Albrechts Privatgalerie | Künstleralphabet | Schreib
Reinhard Döhl | Hucke nucke wucke wack.

[Zur Werner-Schreib-Retrospektive in Hilden, Ludwigsburg, Bamberg u.a.]

Wer rückblickend etwas über das Werk Werner Schreibs sagen will, darf nicht nur über Bilder, er muß auch über den Künstler sprechen, der vielseitig und umtriebig auf mancher Kirchweih oder Sandkerwa trefflich zu tanzen verstand. Konkret möchte ich deshalb mit etwas beginnen, was der Besucher einer Kunstausstellung am wenigsten erwartet, nämlich mit dem Verlesen von 5 Gedichten.

Das erste ist ein Vierzeiler ohne Uberschrift und lautet:

Mimi Max und Manni Mix
pucksen pur mit Pucksipix.
Kinder breiten sich nicht aus,
hast Du Pucksipix im Haus.
Das zweite Gedicht ist ausgesprochen akustischer Natur und "Gedicht zum Schreien!" überschrieben:
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiih
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah
oooooooooooooooooooooooooh
uuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuh
eeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeh
äääääääääääääääääääääääääh
au.
Wer es derart mit Vokalen treibt, treibt es auch mit Konsonanten, Teilen oder der Gänze des Alphabets. Daß dies durchaus nicht ohne Hintersinn geschah, belegt ein Gedicht, zu dessen Verständnis ich vorwegschicke, daß 1957 Max Frisch's "Homo Faber" erschienen war, ein Roman, dessen Held ein ausschließlich technologisch-mathematisches Weltverständnis hat, das ihn blind macht für Unwägbarkeiten und Zufälle jenseits der Gesetze von "bloßer Addition" und planer Logik. Und: daß Faber jene Firma ist, die dem Schriftsteller seine Blei-, dem Zeichner seine Blei- und Farbstifte liefert.
alle wurden getötet
nur einer entkam.
und der eine war faber:

ein mensch ohne mücke
ohne macke
ohne maus

ohne namen
ohne nenner
ohne nuß

ohne otto
ohne oma
ohne ohr

ohne puppe
ohne pimmel
ohne paß

ohne quinte
ohne quante
ohne quast

ohne reue
ohne ruhe
ohne rast

ohne tüte
ohne tante
ohne tau

ohne ulkus
ohne ulster
ohne uhl

ohne vw
ohne x
ohne y
ohne z.

Wer derart mit dem Alphabet spielt und mit dem s sich selbst ausspart, spielt auch mit Zahlen. Und so finden wir bei unserem Autor selbstverständllich auch Zählgedichte, eine Poesié Arithmétique, die sich - ebenso selbstverständlich - "bloßer Addition" und mathematischer Logik entzieht, z.B.:
1 und 2 ist 3
3 und 4 ist 5
5 und 6 ist 7
7 und 8 ist 9
9 und O ist 1.
Diese Poesié Arithmétique war über das Zahlenspiel hinaus auch eine Hommage à Kurt Schwitters, von dem noch zu reden sein wird. Im Augenblick möchte ich mich mit einem letzten Gedicht endgültig der heutigen Retrospektive nähern. Es nennt den Künstler beim Namen und spielt zugleich mit einer Aufforderung der Deutschen Bundespost: Schreib mal wieder:
Wer 'Mal' heißt,
der soll ruhig schreiben,
doch wer Schreib heißt,
soll beim Malen bleiben.
Als Antwort auf jene gutgemeinten Ratschläge mancher Freunde, die Werner Schreib ausschließlich auf das Malen verpflichten wollten, ist dieser Vierzeiler zugleich eine typisch Schreibsche Antwort. 1. indem sich Werner Schreib genau jenes Mediums bedient, das man ihm verbieten wollte, des Gedichts. 2. indem er seine Antwort mit Adolph Strauch zeichnet. Da ist assoziativ natürlich Wilhelm Busch nicht weit. In einem anderen Fall hat Werner Schreib eine gezeichnete Collage Adolf von Menzel signiert, auf einer Postkarte seinen Namen zu Errnes Wichbar anagrammiert. Beispiele, die sich vermehren ließen.

Ein solches Spiel mit Namen, ein solches Maskenspiel - denn Werner Schreib trat auch unter solchen Masken auf, als Daedalos zum Beispiel, "Ingenieur, Feuerwerker und Architekt. Entwerfer von Luftskulpturen. Urgroßvater von Leonardo da Vinci. War in jungen Jahren Mitglied der Gewerkschaft IG Metall" -

Ein solches Maskenspiel, sagte ich, war ebenso typisch für Werner Schreib wie - nicht nur in seinem literarischen Werk - das Nebeneinander von Sinn und Unsinn. Das läßt sich im Vergleich zweier autobiographischer Skizzen verdeutlichen. Ich wähle aus ihnen jeweils den Passus, der die letzten Kriegsjahre und das direkte Kriegsende betrifft. Und lese dann in der ersten Skizze:

"1943 wurde ich von der Hochschule weg eingezogen. Ich hatte mich eigentlich mehr darauf eingestellt, Ingenieur zu werden, eine Lehrzeit als Mechaniker und eine Gesellenprüfung hatte ich hinter mir. Der Krieg trat in seine entscheidende Phase ein, ich wurde sehr bald auch zum Leutnant in einem Artillerieregiment befördert, wahrscheinlich war ich ein guter Soldat. In dieser Eigenschaft machte ich den großen Rückzug mit - von Rußland auf vielen Umwegen bis nach Schleswig-Holstein. Die Soldaten, die dann noch übrig waren, wurden interniert. Man schrieb 1945. In bäuerlicher Umgebung entwickelte ich mein Zeichentalent."

Ganz anders liest sich diese einschneidende Lebensspanne in der zweiten autobiographischen Notiz: "[...] so wurde in mir der gedanke lebendig, der bald greifbare formen annahm: ich wollte general werden. kaum, daß ich diesen beruf gelernt hatte, bekam ich schon wieder Ärger mit der allerobrigsten obrigkeit. als general in einem artillerieregiment hatte ich es mir angewöhnt, mit meiner batterie stets nur signalgranaten zu verschießen, die beim aufschlag einen farbigen rauchpilz nach wahl hinterlassen, rot, blau oder gelb. durch vermischen der grundfarben konnte ich fast jede beliebige farbnuance herstellen, es war lediglich eine frage der jeweiligen menge. an manchen tagen waren regelrechte farbexplosionen das resultat meiner schießübungen. natürlich fiel das auf, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ich vor ein kriegsgericht gekommen. zum glück war der krieg inzwischen beendet und die nachfrage nach generalen sank auf den nullpunkt. ich begab mich auf längere auslandsreisen."

Ein solches Neben-, ja Miteinander von Unsinn und Sinn ist, wie gesagt, typisch für Werner Schreib. Jeder, der durch eine Ausstellung vorzüglich seiner bildnerischen Arbeiten geht, sollte dies mitbedenken. Aber auch, daß bei Werner Schreib literarische und bildnerische FiLtion oft kaum zu trennen sind. Denn hinter der Maske des Generals verbirgt sich auch der seine Farben mischende Maler. Die vom General erzeugten "farbexplosionen" lassen sich auch und 1. beziehen auf den tachistischen Automatismus, die Malerei des Informel, die Werner Schreib in seiner künstlerischen Entwicklung durchaus gestreift hat. Sie finden 2. in den späteren pyrografischen Aktionen Werner Schreibs ihre Entsprechung.

Schließlich haben die "längere[n] auslandsreisen" Werner Schreib nach dem Kriege durch fast alle europäischen Länder geführt. Seine Tagebücher geben instruktive Auskünfte darüber, daß Werner Schreib zu einer Zeit, als viele deutsche Künstler und Kunstinteressierte noch mit den Sehstörungen des tausendjährigen Reiches kämpften, bereits Anschluß an die Errungenschaften der Kunstrevolution fand, Kontakte zur internationalen aktuellen Kunstszene knüpfen konnte. Anschluß an die Errungenschaften der Kunstrevolution heißt dabei vor allem: Anschluß an Dadaismus und Surrealismus. Konkret: an Kurt Schwitters und Max Ernst. Ablesbar wäre dies z.B. den Arbeiten, die Max Ernst herbeizitieren oder sich der Handschrift Kurt Schwitters', der Collage, bedienen.

Kontakt zur internationalen Kunstszene meint konkret, daß Werner Schreib 1959 oder 1960 den italienischen Maler Luciano Lattanzi kennenlernte, sich mit ihm anfreundete und mit ihm zusammen zu Beginn der 60er Jahre die "Semantische Malerei" durch zahlreiche Ausstellungen in die Kunstgeschichte einschrieb. Ich darf mir eine im Trockenkurs eher ermüdende Erklärung ersparen, möchte aber auf eine Besonderheit dieser "Semantischen Bilder" hinweisen.

Werner Schreib hat bei ihrer Herstellung nicht nur das zunächst weiche Kunstharz mit dem Spachtel oder anderen geeigneten Werkzeugen auf den Bildgrund aufgebracht, er hat seine Bilder auch "gesiegelt". Was heißen soll: er hat in das noch nicht erhärtete Material Formkürzel unserer technischen Zivilisation eingeprägt: Rädchen, Zahnräder, Zylinder, Hülsen, Schrauben und Gewinde, Muttern, Plaketten, Münzen undsofort. Durch solche Einstempelungen werden seine Bilder auch lesbar. Sei es, daß der Betrachter das spiegelverkehrte Zeichen einer Firma namens "(Hoechst)" entdeckt, aber in ihrer Nachbarschaft auch ein "wei wei" entziffern kann, sei es, daß sich von "EHDEN" zu "DEATH" ein Bogen spannt, sei es, daß Entzifferbares sich gleichsam zum Text ordnet, z.B. zu "hucke nucke wucke wack", einer unsinnigen Wort- und Lautfolge, die Werner Schreib so gut gefiel, daß er sie zum Titel eines seiner schönen Grafik-Bücher, den "Monummente[n] aus dem Zwergenkabinett" machte.

Der italienische Kunstschriftsteller Umbro Apollonio hat angesichts der "Semantischen Bilder" von einer "Petrifikation des Informel" gesprochen und mit dieser Formel sagen wollen, daß in der "Semantischen Malerei" der tachistische Automatismus, die informelle Spontaneität gleichsam erstarre. Da derartige Versteinerungen bei Werner Schreib zugleich Formkürzel unserer Zivilisation einschließen und bewahren, "konstituieren" sie, wie Hanno Reuther festgehalten hat, die "archäologische Aura" dieser Bilder. Sie haben aber heute, füge ich hinzu, wo wir beginnen, den Segnungen der technischen Zivilisation gegenüber kritischer zu werden, dieser "archäologischen Aura" eine durchaus neue Aktualität gewonnen.

Biographisch hat das zitierende Aufbewahren von Formkürzeln technischer Zivilisation seine Entsprechung in Werner Schreibs ursprünglichem Berufsziel - dem Ingenieur. Kunstgeschichtlich findet sich für eine derartige ästhetische Kompensation eine weitere Entsprechung - im Werk von Kurt Schwitters. Auch der hatte, während des ersten Weltkriegs Werkstattzeichner im Eisenwerk Wülfel, in seine Zeichnungen, Aquarelle, Collagen und Assemblagen Teile von Rädern, Räder, ja ganze Räderwerke eingezeichnet, eingeklebt oder eingebaut.

Wie sonst kein Künstler, ausgenommen Max Ernst, hat Kurt Schwitters Werner Schreib mehr als 20 Jahre immer wieder angeregt bis hin zu der Uberzeugung, daß wir den Begriff der "Kunst" erst los werden müssen, um zur "Kunst" zu gelangen. Schreibs Bezugnahme auf Kurt Schwitters erschöpft sich nicht nur in den parallelen Redeweisen der Zähl- und Alphabetgedichte (aus denen ich zitierte), in der parallelen Handschrift der Collage, in der vergleichbaren ästhetischen Kompensation zivilisatorisch-technischen Abfalls, sie geht bis zum wörtlichen Zitat und seiner Variation, z.B. in einem "Antrag auf Heiligsprechung von Schwitters", der wiederum so wörtlich auch nicht zu nehmen ist, was schon aus der Kleinigkeit erhellt, daß Werner Schreib die Schwittersche Tautologie "Ewig währt am längsten" (aus: ehrlich währt am längsten) mit Hinweis auf seine Adresse (die Paul-Ehrlich-Straße in Frankfurt) noch einmal banalisiert zu "Paul Ehrlich bolzt am längsten". Hinter einer anderen Zeile - "Kann man seine Witwe bolzen?" - verbirgt sich assoziativ Wilhelm Buschs "Witwe Bolte", die sich im Keller eine Portion ihres sprichwörtlichen Sauerkohls holt. Seinen "Sauerkohl" fand Werner Schreib in Kurt Schwitters "Memoiren Anna Blumes in Bleie", in deren abschließender

"Analyse" es heißt: "Über das Hinterteil entscheidet das Vorderteil. Über das Vorderteil entscheidet die Beschwerde, respektive der Plättbolzen im Feuer", und einige Zeilen später: "das Plätten ist heiß. Darüber entscheidet der Bolzen", woraus bei Werner Schreib ein permutierendes Spiel mit den Verben "plätten" und "bolzen" wird.

Antrag auf Heiligsprechung von Schwitters
Plättbolzen im Feuer macht heiß.
Lassen Sie sich bolzen!
Lassen Sie sich plätten!
3 und 3 ist 7 aber der Plättbolzen ist heiß.
Wer Plätt sagt soll auch Bolzen sagen.
Kann man seine Witwe bolzen?
Paul Ehrlich bolzt am längsten.
Auch in der Puszta wird geplättet und gebolzt.
Am Anfang der Plätte ist der Bolzen kalt.
Am Ende der Plätte ist der Bolzen kalt.
Der Dienstbolzen plättet mit dem Plättbolzen.
Der Plättbolzen plättet mit dem Dienstbolzen.
Der Plättbolzen dienstet mit dem Plättbolzen.
Der Dienstbolzen plättet mit dem Dienstbolzen.
Der Bolzenplätt dienstet mit dem Plättbolzen.
Der Plättbolzen bolzt mit der Dienstplätte.
Die Dienstplätte plättet mit der Bolzenplätte.
Der Bolzendienst plättet mit dem Dienstbolzen.
Solange bis der Dienstbolzen geplättet ist.
Frisch gebolzt ist halb geplättet.
Das Plätten ist heiß. Darüber entscheidet der Bolzen.
Schließlich hat Werner Schreib, der kunstgeschichtliches Unrecht nicht ausstehen konnte, sogar einen regelrechten Feldzug für Kurt Schwitters und gegen die bundesrepublikanische Kulturpolitik geführt. Dieser Feldzug erreichte seinen Höhepunkt, als Werner Schreib das Jahr 1967 als Kurt- Schwitters-Jahr proklamierte, ernsthaft vorschlug, England, das Kurt Schwitters Asyl gewährt hatte, in Kurt-Schwitters-Land und die Geburtsstadt Hannover in Kurt-Schwitters-Stadt umzubenennen. Daß die Waldhausenstraße bei dieser Gelegenheit in Anna-Blume-Straße umzutaufen war, versteht sich von selbst; Werner Schreib hatte zu seiner hannoverschen Aktion bereits ein funkelnagelneues Straßenschild mitgebracht. Wie die Kunst ihre ästhetischen Feldzüge stets zu verlieren pflegt, so hat auch Werner Schreib seine Kampagne im Hannöverschen nicht gewonnen. Aber daß Kurt Schwitters, wenn auch nicht zu seinem 80sten, so doch wenigstens zu seinem 99sten Geburtstag in New York und Hannover eine große Retrospektive bekam, das hat Werner Schreib durch seine Aktionen (indirekt) mit vorbereitet.

Neben dem literarischen Werk, den "Semantischen Bildern", den Collagen und zahlreichen Zeichnungen, den Punzen und Radierungen, auf die ich aus Zeitgründen nicht eingehen kann, haben auch diese Aktionen Werner Schreibs eine eigene Tradition im kunsthistorischen Kontext. 1956 bereits packten Werner Schreib und Gustl Stark für den Film "Zeichen an der Autobahn" ihre Kunstwerke kurzerhand auf einem Parkplatz aus und arrangierten sie zu einer kurzweiligen Freilichtausstellung. Kann man im Falle dieser spontanen Freilichtausstellung streiten, das von Werner Schreib Ende der 50er Jahre veranstaltete Hugo-Ball-Gedächtnis-Picknick im Taunus, das durch ein Foto belegt ist, ist zweifellos ein frühes Happening zu einer Zeit, in der die gleichnamige Bewegung in den USA noch gar nicht geboren war. Kunstgeschichtlich wäre dieses Hugo-Ball-Gedächtnis-Picknick einer Tradition zuzuordnen, die sich von vergleichbaren dadaistischen und surrealistischen Aktionen herschreibt. Einer Tradition, auf die Werner Schreib mit Namensnennung Hugo Balls, später Kurt Schwitters' ausdrücklich verweist.

Wenn Werner Schreib Mitte der 60er Jahre dazu übergeht, seine Ausstellungen in Aktionen umzuwandeln, ja zunehmend anstelle von Ausstellungen in Mannheim, Büdingen, London, Wolfsburg, Hannover, Kassel und anderen Orts Aktionen zu starten, versucht er also nicht an einer inzwischen aktuellen Happening-Bewegung zu partizipieren, sondern er zieht lediglich Konsequenzen aus etwas, das er für sich selbst längst vorbereitet hatte. Der General mit den Signalgranaten steht Pate, wenn Werner Schreib dabei zunehmend den Feuerteufel spielt, verbal und faktisch ein ästhetisches Feuerwerk zündet, auf der 4. documenta in Kassel gar ein eigenes Bild in die Luft sprengt. Daß solche Aktionen auch politischen Hintersinn haben konnten, belegt das Fumagieren eines Ludwig-Erhardt-Plakats 1966 auf dem Londoner Destruction-in-Art-Symposion, nachdem der Politiker kurz zuvor die Künstler als Pinscher abqualifiziert hatte.

"destruction et transformation poetique" lautet ein Stempeltext, den Werner Schreib in jener Zeit häufig verwandte. Er scheint in der Tat der geeigneteste Nenner, auf den sich seine ästhetischen Spiele mit durchaus tieferer Bedeutung bringen lassen. "destruction et transformation / poetique" hatte Werner Schreib 1966 auch ein Statement überschrieben, das dazu aufforderte, "die Destruktionen im bildnerischen Medium [...] nicht isoliert zu betrachten, sondern im Kontext zu anderen bildnerischen Prinzipien. Sie vermögen letzten Endes die Antithese von Destruktion und Creation aufzuheben. Die Essenz [...] müßte daher lauten: destruction et transformation poetique - wobei ich Poetik im Sinne der brillanten Definiton von Lautreamont verstehe." Gemeint war jenes in der Übersetzung durch Max Ernst zumeist verkürzt zitierte Diktum von der "Schönheit" als "zufälliger Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf dem Operationstisch".

"Ich lebe bewußt, wie ich lebe. Das Ziel ist ernst, der Weg humorvoll. Oder sarkastisch. Oder Spiel. So ist das ganze Leben aller Menschen, wenn sie ohne äußeren Zwang leben. Wir spielen, bis uns der Tod abholt." Das schrieb Kurt Schwitters in einem seiner letzten Briefe, kurz vor seinem Tode, aus England. Als dieser und andere Briefe Kurt Schwitters 1974 in Deutschland endlich erschienen, konnte Werner Schreib sie nicht mehr lesen. Er war am 20. September 1969 bei einem sinnlosen Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Wie lebendig Werner Schreib in seinem Werk geblieben ist, belegt für den bildnerischen Teil die heutige Retrospektive.

[Kunstverein Ludwigsburg, 1.3.1987; Kulturamt der Stadt Hilden, 5.6.1987; Neue Residenz, Kunstverein Bamberg, 11.7.1987]