Kunst kommt nicht von Können - behauptet ein Buch, das unlängst erschienen ist. Man könnte hier zur Tagesordnung übergehen, wäre das Buch nicht zugleich Darstellung und Selbstdarstellung einer 'Kunstmafia', auf deren Strecke nicht nur eine beachtliche Zahl begabter und interessanter Künstler geblieben ist, die zugleich mit ihren Methoden, mit ihrem Diktat des Angebots dem Verhältnis Künstler-Publikum einen Bärendienst erwiesen hat. Die Irritation, die Unsicherheit vieler an Kunst Interessierter, auch solcher, die es sein könnten, gehen zu einem großen Teil auf das Konto kunstvermarktender Galeristen und Händler. Ihrer Degradierung des Kunstwerks zum puren Spekulationsobjekt entspricht eine gezielte Irreführung des Publikums. Aus den Ausstellungseröffnungen, ursprünglich wichtigen Informationsveranstaltungen, wurden Stehparties und Stelldicheins einer Schickeria, der es um alles ging, nur nicht um die Sache - Kunst. So wurde jeglicher Ausstellungssinn veräußerlicht, der Ausstellungsgegenstand pervertiert, führte sich Gesellschaft vor und gerieten die Bilder zu ihrer Staffage, zum beliebig auswechselbaren Rahmen. Einem interessierten Publikum Sehhilfen zu geben, lag ebensowenig in der Absicht der Veranstalter wie Aufklärung. Die Gesellschaft, die man stattdessen gab, verschleierte endgültig, daß Kunst in einem radikalen Sinne und Auftrag gesellschaftliches Ereignis ist, Aufklärung will, Veränderung von Seherfahrung und damit auch von Bewußtsein. Das Schlimme daran ist, der Künstler, der, will er leben, seine Werke zu Markte tragen muß, begann sich anzupassen, verkaufte sich zunehmend und in der Mehrzahl dieser KunstGesellschaft mbH und verriet damit seinen eigentlichen Auftrag. Die moderne Kunst, die in einer nicht zu Unrecht sogenannten Kunstrevolution gegen bürgerliche Kunst und ein Kunstverständnis rebellierte, dessen Ideologie Hans Arp so skizzierte: für seinen ausgestopften Schiller sei er (der Bürger) jederzeit bereit, ein Blutbad auf dem Felde der Ehre zu veranstalten - die Kunst, die sich in diesem Aufstand sowohl gegen die oberflächlichen Realismen wie Naturalismen bürgerlicher Kunst wandte wie gegen einen sie bedingenden krassen Materialismus wilhelminischen Bürgertums, die dagegen die große Utopie einer geistigen Welt setzte, sie hat sich einholen lassen, sie hat auf die Dauer ihre Werke des Protests und des Aufbruchs, den großen Entwurf einer kapitalistischen Vermarktung nicht entziehen können.
An einer Stelle des genannten Buches wird auch Günther C. Kirchberger erwähnt, als Mitglied der "Gruppe 11". Was das Buch unterschlägt, ist die Tatsache, daß es wesentlich Kirchberger war, der anläßlich einer Ausstellungsmöglichkeit in England dieser "Gruppe 11 zu ihrem Namen verhalf und damit eine Werkstattgemeinschaft erst eigentlich in eine Gruppe überführen half. Diese Gruppe, zu der die Maler Kirchberger, Atila Biro, Friedrich Sieber und Georg Karl Pfahler gehörten, hatte es in mehrfacher Hinsicht schwer. Auf der einen Seite mußte sie sich ihren Platz in der Tradition jenes "Aufstandes der Konkret-Abstrakten" suchen, hier ihre Position bestimmen und ihre malerischen Aufgaben finden. Auf der anderen Seite mußte sie rund 10 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg immer noch gegen Sehstörungen ankämpfen, die die Kunstpolitik des Nationalsozialismus verursacht hatte, aber auch gegen eine Kurzsichtigkeit, die kopfloser Wiederaufbau und hektisches Wirtschaftswachstum mit sich brachten. Erschwerend erwies sich drittens die Bindung an eine Galerie, eine unheilige Allianz menschlicher Unzulänglichkeiten und künstlerischer Eitelkeiten. Die Folge davon war, daß bald alle Künstler bis auf einen die Galerie unter zum Teil nachdenkenswerten Umständen verließen und ihrer eigenen Weg außerhalb, ja sogar gegen einen etablierten Kunsthandel gehen mußten.
Die Arbeiten Kirchbergers etwa Mitte der fünfziger Jahre sind auf den ersten Blick jener internationalen Kunstströmung zuzurechnen, die man unter Tachismus subsummiert. Sie zeigen ein Primat der Farbe gegenüber der Form, farbige Strukturierung vor formaler Gliederung, lassen Kirchbergers Ausgangspunkt als Entdeckungsreise in die Welt der Farbe(n) erkennen. Dabei haben wir es von Anfang an mit einer Malerei der kleinen Schritte zu tun. Die große Geste der Informellen hat Kirchberger nie versucht, auch nicht geschätzt.
Diese Malerei der kleinen Schritte - auf den ersten Blick auch ablesbar an der engen Strukturierunq, der gelegentlich engen Chromatik dieser frühen Bilder - ist für Kirchberger in zweifacher Weise symptomatisch: sie zeigt zum einen, wie methodisch Kirchberger von Anfang an seine Arbeiten heran- auf ihnen vorgeht, sie läßt aber auch ahnen, daß sich seine künstlerische Entwicklung ebenso methodisch vollziehen wird, wobei schon sehr früh eine Neigung zum seriellen Arbeiten, zur Versuchsserie erkennbar ist.
So folgt bei Kirchberger in den 60er Jahren auch nicht der abrupte Wechsel, der Sprung vom tachistischen zum konstruktiven Bild, in den 7oer Jahren der Sprung zum Gegenstand. Vielmehr entsteht das eine kontinuierlich aus dem anderen, wird das eine konsequent ins andere überführt. Als Beispiel setzen die hochsensiblen Farbstiftzeichnungen der letzten Jahre die eng strukturierte farbige Chromatik der tachistischen Bilder als Erfahrung voraus, rechtfertigen sie gleichsam im nachhinein.
Mit Recht hebt man allgemein die Malerei des Hard edge als Gegenströmung zu einer tachistischen Malerei ab. Dies ist für Kirchberger nicht möglich. Im Gegenteil hebt Kirchbergers Malerei, die an beiden Tendenzen Teil hat, in ihrer Entwicklung gleichsam diese Trennung auf, läßt sie die logische Folge beider Tendenzen erkennen, ist sie, indem sie sich von der These der farbigen Formauflösung zur Antithese der Formentwicklung aus der Farbe bewegt, in wörtlichem Sinne dialektische Malerei. Und auch dieses wiederum zugleich in mehrfacher Weise.
War die Thematik der Kirchbergerschen Malerei vor 1970 wesentlich das Wechselverhältnis von Farbe und Form, so ist sie heute in einer weiteren Dimension das Wechselverhältnis von Fläche und Raum, wobei Kirchberger in jedem Fall auf Lösungen aus ist und war, derartige Wechselverhältnisse in einer malerischen Dialektik aufzuheben. Innerhalb einer deartigen Malerei meinen die Fenster, die Doppelfiguren keineswegs konkrete Gegenstände, sie sind konkret nur insofern, als sie in die malerische Diskussion der Grundelemente Farbe und Form, Fläche und Raum und ihrer wechselseitigen Bedingungen als weiteres Grundelement die Figur, den "Gegenstand" in seiner reduziertesten Form einbringen. Raum und Scheinraum, Figur und Scheinfigur sind weitere Elemente dieser dialektischen Malerei, die zunehmend an Komplexität gewinnt.
Wenn sich Kirchbergers Malerei, wie wir gesehen haben, von der These der farbigen Formauflösung zur Antithese der Formentwicklung aus der Farbe bewegt, könnte man dies in einer weiteren Annäherung auch als eine Malerei der Grenzerfahrung verstehen, als eine Malerei, die - wiederum mehrschichtig - versucht, ihre Grenzen aufzulösen, aber auch als eine Malerei auf der Suche nach ihren Grenzen. So hat auf der einen Seite Kirchberger seine Formfolgen und Formentwicklungen wie kaum ein anderer Maler bis an die Grenze ihrer Verwertbarkeit, ja über die Grenze des sogenannten industrial design hinausgetrieben und dabei zeitweilig eine malerische Kargheit in Kauf genommen, die manchen seiner Freunde erschreckte.
Malerei der Grenzerfahrungen sind auf der anderen Seite aber auch seine Bilder, wenn sie - etwa im Spiel mit den Möglichkeiten optischer Täuschung - mit Grenzen der Seherfahrung spielen, derart zum Beispiel, daß man auf den Bildern etwas zu erkennen glaubt, das sich sogleich wieder der Erkennbarkeit entzieht, Raum, der in die Bildflächen zurückgepaßt wird, daß die Bilder an etwas erinnern und zugleich die Erinnerung verweigern, in einem Wechselspiel von Schein und Anschein, von - in einem wörtlichen Sinne - vor-täuschen und ent-täuschen. Denn das Knie ist kein Knie, die Schranke keine Schranke, das Fenster kein Fenster, der Leuchturm kein Leuchtturm. Indem sich Kirchbergers Figuren und Bilder der Identifizierung entziehen, entziehen sie sich zugleich einer platten oberflächlichen Ablesbarkeit, gegen die vor allem in der Kunstrevolution ja auch die Konkret-Abstrakten aufgestanden waren, zu der inzwischen und in Folge der Pop art so viele Maler zurückgekehrt sind. Indem sich - könnte man vielleicht noch einen Schritt weitergehen - Kirchbergers Figuren aber derart ihrer Identifizierung entziehen, machen sie zugleich Malerei einsehbar.
Und noch ein letztes möchte ich zu den Arbeiten sagen. Dem zunehmenden Gewinn an Komplexität entspricht bei Kirchbergers Malerei eine zunehmende Variabilität und technische Vielfalt, wenn zum Beispiel seit den Fensterbildern, seit 1971 zum Ölbild die Zeichnung, zum Maler der Zeichner, zu Buntstift, Ölpinsel, Spachtel die Spritzpistole tritt, wobei der Zeichner die Techniken des Malers beeinflußt und umgekehrt. Günther C. Kirchberger ist Handwerker. Ich denke daß Günther C. Kirchberger ein guter Handwerker ist, daß dies seine Arbeiten ebenso erkennen lassen, wie sie - wenigstens für mich - auch dafür stehen, daß Kunst, Gott sei Dank, immer noch von Können kommt.
[Galerie Geiger Kornwestheim, 19.11.1976.
Druck: Katalog Geiger, Kornwestheim 1978; Nachruck Katalog Sindelfingen,
1981, und Kunst Handwerk Kunst, u.d.T. "Grenzerfahrungen"]
< zurück