reinhard döhl | gedichte | schwarz auf ich weiß
verstreutes aus der poesie- und rumpelkammer

[1957-1959]

ein mann geht vorweg | ein mann hebt was hoch | ein mann ist anständig | eins und eins sünd zwei | [addenda] | und dann kommen alle in den himmel | in der zeitung | barbara | 1/59

ein mann geht vorweg
der trägt etwas
männer und frauen
folgen ihm nach
und tragen etwas
frauen männer und kinder
stehen am rand und sehen
den mann der vorweg geht
und etwas trägt
während männer und frauen
ihm etwas nachtragen
und dann kommen alle in den himmel

ein mann hebt was hoch
männer und frauen erheben sich
ein mann murmelt was
frauen und männer murmeln was
ein mann murmelt was
frauen und männer murmeln was
ein mann trinkt was
frauen und männer trinken nichts
ein mann murmelt was
frauen und männer stellen sich an
frauen und männer kommen an die reihe
frauen und männer haben zu kauen
frauen und männer kommen zurück
und dann kommen alle in den himmel

ein mann ist anständig
weil man anständig ist
eine frau ist anständig
weil man anständig ist
die kinder sind anständig
weil man anständig ist
die großeltern sind anständig
weil man anständig ist
wenn man anständig ist
falls man anständig ist
wenn man anständig ist
und dann kommen alle in den himmel

eins und eins sünd zwei
eins und zwei sünd drei
eins und drei sünd vier
vier und eins sünd fünf
fünf und eins sünd sechs
sechs und eins sünd sieben
sieben und eins sünd acht
eins und acht sünd neun
eins und neun sünd zehn
eins und zehn sünd elf
eins und elf sünd dreizehn
und dann kommen alle in den himmel

[addenda]

und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
und dann kommen alle in den himmel
oder fehlt einer
 

in der zeitung

portrait selbst eines mörders
schwarz auf weiß ersichtlich
ist mein gesicht im spiegel
bin ich mir nah.

es wird sich zeigen.
er tat es um liebe
er tat es ihr an
er tat es um sonst.

ersichtlich ist mein gesicht
im spiegel bin ich
befangen (am ende
wird man es mir zeigen).

sie geben es zu
sie stellen die frage
er schweigt zurück
er tat es um sonst.

schwarz auf ich weiß
wird es sich zeigen.
er tat es ihr an.

portrait selbst eines mörders
im spiegel wird es sich zeigen.
 

barbara | septembre

wenn ich zum beispiel was wäre
ein troubadour wenn der abend
lastwagenweise die verbrauchten
wörter ins meer schüttet wenn
ich zum beispiel in der provence
einen längst verfallenen hof
geerbt hätte wenn jeden morgen
die metro unter meinem fenster
vorbeiführ immer noch einmal
von neuem wenn abends mein wagen
zum beispiel am gare du nord
beladen würde mit jeglicher fracht
wenn der mistral mich zu archimede
geweht hätte unter die brücken
der seine aus der provence
eines nachts wenn ich
mit dem gleichmut der negerin
zum beispiel eine uniform trüge
und löcher schlüge in die tickets
der mädchen am morgen
wenn die sonne nicht sonne wäre
und der mond nicht mond
würde ich alge sein in deinen haaren
wäre ich schlaf in deinen augen
wäre ich zu dir gekommen
 

11/59

1959 im november
um 13 uhr 10 beschloß ich
im anschluß an die nachrichten
etliche zeilen zu hinterlassen

so lasse ich zurück
die sprache der mittellosen
das sakrament meines hasses
der freundin im november

kalt und betrogen
der klartext lautet
wo der reim anfängt
hört die liebe auf

das telefon bestätigt die mühe
die mörder sind eingeweiht und die leitung
ist längst unterbrochen
was werden sie tun

wo jeder sich selber
am nächsten sein möchte
wenns an verteilen geht
von kaffee und kuchen

die stimmen der mörder
sprechen kein esperanto
beim cafekränzchen
der schwätzer

IN DER TAT

die monde zerbrochen
die sterne längst registriert
und auf den mist gekarrt
seit tagen schon

stimmen die bücher nicht mehr
und die gepflegte augenbraue
des ministers begrinst
von manchem plakat den verräter

candide
emigrierte vor tag
begann die diktatur
der gartenzwerge

1959 im november
um 13 uhr 29 vermache ich
allen besitz den besitzlosen
beschließe ich die stimme auszuschalten

meine gedanken
für mich zu behalten
und ein friedliches ende
auf salas y gomez

ich lasse wenig zurück
und wenigen hatte ich wenig zu sagen
und etliche zeilen
anfang november.


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