Ralf Sziegoleit | Paul Krüger: Kunst aus dem Aschenkasten

[Eine Ausstellung von Arbeiten Paul Krügers wird am 11. Juni in der "Galerie zu den 3 Wünschen" in der Hofer Buchhandlung Kleinschmldt eröffnet. Dazu liest im "Nachtcafé" Claus Henneberg eine "Hommage" für den Künstler, der nachdem Krieg zur "Hofer Szene" gehörte und bei seinem Tod vor 24 Jahren ein ungewöhnliches, höchst originelles Werk hinterließ. Die letzte Krüger-Ausstellung hatte im Rahmen der Hofer Literaturtage des Jahres 1969 in der "Galerie Bootshaus" stattgefunden. Aus diesem Anlaß wurde auch der folgende Artikel geschrieben, der unter dem Titel "Bilder von der Stadt aus der Bettlerklause" im Hofer Anzeiger erschien.]

Seine Eltern gaben ihm den Namen Werner, aber er meinte, ein Maler müsse Paul heißen. Paul Krüger nannte er sich also. Er malte und bettelte, ging mit Zwirn und Gummiband von Tür zu Tür, hauste in Asylen und Dachkammern. In Hof, am Schloßplatz, hatte er viele Jahre lang sein Hauptquartier, und in Hof liegt heute auch der größte Teil seiner Bilder. Pappe, Packpapier und Karton hat Krüger bemalt und beklebt: schön und schaurig, oft naiv, mal düster und mal bunt wie modischer Pop.

Werner alias Paul Krüger war ein sonderbarer Mann, ein Unikum. Kein Umgang für feine Leute; er roch nicht gut, er trug kaputte Schuhe, mit denen er wie Chaplin watscheln konnte, er war nicht eben pingelig in Sachen Kleidung und Hygiene. Freilich war er nicht völlig frei von Eitelkeit. Er trug eine Brille aus Fensterglas, um Eindruck zu schinden - bei Mädchen und bei Leuten, die er um Geld "anhaute". "Betteln und abstrakte Kunst aus dem Aschenkasten", so umschrieb er seinen Lebensinhalt. Auf Rechnungsblöcken, Drucksachen und Zeitungsrändern hat er sich Notizen über Kunst und Dasein gemacht. Vom "letzten Dreck" ist da die Rede, von der "Welt des Staubes und des Verfalls", von der "Schönheit des Abfalls". Poesie steht neben Selbstmitleid. "Man bleibt immer draußen", klagt Krüger, der "abseits des Wirtschaftswunders" existierte, der wie besessen Bilder machte, aber sich nicht entschließen konnte, Kapital daraus zu schlagen. Von der Kunst zu leben, das hielt er für unanständig. Doch war es überhaupt Kunst, was er da fabrizierte? Ihm selbst war es angeblich gleichgültig. Wahrscheinlich, so mutmaßte er, werde der Kübel die letzte Station für seine Bilder sein. Es kam anders, zum Glück.

Das Leben als malender Straßenbettler war ihm keineswegs vorherbestimmt. Seinen Eltern in Stettin, wo er am 24. November 1911 zur Weit kam, ging es gut. Sie hatten eine Metzgerei, und sie gaben ab vom Überfluß: Tippelbrüder hatten immer freien Tisch. Mit der Welt derer, denen die Straße Heimat und Zuhause ersetzt, kam Paul Krüger daher frühzeitig in Berührung.

Zur Kunst fand er, als er vierzehn war, die Mittelschule besuchte und viel am Stettiner Hafen herumstreunte. Damals zerbrach er sich den Kopf darüber, was denn wohl ein Lord sein mochte. In der Bibliothek gab man ihm Joseph Conrads Roman "Lord Jim". Es versteht sich, daß er darin nicht fand, was er suchte. Doch die Lektüre machte ihm zum glühenden Conrad-Verehrer und Büchennarren. Nach Art von Jeans Pauls Schulmeisterlein Wuz fing er an, selber Bücher herzustellen, indem er abschrieb oder ausschnitt, was ihm so Spaß machte, Dann wollte er malen. Sein Vater schickte ihn als Anstreicher in die Lehre, und drei Jahre lang bemalte er Wände, ehe er ab 1982 die Kunstgewerbeschule besuchen durfte. Der später berühmte Professor Mac Zimmermann war sein Banknachbar.

Paul Krüger malte seine ersten Bilder. Ob gut oder schlecht - niemand weiß es, denn es ist nichts geblieben aus jener Zeit. Das gesamte malerische Werk des jungen Mannes wurde im Krieg verrichtet. Die Vergangenheit war futsch. Doch es traf Paul Krüger noch ein viel schwererer Verlust, der auch seine Zukunft als Maler bedrohte: Nach einer Verwundung in Rußland amputierten ihm die Ärzte die rechte Hand. Soldat Krüger landete in Hof, erst im Lazarett, dann in der Dachkammer am Schloßplatz. Er versuchte, neu anzufangen, trainierte verbissen die linke Hand, bis sie ihm gehorchte. Auf Drucksachen und Papierfetzen malte er ein wunderschönes Tagebuch einer Liebe, einer Liebe, die zerbrach.

In dieser Zeit schloß sich Krüger dem Schwarzenbacher Malerkreis um Werner Gilles an, mit dem ihn nicht nur die Liebe zur Kunst verband. Gemeinsam war beiden der Hang zur Spökenkiekerei, beide vermeinten, das "zweite Gesicht" zu haben. Zu Krügers Hofer Freunden gehörte der junge Armin Sandig, der sich später - fern von Hof - als Zeichner einen Namen machte. Als im Winter vor der Währungsreform in Hof die erste Ausstellung neuer Kunst arrangiert wurde, kam es um Sandigs Bild "Der müde Engel" zum Skandal. Jugendliche gingen mit Messern darauf los, und Krüger warf sich dazwischen, um das Bild vor Schaden zu bewahren. Später schickte er, der Bettler, seinem jungen Malerfreund "Freßpakete" nach Hamburg.

Krüger malte damals noch gegenständlich, gab auf naive Weise seine Eindrücke von Hof und Umgebung wieder. Doch ein "echter" Hofer wurde er nicht. Iimmer wieder brach er zu Wanderungen auf, bereiste per Anhalter ganz Westdeutschland, verkaufte seinen Kram und bettelte um Geld. Er schaffte sich Rücklagen, erwarb Aktien, Briefmarken und Münzen, bis er am Ende ein richtiges kleines Vermögen besaß. Doch er rührte es kaum an, gestattete sich selten einen Luxus wie im Jahre 1960, als er zu den Olympischen Winterspielen nach Cortina fuhr.

In jenen Jahren hielt er sich vorwiegend in München auf. Er war Abnehmer kostenloser Nahrungsmittel am Viktualienmarkt, hauste, wie in Hof, in einer ungeheizten Dachkammer und bettelte weiter, obwohl er es nicht mehr nötig hatte. Denn er hatte einen Mäzen gefunden. Ein Hofer Industrieller schickte ihm Geld und finanzierte 1962 seine einzige Einzelausstellung in der Münchner Galerie Günther Franke. Doch das Betteln gehörte für Krüger nun einfach dazu. Von seinen Zunftgenossen unterschied er sich dadurch, daß er nicht wählerisch war, sondern alles brauchen konnte. Aus Zeitungen zum Beispiel machte er Westen und Einlegesohlen. Und schließlich auch Kunst: Der Bettler, der für alles Verwendung hatte, kam - nach eigener Ansicht "folgerichtig" - zur Collage. Aus Abfallkästen las er sich das Material zusammen: Plakatreste, Schokoladenhüllen, Zigaretten- und andere Schachteln, papierenen Abfall. All das klebte er auf, machte es zu Bildern. Krüger, der sich viel mit Theorien der reinen Farbfläche beschäftigte, meinte dazu in einem Brief an einen Malerkollegen, er führe "starkfarbige Papierfetzen und ähnliche größere Farbstücke als Farben gegeneinander und kontrastiere die Formen auf einem Bildkampffeld". Zum Thema Kampf, Lebenskampf führte er im selben Schreiben aus, daß er unter den harten Gesetzen der Ratte lebe - "Furcht, Mißtrauen und Angst vor jedermann. Einmal stand ich im Zwielicht einer Ratte als Konkurrent auf der Nahrungssuche gegenüber, ich sah in das blitzende Weiß des Auges, bereit, notfalls sich selbst zu erhalten. Ähnlich sehe ich meine Situation als Mensch und Maler."

Paul Krüger starb am 21. Mai 1964 vor dem Münchner Hauptbahnhof, an einer Stelle, auf die er einen Bekannten einmal hingewiesen hatte: "Hier werde ich eines Tages sterben." Sein "zweites Gesicht" sah richtig. Dem Herzschlag, der ihn im Alter von 53 Jahren dahinraffte, war eine Riesenenttäuschung vorausgegangen: Die Hängekommission der Großen Münchner Kunstausstellung hatte seine Bilder, die schon so gut wie angenommen worden waren, im letzten Augenblick "ausjuriert".

Gewissermaßen ausjuriert wurde das eigenartige malerische Werk auch von Krügers Bruder, einem Metzger in Oberbayern. Er, der Paul für einen "Spinner" hielt, hätte die oft mit Pseudonymen signierte Hinterlassenschaft am liebsten wieder ihrem Ursprungsort überantwortet: dem Aschenkasten.