Die Gesellschaft bereitet die Verbrechen vor,
der Kriminelle führt sie aus.
[Lambert Adolphe Jacques Quételet]
Nero Wolfe saß auf seinem Stuhl im Büro und spielte mit Fliegen. Grabschaufler Jones und Sargfüller Johnson tauschten einen Blick. "Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden", sagte Al Wheeler, "aber ich komme gleich hinüber, um es herauszufinden." Perry Mason sah auf die Uhr; er wußte; daß er aufs Kreuz gelegt worden war, doch er hatte keine Sekunde Zeit, darüber nachzudenken. Auf der Rauhglas-Türscheibe stand mit abblätternder schwarzer Farbe: "Philip Marlowe - Ermittungen." Mike Hammer machte sich Gedanken, warum der Laden noch nicht von der Gesundheitsbehörde geschlossen worden war, denn es stank wie die Pest. Kommissar Maigret fiel plötzlich die in der Rue de Roi-de-Sicile gefundene Harmonika ein. Hercule Poirot nickte ernst vor sich hin: die Teile seines Zusammensetzspieles fügten sich zusammen.
Ein Beamter, der durch das Guckloch in der Zellentür H. ständig zu überwachen hatte, trat zurück, als der Oberwachtmeister die schwere Eisentür aufschloß. "Besuch für Sie, Herr H.", sagte der Beamte und ging vor mir in die Zelle. Bevor ich etwas sah, hörte ich ein metallisches Klirren. Der mittelgroße, gutgenährte Mann, der sich von einem Klapptisch an der Wand erhob, trug Fesseln an Händen und Füßen. Von jeder Fessel führte eine Kette zu einen in die Wand eingemauerten Ring. H. schien sich daran bereits gewöhnt zu haben. Jedenfalls bewegte er sich auf dem knappen Spielraum, den ihm seine Ketten ließen, völlig ruhig und selbstsicher.
Hercule Poirot schüttelte den Kopf; er sah ernst und bekümnert drein. Nero Wolfe saß da, die Lippen zum Pfeifen gespitzt, aber auf sechs Fuß Entfernung war kein Laut zu vernehmen; man sah nur, daß die Luft ein- und ausging, da seine Brust sich hob und senkte. Grabschaufler Jones holte von dem Schreibtisch in der Ecke zwei Stühle. Al Wheeler schlug den altmodischen Türklopfer mehrmals gegen die Tür und wartete. Perry Mason stand auf: er wußte genau, daß er in eine Falle geraten war. Philip Marlowe balancierte die Fliegenklatsche hoch in der Luft und holte zum Schlag aus. Mike Hammer vernahm ein fernes Geräusch, ein schwaches metallisches Schnappen. Kommissar Maigret blickte auf die Notizen, die er sich während der schon länger als eine Stunde dauernden Unterhaltung gemacht hatte.
Mit einer Geste lud er mich zum Sitzen ein. Er tat ganz wie ein mittlerer Kaufmann, der in seinem Privatkontor einen wichtigen Kunden zum Abschluß eines größeren Geschäftes empfängt. Mit einigem Widerwillen ließ ich mich auf der schmalen harten Bettstatt nieder. "Ich hoffe, Sie haben eine angenehme Reise gehabt", sagte er. "Was gibt's denn Neues in B.?" Er sprach in unverkennbar h.m Tonfall. Offenkundig war er um eine gepflegte Ausdrucksweise bemüht. Wie viele Verbrecher, wollte auch er mir beweisen, daß ich es mit einem gebildeten Menschen zu tun hätte.
Endlich klingelte zu Kommissar Maigrets Erleichterung das Telefon. Hercule Poirot schaltete eine Pause ein und sprach dann weiter. Nero Wolfe drückte auf den Klingelknopf, und als Fritz erschien, bestellte er Bier. Grabschaufler Jones löste sich von der Wand, und sein Körper entspannte sich. Al Wheeler wurde hewußt, daß das Telefon noch immer ungeduldig klingelte, und er stolperte, sich mit beiden Händen fest die schmerzenden Seiten haltend, durchs Zimmer. Perry Mason mußte um jeden Preis gewinnen, und jede Sekunde, die verging, half ihm weiter. Philip Marlowe nahm den Hörer langsam ab und sprach leise in ihn hinein: "Bleiben Sie bitte mal einen Augenblick am Apparat." Mike Hammer pfiff durch die Zähne und legte auf.
Sein Gesicht war rund, ein bißchen zu voll und teigig. Ein rechtes Durchschnittsgesicht ohne Absonderlichkeiten oder gar Mißbildungen. Die Lippen unter dem sorgfältig gestutzten englischen Schnurrbart waren voll, die Zähne kräftig und weiß. In den grau-braunen Augen schimmerte ein verhaltener Glanz. Der Blick schien großer Wandlungen fähig, doch jetzt ruhte er neugierig prüfend, beinahe versonnen auf mir.
Mike Hammer streckte die Hand nach dem Türgriff aus und erstarrte, als er ein schwaches Geräusch vernahm. Kommissar Maigret wartete, während er unentwegt weiterrauchte. Hercule Poirot lächelte ihn schuldbewußt an. Nero Wolfe lehnte sich zurück und murmelte: "Tollkühn!"; dann schloß er die Augen. Grabschaufier Jones blickte auf seine Uhr. Al Wheeler blieb, wie er war, in seiner unbequemen halbgebückten Haftung stehen. Perry Mason blickte über seine Schulter zurück; Paul Drake stand allein in der Tür und schüttelte langsam den Kopf. "Das ist nur Pose", murmelte Philip Marlowe, während er um den Schreibtisch herumtrat.
Da ich nicht mit der Absicht gekommen war, H. eine angenehme Unterhaltung zu verschaffen, ging ich gleich auf den Kern der Sache los. "Sie haben ein Geständnis abgelegt", sagte ich. "Halten Sie dieses Geständnis aufrecht?" "Ich habe sieben zugegeben... hahahaha!" Ich zuckte zusammen bei diesem unheimlichen Lachen und sagte kalt: "Sieben Morde... ich weiß nicht, was es dazu lachen gibt." Er lachte wieder, diesmal klang es entschuldigend. Er sagte: "Ich weiß doch gar nicht, wie viele es waren. Nu sagen die Kriminalbeamten, es waren siebenundzwanzig."
"Warten Sie mal einen Moment", Philip Marlowe legte den Hörer auf die bekleckste braune Schreibunterlage und zündete sich die Pfeife an. Mike Hammer steckte die Zeitung ein und ging zu seinem Wagen. Kommissar Maigret hatte inzwischen die Fahrradpatrouillen und die städtische Polizei alarmiert. Es war schwierig, über die Felsblöcke zu klettern, und Hercule Poirot versuchte es gar nicht erst. Nach einigen Minuten konnte man von unten herauf hören, wie Nero Wolfes Limousine bei Ansteigen der Straße in den zweiten Gang umschaltete. Grabschaufler Jones schaltete den Motor ab, ehe er das Haus erreichte. Als Al Wheeler die hintere Tür des Taxis öffnete, lag dort tatsächlhch eine Leiche. Perry Masons Gesicht verriet äußerste Konzentration.
H.s Ausdruck verwandelte sich jäh. Er sprang so heftig auf, daß ihn die hemmenden Ketten zurückrissen. "Lassen Sie mich nicht allein", flehte er mit hoher Fistelstimme. "Ich habe Angst!" "Wovor haben Sie Angst; vor der Todesstrafe?" Er schüttelte den Kopf. "Ach nein, davor nicht. Sehen Sie Mal..." Fr trat an seinen Tisch und beugte sich weit darüber. Mit seiner breiten fleischigen Hand schlug er sich ins Genick und sagte: "Putsch, is der Kopf weg. Das geht so rasch!" Dann richtete er sich auf und lächelte mich an.
Perry Mason bemerkte, daß sie sich auf einem Parkplatz befanden, der anscheinend vor dem Rückgebäude eines Anwesens lag: ein leichter Geruch von Zwiebeln und Hinterhof strömte ihm in die Nase. Philip Marlowe ging auf Gumniabsätzen zur Garage hinüber und versuchte, eine der beiden breiten Türen aufzumachen. Mike Hammer jagte die Treppe hinauf: fand die Tür angelehnt, stieß sie auf. Kommissar Maigret war zum Büfett gegangen und hatte zwei Gläser herausgenommen. Hercule Poirot hob die Hand, aber das war nur eine höfliche Gebärde. Nero Wolfe saß in seinen Stuhl mit der Fliegenklatsche in seiner Hand und probierte, wie nah er damit an die Fliege herankommen konnte, ohne daß sie wegflog. "In Gottes Zoo gibt es viele merkwürdige Pflanzen", fügte Grabschaufler Jones philosophisch hinzu. Im nächsten Augenblick explodierte Al Wheelers Hinterkopf in einer einzigen Atomwolke von Schmerz und übrig blieb eine ungeheure spröde pochende massige Dunkelheit.
"Wovor fürchten Sie sich denn sonst", fragte ich. Er druckste und rieb verlegen seine kräftigen Hände. "Die Leute sind böse auf mich... Natürlich, das kann man sich denken, wenn solche Eltern, nicht wahr... daß die nun traurig sind und wütend... Aber der is doch nun tot... Und dafür können sie mich auch ruhig köppen... Ja... aber doch nicht totschlagen!"
Al Wheeler schüttelte seinen schmerzenden Kopf. Die Polizei wird ziemlich verärgert sein, meinte Della Street und sah ängstlich auf Perry Mason. Nach einem zweiten Frühstück und einer Rasur fühlte sich Philip Marlowe nicht mehr ganz so, wie eine Kiste voll Sägespäne, in der eine Katze Junge gekriegt hat. Mike Hammer wußte nicht, wie lange er so da saß und den Kies durch seine Finger gleiten ließ. Frau Maigret hatte ihrem Mann auf seine Bitte eine Tasse starken Kaffee gekocht, aber das hatte noch nicht genügt, ihn wieder vollkommen wach zu machen. Hercule Poirot frühstückte in seinem Zimmer: wie gewöhnlich nahm er Kaffee und Brötchen zu sich. Als Archie Goodwin nach Hause kam, saß Nero Wolfe der Küche an dem kleinen Tisch und stritt sich mit Fritz herum, ob in ein Tomatenpastetchen Schalotten gehörten. Grabschaufler Jones lehnte an der Wand und blickte vor sich hin.
Ich setzte mich wieder hin. H.s. Furcht vor der Lynch-Justiz, vor einem blutigen Vergeltungsakt der aufgewühlten Volkseele, war echt - und, wie ich wußte, auch nicht ganz unberechtigt. Die Stadt war in jenen Tagen ein Hexenkessel. Seit H.s. Verhaftung durchzogen fast täglich Demonstrationszüge die Straßen. Vor Geschäften und Häusern, in denen H. verkehrt hatte und wo man Helfershelfer von ihm vermutete, rotteten sich Menschenmassen zusammen, schlugen Fensterscheiben ein und bedrohten Leib und Leben der Bewohner sowie der sie beschützenden Polizei.
"Ich glaube es", sagte Grabschaufler Jones: "Es paßt alles genau zusammen." "Ich glaube, ich rufe besser den Sheriff an", sagte Al Wheeler. "Ich tappte im Dunkeln", gestand Perry Mason; "aber dann sah ich einen kleinen Lichtstreifen, und an den habe ich mich gehalten." Das Stück war aus; Philip Marlowe saß im leeren Theater; der Vorhang war zu, und matt darauf projeziert sah er die Handlung an sich vorüberziehen. Mike Hammer lachte laut, lachte und lachte, obwohl er wußte, daß er sterben mußte. Kommissar Maigret hörte noch den Anfang des Satzes, aber er hörte nie sein Ende. Hercule Poirot sagte nachdenklich: "Das Verbrechen selber war bis in alle Einzelheiten geplant und zeitlich vorausbestimmt." "Tatsächlich", murmelte Nero Wolfe, "so ist es."
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