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Er lebt in der Riesenstadt
Tokyo und arbeitet doch an der Vervollkommnung einer altjapanischen Tradition:
Kei Suzuki, Meister und Lehrer der "Sho"-Kunst. "Sho" hat auf den ersten
Blick mit Kalligraphie und auf den zweiten mit der abstrakten Malerei der
fünfziger Jahre zu tun, zumindest aber winkt scheinbar die "Ecriture
automatique" der Surrealisten aus den kunstgeschichtlichen Schubladen.
Doch leider: mit all dem hat Sho gar nichts zu tun.
Es geht vielmegr, die der
Meister Ijima Tsutomu sagte, um die "unendlich vielen Möglichkeiten,
die eigene Freiheit zu behaupten und dem Zeichen die Gestalt zu
geben, wie sie dem eigenen absoluten Leben entspricht". Das vielgebrauchte
und oft mißbrauchte Wort "Selbsterfahrung" kommt zu seinem Recht,
wenn Kei Suzuki betont, daß die entstandene Form des jeweiligen Wortes
ihm Rückschlüsse auf den Zustand der Seele ermögliche. Meister
Motita Shiryu sagt hierzu: "Jedesmal, wenn ich mit meiner Arbeit nicht
zufrieden bin, prüfe ich meinen inneren Zustand, ehe ich die unbefriedigenden
Formen und Linien entdecke. In der Tat, die meisten Fehler an meinem Werk
haben ihre Ursache weit eher im inneren Seelenzustand als in der technischen
Unzulänglichkeit. Auf diese Weise versuche ich durch Sho-Schreiben
mein Ich zu finden."
Reinhard Döhl, in Stuttgart
weniger als Künstler und Ausstellungsmacher denn als Literaturwissenschaftler
bekannt, bringt die Selbstbefragung auf die Formel: "Wenn im Blatt was
nicht stimmt, stimmt mit mir was nicht." Döhl, nach mehreren Japan-Reisen
selbst der Faszination "Sho" erlegen, holte Suzuki nach Stuttgart - in
der Galerie Folkmar von Kolczynski (Schloßstraße 85) demonstrierte
der Sho-Meister seine Arbeitsweise.
Suzuki betastet das Papier
- gemalt bzw. "geschrieben" wird nur auf der glatten Seite -, legt das
dünne Blatt auf eine Unterlage und beginnt, Tinte ("Boku") zu "reiben".
Döhl: "Die Tusche besteht aus einem länglichen harten Block,
der zum Beispiel aus Kiefernholzruß und Leim unter Zugabe von Duftstoffen
gepreßt wird." Suzuki vergewissert sich daraufhin der Zeichens "Hogetsu"
- "im Mondschein gehen" - taucht den gewählten Pinsel in die Tusche
und setzt an: in weniger als einer Minute ist alles vorbei - fast alles.
Denn das Wichtigste, der Stempel als Zeichen des Künstlers wie als
formaler Spannungspunkt, fehlt noch. Aus Speckstein sind die Stempel der
Sho-Meister geschnitten, und stets werden sie in Rot getaucht.
Rot (Stempel), Schwarz (Tusche)
und Weiß (Papier) reichen den Sho-Künstlern als Farben, kommt
es ihnen doch auf den sichtbaren Ausdruck ihres inneren Zustands an. "Sansei"
- "immer wieder nachdenken über sich selbst" - heißt denn auch
eines der zentralen Blätter in der noch bis zum 28. April zu sehenden
Ausstellung.
"Die Blätter sind Spiegel
meiner Seele, und das können Sie nur erfassen, wenn Sie ein Wort mehrere
Male geschrieben sehen", begründet Suzuki die Schau. Tatsächlich
unterstreichen gerade die feinen Unterschiede zwischen denselben "Wörtern"
den Reiz der Sho-Kunst.
Als "Lebenspuren" bezeichnet
Reinhard Döhl das "Schreiben" von "Sankai ("Das Herz frei") oder "Kikoku"
("Sogar der Dämon weint"). Die Meister beschreiben das Lernen von
Sho "als lebenslangen Prozeß". Demnach hat Reinhard Döhl noch
eine Menge vor sich: Auch er zeigt "Sho-Arbeiten - rot und an der richtigen
Stelle gestempelt.
Die Sho-Malerei ist mehr
eine Kunst des Denkens denn des Berechnens. Die Tuschezeichen auf den zart
strukturierten
Maulbeerblattbögen
sind lediglich das Endprodukt tiefer gedanklicher Konzentration und Meditation.
Der große japanische
Zen-Meister Suzuki, als
Zen-Künstler immer auch Philosoph und Verfasser verrätselter
Aphorismen, verweist auf die fast
zweckgebundene Mittlerfunktion
japanischer Tuschemalerei mit den Worten: "Die Kunst ist vollkommen erst,
wo sie aufhört, Kunst
zu sein, das heißt,
wenn sie die Vollkommenheit des Kunstlosen erreicht".
Reinhard Döhl, Literaturprofessor
an der Stuttgarter Uni, früheres Mitglied der Konkreten~Poesie-Schule
um Max Bense und
Verfasser von Hörspialen
und Schriftbildern, hat sich in der Galerie von Kolczynski (Schloßstraße
85) nicht nur mit der japanischen
Denk-Kunst kunstvoll auseinandergesetzt,
sondern auch dem Vergleich mit dem Tokioter Sho-Meister Kei Suzuki, ein
Nachfahre
des großen Zen-Priesters,
bis zum 28. April ausgesetzt Seit 1962 beschäftigt Döhl sich
mit der abstrakten Schriftkunst, die das
Niemandsland zwischen Schrift
und Bild, zwischen kalligraphischem Symbol und eigenständiger Form
markiert; doch sie zu
begreifen ist, wie Suzuki
sagt, "ein lebenslanger Prozeß".
Im Vergleich zu den mit "immer
wieder Nachdenken über sich selbst" oder "das Herz frei" intitulierten
Tuschebildern Suzukis fällt es
schwer zu erkennen, ob die
Schriftrollen ähnlichen Längsformate Döhls lediglich die
"Schreibspuren" eines "Anfängers" oder die
"Lebensspuren" eines "Meisters
wie Suzuki" - so differenziert er selbst - darstellen. Die graphische Schönheit
der kraftvoll bis leicht
wirbelnden Tuschebahnen
besticht zwar, Sinn und Inhalt, an denen sich auch formale Qualitäten
ablesen ließen, bleiben dem
westlichen Betrachter jedoch
gänzlich verschlossen.
[...] In der Trinkhalle sind gleich mehrere Ausstellungen zu sehen. So zeigte und erklärte Dr. Kuolt Originalfotos von Baelz, die dieser mit einer "Reisekamera"aufgenommen hatte, wobei die vor rund 100 Jahren belichteten 1000 Glasplatten vor nicht allzuz langer Zeit erst wieder aufgefunden wurden und Bilde aus dem Alltagsleben Japans sowie anthropologische Studien zeigen. "Sho" nennt sich die japanische Kalligraphie, wobei dies [sic] allerdings im Gegensatz zur euopäischen Bedeutung dieses Wortes keineswegs um "Schönschreiben" handelt, sondern um den richtigen Ausdruck eines Zeichen im Zusammenhang mit dem Begriff, der dargestellt wird. Es ist gleichermaßen Schriftzeichen als auch abstrakte Kunst. Drei Künstler stellen in der Trinkhalle aus: Kei Suzuki (geb. 1950), Hiroo Kamimura (Jahrgang 1930) und der 1934 geborene Reinhard Döhl, der Künstler und Literaturwissenschaftler ist, seit 1962 Kontakt zur japanischen Kultur hat und 1996 Gastprofessor in Osaka war. Döhl und Suzuki haben unter anderem ein Werk gestaltet mit dem Titel "Bei Mondschein im Schwarzwald spazierengehen". Suzuki selbst meint zu Sho: "Wichtig ist vor allem eins, man schreibt nicht mit dem Kopf.Man muß den Kopf leeren und das Herz voll machen. Dann erst kann man schreiben."
Eine ungewöhnliche Vernissage hat jetzt die Buchhandlung Julius geboten. Zu sehen war ein Künstler bei der Verfertigung von Kunst, ein Sho-Meister. Sho-Künstler arbeiten mit Pinsel und Tusche auf Papier. Bei Julius wurde der Boden mit Zeitungspapier ausgelegt, darauf gebettet ein weißes Blatt, beschwert mit Steinen.
Dann konzentrierte sich Kei Suzuki aus Tokio auf seinen Schöpfungsakt. Das Thema: "Black Forest". Mit einem seiner neun Pinsel strich er, noch ohne Tusche, über das Papier, nahm dann Tusche auf und setzte zwei höchst spannungsvolle Linien auf das Blatt. Stark abstrahierten Bäumen ähnelt die eine der Formen, die andere, für "Black" stehend, ist ein aussdrucksstarkes Kreisgebilde. Siebenunddreißig Sekunden währte das spannende Kunstereignis, dem noch zwei weitere Malakte folgten, von denen einer gerade zehn Sekunden dauerte.
Dazu seufzte der Künstler vernehmlich. Denn wichtig ist bei der Sho-Kunst, zunächst "den Kopf leer und das Herz voll zu machen". Beim Führen des Pinsels komme es dann auf das "innere Lebensgefühl" an, erläuterte Reinhard Döhl, der Stuttgarter Literaturwissenschaftler, Autor und Künstler. Döhl ist ein Sho-Schüler des knapp fünfzigjährigen Kei Suzuki und hat sich schon mit Suzuki in dessen Tokioter Wohnung (mit Blick auf den Fudschijama) in der Sho-Kunst geübt.
Eine sehr kraftvolle und dynamische Ausstrahlung haben die Blätter Suzukis, die jetzt in der Buchhandlung Julius zu sehen sind. Es dominiert ein tiefschwarzer oder blaugrauer Pinselstrich, der bisweilen zart ausfranst. Wie Kalligrafie wirken manche der Arbeiten Suzukis. Doch mit "Schönschrift" hätten diese Arbeiten, so erklärte Döhl, nichts zu tun, auch nicht mit abstrakter gestischer Malerei. Entscheidend sei die "Linie in Bewegung". Dennoch basiert die Sho-Kunst auf Schriften, von denen der Künstler eine Vielzahl zur Auswahl hat. Wesentlich ist die künstlerische Freiheit. Sho-Arbeiten bedeuten auch eine Befreiung von den japanischen Schreibnormen.
Eine gewaltige, achtzehnteilige Arbeit ist bei Buch Julius zu sehen. Suzuki hat mit ihr ein Gedicht aus dem neunten Jahrhundert verbildlicht. Faszinierend ist dieser Blick in eine sehr fremde künstlerische Welt, die übrigens in Japan sehr populär ist, allemal.
Die Ausstellung der Arbeiten Kei Suzukis ist bis 31. Dezember bei Buch Julius zu sehen.