Reinhard Döhl | Der Stuttgartprospekt
Der Stuttgartprospekt. Stichworte

- Günter Eich: Zuversicht.

- Der Buchhändler als Leser.

- Was der Stuttgartprospekt ist und was er nicht ist.

- Von Göttingen mit einer längeren Prosa verabschiedet.

[eines abends eine stadt letzten endes]

- Plan einer Stuttgarter Trilogie (in Erinnerung an Raabe, bei dem ich mich im Pechlin, in Fabian und Sebastian und aaO stadtkundig gemacht, von dem ich mich aber nicht hatte warnen lassen.)

größerer auszug
bücherkiste mit bloch
nimm freundlich den fremdling

Diese Trilogie sollte schrittweise von Göttingen über die Dörfer nach Stuttgart führen. Aber es kam anders.

- Erst 1982 erschienen als erstes die botnanger sudelhefte, 1985 zus. mit Wolfgang Ehehalt die Ansichtssachen und Klerri-juhs aus der kleinen Stuttgarter Versschule; der Band undart existiert zwar als Film, ist aber bis heute ungedruckt. Er ist - ein objet trouvé - der älteste Teil der geplanten Trilogie, der den Gedanken überhaupt angeregt hat.

- Neben Überlegungen und Ansätzen zur Trilogie kam es zunehmend auch zu einer bildkünstlerischen Auseinandersetzung mit Stuttgart, in der Ausstellung beginnend mit den letters to stay, die ich schrieb, als mir klar wurde, daß ich wohl in Stuttgart bleiben würde/müsse:

Noch sagt man sei nicht aller Tage Abend
sagt man aber was schwätzt man nicht alles
hier wenn der Tag lang ist

- Ein Stück Auseinandersetzung und verarbeitete Autobiographie ist auch die Hörspielrealisition von so etwas wie eine geschichte von etwas (WDR/DW 1970), wobei Teile einer Wettbewerbsprosa (Ein Tag in der Stadt) aufgenommen worden. Das folgende Tonzitat aus dem Anfang sagt durchaus etwas über meine damalige Befindlichkeit und ist im Dialog weitgehend authentisch, d.h. nach dem Besuch einer Stehbierkneipe aus der Erinnerung aufgeschrieben worden.

- Wie immer spare ich die 70er Jahre aus.

- Ende der 70er Jahre begann ich mit der Collagenfolge Stuttgarterleben. Zum Titel vgl. die frühere Stadtillustrierte, aber auch den Slogan der Touristenwerbung: Stuttgart erleben.

- Wie ich Stuttgart erlebte, zeigen aber auch zahlreiche Post&Ansichtskarten, die ich verarbeitete, auf denen ich verarbeitete und mit Hilfe derer ich verarbeitete.

- Es folgten die Kunst&Kompostkarten, die ich mit meinem Freund Wolfgang Ehehalt wechselte, der auch zum Mitarbeiter der Ansichtskarten und Klerri-juhs wurde, nachdem ich sie ursprünglich alleine machen wollte.

- Zur Ausstellung will ich jetzt aber nichts weiter sagen. Ich lese mich vielmehr,  wir sind ja in einer Buchhandlung, durch die Stuttgart betreffenden Texte. Raabe, sagte ich schon, hätte mich warnen können. Aber der Umzug war zunächst hoffnungsvoll.

[sudelhefte, S. 20/21, mit Kommentar]

- Immer mehr empfand ich die Kollegen aus der Literatur- und Kulturgeschichte als Leidensgenossen:

Friedrich Hölderlin
mußte Susettes wegen fliehn
jahrlang ins Ungewisse dann nahm
Autenrieth sich des Restes an

- Will sagen: Geringachtung der Künstler zu Lebzeiten, kulturelles Kurzzeitgedächtnis auf der einen Seite, aber im Nachhinein (Nachhi-nein) das Hochstilisieren zum Beispiel zu einem Schwäbischen Parnaß (Bernhard Zellers Schwäbischer Parnaß, Christoph Jamme/Otto Pöggelers O Fürstin der Heimath! Glükliches Stutgard oder die Klett-Cotta-Erinnerungs-Plaketten an Häusern, die längst Neubauten gewichen sind, wurden mir immer anstößiger). So sind denn auch die Klerri-juhs aus der kleinen Stuttgarter Versschule durchaus ein Oppositionsunternehmen, die etwas andere Stuttgarter Literaturgeschichte, die denn auch im Gegensatz zum wohlwollend rezensierten Schwäbischen Parnaß von der Presse nicht wahrgenommen wurde.

- Nach Erscheinen der sudelhefte und Ansichtskarten, dem geplanten Herausgabe des undart in den 80er Jahren trieb die Stuttgarter Trilogie zur Quintologie aus, denn zu den botnanger sudelheften gesellten sich die botnanger annagramme" mit 2 En), die sogesehen natürlich auch ein Appendix des Buch[es] Es Anna sind, und zu den "Ansichtssachen", die Idee der "letters to stay" aufgreifend, die Weckherlin-Briefe, die gelegentlich sogar veröffentlicht wurden.

- Ein Teile des Annagramme ist im Keller in Kästen aufgebahrt. Sie geben dem, der sie lesen will, Auskünfte über einen fiktiven Botnanger Alltag, aber auch darüber, was sich in dem wöchentlich zwangszugestellten Botnanger Anzeiger sprachlich so alles verborgen hält:

benzingaragentore
ein erztorenabgang
zinnobergärten ag
ein zorn gegen abart.

- Es kann aber in Botnang auch neufränkisch zugehen:

i born ganz teenager.

- Gelegentlich wird's sogar weltläufig:

birne ragt gen ozean
ein neger bog tarzan
reagan zornig beten.

- Natürlich haben die botnanger annagramme auch mit Es Anna zu tun:

anna zeigt gern robe
anna beizt orge gern
eber geigt anna zorn.

- Etwas anders als Botnang dimensioniert ist der Kessel, in den man kommt, wenn man den Botnanger Sattel überschreitet bzw. demnächst unterfahren wird. Ihn zu fluten war eine Lieblingsidee von Helmut Heißenbüttel und mir. Als Beispiele meiner 'Kesselprosa' mögen die Ansichtssachen 11 und 12 stehen.

- Und, damit die Sache endlich zum Ende kommt, noch etwas aus der Korrespondenz mit Weckherlin in London.

Weckherlinbriefe.

- Für mich ist der Stuttgartprospekt mit den Weckherlinbriefen abgeschlossen. Julius wird die Bücher, der er gehortet hat, wenn auch kein Botnangführer darunter ist, vielleicht verkaufen. Die Exponate (einschließlich der Arbeiten, die wir aus Raumgründen hier nicht zeigen können) werden nach Ende der Ausstellung weggepackt und nicht mehr zugänglich sein. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

[Buch Julius 1.8.92]