Lieber Kollege Schoepe, lieber
Buch Julius,
liebe Freunde, sehr geehrte
Damen und Herren.
Leider kann ich heute nur geistweise bei Ihnen sein, was ja bei einer Schoepe-Ausstellung nicht unpassend ist. In eigener Sache also grüße ich meine Freunde, die hoffentlich heute sehr zahlreich anwesend sind, und mein liebes Stuttgart und freue mich, daß ich zur Ausstellung "...mein Kind, es ist ein..." einen Brief schicken durfte, und das aus dem recht flachen Niedersachsen, wo Herr Schoepe mich manchmal trifft - schwer beladen mit Kamera und Stativ und mit dem rechten fotografischen Ernst --, wenn er sich nicht in Berlin aufhält.
Also, zur Sache.
Die Frage, ob Fotografie Kunst sein könne, ob sie gar ins Museum gehöre, die ist längst bejaht worden. Wir erleben eine rege Aufarbeitung der Geschichte der Fotografie. Viele Ausstellungen machen uns dem Oeuvre großer Fotografen der Frühgeschichte und der klassischen Moderne der Fotografie bekannt. Wir staunen über die große thematische Breite und über die technischen Möglichkeiten des Mediums, das schon im 19. Jahrhundert große Maler wie z.B. Cezanne anzog. Die Künstler jener Zeit ahnten, daß die Fotografie sie von vielen Zwängen befreien und eine unerhörte malerische Produktivität und Entwicklung in Gang setzen würde. Was sie nicht wissen konnten, war, daß sich die Fotografie selbst zum künstlerischen Mittel im gleichen Rang wie andere künstlerische Medien mausern würde.
Fotografien sind menschliche Erzeugnisse - Kulturphänomene. Sie wurden stets absichtlich erzeugt und weisen auch auf diese Absicht, doch diese zeigt sich nicht immer direkt und muß oft erst entziffert werden. --So, oder ähnlich, hätte es Vilém Flusser formuliert, einer, der sich mit dem Phänomen Fotografie gründlich auseinandersetzte.
Und was hätte er vorgefunden? Licht – Bilder gäbe es hier zu sehen, verspricht die Einladung. Das stimmt wohl. Licht-Bilder sind Fotografien, also Bilder dank des Lichts und vom Licht. Unserem Autor geht es um die Darstellung des Lichts und seiner Spuren, die es in Sekundenbruchteilen und nur für blitzschnelle Momente hinterläßt. Schoepe hält fest, was er kann - -
Dieses Licht, das sich hinter
Dunst verbirgt - -
Dieses Licht, das aus wattigen
Erscheinungen ausbrechen will - -
Dieses Licht, von dem man
nicht weiß, ob es kommt oder geht.
Hans- J. Schoepe ist weder Amateur noch Hobbyfotograf. Er ist Profi, Techniker von hohem Rang. Als Kriminalbeamter erlernte er die Fotografie und wandte sie bei der Aufklärung von Verbrechen an. Er beherrscht die technischen Finessen der Farbfotografie nicht nur mit der Kamera, sondern auch im Labor.
Die Dokumentation von Fundstücken und Fundorten, von Tatmitteln, Tatorten und Opfern oder Tätern - - die scheinbare Objektivierung dessen, was das Auge ohne Zwischenstock Kamera oft zu subjektiv und emotional sieht, das ist die Hauptaufgabe der kriminalistischen Fotografie.
Wenn Schoepe keinen Auftrag auszuführen hat, dann stellt er sich selbst Aufgaben. Und hier verfährt er beim Fotografieren unwillkürlich nach den Regeln, die den ikonografischen Traditionen der Malerei entnommen sind. Er gestaltet. Das ist eigentlich das Wesen der Hobby-, nicht aber der Profi-Fotografie, die das Individuelle ausschalten möchte. Zu dieser gelangt er dann wieder im Labor, wenn er in das schöne Landschaftsbild eindringt, ihm seine Individualität wieder nimmt, bis es zu "Gegend" wird. Nun ahnt man trotz der Lichtfülle auch die Möglichkeit des Bösen, der düsteren Ereignisse. Hier könnte man den Selbstmörder finden, die aufgeschlitzte Freundin, das erdrosselte Kind, den erstochenen Nebenbuhler, die gedankenlose Untat, die nur schwer zu bezeichnen, zu definieren ist.
Schoepe erzeugt Tatorte. Es ist gut, nicht zu wissen, wo er seine Bilder aufgenommen hat. Ihre bleiche Kraft könnte auch die Tat konkret werden lassen. Oder erscheint doch bald das Licht ganz ohne Schleier, und Schoepe hat auf dem Gras sein Picknick ausgebreitet, zu dem er uns einlädt? Auch das wäre ein Tatort.
Wenn Sie die Ausstellung betrachtet haben, dann haben Sie sich sicher heute Nachmittag zu Picknick bei Buch Julius entschieden. Über die Ausstellung werden Sie reden wollen, über Bücher, und eventuell heben Sie das Gläschen auch ein wenig auf die ferne Textautorin, die Ihnen hiermit ein Erlebnis, viel Vergnügen und interessante Licht-Blicke wünscht.