Reinhard Döhl | Joachim Tannewitz: "Öl"
Zur Dramaturgie des Hörspiels im Dritten Reich.

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Wie bereits einleitend gesagt, ist Hanns Joachim Tannewitz' ein instruktives Beispiel für das nach Kriegsbeginn fast ausschließlich bevorzugte "Kurzhörspiel", die politische Kurzszene, das historische Propagandaspiel. Es läßt sich so leicht einer von Heinz Pohle vorgeschlagenen, von Friedrich Knilli übernommenen Typologie des nationalsozialistischen Hörspiels neben dem "Gemeinschaftsspiel" und dem "spezifischen Hörspiel" einordnen.
Bei genauerem Hinsehen erweist sich allerdings eine derart horizontale Gliederung der propagandistischen "Hörbühne als nationaler Anstalt" (Walter Jäger) als ungenügend, indem sie Voraussetzungen und die geschichtliche Entwicklung kaum erkennen läßt. Eine vertikale Gliederung der Hörspielgeschichte von 1933 bis 1945 läßt nämlich deutlich. zwei Phasen unterscheiden, eine erste von ca. 1933 bis 1938, in der das "Gemeinschaftsspiel" und das "spezifische Hörspiel" dominieren, in der es aber auch das "Kurzhörspiel" schon gibt. Und eine zweite Phase zu Kriegsbeginn, in der eigentlich nur noch das "Kurzhörspiel" gesendet wurde. Entsprechend äußert sich Gerhard Eckert, während des Dritten Reiches energischer Verfechter der These vom Rundfunk als Führungsmittel, vom Hörspiel als wichtiges Mittel politischer Führung, in einem Interview mit Michael Radtke, das 1971 zustande kam:

Zitat

Wenn man versucht festzustellen, was die große Zeit des Hörspiels gewesen ist, dann würde ich sagen, das waren die Jahre 1934 bis 1938.

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Und er hebt dagegen ab:

Zitat

Das, was man hörspieldramaturgisch, also unter literarischen Gesichtspunkten unter Hörspiel versteht, ist in den ersten Jahren des Krieges sehr stark gedrosselt worden. Was man damals gemacht hat, ist massive Propaganda in Kurzform, was nicht ausschließt, daß zur Ablenkung auch gewisse andere Hörspiele gesendet wurden.

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Für die erste Phase sieht Eckert in diesem Interview das Charakteristische des nationalsozialistischen Hörspiels in der "Darstellung typisch deutscher Verhaltensweisen", und seinen Erfolg in der durch "bestimmte Stoffe" ausgelösten "starken Propagandawirkung".

Zitat

Ich glaube, daß einige Leute des Dritten Reiches besonders das künstlerische Hörspiel gefördert haben, also Hörspiele allgemeiner Art, im denen typisch deutsche Verhaltensweisen dargestellt werden. Da das Hörspiel in der Zeit sehr gewirkt hat - bei zehn Millionen Rundfunkhörern muß man sagen, daß jeder zweite regelmäßig Hörspiele gehört hat, also sechs bis sieben Millionen - ist anzunehmen, daß bestimmte Stoffe in der Bevölkerung eine sehr starke Propagandawirkung gehabt haben.

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HörspielAutoren dieser ersten Phase waren etwa Kurt Eggers, Richard Euringer, Eberhard Wolfgang Möller, Ottoheinz Jahn, um wenigstens ein paar bekanntere Namen zu nennen. Die bezeichnenden Titel dieser zum Teil in der "Stunde der Nation" ausgestrahlten Hörspiele lauten zum Beispiel "Nürnberg", "Horst Wessel", "Soldat der Revolution", "Wir bauen eine Straße", "Münchner Geißelmorde", "Deutsche Passion", "Der Weg zum Reich". Sie alle lassen sich rubrizieren unter "Einsatz des Hörspiels als Führungsmittel" (Eckert), erfüllen den Anspruch von "Hörspiel und Hörspielregie als völkischen Willensausdruck" (6. Wiesmann), treiben den "Kult des neuen Staates" (F. Eckardt). Wie sehr dieser "Kult des neuen Staates" triviale Propaganda, ideologischer Kitsch sein konnte, mag eine Regieanweisung aus dem von einem unbekannten SA-Mann geschriebenen "Mysterium", "Geburt des Reiches" von 1933 belegen.

Zitat

"Aus der Musik herauswachsend: Marschschritte. Deutschland marschiert. Plötzlich eine Reihe von Schüssen, unregelmäßig, jeder einzelne zeichnet sich deutlich ab. Ein letzter ferner Schuß. Totenstille, solange bis das Schweigen unsagbar lastend und drohend wirkt. Dazwischen eine Stimme, unaussprechlich traurig und von jahrtausendealtem Zorn: "Ihr Hunde habt auf Schwarz-Weiß-Rot geschossen". Musik. Hornmotiv, crescendo. Pause. Horn crescendo bis fortissimo, ohne rhythmisch an die noch immer weitergehenden Marschschritte gebunden zu sein.
Aus der Musik will sich quälend und unerlöst ein Motiv des Deutschlandliedes in Moll entwickeln. Marschschritte gehen weiter. Das Motiv des Deutschlandliedes stößt immer wieder vor in jeweils höhere Tonlagen. Dazwischen schrillt plötzlich auch eine Trompete mit dem Anfang der Marseillaise. Gellende Fanfaren mit dem Motiv "Völker hört die Signale". Deutschland-Motiv, Marseillaise-Motiv, Marschschritte gehen weiter. Eindrucksvoll, wie Marschschritte und Musik miteinander ringen.
Plötzlich eine gellende Stimme: Verrat!
Der Chor: Aus dem Blut der Gefallenen steigt Kraft zur Vergeltung.
Stimme: Gold!
Der Chor: Es werden die Schwerter aus Stahl geschmiedet.
Stimme: Ketten!
Der Chor: Sie binden den Knecht, doch niemals den Mann.
Stimme: Mord!
Der Chor: Der Träger fällt, die Fackel leuchtet.
Wieder das Deutschlandmotiv, diesmal in Dur, ganz leise verwehend. Den letzten schwingenden Ton nimmt das Horn auf, gibt ihn an die Orgel ab. Kurzes Spiel auf der Orgel endet mit einem zarten Akkord.

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Diese Regiebemerkung enthält in nuce in platter Form die gesamte "Wirkungsdramaturgie" des nationalsozialistischen Hörspiels. Doch fand diese "Wirkungsdramaturgie" ihre Anwendung nicht nur bei Den genannten Autoren, bei Hörspielen, die "aus dem Beispiel der Geschichte und aus den politischen Aufgaben der Gegenwart" "lebendige, packende Schicksale wirken" ließen (Qttoheinz Jahn), sie wurde auch eingesetzt in als solches propagierten Volksstücken, die "mit dem Inhalt unserer Zeit" gefüllt werden sollten:

Zitat

Die tiefsten Hörspielwirkungen gehen immer wieder von Werken aus, die man ihrer ganzen Form und ihrem Inhalt nach als Volksstücke bezeichnen muß. Das Volksstück ist ein Besitz des deutschen Menschen. Nur er hat es gemeistert, geschaffen und ausgebaut. Vom hinreißenden Mimus des Hans Sachs bis auf unsere Tage hat das deutsche Volksstück immer wieder Zeugnis von den Grundbegriffen abgelegt, die der Nationalsozialismus erst machtvoll geweckt hat. Darum ist es zu begrüßen, wenn Hörspieldichter immer wieder zum Volksstück zurückkehren unter der Voraussetzung, daß sie stark genug sind, dieses ehrwürdige Gefäß mit dem Inhalt unserer Zeit zu füllen. (Fred Angermeyer, 1934).

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Statistisch gesehen ging die Produktion der 'eigentlichen' Hörspiele von 1933 bis 1939 sichtlich zurück. Wenn auch die
vorliegenden Zahlen mit gewisser Vorsicht zu behandeln sind, lassen sie diesen Rückgang des Anteils der Hörspielproduktion am Gesamtprogramm von 2,2% 1933 auf 1,5 % 1935 auf schließlich 0,7 % 1939 deutlich erkennen.
Eine wirklich zufriedenstellende Erklärung für diesen Rückgang bei gleichzeitiger Zunahme der Musiksendungen gibt es bisher nicht. Heinz Pohle vermutet, die propagandistisch geschickte Programmgestaltung habe "das Platte und Aufdringliche der Propaganda" aus "dem unterhaltenden. Teil" des Rundfunkprogramms "herauszulösen" versucht:

Zitat

Es gab nämlich nur wenige Hörspielautoren, die es verstanden, ein literarisch wertvolles und zugleich propagandistisch wirksames Hörspiel zu schreiben.

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Diese Vermutung ließe sich mit einer schon 1933, also sehr früh formulierten kritischen Einschränkung stützen:

Zitat

Auf den Menschen zielen - darauf kommt es immer wieder im Rundfunk an, und das scheint heute gelegentlich übersehen zu werden. Man zielt allzu unmittelbar auf den Staatsbürger, statt mittelbar über den Menschen den Staatsbürger zu erziehen und zu gewinnen.

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Die propagandistisch geschickte Programmgestaltung mußte also schnell erkannt haben, daß sich eine beabsichtigte Wirkung - etwa bei derart platten Spielen wie der "Geburt des. Reiches" - auch in ihr Gegenteil verkehren konnte.
Eine weitere mögliche Erklärung wäre, daß man dem Hörspiel als "Form des funkischen Ausdruckswillens" (Königsberger Hartungsche Zeitung, 1933) nicht so recht vertraute oder meinte, beim "klugen Ausgleich von Kunst und Propaganda" (Heinrich Walter, 1934) auf das Hörspiel als möglicher Verbindungsform von Kunst und Politik verzichten zu können. 1939 jedenfalls führte Joseph Goebbels in seiner Ansprache zur Eröffnung der Großen Deutschen Rundfunk- und Fernsehausstellung in Berlin. zur Programmgestaltung aus:

Zitat

Selbstverständlich darf. ein Programm niemals die Aufgabe aus Augen verlieren, den Geschmack und die Empfindungsfähigkeit der breiten Massen zu kultivieren und zu veredeln. Darüber hinaus aber muß der Rundfunk mit den gegebenen Tatsachen rechnen und sich auf irgendeine Weise ihnen anzupassen versuchen. Das bedingt auch die so oft kritisierte ungeheure Vielgestaltigkeit des Programms eines klug und überlegen geführten Rundfunks.
Es ist auch nicht angebracht, in diesem Zusammenhang von einer sogenannten rundfunkeigenen Kunst zu sprechen. Die Kunst des Rundfunks schließt sich mehr oder weniger an die bestehenden und ausgeübten Künste.an. Es gibt beispielsweise kein Rundfunkdrama.

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Das hört sich in der Tat wie eine Toterklärung, die Liquidierung des Hörspiels als einer eigenständigen, mediumspezifischen Spielform und Gattung an, und klingt dennoch so überraschend nicht, wenn man bedenkt, daß es den Nationalsozialisten von Anfang an um den "Inhalt unserer Zeit", nicht um Gestaltungsprobleme, nicht um ein Hörspielprogramm, sondern um den Rundfunk als "Ausdrucksmittel", das Hörspiel als "Verkündigungsmittel" gegangen war, allgemein darum, durch den Rundfunk "mit jedem Volksgenossen in unmittelbare und engste Berührung zu kommen". Schon am 8.10.1933 formuliert dies ein Artikel einer Sonderbeilage "Film und Funk" der "Roten Erde - Generalanzeiger":

Zitat

Heute sind wir so weit, daß der Rundfunk für seine Darbietungen ein völlig neues und eigengesetzliches Formgebilde geschaffen hat. (...) Eine große Aufgebe der Programmgestaltung ist es, die Unterhaltung, der breitester Raum gegeben werden soll, (...) so zu gestalten, daß sie Spiegelbild unserer Art und unseres Lebens ist. Der Rundfunk mit seinen verschiedenen Darbietungen, die Hörspiele, Hörfolgen, Sendespiele, Reportagen, Reden, Ansprachen und sonstigen Darbietungen bringt heute schon die Gegenwartsprobleme jedem einzelnen in wechselvoller Form nahe. Im Volke soll die Sehnsucht nach einer Lebensgestaltung im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung geweckt werden. Das ist die Kunst des Rundfunks!

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Genau dies aber könnte der Grund sein, warum das "Gemeinschaftsspiel" und das "spezifische Hörspiel" auf der Strecke bleiben mußten: daß es den Nationalsozialisten nicht um das Formgebilde (welcher Art auch immer) im Programm ging, sondern um das Programm als "neues und eigengesetzliches Formgebilde"; daß es ihnen nicht um die Kunst im Rundfunk ging, sondern um die "Kunst des Rundfunks", um die Kunst, auf dem Rundfunk als dem geeigneten Instrument zur "Massenbeeinflussung" zu spielen. "Der Politiker" hatte es Goebbels formuliert -

Zitat

Der Politiker ist ein Künstler. Für ihn ist die Rohstoffmasse Mensch immer nur ein bildsamer Stoff.

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"Gebildet" werden sollte diese "Rohstoffmasse" mit Hilfe der Propaganda, die so gleichfalls zur spezifischen Kunst, unter
anderem von Hans Fritzsche, erklärt wurde:

Zitat

Denn die Propaganda ist nicht ein Mittel zur Verdummung, sondern die Propaganda ist die Kunst, die Wahrheit richtig unter die Leute zu bringen.

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Als geeignetes Instrument für eine derartige Kunstausübung, als ideales "Ausdrucksmittel" aber hatten die Nationalsozialisten den Rundfunk und seine Möglichkeiten erkannt und von Anfang an skrupellos eingesetzt:

Zitat

Der nationalsozialistische Mensch und seine lebendige Weltanschauung suchte sich ein Ausdrucksmittel, das ihm arteigen. das heißt politisch wäre. Ein Instrument, das die neuen Werte seiner Weltanschauung von Blut und Boden, Rasse, Heimat und Nation darstellen könnte. Dieses Instrument fand der Nationalsozialismus im Rundfunk, der alle innerlichen und äußerlichen Voraussetzungen dazu besitzt. (Eugen Hadamovsky, 1934).

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Das Hörspiel, die Hörspielversuche einer Vereinigung von Kunst und Politik, Kunst und Propaganda stellten dabei nur eine Möglichkeit unter vielen dar. Und sie konnten bedenkenlos aufgegeben werden, als man sich mit Beginn des Krieges nichts mehr von ihrer Wirkung versprach. Übrig blieb das "Kurzhörspiel", das reine Propagandaspiel.
Neben den Hörspielversuchen einer Vereinigung von Kunst und Politik war es von Anfang an in den Programmen zum Einsatz gekommen mit Beispielen wie "Komm und nimm, Eintopfsonntag", in dem 1934/1935 Gerhard Tannenberg für das Winterhilfswerk Reklame machte, ein Autor übrigens, der noch 1932/1933 und 1933/1934 in "Rufer und Hörer" Über die "künstlerischen Wesenheiten des Hörspiels" veröffentlicht hatte. Weitere Themen dieser Propagandaspiele waren der Luftschutz, die Spionage, das Zeitungslesen, das Abhörverbot ausländischer Sender und dergleichen mehr. Davon abgehoben haben wir bereits einen Typ, der "aufklärende Geschichte" im Sinne des nationalsozialistischen Feindbildes betrieb. Ihm ist unser heutiges Beispiel zuzuordnen, aber auch eine politische Kurzszene wie "Der Bittgang des Admiral Blackford", die vor allem deshalb interessant ist, weil wir hier etwas über die Wirkung wissen.
Ein derart auf den politischen Effekt ausgerichteter Rundfunk war natürlich darauf angewiesen, seine Wirkung ständig zu
kontrollieren. So erhielt zum Beispiel der Rundfunkkommentator Hans Fritzsche regelmäßig "Stimmen zum Rundfunkprogramm", die vom Chef der Sicherheitspolizei und des SA gesammelt und zusammengestellt wurden. In diesen "Stimmen zum Rundfunk" heißt es am 17.4.43:

Zitat

Die politische Kurzszene "Bittgang des Admiral Blackford" (10.4.) sei im allgemeinen gut aufgenommen worden. Die geschilderten Vorgänge seien eindrucksvoll dargestellt worden, wobei verschiedentlich die Leistung der Schauspieler hervorgehoben wird.. Die Gesamttendenz sei ziemlich unaufdringlich gewesen. Vereinzelt zweifle man allerdings daran, daß ein Admiral persönlich eingreife, um Gefangene als Schiffsbesatzungen anzuwerben."

Autor

"Politische Kurzszenen" dieser Art entstanden meist aus aktuellem Anlaß, gelegentlich sogar über Nacht. Sie dienten dem, was man "politische Aufklärung" nannte. Das Hörspiel war zur "politischen Waffe" (Eckert, 1940) geworden. Analog zur
nationalsozialistischen Lesart, der erste Weltkrieg sei nicht auf dem Schlachtfeld besiegelt, sondern durch mangelnde Propaganda verloren gegangen, sollte es "wesentlich zur Stärkung der inneren Front" beitragen (Eckert, 1940). Entsprechend war die Aktualität dieser Kurzhörspiele, dieser politischen Kurzszenen stets auf das politisch-ideologische Gesamtkonzept bezogen. Das Aktuelle "um der bloßen Aktualität willen gilt nicht mehr", formulierte es Eugen Kurt Fischer 1942 in seiner "Dramaturgie des Rundfunks":

Zitat

"Für den deutschen Rundfunk ist heute nur noch aktuell, was in ein Gesamtbild vom sinnvollen Vollzug der europäischen Erneuerung unter Deutschlands politischer und geistiger Führung hineinpaßt."

Autor

Das heißt in Klartext und Praxis, daß sich ein "Kurzhörspiel" wie Hanns Joachim Tannewitz' "Öl" in die offizielle Propaganda einpassen mußte, ja wesentlicher Teil dieser Propaganda war. Der Hörspielversion von der englischen Verantwortung für den Kriegsbeginn steht die Argumentation einer Rede Hans Fritzsches am 27.10.1940 in Wels zur Seite, beide aber sind Bestandteil eines breit angelegten, gegen England als den damals noch einzigen westeuropäischen Kriegsgegner gerichteten Propagandafeldzuges:

O-Ton

Nur weil die Polen. nicht wollten, ist es zu dem Kriege gekommen. Und die Polen wollten nicht, weil die Engländer nicht wollten. Lassen Sie sich in diesem Kreise eine Erinnerung aussprechen, die man auch im Rundfunk und in der Zeitung schlecht sagen kann. Ich durfte in der Zeit der ersten Chamberlain-Reise nach Deutschland auf dem Obersalzberg sein. Und ich erfuhr da von der ersten Unterredung, die. der Führer mit dem damaligen englischen Ministerpräsidenten oben im Berghof hatte. Und da war nach einer dramatischen Steigerung dieser Unterhaltung die Frage nach dem Krieg aufgetaucht. Und da sagte der Führer, Herr Chamberlain, wenn Sie doch Krieg gegen Deutschland führen wollen, dann liegt mir nichts an einem Frieden, der nur ein oder zwei Jahre hält.
Denn dann führe ich den Krieg, den Sie wollen, lieber als Fünfzigjähriger als als Siebzigjähriger, aber auf' keinen Fall überlasse ich ihn meinem Nachfolger. Und das war es, was hinter diesem polnischen Übermut stand. Es war die englische Erkenntnis, dort wächst mit friedlichen Mitteln in Mitteleuropa ein Staat, ein Volk, eine Gesellschaftsordnung, die in sich so viele Kräfte vereinigt, daß es ihr ganz selbstverständlich zufallen wird, das Schicksal des Kontinents zu bestimmen, und daß diese neue gesellschaftliche Ordnung, diese sozialistische Ordnung, ein Musterbeispiel werden wird, auch für die Ordnung in anderen Völkern. Und das, das wollten englische Plutokraten auf keinen Fall zulassen. Und deswegen mußte es zu dem Krieg kommen. Nachdem dieser Krieg, der nicht notwendig war, aber einmal da ist, muß dieser Krieg geführt werden und wird er geführt bis zum Sieg.

Autor

Ein solches Zitat kann andeuten, wie sehr "Kurzhörspiel" und offizielle Propaganda (nicht erst) seit Kriegsbeginn zusammengehören, wieweit das "Kurzhörspiel" bzw. die "politische Kurzszene" sich der offiziellen Propaganda als eine mögliche Form einordnen. Für unseren Fall muß dieser Hinweis genügen, da abschließend noch ein weiteres Problem wenigstens angesprochen werden soll.
Immer wieder wird so getan, als gäbe es 1933 und dann noch einmal 1945 eine "Stunde Null" einen "Nullpunkt", als könne man deshalb - wie zum Beispiel Heinz Schwitzke .in seiner "Dramaturgie und Geschichte" des Hörspiels - das nationalsozialistische Hörspiel einfach ausklammern, als könne man über einige Beispiele der Exil-Literatur wie Anna Seghers "Der Prozeß der Jeanne d'Arc" (1937) und Bertolt Brechts "Lukullus vor Gericht" (1940) die Jahre 1933 bis 1945 gleichsam über das Ausland umgehen.
Ein solches Verfahren unterschlägt aber, daß zum Beispiel Richard Kolb, auf dessen "Horoskop des Hörspiels" von 1932 nach 1945 die Hamburger Hörspieldramaturgie, das offizielle Hörspiel der 50er Jahre wesentlich fußte - daß zum Beispiel Richard Kolb am 19.4.1933 die Intendanz des Bayerischen Rundfunks übernahm und damit eine Funktion, die der Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky ein Jahr später nach dem Führerprinzip definierte:

Zitat

An die Spitze jedes Senders ist ein einzelner Mann getreten, der nunmehr der alleinige Führer seines Senders ist, der
Intendant. Wir mußten zunächst die Intendanten in eine strenge Schule nehmen, das war notwendig, um die politische Willensbildung unseres Volkes durch das Verkündiguugsmittel Rundfunk sicherzustellen.

Autor

Die Sicht des damaligen Intendanten läßt sich einer Rede Kolbs anläßlich der Übernahme der Inte'danz abhören:

O-Ton

Ich bin mir voll bewußt, welche Verantwortung ich heute übernommen habe. Denn der Rundfunk ist längst hinausgewachsen über einen billigen Unterhaltungs- und Belehrungsfunk. Er war bereits in den letzten Jahren ein wichtiger Begleiter des Menschen im täglichen Leben. Er war in der schwersten Zeit des deutschen Volkes ein Tröster und Freund. So vielfachen Segen er aber auch dem einzelnen gespendet und gestiftet hat, er stand abseits von dem Neuen, von dem Werdenden, schwieg das keimende, zur Entfaltung treibende Leben der Nation tot, ging vorüber an den Zeichen und dem Geist der Zeit und hielt sich ängstlich an das Althergebrachte und zum Teil schon Absterbende. So wurde der Rundfunk in seinem von Behörden und Instanzen ihm aufgezwungenen Dornröschenschlaf überrascht.
Aber die staunende Welt konnte es erleben, wie rasch und durchschlagend die neue Regierung und die neue Bewegung es verstand, das Rad der Zeit auch im Rundfunk herumzuwerfen und plötzlich Aktualität, Zeitgeschehen und Zeiterleben durch das Mikrophon Millionen von Hörern ins Haus zu bringen. Wenn die nationale Bewegung in den letzten Wochen so rasch anwuchs und ungeheure Fortschritte machte, daß sich die Zahl der 17 Millionen wohl sicher schon mehr als verdoppelt hat, so hat der Rundfunk einen großen Teil verdient daran. Denn das Miterleben einer Rede des Führers wuchs über die Tausende jeweils im Saale Anwesenden hinaus auf die ungezählte Masse der Hörer. Was sich in den letzten Wochen seit dem 30.Januar Großes ereignete, alles nahm den Weg über Mikrophon und Äther zu den Millionen Lautsprechern. So wurde der Rundfunk ein Bindeglied zwischen Regierung und Hörerschaft, zwischen den Führern und ihrer Gefolgschaft, ein Diener des Staates und zugleich des. Volkes. Heute ist der Rundfunk keine Erscheinung für sich, losgelöst vorn Schicksal des deutschen Volkes, sondern ein Instrument desselben, und der Geist, der dieses Instrument bedient, ist der Geist der Klassenversöhnung und Volksgemeinschaft. Jeder, der im Rundfunk mitbauen und mithelfen darf, ist heute nicht mehr ein Angestellter nur einer Sendegesellschaft, sondern ein Diener des neuen Staates und des Volkes, ein Diener des größten Massenbeeinflussungsinstrumentes, das nicht nur ein Spiegel seiner Zeit, sondern die aktivistische Staatsidee und die lebendige und schöpferische öffentliche Meinung ist.
Der Rundfunkintendant sitzt an der staatsbildenden Quelle und hat die Kraft, die revolutionäre Bewegung des neuen Deutschland ausstrahlen zu lassen in alle Empfänger seines Landes.

Autor

Daß hier kein plötzlicher Gesinnungswandel Kolbs vorlag, machen eine Erinnerung des Bayerischen Wirtschaftministers Hermann Esser an die Haltung Kolbs 1923 beim Marsch auf die Feldherrnhalle und eine Passage aus der Rede des Reichspropagandaministers Goebbels im Münchner Funkhaus am 23.4.1933 recht deutlich:

O-Ton

Ich habe mich in den damaligen Wochen sehr oft. stundenlang mit ihrem neuen Intendanten, der jetzt in München seines Amtes waltet, über die. Aufgaben des Rundfunks unterhalten. Ich verdanke ihm viele Anregungen, verdanke ihm eine Fülle von Gedanken, die später, als wir den Rundfunk in unsere eigene Hand nahmen, in die Tat umgesetzt worden sind.

Autor

Von hier aus gesehen liest sich manche Passage des Hörspiel-Horoskops nun doch bedenklich. Da ist die Rede von der
"unmittelbaren Einbeziehung des Rundfunkinstruments in den Organismus des Hörers" und davon, daß durch diese
"unmittelbare Einbeziehung" eine "akustische Einheit entstehe". Dem Hörspiel selbst wird die Möglichkeit bescheinigt, "ein Teil der kommenden Kultur zu werden", einer Kultur, deren Qualität durch ein Wortpaar wie "Aufstieg und Erlösung" umschrieben wird. All dies aber ist ebenfalls in der Rundfunkliteratur nach 1933 belegbar. Und wie für Kolb so stellt auch für die Hörspielproduktion, für die Dramaturgie des Rundfunks allgemein das Jahr 1933 nur bedingt eine Zäsur dar.
Auch das Hörspiel des Nationalsozialismus war in den Jahren vor 1933 wesentlich vorbereitet. Schon 1931 hatte Friedrich
Bischoff vom "Weg zum Volksstück" gesprochen, in dem "Zeitprobleme" wirksam und "für die Gesamtheit der Hörer durchsichtig" gemacht werden könnten. "Hörfolge", "Rundfunkkantate", "Hörbericht" waren als Spielformen bereits vor Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erprobt und in "Rufer und Hörer" diskutiert worden. Eberhard Wolfgang Möllers "Douaumont" von 1929 (Dramenfassung) und 1932 (Hörspielfassung) läßt sich ohne Schwierigkeiten den folgenden nationalsozialistischen Hörspielen dieses Autors zuordnen. Hinzu kommt eine sogenannte Heimatdichtung mit ihrer allmählichen Verkürzung zur Blut-und-Boden-Dichtung, die ebenfalls schon in den ausgesprochen pluralistischen Rundfunkprogrammen vor 1933 mit einzelnen Beispielen vertreten war. Schließlich zeigt der Mißbrauch, den der inzwischen nationalsozialistische Rundfunk mit dem 1932 erstgesendeten sozialkritischen Zeithörspiel "Der Ruf" von Hermann Kasack getrieben hat und treiben konnte, daß sich dieser Typ des sogenannten Zeithörspiels - möglicherweise aus Gründen einer falsch verstandenen Neutralitätspolitik des Weimarer Rundfunks - gelegentlich so sehr in einem ideologischen Niemandsland, in einem politischen Vakuum befand, daß er sich bei geschickter dramaturgischer Aufbereitung praktisch von jedem für seine Zwecke einsetzen ließ.
Und schließlich noch eine dramaturgische Kleinigkeit: Es gibt eine Vielzahl Fotos aus der Zeit nach 1933, auf denen man Versuche beobachten kann, den Marschtritt von SA-, SS- oder Soldatenkolonnen mit bzw. durch das Mikrophon aufzufangen. Die Reportage Wulf Bleys über den Fackelzug am 30. Januar 1933 kommt immer wieder auf' den "Vorbeimarsch" zu sprechen:

Zitat

Wir sind noch einmal wiedergekommen. Stundenlang hat der Vorbeimarsch gedauert. Er dauert noch immer an; jetzt erst
fängt der Stahlhelm an, vorbeizumarschieren. Immer höher und höher ist der Jubel dieser Hunderttausende geschwollen, die hier vorbeigezogen sind, zusammengesetzt aus allen Gruppen, die jetzt zu einer einzigen Willenseinheit zusammengeschmolzen sind.

Autor

In unserem Zitat aus die "Geburt des Reiches" waren neben der Musik vor allem "Marschschritte" wesentliches dramatisches
Element. Auch dies alles war bereits in der Hörspieldramaturgie vor 1933 erprobt: Sowohl im Kasacks "Der Ruf" wie in Alfred Döblins "Geschichte vom Franz Biberkopf" wird zum Beispiel am Schluß marschiert.
Aber auch die Politisierung, das Bekenntnis zur Tendenz, die radikale Ablehnung eines "neutralen Rundfunks" kamen nicht
unvorbereitet. Eine stärkere Politisierung des Rundfunks war bereits am 1. Juni 1932 in der "Stunde der Reichsregierung"
angekündigt worden. Konnte und wollte der Rundfunk in seinen Anfängen kein "Instrument politischer Meinungsbildung" (Bredow) und -äußerung sein, hatte sich spätestens seit 1931 die Erkenntnis durchgesetzt, daß man über eine "passive Neutralität" hinauskommen müsse, da sie dem Programm zu enge Grenzen setze. Die Neutralitäts-Diskussion zwischen H. S. Ziegler, Eugen Kurt Fischer und Felix Stiemer im Jahrgang 1931/1932 in "Rufer und Hörer" zeigt vor allem im Falle Zieglers, wie weit hier bereits vorgeprescht wurde:

Zitat

Eine Idealentwicklung des kulturellen Rundfunks würde als Ergebnis einen Rundfunk zeigen, der sozusagen als starke
deutschbewußte Persönlichkeit berufen ist, alle kulturellen Belange des deutschen Volkes von höchster Warte zu vertreten und das Bewußtsein aller Hörer von der Kraft des deutschen Wesens und des deutschen Volkstums zu vertiefen. An dieser Entwicklung zur Persönlichkeit, zu einem starken "Subjekt", durch die alles ängstliche Hin- und Herreden über "neutral" oder "nicht neutral" überholt würde, mitzuhelfen ist eine der vornehmsten Aufgaben jedes kulturellen Beirats.

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Gemessen an dieser Argumentation erscheint eine Formulierung Hans Krieglers lediglich als radikale Zuspitzung:

Zitat

Den verlogenen sogenannten "objektiven" und "neutralen" Rundfunk haben wir immer abgelehnt und dafür den politischen und
tendenzbewußten Rundfunk propagiert.

Autor

"Politischer Rundfunk", das schloß im Sinne des Nationalsozialismus "schöpferische und nachschöpferische kulturelle Gestaltung" mit ein. Kultur und damit auch das Hörspiel waren zum Mittel der Politik, zum Mittel der Propaganda geworden. Es gab keine Dramaturgie des Hörspiels mehr. Sie mußte sich unterordnen einer umfassenderen Dramaturgie des Rundfunks, einer allgemeinen "Dramaturgie der Propaganda", einer Dramaturgie, die sich alsbald - durch die Produktion und hohe Auflage des Volksempfängers unterstützt - anschickte, "die Menschen so lange zu hämmern und meißeln, bis sie uns verfallen sind" (Goebbels, 1933).

Zitat

Wir fühlen uns heute als Willensvollstrecker des deutschen Volkes. Nichts, was wir tun, geschieht ohne Beziehung zum Volk.
Wir glauben. nicht, daß wir eine Aufgabe aus sich zu erfüllen hätten, sondern unsere Aufgaben sind nur in Beziehung zum Volk zu vollziehen. Und wenn die Regierung nun die Absicht hat, in lebendigsten Kontakt mit den Volk zu kommen und im lebendigsten Kontakt mit dem Volk zu bleiben, dann muß sie auf der anderen Seite auch den Mut haben, für diese Kontaktsetzung zum Volk auch die modernsten, die besten und die umfassendsten Mittel in Anspruch zu nehmen. Das war eine meiner ersten Aufgaben, aus dem wilden Tohuwabohu, in dem sich all die Instrumente befanden, die zur Volksaufklärung und zur Massenbeeinflussung dienten, aus dem wilden Tohuwabohu ein organisches Ganzes zu formen. Diesem wilden Tohuwabohu eine Form, einen Sinn und ein Gefüge zu geben und über dieses Tohuwabohu eine zentrale Hand zu stellen, die nun von einer festen und unbeirrbaren Mittelpunktstelle aus all diese Mittel in Anspruch nahm, um eine unmittelbare, ewig sich erneuernde Beziehung zum Volk zu vollenden und durchzuführen. Im Rahmen dieser großen Gesamtaufgabe hat der deutsche Rundfunk vielleicht den allerwichtigsten Teil, die allerwichtigste Teilaufgabe zu versehen. Der Rundfunk ist das modernste, ich darf wohl auch sagen, das erfolgreichste Massenbeeinflussungsmittel.

BR 2.8.1973