Gottfried Höllwarth hat seine letztjährigen Arbeiten als "Landschaftsarchitekturen" ausgewiesen und damit zu ihrer Charakterisierung ein Wort gewählt, das die deutsche Sprache so eigentlich nicht kennt. Zwar haben neuerdings die klassischen Gartenarchitekten sich zu Garten- und Landschaftsarchitekten gemausert und damit eine traditionelle Gartenkunst, wie es sie seit der Antike gibt, mit hübschen Spiegelungen übrigens in Goethes Erzählprosa, zur Landschaftskunst erweitert. Zwar wollte in der aktuellen Kunst eine sogenannte Land-art künstlerische Bewußtseinskonstellationen (z.B. die Vergänglichkeit menschlicher Spuren in der Natur) visualisieren. Aber: beides ist von Gottfried Höllwarth keinesfalls gemeint.
Während dem Landschaftsarchitekten und Land-Artisten die Landschaft als Material dient, das sich Eingriffe - vor allem in die Erdoberfläche - gefallen lassen muß, um das gewünschte Ambiente zur Architektur, die intendierte Visualisierung künstlerischer Bewußtseinskonstellationen zu erzielen, stellen Höllwarths Skulpturen kleine abstrakte Landschaften vor, deren konkretes Ambiente der Ausstellungsraum ist, deren ideelles Ambiente allerdings die Landschaft wäre Und sie sind dabei Landschaftsarchitekturen in dem Maße, in dem ihre Theorie (denn architectura im Lateinischen bezeichnet die theoretische Baukunst im Gegensatz zur praktischen, zur fabrica) zu natürlicher Landschaftsbildung alterniert.
Verkürzt lautet meine These also: Gottfried Höllwarths hier zu besichtigenden Entwürfe und Skulpturen sind Projekte und Modelle, die mit Gesetzmäßigkeiten der Landschaftsgenese ästhetisch alternieren und derart Naturschönes in Kunstschönes transzendieren. Nicht also der traditionelle Schritt von der Natur- zur Kulturlandschaft und in dieser zur Kunst ist das Problem des Bildhauers Gottfried Höllwarth, sondern die Veränderung der Natur- und Kulturlandschaft zur Kunstlandschaft. Und da dieses so ohne weiteres nicht möglich ist, hat sein ästhetisches Anliegen zugleich utopische Qualität.
Das ist in dieser Form sicherlich orginal und dennoch, wie alle Kunst der Gegenwart, historisch vorbereitet Von dieser Vorbereitung ist also auszugehen, wobei ich mich auf einen Aspekt der Bildhauerei und einen Aspekt der vielschichtigen Tendenz zum Gesamtkunstwerk beschränke.
In welchem Umfang die Natur als Bildhauerin tätig ist weiß jeder, der mit offenen Augen durch eine natürliche oder eine noch nicht verschandelte Kulturlandschaft geht. Der bizarre Baumstumpf, der vom Wasser geschliffene oder vom Frost gesprengte Stein, die Nadeln der Kalkalpen oder die Lange Anna an der Nordspitze der Insel Helgoland, die unbegradigten Bach- und Flußlandschaften, die Flußdelten oder die Verschneidungen, Faltungen und Abbrüche hoher Felswände, Eisberge und Gletscherbrüche, Gletscherschliff und Düne - sie alle bilden ein umfangreiches Arsenal der Belege. Und sie alle waren den Künstlern abbildend längst vertraut. Doch erst in der Kunstrevolution zu Beginn dieses Jahrhunderts stellte sich bei ihnen die entscheidende Einsicht ein, daß es mit der wie auch immer ästhetisierenden Ab- oder Nachbildung nicht getan sei, daß es sich allenfalls um Vergleichbares handeln dürfe.
In Ascona, erinnert sich z.B. Hans Arp, fand ich entscheidende Formen (...), zeichnete ich mit Pinsel und Tusche abgebrochene Äste, Wurzeln, Gräser, Steine, die der See an den Strand gespült hatte. Diese Formen vereinfachte ich und vereinigte ihr Wesen in bewegten Ovalen, Sinnbildern der ewigen Verwandlung und des Werdens der Körper.
Daß diese Vereinigung vereinfachter gefundener Formen keinen abbildenden, nicht einmal einen abstrahierenden, sondern einen analogen Vorgang darstellt, betont Arp an anderer Stelle, wenn er schreibt: Wir wollen nicht abbilden, wir wollen bilden. Wir wollen bilden, wie die Pflanze ihre Frucht bildet, und nicht abbilden. Wir wollen unmittelbar und nicht mittelbar bilden.
Hier wäre es durchaus
schon möglich, die Arbeiten Gottfried Höllwarths zu diskutieren.
Aber der Hintergrund, vor dem dies sinnvoll geschieht, ist noch nicht hinreichend
abgeschritten, muß noch ergänzt werden um den Hinweis auf jenen
legendären Kreis von Architekten, der sich "Die gläserne Kette"
nannte.
Wenn auch als Gruppe bereits
Kunst[bzw. Architektur]geschichte, ihre zweijährige Korrespondenz
(1919/1920) mit ihren idealistischen
Gedanken, Entwürfen, architektonischen Visionen ist in manchem noch
heute aktuell, zumindest aber lesenswert, z.B. ein Brief Hermann Finsterlins,
der in der Korrespondenz den bezeichnenden Decknamen "Prometh" führte:
Von den alten Atlantiern
geht die Mär, sie hätten es verstanden, die einstigen, wohl noch
fruchtbaren Großsubstanzen
ihrer jungen Erde so zu reizen, daß Dome aufwucherten auf den
Substraten, Bildungen
je nach Material, Form und Dynamik des Reizes.
Finsterlins Vorstellung organischer
Architektur gesellt sich bei Bruno Taut, angeregt durch die
Glasvisionen Paul Scheerbarths,
die Vorstellung kristalliner Architektur, einer Alpinen Architektur,
die ganze Bergformationen mit kristallinen Strukturen überziehen
sollte, während sich bei Wenzel Hablik die Begeisterung für
die Naturformen der spielerische Umgang mit dem Kristall und die Faszinanz
des Technischen
verbinden.
Wir brauchen, liest man in einem seiner Manuskripte, "Utopie und Wirklichkeit", Wir brauchen neue Ideale. Eines davon ist das "Gesamtkunstwerk", der Bau! Nicht die "Ziegelkiste und Not-Wohnschachtel" - sondern eine Architektur als lebendiges Element im Sinne kosmischer Gesetze - eine Parallele zu dem hohen Stand unserer Technik - welche ja nichts anderes ist - als das Produkt erkannter Naturgesetze, Ziel bewußter Tat - getragen von der Idee.
Die Vorstellungen organischer
und kristalliner Baukunst, Tauts "Alpine Architektur", Habliks
lebenslänglicher Traum
eines "Museums im Hochgebirge" sind die zweite historische Spur, die mich
zu den letztjährigen Arbeiten Gottfried Höllwarths führt,
von dem Detlev Kreidl berichtet, es sei schon eine sehr persönliche
Interpretation, die Gottfried Höllwarth mit seiner Alpenlandschaft
betreibe. Wenn es nach ihm ginge, würden alle Gebirge segmentiert
werden, mit welchen mechanischen Kräften auch immer. Enorme Bronzeskulpturen
ließen sich in die bereits blank polierten Gebirge einsetzen, um
sich dort bewegen zu lassen. Wie die ModeIle zeigen, geht das.
Zugleich zeigen sie aber
auch Abstand und Unterschied zu ihren Vorläufern, den eigenen Ansatz
Höllwarths. Denn während Taut das Gebirge mit einer "Alpinen
Architektur" überziehen wollte, Hablik den Traum seines "Museums im
Hochgebirge" träumte, zielt Gottfried Höllwarth auf den Berg
als Rohzustand potentieller Skulptur, auf das Gebirge als Museum, wird
in seiner Vorstellung Naturlandschaft zur Kunstlandschaft, gleichgültig,
ob es sich bei der Naturlandschaft um Gebirge ("Aus dem Berg ausfahrbare
Skulptur", "Entwurf Fahrbarer Berg in Wasserbecken", beide 1977) oder um
Sandwüste handelt ("Projekt Sahara", 1978). Auch die als "Schublandschaft"
und "Landschaftsarchitektur" bezeichneten, in Sand gebetteten, gekeilten
grünen Serpentine (1985) ließen sich noch als Modelle einer
Wüstenkunst bzw .Kunstwüste interpretieren, während der
"Fahrbare Berg in Wasserbecken" bereits auf das "Projekt Stausee" vorausweist,
das beim 3. Künstlerfest mit großer Kunstausstellung in der
Galerie Geiger (September/Oktober 1983) für einige Verwirrung sorgte.
Als Projekt demonstriert
es, daß die Ambitionen Gottfried Höllwarths sich nicht ausschließlich
auf Naturlandschaft (Berg/ Wüste) beschränken, mit deren Denkmälern
z.B. der Langen Anna vor Helgoland) die in einem Stausee auf Grund zu setzende
Skulptur zunächst durchaus korrespondiert. Der Ort ihres Aufstellens
erklärt auch die Kulturlandschaft als Ort des Höllwarthschen
Freilichtmuseums, wobei sich mit dem vom Wasserspiegel abhängigen
wechselweisen Auftauchen oder Versinken der Skulptur eine weitere, hintersinnige
Korrespondenz zu jenen Kirchtürmen auftut, die, samt ihren zugehörigen
Dörfern überflutet, bei niedrigem Wasserstand plötzlich
sichtbar werden.
Allerdings, kein Wetterhahn
krönt die Höllwarthsche Stausee-Skulptur, sondern ein Frauenkopf
in klassisch-strenger Schönheit - ein Element das zwischen 1977 und
1983 mit wechselnden Attributen und in wechselnden Funktionen häufig
wiederkehrt ("Aus Berg ausfahrbare Skulptur", "Projekt Sahara", "Projekt
Transkontinental", 1978,
"Projekt Stausee", "Großer Wagen", 1983, sowie in einer Reihe von
"Schubköpfen", ebenfalls 1983). Schönheit, darf man daraus schließen,
ist fraglos eines der Höllwarthschen Ideale. Doch dieses Ideal scheint
nicht ungefährdet und ungefährlich Denn entweder ist die Schönheit
von Menschenhand veränderbar, entstellbar ("Schubkopf"), oder sie
ist Insassin eines "Großen Wagens", der so gar nicht an das friedliche
Sternbild, dafür mit seiner auffälligen Armierung umso mehr an
Rammbock und Kampfwagen erinnert. Und selbst dort, wo sie weder gefährlich
noch von Menschenhand gefährdet scheint, wird sie, wie im "Projekt
Stausee", nicht nur vom fallenden Wasser freigesetzt sondern gleichermaßen
vom steigenden Wasser bedroht, wobei nicht uninteressant ist, daß
bei Realisierung des Projekts die Skulptur im Frühjahr, also zur Zeit
des Werdens, sich unter dem Wasserspiegel befinden dürfte, aus dem
sie im späten Jahr, also zur Zeit der Ernte und des Vergehens, weit
herausragen würde, mit anderen Worten, daß sich Abwesenheit
und Epiphanie des Kunstschönen geradezu spiegelverkehrt zum natürlichen
Kommen und Gehen verhielten.
Die scheinbare Beweglichkeit
bzw. Bewegbarkeit der Stausee-Skulptur leitet zu einem zentralen Problem
Höllwarthscher Bildhauerei über: ihrer intendierten Kinetik und
Mobilität, die scheinbar sein kann wie im Falle des Stausee-Projekts,
in der Regel jedoch als reale Bewegung gedacht ist. Diese real gedachte
Bewegung kann lokal gebunden
sein ("Aus dem Berg ausfahrbare Skulptur", "Entwurf Fahrbarer Berg in Wasserbecken",
"Entwurf Ausfahrbares Objekt", 1979). Sie kann, wie im "Projekt Sahara",
ganze Landstriche durchqueren oder sogar Kontinente verbinden ("Projekt
Transkontinental"). Selbst dort, wo weder an scheinbare noch reale Bewegung
gedacht ist ("Großer Wolkensitz", 1978-1981, "Flußlandschaft",
1971-1974), ist Bewegung implizit vorhanden, ist sie in einem bestimmten
Moment fixiert, der Wolkenzug in einem Augenblick des Verharrens, die Landschaft
in einem die ständige Bewegung des Flusses gleichsam anhaltenden Zustand.
Werkgeschichtlich wird dabei wichtig, daß Gottfried Höllwarth dieser skulptural fixierten 'natürlichen' Bewegung auf einer anderen Ebene eine ästhetische Bewegbarkeit bzw. Beweglichkeit zurück-, ja dazugewinnt ("Flußlandschaft, variabel«, 1974), was seinem auf Variation weniger Grundelemente und -formen aufgebauten Oeuvre eine erstaunliche Variabilität ermöglicht und gleichzeitig signalisiert, daß seine beweglichen Skulpturen (vgl. auch den Schritt von der "Pyramidenlandschaft",1975, zur "Pyramidenlandschaft II", 1978) nicht aus Gedankensprüngen, vielmehr aus systematischen und (im Arno Schmidtschen Sinne) längeren Gedankenspielen resultieren.
Ein Gedanke der Höllwarthschen
Concep-art, denn als eine solche ließen sich Projekte und Modelle
auch ansprechen - ein Gedanke dieser Concept-art ist seit Beendigung des
Studiums an der Akademie für angewandte Künste in Wien der Gedanke
der Landschaft, beginnend mit den "Flußlandschaften" (seit
1971) und vorläufig
endend bei den "Schublandschaften" und "Landschaftsarchitekturen" der letzten
Jahre. Was diese Landschaften grundsätzlich von einer der Concept-art
nahen Land-art unterscheidet, habe ich einleitend bereits skizziert. Nachzutragen
bleibt die Skizze ihrer Entwicklung.
Detlev Kreidls Hinweis, Höllwarth würde am liebsten alle Gebirge segmentieren, läßt sich schon auf die frühen "Flußlandschaften" beziehen, hier wie dort allerdings nicht in dem realistischen Sinne der "Journey to the Surface of the Earth" eines Mark Boyle, wohl aber im Sinne der Idealisierung natürlicher Landschaft mit den Materialien (Granit, Serpentin, Bronze) des Bildhauers, wobei z B. der Flußverlauf aus der Horizontalen in die Vertikale wechseln, ja als Flußbett sich sogar der Pyramide einprägen kann ("Pyramide", 1974, "Pyramidenlandschaft I").
Fixieren die frühen "Flußlandschaften" in abstrahierter Form gleichsam die Bewegung, die sie schuf, in einem bestimmten Moment, gewinnt Gottfried Höllwarth in seinen vertikal und horizontal ausfahrbaren Landschaftsprojekten, in seinen in sich beweglichen Landschaftsmodellen und -skulpturen eine künstliche Beweglichkeit, die zugleich Bewegung und Kräfte ästhetisiert, die bei Entstehung von Landschaft mitwirken. Eine Bezeichnung wie "Schublandschaft" ist hier durchaus mehrschichtig. Nicht mehr die Natur schafft ihre Landschaft, die der Mensch als Landschaftsbild selektiert, sondern der Künstler als Homo faber läßt Landschaften sich verändern und neu entstehen, entwirft Kunstlandschaften, wenn auch nur im Modell möglicher "Landschaftsarchitekturen". Als Schöpfer (im übertragenen Sinne des lateinischen architectus) verfügt er auf seine Weise über die Elemente, verändert er das Gesicht der Erde, weist er der Wolke ihren Sitz zu, konzipiert er einen "Flammenstein" (1977), spielt er beim Bronzeguß mit dem Feuer; das schon lange Zeit vorher Voraussetzung seiner Materialien war: des Granits, der durch langsames Erkalten plutonischer Silicatschmelzen entstand, oder des Serpentins, der ein Zersetzungsprodukt basischen olivinhaltigen Magmagesteins ist.
Gottfried Höllwarths Weg von den frühen "Flußlandschaften" zu den "Landschaftsarchitekturen" der letzten Jahre ist also auch der Schritt vor einer durch den Künstler idealisierten Naturlandschaft zu einer ideellen Kunstlandschaft. Benutzte dabei der Künstler zunächst die Galerie, um seine idealisierten "Flußlandschaften" allgemein wahrnehmbar zu machen, bedarf er ihrer jetzt als Ort des Hinweises auf eine Kunstlandschaft, die seine "Landschaftsarchitekturen" artizipieren.
[1978. Druck in: Kunst Handwerk Kunst. Kornwestheim: Edition Geiger 1986]
Siehe auch unter: Galerie und Edition Geiger >