meine damen und herren,
die ausstellung, zu der ich vorweg im freien ein paar sätze zu sagen das vergnügen habe, ist, wie bereits ihr thema "dichter maler maler dichter" andeutet, fester bestandteil der diesjährigen tage für neue literatur, die gleichzeitig mit dieser ausstellung eröffnet werden.
darüber hinaus steht diese ausstellung mit den in den letzten jahren im rathaus und der städtischen berufsschule veranstalteten ausstellungen in einem methodischen Zusammenhang, den ich wenigstens andeuten möchte.
bei der 1967 im rathaus gezeigten ausstellung von schrift- und buchstabenbildern ging es darum, zu zeigen, daß und wie sehr die Schrift, der Buchstabe, also das material des autors, in einer anderen kunstart, von einer sogenannten 'bildenden' kunst aufgegriffen und verarbeitet werden können. die in ihrer art bisher umfangreichste und vollständigste ausstellung konkret/visueller poesie 1968 in der berufsschule sollte die literatur im zustand der grenzverwischung und grenzüberschreitung zur sogenannten bildenden kunst zeigen.
die diesjährige ausstellung des kaufhofs gilt einem bereich der modernen künste, der mit dem schlagwort "doppelbegabungen" nur ungenau bezeichnet ist, dessen wichtigste vertreter in der geschichte der modernen künste nicht richard wagner, aber wassilij kandinsky und arnold schönberg, hans arp und kurt schwitters heißen. was sich bei ihnen bereits deutlich ausgeprägt zeigt, spielte in der folgezeit im prozeß der modernen künstlerischen entwicklungen bis auf den heutigen tag eine bemerkenswerte rolle.
wir konnten bei den diskussionen anläßlich der letztjährigen ausstellungen verallgemeinern, daß eine sogenannte kunstrevolution zu anfang unseres jahrhunderts die kunstarten der literatur, der bildenden kunst und der musik einander angenähert hat, daß es dabei zu grenzverwischungen, ja sogar zu grenzüberschreitungen gekommen ist, und, daß man heute in manchen fällen ein bild von einen visuellen text, einen akustischen text von einem werk der musik, eine musikalische partitur von einer grafik kaum mehr unterscheiden kann.
es ist beim entstehen derartiger mischformen nicht verwunderlich, wenn man in ihrem zusammenhang den vertretern der unterschiedlichsten kunstauffassungen, einer ständig zunehmenden zahl sogenannter doppelbegabungen begegnet, wenn sich schließlich sogar jene art (gesamt)künstler herausbildet, an den schwitters gedacht hat, als er schrieb, daß man den begriff der kunst erst los werden müßten, um zur kunst zu gelangen.
eine schaufenster-ausstellung kann nun - wie leicht einzusehen ist - ein solches phänomen keinesfalls in seiner ganzen geschichtlichen breite auffächern. aber sie kann - und darauf kommt es uns hier vor allem an - einige wesentliche gesichtspunkte herausstellen.
1) die herkunftsländer der mit ihren arbeiten vertretenen künstler - die usa, frankreich, die schweiz, die tschechoslowakei, dänemark und deutschland - deuten an, daß es sich augenscheinlich um ein international verbreitetes künstlerisches phänomen handelt.
2) die erste und zweite gruppe der ausgestellten arbeiten zeigen im gegensatz der handwerklichen medien, mittel und techniken zwei grundsätzliche strömungen in der gegenwärtigen kunst: die tendenz zum formalen, überschaubaren auf der einen und die tendenz zum informellen, unkontrollierbaren kunstprodukt auf der anderen seite.
3) im einzelnen stellt jede der drei gezeigten gruppen einen charakteristischen gesichtspunkt heraus. jiri kolar z.b. ist von haus aus autor und hatte bereits mehrere gedichtbände veröffentlicht, bevor er auf die ausdrucksmöglichkeit der collage stieß und sich ihrer als eines ihm gemäßen mittels bediente. es ist für ihn als autor bezeichnend, daß er für eine gruppe seiner arbeiten den titel "augenscheinliche poesie" wählte. und es scheint mir ebenso bezeichnend, daß es vor der großen kolar-ausstellung in nürnberg, die ihn schlagartig international bekannt machte, zunächst autoren waren, die sich für seine collagen interessierten und immer wieder einsetzten, in der tschechoslovakei z.b. bohumila grögerová und josef hirsal, in frankreich z.b. henri chopin und in deutschland z.b. helmut heissenbüttel, max bense (und ich).
einen wesentlich anderen gesichtspunkt betont die zweite gruppe mit arbeiten eines typografen und druckers, eines malers und eines autors. diese arbeiten sind ergebnisse eines methodischen programms, das zwischen 1965 und 1967 durchgeführt wurde. es ging dabei vor allem um den nachweis, daß in einer kunstart gestellte aufgaben auch von vertretern anderer kunstarten gelöst werden können. ist jiri kolar in dieser schaufensterausstellung der reinste vertreter dessen, was man landläufig eine doppelbegabung nennt, so zeigt die zweite gruppe beispiele einer gelegentlich auch sogenannten programmatischen kunst, hinter der sich die überzeugung verbirgt, daß es zumindest im bereich einer formalen, überschaubaren kunst weniger auf das original, das "einmalige" kunstwerk ankommt, vielmehr auf die erfindung, auf das programm, das sehr wohl auch von einem allerdings handwerklich halbwegs begabten vertreter einer anderen kunstart durchgeführt werden kann.
die dritte gruppe schliesslich stellt mit andré thomkins, robert fillou, george brecht und diter rot eine internationale gruppe von künstlern vor, bei denen sich nicht mehr mit sicherheit sagen läßt, welcher kunstart sie nun eigentlich zuzurechnen , ob sie nun eigentlich autoren oder bildende künstler sind oder vielleicht beides nicht. alle vier kämen demnach jenem typ von gesamtkünstler, oder wie man heute gelegentlich auch hört, totalkünstler sehr nahe, an den seinerzeit kurt schwitters gedacht hat.
ich darf bei dieser gelegenheit noch auf etwas äußerliches hinweisen. wenn wir bisher bei unseren ausstellungen in hof jedes jahr den ausstellungsraum gewechselt haben, lag das weniger am fehlen einer geeigneten ausstellungsmöglichkeit, als vielmehr an der suche nach einem sinnvollen ausstellungsrahmen, der es erleichtert, die in hof angeblich unüberwindlichen schranken zwischen kunst und publikum abzubauen, eine ansatzweise verständigung zwischen künstler und publikum wenigstens zu versuchen. aus diesem grunde haben wir bisher mit der ausstellung eigentlich immer auch das publikum gewechselt. das publikum der rathausausstellung 1967 bildeten z.b. neben den auf dem rathaus arbeitenden und einem mehr oder weniger zufälligen laufpublikum vor allem die besucher der literatur-lesungen die besucher. 1968 waren es wesentlich die schüler und lehrer der städtischen berufsschule. das diesjährige publikum ist vor allem ein publikum, das während der geschäftszeiten oder auch abends auf dem spaziergang schaufenster besichtigt, um sich über qualität und preis der ausgestellten ware zu informieren, warenvergleiche, preis- und qualitätsvergleiche anzustellen undsoweiter. und das publikum des nächsten jahres wird in einem wörtlichen sinne das publikum der straße sein.
mit der diesjährigen schaufensterausstellung möchten wir darauf hinweisen, daß in wirklichkeit die differenz zwischen einer leberwurst, die man in einer warenauslage findet, und einem kunstwerk viel geringer ist, als man eigentlich immer annimmt. in dem augenblick nämlich, in dem man in einem schaufenster, in dem man eigentlich die neuesten möbel oder kleidermodelle erwartet, beispiele zeitgenössischer kunst sieht, könnte man z.b. fragen, ob es sich nicht auch bei kunstwerken um gegenstände handelt, die auf ihre artundweise ebenfalls zum verbrauch bestimmt sind. eine leberwurst ist zum alsbaldigen verbrauch bestimmt. die verbrauchszeit für kleider und möbel liegt höher. für kunstwerke läßt sich die verbrauchszeit nicht ganz so genau voraussagen, da man bei ihnen von gegenständen für den geistigen gebrauch sprechen müßte, die sich als gegenstände für den geistigen gebrauch aber mit den möbeln, den kleidern als gebrauchsgegenständen auf der gemeinsamen Basis des Design treffen würden. man müßte sich das nur einmal in aller deutlichkeit und konsequenz vor augen führen. auch deshalb haben wir uns in diesem jahr für eine schaufenster-ausstellung entschieden, haben wir ausdrücklich dem hiesigen leiter des kaufhofs, herrn silvan kassow, dafür zu danken, daß er uns schaufenster seines kaufhofs für diesen versuch zur verfügung gestellt hat.
lassen sie mich abschließend ein bißchen übertreiben. wie nahe sich eine leberwurst und ein kunstwerk als gebrauchs- und verbrauchsgegenstände sind und wie weit sich dabei dennoch die leberwurst als gegenstand zum alsbaldigen verzehr und das kunstwerk als gegenstand für den geistigen gebrauch voneinander unterscheiden, wird vielleicht am schnellsten deutlich, wenn diter rot die in einer schaufensterauslage zu erwartenden nahrungsmittel joghurt und hammelfleisch in bedrucktes plastik bzw. bedruckte silberfolie einschlägt; oder wenn er bücher renommierter autoren zu literaturwürsten verarbeitet, um auf diese weise auch gegen den gedankenlosen konsum einer auf schnellen und massenhaften verbrauch drängenden gesellschaft zu protestieren. oder sollte er im unrecht sein und christoph martin wieland recht haben, der schon vor rund 200 jahren den kulturbanausen beschied:
"friß deine knackwurst, sklav', und halt dein maul!"?
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