Wir sprachen für manchen
das Sterbegebet,
doch nur einer trug nach
ihm Begehr.
Von Wimpfen am Neckar -
vergesset ihn nicht,
wenn ihr zeugen sollt vor
dem Letzten Gericht
- den alten Simon Bär!
Sie holten ihn, wie sie uns
alle geholt,
vom Zünden gestärkt
den Elan,
vielleicht aus dem Schlaf,
vielleicht vom Gebet,
vielleicht auch zerscherbten
sie noch sein Gerät,
wenn sie streng nach der
Order getan.
Vielleicht sagte einer: laßt
ihn doch da,
für den ist zu schade
die Fracht!
Der verreckt auch ohn' unsern
Beistand bald,
seine dreiundachtzig ist
er schon alt.
Sie haben ihn doch gebracht.
Wie alle ließ man ihn
hungern und stehn,
zuletzt haben zwei ihn getragen;
dann kam er zu einem, der
schor ihn kahl,
ein andrer spritzt' ihn
mit kaltem Strahl -
vielleicht hat auch einer
geschlagen.
Dann kam er in unsre Baracke.
Es war
im Stroh und am Ofen ganz
warm -
doch: am Morgen Appell,
es war noch nicht hell,
und mittags Appell und abends
Appell,
und ein Wetter, daß
Gott erbarm.
Appell, das ist heilig...
Sie mußten hinaus;
ob siebzig, ob achtzig,
ob schwach,
ob krank, ob gelähmt
- was verschlug's schon - man nahm
an Schulter und Bein, wer
allein nicht mitkam,
und schleppte ihn hintennach.
Appell, das ist heilig und
dauert Zeit,
eine Stunde, drei Stunden,
auch mehr...
"Ach liegen! ach schlafen!
man ist ja so alt.
Vielleicht sieht's unser
Gott und erbarmt sich bald.
Er weiß doch: hier
pass' ich nicht her."
Appell, das ist heilig...
War falsch gezählt,
heißt's stehn, bis
der Fehler gefunden.
Wird es einem zuviel, so
hat's keine Not:
der Tod beim Appell ist
der Dachauer Tod.
"Schön ist's zu sterben
im Morgenrot",
aller weiteren Sorgen entbunden.
Grauer Regen leiert den Morgen
ein
- Dezember... "Aufstehn!"
das geht schnell.
Nur einer bleibt liegen.
Er röchelt im Stroh...
"Ein Rabbiner!" "Schema..."*),
nun die Augen zu! -
So, einer weniger... "Marsch,
zum Appell!"...
Wir sprachen für manchen
das Totengebet,
doch nur einer trug nach
ihm Begehr.
Von Wimpfen am Neckar -
vergesset ihn nicht,
wenn ihr zeugen sollt vor
dem Letzten Gericht -
den alten Simon Bär!
*) erstes Wort des Totengebets