Ich saß in der Dachstube und probierte
Gedichte. Mir schien's, als sei ich endlich aus dem Zustand des Schweblers,
wie Grillparzer zu sagen pflegte, befreit worden und hätte gemerkt,
daß es in der Lyrik auf konkrete Bilder ankommt. Ich lernte Georg
von der Vring kennen, dem ich aber nicht verriet, daß ich Gedichte
machte. Er sagte eines Nachmittags zu mir: Es kann doch nicht sein,
daß Sie sich für Lyrik interessieren, ohne selbst sowas zu probieren.
Zeigen Sie mir mal was.
Ich tat's und legte ihm unter anderen
mein Gedicht Das Blatt vor, das nicht gerade von hochfahrendem Selbstgefühl
zeugt und das so geht:
In ein gerolltes Einblatt möcht' ich kriechen,
Sein mürbes Sterben knistern hören, um
In Spinnenfasern lässig hinzusiechen
Bei einer Wespe brüchigem Gebrumm.
Der rote Schimmer dieser dünnen Hülle
Erglühte im Oktober tierfellwarm.
Es flüsterte der Wind wie späte Grille,
Verwirrte launisch einen Mückenschwarm.
Ich summte dort und schaute auf das Rechte:Ganz nett, wie? Die Verse wurden mehrmals zitiert und als charakteristisch für meine introvertierte Veranlagung empfunden.
Wie zittrig und verstört die Spinne näht
Und wie im zart verästeten Geflechte
Der Blätteradern schon kein Saft mehr geht.
[Aus: "Leben und Schreiben". Frankfurter Vorlesungen 1986]
mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlags