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Reinhard Döhl | Fußnote Manfred Kärcher

Manfred Kärchers Fotolithografien sind keine vervielfältigten Fotos, sondern eigenständige Grafiken, die ästhetisch als Sonderform der Druckgrafik. technisch vor dem Hintergrund der Geschichte der Reproduktionsverfahren zu diskutieren sind.

Als Walter Benjamin die Entwicklung der Künste, den Verlust ihrer Aura "im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit" skizzierte und beklagte, also den Weg von der Radierung, vom Holzschnitt über die Lithografie und Fotografie und heute massenhaften Knipserei nachzeichnete, übersah er, daß sich kurzfristig dabei Lithografie und Fotografie aufregend berührten. Und zwar bei Versuchen Joseph Nicéphore Niepces, Lithografien mechanisch herzustellen. Zunächst unter Verwendung dünner Bitumenschichten, die unter Einwirkung von Licht erhärten, deren unbelichtete Teile aber in Terpentinöl lösbar blieben. 1622 gelang Niepce auf Glas eine heliografische Reproduktion eines Stiches im Kontaktverfahren. Später ersetzte er das Glas durch lithografischen Stein aber auch durch Metall (z B Zinn, Zink und versilberte Kupferplatten). 1826 glückte ihm dann eine Heliogravure, die von Augustin Franccis Lemaître geätzt und von der zwei Abzüge gezogen wurden.

In der nun folgenden Entwicklung der Fotografie geriet diese kurze Berührung mit der Lithografie schnell und nachhaltig in Vergessenheit, bis Manfred Kärcher übrigens in Unkenntnis der Niepceschen Versuche - 1974 unter verbesserten technischen Voraussetzungen diese Experimente wieder aufnahm. Mit seinen derart entstehenden Fotolithografien griff er aber nicht nur ein vergessenes Experiment wieder auf, er kehrte auch die historische Entwicklung der Reproduktionstechniken praktisch um, führte das Foto in die Grafik zurück, stellte der beliebigen Abzugszahl die kleine numerierte Auflage von oft nur zehn, zwölf Blättern gegenüber. Zwar sind auch die Vorlagen seiner Lithografien Landschaften, konkret die Landschaften seiner zahlreichen Studienreisen. Aber sie erscheinen in Ausschnitten, die ein Tourist kaum belichten würde. Sie sind typisch und durch den gewählten Ausschnitt, die beim Druck gewählte Farbe zugleich in einer Weise abstrakt, die sie dem Betrachter als Urlandschaft zwischen dem zweiten und dritten Schöpfungstage erscheinen lassen. Es sind Landschaften noch oder schon wieder ohne den Menschen, von dem auf ihnen nicht einmal die Spur zu finden ist. Selbst gelegentlicher Pflanzenbestand wirkt ausgesprochen leblos, hat allenfalls eine für das Blattganze strukturierende Funktion.

In Manfred Kärchers Fotolithografien bekommen ein Entwickungsschritt und ein Produktionsvorgang, die in der Geschichte der Reproduktionstechniken lediglich eine Versuchsanordnung waren, nachträglich ästhetischen Sinn. Indem Manfred Kärcher die Entwicklung der Reproduktionstechniken (Lithografie - Fotografie) praktisch umkehrte, gelang ihm der produktive Schritt vom ästhetisch unbefriedigenden Foto zurück zur anspruchsvollen, das Auge des Betrachters anregenden Druckgrafik.

[Einladungsfaltblatt zur Ausstellung Manfred Kärcher, Foto-Lithografien. Horb a.N., Kunstkabinett Bacher 1987]