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Reinhard Döhl | Dagmar Halberstadt im Renitenztheater

Es gibt Malerinen und Maler (ich möchte das hier nicht differenzieren), die im Trend rnitschwimmen, konstruktiv sind, wenn's en vogue ist, sich wie Wilde gebärden, wenn's der Kunstmarkt befiehlt. Das bringt zwar gelegentlich Erfolg. Aber dieser Erfolg ist meist so kurzfristig wie die Mode Und dann gibt es Malerinnen und Maler, die eher still vor sich hinwerken, die stur an dem arbeiten, was man früher das Erarbeiten eines eigenen Stils nannte. Und die sich dabei Zeit lassen, auch um den Preis, zunächst und oft für sehr lange Zeit kaum bekannt zu werden. Von einer solchen Künstlerin habe ich hier zu sprechen. Und ihre künstlerische Biographie ist fast ein Modellfall.

Dagmar Halberstadt beginnt bereits recht früh zu zeichnen und behält dies selbst dann bei, als ihre Biographie zunächst alles andere als künstlerisch verläuft. Diese Kontinuität legitimierte sie, das Studium auf der Akademie mit einiger Verspätung zu beginnen. Nicht bei Sonderborg, der sie als Schülerin angenommen hätte, sondern bei Peters, von dem Frau Halberstadt eine ihr nützlichere Betreuung erwartete. Es wäre Spekulation, darüber nachzudenken, wie ihre malerische Entwicklung im ersteren Fall verlaufen wäre. Es ist keine Spekulation, festzuhalten, daß Peters sie in dem bestärkte, was künstlerisch zunächst und für die der Ausbildung folgenden Jahre ihre Sache war: die Entwicklung einer weitgehend abstrakten Formensprache, die nichts um ihrer selbst will artikuliert, sondern zunehmend zum Ausdruck innerer Vorgänge wurde. Dagmar Halberstadts Arbeiten sind eigentlich bis heute vor allem Artikulationen einer Innenwelt, die durch persönliche Erfahrungen extrem bestimmt wurde.

Die weitere künstlerische Biographie ist kurz skizziert. 1972 stellt Dagmar Halberstadt zum ersten Mal, undzwar in der Gedok aus. 1974 erfolgt der erste öffentliche Ankauf, dem später noch weitere folgen werden. Heute gehört Frau Halberstadt der Gedok, dem Bund bildender Künstlerinnen und dem Verband bildender Künstler an. Und manche von Ihnen werden sich sicherlich noch an die Arbeiten im Stuttgarter Rathaus erinnern, die Frau Halberstadt 1986/1987 dort als Mitglied der Gedok und des Bundes bildender Künstlerinnen umfassender präsentieren konnte. Arbeiten, von denen die erfahrene Kunstkritikerin Elfriede (?) Ferber sagte, daß sie sehr eigen seien.

Auf dieses Eigene ist im folgenden also zu achten. Genauer: darauf, daß das bisherige Werk Dagmar Halberstadts eigen in einem dreifachen Sinne ist. So ist es erstens und zunächst eigen in der technischen und materialen Beschränkung vor allem auf die Gouache, bei der Frau Halberstadt die Farben gelegentlich lasierend einsetzt, also Effekte des Aquarells intendiert. In letzter Zeit finden zunehmend auch Pastellölkreiden Verwendung, die den Vorteil haben, anders als das reine Pastell, anschließend nicht fixiert werden zu müssen. Zu diesen beiden zeichnerischen Techniken tritt gelegentlich die Technik der Collage, oder es folgt ein nachträglich mechanisches Überarbeiten des Bildes. Unter Collage-Elemente subsumiere ich, wenn Frau Halberstadt Glanzpapiere in ihre Zeichnungen einfügt, oder wenn sie Teile alten Bilder in neuem Kontext als Bildelement verwendet. Zum Beispiel, wenn sie eine 'Steinrose' in eine 'Felsenlandschaft' integriert, wobei man sowohl die 'Steinrose wie die 'Felsenlandschaft' in Gänsefüßchen setzen muß. Ich werde darauf noch zurück kommen. Unter nachträglich mechanischer Überarbeitung verstehe ich zum Beispiel das Bearbeiten einer zeichnerisch abgeschlossenen Arbeit in warmem Wasser mit einer Wurzelbürste, eine Bearbeitung, die dem Blatt eine zusätzliche Struktur gibt, die an Radierungen gemahnt.

Gemahnen derart bearbeitete Blätter an Radierungen, verweisen andere Arbeiten Dagmar Halberstadts auf die Lithogaphie oder den Holzschnitt. Diese Affinität zu den verschiedensten Drucktechniken scheint mir durchaus beachtenswert und läßt fragen, ob sich das bisher ausschließlich zeichnerische Werk Dagmar Halberstadts nicht in naher Zukunft in Richtung der Druckgrafik erweitern könnte.

Zur technischen und materialen Beschreibung des Werkes gehört schließlich noch der Hinweis auf wenige, aber deutlich unterschiedliche Papiersorten, bei denen sich zum traditionellen Zeichenpapier vor allem ein Velourpapier gesellt, das den hier einschlägigen Arbeiten eine zusätzlich textile Struktur verleiht. Was in einem weiteren Schritt zu künftigen Arbeiten auf Leinwand ebenso wie zu textilen Arbeiten führen könnte. Ich verweise ganz bewußt auf diese offenen Grenzen, weil sie signalisieren, daß die Werkentwicklung der Künstlerin bereits im Technischen und Materialen noch keineswegs abgeschlossen ist.

Das zweite, das Dagmar Halberstadts bisheriges Oeuvre auszeichnet ist die Bildgenese. Ich deutete dies bereits an, als ich von der Formensprache einer durch persönliche Erfahrung geprägten, von der Außenwelt determinierten Innenwelt sprach. So erkennt zwar der aufmerksame Betrachter auf der ebenfalls bereits genannten Arbeit Felsenlandschaft und Steinrose. Aber was er sieht, ist nicht die Abbildung einen realen Landschaft, wie sie sich der Künstlerin auf einer ihrer Reisen dargestellt hat. Was er sieht, ist vielmehr eine Phantasielandachaft oder Gedankenlandschaft, wie Frau Halberstadt sagen würde, in der sich die Innenwelt der Künstlerin spiegelt. Und da ist es schon auffällig, wenn es sich

a) um eine Felsenlandschaft handelt, der eine Rose attribuiert ist, die
b) eine Steinrose darstellt.
In welchem Maße es sich bei dieser Felsenlandschaft in der Tat um eine Phantasie- oder Gedankenlandschaft handelt, macht ein Vergleich mit jenen Arbeiten schnell deutlich, die, in der Tradition von Natur- und Landschaftsstudien, im Werk Dagmar Halberstadts allenfalls die Aufgabe der Fingerübung haben, mit wenigen Ausnahmen, von denen wir eine gezielt in die Ausstellung aufgenommen haben als Beispiel einer Wiedergabe von Außenwelt. Es handelt sich für den, der es wissen will, um die nachträgliche zeichnerische Anverwandlung einer bretonischen Landschaft.

(Im übrigen ist ein solches Nebeneinander für die moderne Kunst nicht unüblich und spätestens durch Kurt Schwitters, den die meisten nur als Collagisten kennen, salonfähig gemacht).

Die anderen Arbeiten dieser Ausstellung sind aber ebenso wie die Felsenlandschaft keinesfalls abstrahierende Abschilderung von Außenwelt. Und das hat, wie schon angedeutet, interpretatorische Konsequenzen. denn keinesfalls lassen sich dann ihre Technik und das auf ihnen Gezeigte als Abbildung oder Nachahmung studieren. Vielmehr muß das, was sie zeigen, das Wie des Gezeigten mittelbar erschlossen werden. Dabei sind die Rosen dieser Bilder, ihre Welt des Mineralischen und Vegetativen, die Felsen und Abbrüche, die eingesetzten Farben (wobei ich vor allem an das Rot denke), dabei sind das eincollagierte Glanzpapier, die eingefügten älteren Bildelemente wie das nachträgliche Bearbeiten mit der Wurzelbürste gewissermaßen Wörterbuch und Syntax, mit deren Hilfe sich Innenwelt ästhetisch entfaltet. Dabei haben die Bildtitel Dagmar Halberstadts durchaus hinweisende Funktion, wenn sie eine Arbeit zum Beispiel als "Sehnsuchtsbild" ausweisen oder "Von Dir zu mir" nennen, wenn entstehungsgeschichtlich der eher melancholisch angelegten "Zärtlichkeit" die "Splitterung" folgt.

Allerdings ist hier vor einem Mißverständnis zu warnen. So sehr Dagmar Halberstadts Arbeiten "Psychogramme" in einem recht verstandenen Sinne des Wortes sind, so wenig sind sie Selbstentblößungen. Kein Voyeur käme bei ihnen auf seine Kosten. Dagmar Halberstadts Arbeiten geben in erster Linie der Künstlerin selbst mit ästhetischen Mitteln Antworten auf (auch existentielle) Fragen, die sie bewegen. Geht dabei die sich aus Frage und Antwort zusammensetzende Erfahrung schlackenlos im ästhetischen Spiel auf, wird sie reine, das heißt vom Individuellen lösbare Erfahrung. Und als solche erst interessiert sie den Betrachter.

Dagmar Halberstadt hat einmal ihren oft langfristen Weg von der Frage zur Antwort mit folgenden Worten skizziert: Gedanken, Erinnerungen und Empfindungen in abstrakte Formensprache umzusetzen, schrieb sie damals, sei ihre Absicht. Was ich sehe und was mich bewegt, notiere ich und mache unentwegt Skizzen, nicht auf dem Papier, sondern im Kopf. So entsteht das Bild aus vielen Verknüpfungen.

Diese ,,Verknüpfungen" aufzulösen, ist eine der Aufgaben des Betrachters. Aber diese formalen und inhaltlichen Verknüpfungen sind manchmal arg verquickt, machen es durch gelegentliche Überfrachtung dem flüchtigen Betrachter schwer. Das mag seine Ursache nicht zuletzt in der gedanklichen Konzeption haben. Hier deutet sich aber - und das ist für mich zugleich das dritte Eigene in der Kunst Dagmar Halberstadts, in ihrer künstlerischen Genese -

Hier deutet sich aber in den letztjährigen Arbeiten unübersehbar eine Entwicklung an zu größerer malerischer Freiheit, in der die symbolisch oft vorbelasteten Bildelemente in ihrer Kombination und Komposition deutlich zurücktreten zugunsten einer freieren Gestik und offeneren Formensprache. Mit anderen Worten: die letztjährigen Arbeiten Dagmar Halberstadts werden - in meiner Sicht jedenfalls - malerischer, sei es, daß ein Gelb und Schwarz gleichsam über das ganze Blatt 'explodieren' , sei es bei den "Bäumen im Sturm" oder gar einem scripturalen Blatt, das mehrfarbig ausschließlich ein und dasselbe Wort immer wiederholt. Man sollte sich jedoch nicht täuschen lassen: eine neue Wilde ist nicht in Sicht. Dazu sind gerade diese letzten freieren Arbeiten von Papierwahl, Farbgebung und kompositorischen Anlage her immer noch komponiert; komponiert allerdings jetzt in dem Sinne, daß sie sich gleichsam aus sich selbst herausspinnen, relativ unbelastet von zuviel und zulange Vorgedachten. Oder noch weiter auf die Spitze getrieben: anstelle der konzipierten Psychogramme tritt in Dagmar Halberstadts Kunst in letzter Zeit, zunächst versuchsweise, dann immer sicherer das spontane Psychogranim. Dieser Gewinn an Spontaneität aber tut der Kunst Dagmar Halberstadts, die ihr Handwerk schon lange beherrscht, ausgesprochen gut.

[Renitenztheater Stuttgart, 12.9.1988]