf hier noch einmal die kalendernotiz wiederholen, deren versuch, eine stereotype witzformel sinnvoll zu machen, jetzt vielleicht deutlicher ist:
radio eriwan
eine literarische figur, die mich seit meiner jugendlektüre begleitet hat, ist natty bumppo, ihnen vielleicht eher vertraut als lederstrumpf. seine archetypische existenz als frontier, sein leben und sterben zwischen anarchischer natur und zivilisatorischer ordnung, zwischen law and order und grenzenloser freiheit haben mich vor allem in krisensituationen, in der pubertät ebenso wie in der sogenannten midlife crisis als lektüre immer wieder beschäftigt, wobei ich mich von den fahrlässig gekürzten jugendausgaben, denen die fantastischen landschaftsschilderungen coopers ebenso abgehen wie sein antizivilisatorisches engagement, bis zur vollständigen 5bändigen ausgabe mit ihren über 2500 seiten mehrfach hindurchgelesen habe. entsprechend ist natty bumppo häufiger in die kalendernotate eingegangen, in den alptraum zum beispiel
alptraum
was ich eines nachts tatsächlich geträumt habe. vor fünf jahren fanden meine familie und ich bei unseren versuchen, stuttgart zu fliehen, ein haus in botnang (darum auch "botnanger" und nicht stuttgarter "sudelhefte"). diese fluchtwünsche, in deren zusammenhang auch der entschluß fiel, in stuttgart nicht mehr in eigener sache aufzutreten, haben unter anderem (so wurden wir und vor allem meine frau bei einer über zwei jahre vergeblichen suche nach einer geeigneten wohnung für unsere 5köpfige familie mit hund wiederholt als asoziale mieter abgelehnt) auch kulturelle gründe.
boisserée mendelssohn hoppenlau
es ist eine grundsätzliche kulturfeindlichkeit und die verhocktheit in dieser stadt, die mich - seit 1959 hier lebend - in ihr immer unbehauster haben sein lassen, einer stadt, die die berühmte sammlung der brüder boisserée angeboten war, und die diese sammlung abgelehnt hat, eine sammlung, die heute den respektablen grundstock der münchner alten pinakothek bildet. als ich ende der 50er jahre erstmals in stuttgart zu besuch war, erlebte ich sogleich ein exemplarisches stücke kulturkampf, den vergeblichen versuch einiger optimisten, eines der wenigen nach dem kriege noch erhaltenen mendelssohn-kaufhäuser zu retten. es wurde abgerissen und durch eine fragwürdig modische architektur ersetzt. zum hoppenlau-friedhof brauche ich nichts weiter zu sagen; die versuche, ihn 'gesundzuschrumpfen' sind ihnen aus der zeitung sicherlich bekannt. die friedhofsruhe in stuttgart ist eben anderer art:
boisserée mendelssohn hoppenlau
wir zogen nach langem suchen also von stuttgart nach botnang, in die lindpaintnerstraße. in der donizettistraße wohnte damals noch helmut heißenbüttel; auch er hat stuttgart inzwischen wie so viele andere verlassen.
zwischen lindpaintner- und donizettistraße
die hoffnung auf die neue heimat trog freilich, denn schon bald war ich
vor den axtschlägen der neuen heimat
mit dieser notiz eng verbunden sind zwei weitere notate, die ich direkt anschließen darf.
vor den axtschlägen der neuen heimat
endlich hinter dem birkenkopf
indianerkrautgedanken
markante punkte des stuttgarter waldes sind erkennbar: heslacher wand (und wer will, darf hier durchaus an den anfang von helmut heißenbüttels "gedicht von der übung zu sterben" denken), der birkenkopf - das künstliche produkt technischer zivilisation und zerstörungswut, mahnmal ohne nachhaltigen wert. etwas rätselhafter sind die landschaften coopers [...] hinter dem birkenkopf, der stiftersche hochwald. natürlich gibt es beide hier nicht, sie sind fiktion. aber sie sind denkbar, vorstellbar, wenn man im naturschutzgebiet etwas abseits der bärenseen und abseits der üblichen wege sich hält. im übrigen ist ja schon der stiftersche "hochwald" nicht ganz astrein, in seiner technik der natur- und landschaftsschilderung von coopers großartigen natur- und landschaftsbildern nachhaltig mitgeprägt. die etwa sind die indianerkrautgedanken, die einem bei spaziergängen im stuttgarter wald kommen können, wenn man die rauchzeichen der grillplätze sieht und an andere rauchzeichen denkt, an das ende natty bumppos, das ich in der durch rudolf drescher überarbeiteten übersetzung kolbs zitieren darf:
der trapper hatte ungefähr eine stunde so ohne bewegung gelegen. nur seine augen hatten sich zuweilen geöffnet und geschlossen. wenn sie offen waren, schien sein blick auf die wolken gerichtet, die um den westlichen horizont hingen, im vollen farbenwiderschein und in der ganzen eigenart, anmut und pracht eines amerikanischen sonnenunterganges. die stunde, die ruhige schönheit der jahreszeit, der vorgang, alles verband sich, die zuschauer mit feierlicher ehrfurcht zu erfüllen. plötzlich, während er über die merkwürdige lage, in der er sich befand, nachsann, fühlte middleton, wie die hand, die er in der seinigen hielt, diese letztere mit unglaublicher kraft drückte, und der alte mann, auf beiden seiten von seinen freunden gestützt, erhob sich und stand gerade auf seinen füßen. einen einzigen augenblick sah er sich um, als wolle er alle, die um ihn standen, auffordern, auf ihn zu hören (das letzte überbleibsel menschlicher gebrechlichkeit!), und dann rief er, wie ein stattlicher kriegsmann den kopf erhebend und mit einer stimme, die überall in der zahlreichen versammlung gehört werden mußte, das feierliche wort: 'hier!!'
vor den axtschlägen der neuen heimat
endlich hinter dem birkenkopf
indianerkrautgedanken
aber die näheren und weiteren spaziergänge durch den wald können auch einfach amüsante begegnungen bringen. von dem schönen wald bei neuwirtshaus ist durch das werksgelände der firma sel nicht mehr viel übrig geblieben. als ich einmal dort in der mittagspause auf einem alten, alten stuttgartern wohl noch vertrauten wanderweg vorbeikam, überholte mich die fitnessbesessene chefetage auf rädern und im trimmtrab:
neuwirtshaus
die chefetage auf rädern
aber es gibt auch wege, auf denen man allein bleibt, die zahlreichen, dem normalen spaziergänger selten bekannten punkte auf den meßtischblättern.
unterwegs
zurück zum ausgangspunkt
nicht jeder notiz läßt sich ablesen, daß sie das in die kürzeste form gebrachte ergebnis eines spaziergangs im wald praktisch vor der haustür ist.
schmetterlingeweinennicht
immer diese höhepunkte
wichtiger als flurbereinigung und das hochhaus in der relenbergstraße, in dem wir einige jahre wohnten, ist in der letzten notiz die wegwarte, deren wurzel geröstet als kaffeersatz getrunken wurde und deren eine varietät, radicchio, dem grünen salat farbe und leicht bitteren geschmack gibt. die wegwarte galt früher auch als mittel gegen augenkrankheiten (ich bin kurzsichtig) und in ihrer weißblühenden form auch als liebeszauberpflanze, was sich in einigen lokalen sagen niedergeschlagen hat, die ich (wie die sage des grafen von gleichen) zum teil noch aus meiner jugend her kenne.
aber nicht nur ein kreuzzug, auch reisen bildet.eine kampagne in frankreich
dreimal schweiz und retour
die hinweise auf goethe ("eine kampagne in frankreich", die drei schweizer reisen) haben sie sicher erkannt. der rhein, wichtiger grenzfluß in goethes "unterhaltungen deutscher ausgewanderten" und springquell deutscher romantik, ist zur erkennungsmelodie deutscher touristen im ausland verkommen. wenn man vom st. gotthard kommt - kleists "bettelweib von locarno" beginnt so mit dem ausblick auf ein schloß, das man jetzt [...] in schutt und trümmern liegen sieht - antike und anarchie: eine zeitgenössische "italienische reise".
einer konkreten reise mit dem zug nach köln entstammen folgende beiden notate:
abendlandschaft
und, gewissermaßen als ertrag der reiselektüre:
südwestlich der loreleay die niagarafälle
auch mit meinen drei vätern verbindet mich geographisches:
hinter erdingen und eichholz
erdingen und eichholz sind zwei sehr kleine, unbedeutende dörfer im oberbergischen, verbunden durch einen feldweg, den ich mit meinem großvater und vater oft gegangen bin. dort ist die eigentliche heimat meiner familie väterlichereseits (ich darf zitierend erinnern: was allen in die kindheit scheint [...]). altershausen ist das fragmentarische alterswerk wilhelm raabes, die geschichte des 70jährigen professors feyerabend, sein versuch, in den ort seiner kindheit zurückzukehren, der vergebliche versuch, in die kindheit zurückzukehren, ein lieblingsbuch meines akademischen lehrers oder vaters und seines schülers, und die nordflanke des 3473 meter hohen ruderhofs, wie die einheimischen statt ruderhofspitze sagen, ist eine wunderschöne eistour, die mich mit meinem dritten vater, einem bergbauern des stubaitales, verbindet:
hinter erdingen und eichholz
natürlich gehen nicht nur die väter, sondern auch die anderen vielen lehrer in derartige kalendernotate ein, bei mir vor allem - das bringt der beruf mit sich - schriftsteller und bildende künstler. unter den schriftstellern, auf die ich mich aus zeitgründen mit stichproben beschränke, natürlich an bevorzugter stelle der eigentliche erfinder der "sudelhefte" und große aphoristiker georg christoph lichtenberg, dem ich unter anderem die liebe zu [den] hogarth[schen kupferstichen] verdanke.
gestern traf ich lichtenberg in london
aus den beiden folgenden notizen schaut christoph martin wieland heraus, auch wenn er nicht ausdrücklich genannt ist:
kein tusculanum in biberach
strumpfbänder
daß goethe hierherzuzählen wäre, habe ich schon zitiert. andere namen kann ich hier nur nennen, hans arp, karl philipp moritz, jung-stilling, hamann, storm und der begründer der patahysik, alfred jarry. mehr durch zufall entdeckte ich eines tages, daß mich mit den meisten meiner literarischen gesprächspartner das zeichen der jungfrau verbindet.
reiselektüre
für cooper habe ich bereits versucht, anzudeuten, wie lektüre selbst waldspaziergänge weitsichtig machen kann. es sind dies, auch das konnte ich hoffentlich deutlich machen, oft nur zitatfragmente, die etwas plötzlich anders, oder auch so und nicht anders sehen und verstehen lassen. und oft verändern sich zitat und äußerer anlaß gegenseitig. sie alle kennen "wandrers nachtlied", ich meine das erste, das mit dem vaterunsernahen vers der du von dem himmel bist beginnt. geschrieben hat goethe dieses gedicht am hang des ettersberg am 12. februar 1776; der ettersberg liegt nahe weimar, dem ort deutscher klassik. mit buchen war er bewachsen. buchenwald hieß aber auch das nahe weimar gelegene konzentrationslager. diese erschreckende nachbarschaft von klassik und konzentrationslager haben wir nicht gespeichert.
wandrers nachtlied
klopstocks odenträchtige begeisterung für den eislauf, die seinerzeit auch den jungen goethe zum eisläufer werden ließ, verträgt sich nicht mit dem kunsteis (der eisdressur) der waldau.
wasserkothurn auf der waldau
und hölderlins begeisterung angesichts des neckars im lieblichen tale wirkt angesicht der heutigen kloake und ihrer industriellen verbauung fast grotesk.
auchdameinneckarnicht
großeworte aber
ich denke, ich sollte langsam zum ende kommen. daß mir dieser versuch einer kommentierung dieser hintergründigen, auf die knappste formel gebrachten kalendernotizen problematisch ist und bleiben muß, hatte ich einleitend gesagt. problematisch sind mir die notate aber noch aus einem zweiten grund.
wiegesagt
ich bin äußerst mißtrauisch, was den mitteilungswert, die mitteilungsfähigkeit der sprache anbelangt. angesicht der sprachlichen inflation nicht nur in den medien, des wortschutts, der da täglich auf uns ausgeschüttet wird, traue ich weder der sprache noch den neuerdings modischen beteuerungen der dialogbereitsschaft, vor allem bei den mächtigen. mir ist der freitod jean amerys nur zu verständlich.
nachruf
mehr bürgernähe
sprechstunde
einige hatten noch fragen
sie haben sich - hoffe ich - inzwischen genügend in die kalendernotizen eingehört, um beides, das stellen der fragen und das infragestellen der menschen herauszuhören. ich darf deshalb für die letzten anderthalb minuten als kommentator hinter meinen texten völlig verschwinden. sie bedürfen weniger des kommentars als einfach der bereitschaft, genau hinzusehen bzw. hinzuhören. und sie erheben dabei nur bedingten literarischen anspruch.
handwerker
und sie haben ihre aufgabe auch dann erfüllt, wenn sie vergessen werden aber vielleicht, bevor sie vergessen werden, den einen oder anderen angeregt haben, den raum für notizen in seinem kalender zweckzuentfremden auf der suche nach sinnvollen widersprüchen.
bilanz
sprich wörtlich
reiseprospekt
nach hof auf den spuren jean pauls
zwischen eutin und malente
mit inspektor bräsig
strandhaferburgen
das goethehaus in frankfurt
überbelichtet die erinnerung
menschen
markierung
ausgesetzt
gedicht über was alle gewußt haben
helden lied
du kannst den fortschritt nicht aufhalten
grünanlage
umweltschutz
ohnmacht
retortengespräche
demonstration
hals und beinbruch
aus der kantine
progression
automatischer anrufbeantworter
topographie der friedhöfe
eintauchen
zehnfingerblind
erinnerungen an ein leben davor
wolkenkuckucksheime
schnittpunkte zweier tangenten
satzsteinbrüche
leerzeilen
ein text
mit ihm möchte ich aufhören, mit einem text für die abwesenheit von sprache.