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Helmut
Heißenbüttel: Textbuch 2. Walter-Verlag Olten und Freiburg im
Breisgau 1961
In: forum academicum, Jg
12, Nr 7, Dezember 1961, S. 28
Es ist schon eine interessante Sache, wenn ein heute 40jähriger mit drei "Textbüchern" sozusagen zu Lebzeiten seinen Nachlaß veröffentlicht. Nach "Textbuch 1" erschien In diesem Herbst "Textbuch 2" von Helmut Hei´ßenbüttel, nach lyrischen Texten jetzt eine Auswahl Prosa, die auf 39 Seiten mehr enthält als eine beliebige Reihe letztjähriger Bestseller. "Textbuch 2" faßt dabei die meist schon veröffentlichten Texte der letzten Jahre, oft in überarbeiteter Form und in strenger Auswahl zusammen. Was diese Texte auszeichnet, ist der Gewinn äußerster Präzision der Mitteilung weitgehendster Reduktion aufs Modell. Die Texte haben Titel wie "Etwa ein Ping-Pong-Ball oder eine Billardkugel", "Roman", "Traktat", "Ohne weitere bekannt eine öffentliche Persönlichkeit", "Grammatikalische Reduktion", "Politische Grammatik" u.a. Was Heißenbüttels Texte auszeichnet, ist die Demonstration der ästhetischen Erkenntnis, daß man etwas mit der Sprache machen sollte. Was die Texte demonstrieren, sind die Schwierigkeiten eines verbindlichen Redens heute. Fraglos handelt es sich um Texte jenseits des (aufgeblähten) Erzählens. Fraglos sind sie auch kein "Abbild der Wirklichkeit", insofern sie ihre eigene Wirklichkeit, die Wirklichkeit des Textes erreicht haben. Daß eine verabredete Reihenfolge Subjekt-Prädikat-Objekt für den modernen Autor keine Selbstverständlichkeit mehr ist, wird nebenbei mit demonstriert. Helmut Heißenbüttels Texte empfehlen sich zu wiederholter Lektüre. Wir sprechen von "Textbuch 2", zu Lebzeiten herausgegebenem Nachlaß und - wie wir sagen möchten - chef d'oeuvre eines Vierzigjährigen.
Helmut Heißenbüttel veröffentlichte bis 1960 drei kleine Bände Gedichte und Prosa. 1960 begann der Walter-Verlag mit der lobenswerten Edition von 3 "Textbüchern", die in strenger Auswahl einen teil des vorliegenden oeuvres enthalten: das chef d'oeuvre eines Vierzigjährigen, sozusagen zu Lebzeiten geordneter Nachlaß. Im Herbst dieses Jahres erschien nun "Textbuch 2". Es enthält auf 39 Seiten 25 kürzere Texte, darunter auch einen "Roman". Diese "in "ohne weiteres bekannt" und im "augenblick" bereits publizierten Texte sind fraglos dem Bereich möglicher moderner Textbildung zuzuordnen. Konsequenzen, Weiterungen, Folgerungen lassen sich ablesen. Der Blick wird nicht getrübt durch Handlungsabläufe, die immer diegleichen in Sprache sind. Vielömehr enthält "Textbuch 2" Reduktionen auf Modellfälle, mit Sprache hergestellte Mustertexte, also Modelltexte und Musterbeispiele möglicher Textgestaltung im Bereich moderner Prosa. Wenn man heute von Dichtung spricht, wird man Textbücher meinen, nicht aber Buchmessemasse. Wir sprechen von "Textbuch 2", dem zweiten von drei Textbüchern Helmut Heißenbüttels, von zu Lebzeiten ediertem Nachlaß und dem chef d'oeuvre eines Vierzigjährigen. Wir sprechen von Dichtung, die sich zu wiederholtem Lesen empfiehlt.
r.d.
Helmut Heißenbüttels "Textbuch 2" enthält auf 39 großformatigen Seiten mit 25 Texten die wesentlichen der kurzen Prosastücke, die Heißenbüttel bisher vor allem in "ohne weiteres bekannt" und im "augenblick" veröffentlichte. Eines wurde ausgelassen (z. B. das "Portrait eines Musterschülers"), alles wurde überarbeitet, manches wesentlich geändert (z. B. erscheinen die "Aspekte eines Einzelgängers I-III" jetzt überarbeitet als "Gegenden und Landschaften", "Aspekte eines Einzelgängers V" erscheint als "Untergänge III"; aus der Formulierung "noch im ruhigen Wasser war kaum je etwas vorbeigetrieben" wurde: "noch im Ruhigen je kaum etwas vorbeigetrieben". Schon "noch in je kaum etwas vorbei" wäre das Modell einer Vielzahl möglicher Sätze). Bei einem derartigen Verzicht auf Überflüssiges wundert es nicht, wenn Heißenbüttel auf 1 1/2 Seiten ein Modell eines "Romans" gibt.
"Textbuch 2" stellt Musterbeispiele moderner Textbildung vor. Und fraglos handelt es sich dabei um "nichtklassische Texte". Das Spiel mit Häufigkeiten, die Störung, der Zufall sind diesen Texten ebenso eigentümlich wie tautologische Ketten. In materialen Prozessen wird die Grammatik reduziert und die Folge Subjekt-Prädikat-Objekt" ist durchaus nicht mehr selbstverständlich. In der legitimen Nachfolge Gertrude Steins, Hans Arps, Ludwig Wittgensteins und anderer handelt es sich bei Heißenbüttels Texten um mikroästhetische Gebilde, deren Lektüre eine diffizillere Fähigkeit der Wahrnehmung beim Leser verlangt.
Wenn man heute von "Dichtung" spricht, sollte man von Textbüchern sprechen. Wir sprachen von "Textbuch 2", dem zweiten von vier Tetxbüchern Heißenbüttels, von 39 Seiten chef d'oeuvre. Wir sprachen von Dichtung, die sich zu wiederholter angelegentlicher Lektüre empfiehlt.
Helmut
Heißenbüttel, Helmut: Über Literatur. - Olten, Freiburg/Br.:
Walter (1966). 247 S. Br. DM 14.-; Lw. DM 20.-
Germanistik. Internationales
Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. Jg 9, H. 3, Juli 1968,
S. 543.
H. hat "nach ihrem demonstrativen und grundsätzlichen Charakter" Aufsätze und Vorträge zusammengefaßt, die der "praktischen Arbeit der Literaturkritik" seit 1955 entstammen, mit der Begründung, daß er als "Verfasser von Literatur [sich] zugleich in den Bereich ihrer Rede einbezogen" fühle. Seine Auswahl gliedert sich in die Teile "Autoren und Gattungen", "Theorie" und "Pro domo", wobei die hier erstmals veröffentlichten "Frankfurter Vorlesungen über Poetik 1963" fraglos den Mittelpunkt bilden. Bisher unveröffentlicht sind ferner "13 Hypothesen über Literatur und Wissenschaft als vergleichbare Tätigkeiten" (1965). - H. geht von der Frage aus, "ob und wie weit die Literatur des 20. Jahrhunderts besonderer Kategorien und Kriterien bedarf, und wie weit diese Literatur als etwas Besonderes und neu zu Beurteilendes anzusehen ist". H bejaht dies und versteht seine Überlegungen dabei auch als "Vorschläge für eine mögliche theoretische Durchdringung der Literatur im 20. Jahrhundert". Er ist überzeugt, daß die Literatur dieses Jh. in ihren exemplarischen Beispielen Formen und Methoden entwickelt hat, die mit einer traditionellen Poetik nicht mehr erfaßt und beschrieben werden können. Er schlägt vor, "eine neue literarische Typologie zu bilden", die "Ihr erstes Kriterium nicht in seiner allgemeingültigen Zeitlosigkeit, sondern in einer historischen Bedingtheit" habe. Da die "vorgebildeten Sonderformen der poetischen Grammatik" (z.B. Strophen, Verse, Metren u.a.) "ihre Geltung verloren" hätten und "die Redeweise der Literatur sich [inzwischen] der sprachlichen Mittel selbst" bediene,. müsse sich diese Typologie vor allem "mit dem befassen, woraus Literatur besteht, mit der Sprache". Entsprechend schlägt H. als Kriterien, zunächst der Beschreibung, Begriffe wie "Sprachspiel", "Sprachmuster", "antigrammatisches Sprechen" u.ä. vor. An die Stelle einer auf das Innere eines subjektiven Selbstbewußtseins bezogenen symbolischen Redeweise (seit der Romantik) sei eine nichtsymbolische "sprachliche Reproduktion" von Welt getreten, eine "antigrammatische Rekapitulation" von Fakten, "die mit Namen und Sätzen angesprochen und festgehalten werden". H. hält es bei seinen auch sprachwissenschaftlich sehr differenzierten Überlegungen, auf deren Vielschichtigkeit (etwa Beziehungen zu Wittgenstein und Whorf) hier nur hingewiesen werden kann, für "vorstellbar, daß [diese] neuen Typen der Literatur notwendiger sein werden, als es heute schon absehbar ist".