Reinhard Döhl | Poetische Korrespondenzen / Renshi/Renku-Projekte 
Unsteten Wolken gleich

Eine poetische Korrespondenz von Reinhard Döhl und Christa Hagmeyer
Eine poetische Korrespondenz mit Christa Hagmeyer zum 50. Todestag von Else Lasker-Schüler, 2004 erschienen in "Hier und jenseits der Hügel" von Christa Hagmeyer, Attempto Verlag Tübingen, ISBN 3-89308-372-3.

Heftiger Wind fegt
die Akazienblüten
von den Bäumen.
Auf der Reise nach Jerusalem
war ihr Stuhl stets besetzt.
rd

Jetzt schweigt der Reiter,
die Reise beginnt weitab
der weißen Glocken.
Am blauen Klavier trauert
Theben so früh um den Freund.
ch

Wa min tab ihi
anuha jatelahu
wanu bilahum.
Nicht dechiffrierbar für die
Nachrichtendienste der Welt.
rd

Flieh ins Anderland,
raunt mein Vaterbruderfreund,
horche nicht zurück.
Hier ducken und winden sich
selbst Weise im Wörterfrost.
ch

In der Schafskälte,
jetzt, nach den Eisheiligen
lese ich vom Tod
einer jüdischen Freundin.
Lashana haba'a Bijrushalajim!
rd

Knospen, sie scheuen
den Sturm. Die Tage haben
sich gegen uns verschworen.
Und ich möchte auffliegen
mit den Zugvögeln fort.
ch

Wolken gehen und
kommen. Der Ruf des Kuckucks
blieb aus dieses Jahr.
Von gestern her höre ich
eine alte Melodie.
rd

Früh muß der Fremdling
dies andre Nest verlassen.
Ich möcht aus der Welt.
Hoch oben in den Kiefern
ertönt eine kleine Terz.
ch

Müde und erschöpft
von den Kreuz- und Querzügen
der Poesie in
diesen Landregentagen
ruft jetzt plötzlich ein Kuckuck.
rd

Niemand stieg mit dem
Kuckuck auf den Turm. Wer löst
das Feuerrätsel?
Die frühe Apfelblüte
treibt aschgrau durch mein Gedicht.
ch

Den Kopf mit Asche
über und über bestreut
betritt er den Markt.
Zeigt uns das nicht das erste
Ochsenbild? Kai to do men!
rd

Peitsche und Zügel,
Ochse und Hirt sind spurlos
zu Nichts geworden.
Doch weiß ich nicht mehr, wo ich
mich vor dieser Welt befand.
ch

Zum Ursprung zurück-
gekehrt sind die Gewässer
grün, die Berge blau.
Rote Blumen blühen rot.
Heute ist Siebenschläfer.
rd

Vom Rosenmonat
an duftet mir Lavendel
übers Jahr hinweg.
Die wilde Mauer verblüht,
rankt und treibt in einem fort.
ch

Wir möchten gern da
und dort und allenthalben
sein und sind doch stets
nur auf einem einzigen Fleck
der unser Dasein einschränkt.
rd

Blühe, Windrose, blüh'
unter lindgrüner Eiche
bei meiner Buchbank.
Lang ließ der junge Sommer
im Regen auf sich warten.
ch

Sieben vorbei und
Acht verweht beim Stelldichein
mit der Windrose.
Have you said Hello
to a foreigner today?
rd

In der Straße der
Bildersprache seh' ich
Fremde mich grüßen,
und zu meinem Gegenbild
legen sie mir Spuren frei.
ch

Spuren verlaufen
im Sand. Regen, Sonne und
Wind löschen sie aus.
Nichts wird sein wie es war, wenn
das Fremde gegangen ist.
rd

Unerschöpflich scheint
das Fremde, Tag und Nacht wächst
es mit jedem Wort.
Sein Schattenspiel schafft Chaos
auf sonnentrunkenem Grund.
ch

Der Bussard, der, auf
Beute gierig, hoch über
der Klinge seine
Kreise zieht - auch er wird vom
Schatten verfolgt, dem er folgt.
rd

Diese Systeme
winziger Katastrophem
begrenzen die Norm.
Wir zählen dann die Sterne
und trinken das Rote Meer.
ch

Kannst du die sieben
Sterne zusammenbinden
oder das Band des
Orion auflösen am
Ufer des Roten Meeres?
rd

Vierzig Jahre lang
folge ich wandelbaren
Säulen aus Feuer
und gleich unsteten Wolken
läßt mich die Sehnsucht irren.
ch

Schon liegt Ägypten
weit hinter und nur Wüste
noch vor uns. Habe
ich sie durchquert, treffen wir
uns an der Klagemauer.
rd

Bruder, geh für mich
zur Mauer der Väter, geh
jetzt vor aller Welt.
Klage das Jobeljahr ein
für alle Sklaven der Macht.
ch

Vergessen sind die
Worte der Väter, das Recht
wohnt nicht mehr in der
Wüste, und auf dem Acker
haust die Gerechtigkeit nicht.
rd

Wir bauen um uns
manch bunte Himmelsmauern.
Vorhof des Todes.
Auf dem Weg, der uns lieb ist,
welkt die Hand am Fenstergriff.
ch

Angekommen in
der Vorstadt der Bläue, fin-
det Steine sie in
den Betten der toten Seen,
sieht sie die Traumstadt versteint.
rd

Sie hört aus Gräbern
dies gewaltige Gehen
der Menschenalter.
In den Zedern psalmodiert
der Wind bildreiche Weisen.
ch

Über meiner Haus-
tür nisten Jahr für Jahr die
Gartenrotschwänzchen.
Auch Vögel säen nicht und
ernten doch Lob für ihr Lied.
rd / ch

So die Lilien;
sie blühen schöner im Feld
als Salomos Ruhm.
Auch wenn über den Jordan
ich gehe, wird es so sein.
ch / rd

Ich bin schwarz aber
gar lieblich, seht mich nicht an,
daß ich so schwarz bin.
Das Portrait meines Freundes
läßt jetzt soviel Raum für mich.
rd / ch

Was bleibt, stiften die
Liebenden, sagen Dichter.
Glückliches Schweigen.
Die Mauern stehn sprachlos kalt
im Wind klirren die Fahnen.
ch / rd

Ich will aufstehen
und in der Stadt umgehen
und finde ihn nicht.
Er fiel während der Träume
vom Frieden, steht auf dem Stein.
rd / ch

Die Lüfte treiben
mürbes Laub vor die Füße.
Ich kommen zurück.
Lashana haba'a Bijrushalajim!
Bashana haba'a Bijrushalajim!
ch / rd

Erstlesung 15.7.1995 in Stuttgart/Vaihingen: Literatur im Zirkuszelt