Tenzone
Ein Sängerstreit zwischen Uhland und Rückert Sänger, sprecht mir einen Spruch!
Sagt mir, was ist minder Not:
Der Geliebten Treuebruch,
Oder der Geliebten Tod?
Ludwig Uhland

Die vom Schwur sich losgezählet
In der reichsten Schönheit Schmuck,
Ist sie doch ein Höllenspuk,
Dessen Anblick schreckt und quälet.
Reines Weib, das nie gefehlet,
Lächelt noch im Leichentuch,
Denn sie schied mit dem Versuch,
Sel'gen Liebestrost zu sagen:
Drum ist minder Tod zu klagen,
Als gebrochner Treuverspruch.

Wenn Verrat, was Gott verhüte!
Einen edeln Sänger trifft,
Wandelt sich sein Lied in Gift
Stirbt ihm aller Dichtung Blüte.
Wenn die Braut von reiner Güte,
Hingerafft durch frühen Tod,
Ihm entschwebt ins Morgenrot:
All sein Blick ist dann nach oben,
Und in heil'gem Sang enthoben
Fühlt er sich der ird'schen Not.

Jene, die der Tod entnommen,
Diese, die im Unbestand
Weltlichen Gewühls verschwand,
Keine wird dir wiederkommen.
Wann der große Tag erglommen,
Wo von Gottes Richerspruch
Heil ergeht und ew'ger Fluch,
Dann ist jene neugeboren,
Diese bleibt auch dann verloren:
Mehr als Tod ist Treuebruch.

Der Du Kampf mir angesonnen,
Wie du sonst mich überfliegst,
Hoff nicht, daß du heute siegst!
Wahrheit hat vorausgewonnen.
Ob dem Sang, den du begonnen,
Wird dir selbst die Wange rot,
Und dein Herz, vor banger Not
in mein Lied herüberflüchtend,
Ruft, der Truges dich bezüchtend:
Falschheit kränket mehr denn Tod!

Friedrich Rückert

Gegner, doppelt überlegen,
Ausgrüstet mit zwiefalter
Waff' als Dichter und Sachwalter,
Wenn ich dir mich stell entgegen,
Wenn ich's um so mehr verwegen,
Als, wie du mir selbst gedroht,
Dir als Anwalt dar sich bot
Gute Sach', und mir die schlechte;
Daß mir bangt, wie ich verfechte
Falschheit gegen Treu im Tod.

Dennoch sprech ich excipierend:
Wenn ein edles Herz es gibt,
was uneigennützig liebt,
Im Geliebten sich verlierend;
Dieses sich mit Demut zierend,
Trägt Entsagung ohne Fluch,
Wenn die Braut, statt Leichentuch,
Fremder Hochzeitschleier schmücket,
und es fühlt sich selbst beglücket,
Wenn sie's ist durch Treuebruch.

Ferner: Wenn's ein Herz kann geben
Von so sanfter Blumnatur,
Daß aus liebem Antlitz nur
Wie aus Sonnen saugt sein Leben;
Wenn die Sonnen ihm entschweben
In die lange Nacht, den Tod,
Leuchtet ihm kein Morgenrot;
Doch solang die Augen funkeln,
Mag auch Untreu sie verdunkeln,
Leben kann es doch zur Not.

Endlich, wer mit solchen Flammen
Liebt, wie ich zwar selber nicht,
Daß er denkt, was heut zerbricht,
Wächst auf morgen neu zusammen;
Der verschmerzt des Treubruchs Schrammen
Leicht aus Hoffnung zum Versuch,
Ob sich heilen läßt der Bruch;
Aber mit gebrochnen Herzen
Läßt sich ganz und gar nicht scherzen:
Drum: Eh'r falsch als tot! mein Spruch.
 
 





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