"Verheißung" haben Ursula und Dietmar Thiele-Zoll einige Arbeiten der letzten Zeit getitelt und diese Unterschrift zugleich in Anführungszeichen gesetzt. Anführungszeichen markieren Zitate, aber auch den unüblichen Gebrauch von Wörtern. Daß beides hier zutrifft, ist den so bezeichneten Bildern leicht abzusehen, die sowohl in ihrer schwarzen Raumtiefe, zu der das Blau aufreißt, wie in den neuerlichen Gelbtönen, den bizarr geordneten von unten nach oben in den Bildraum ragenden und/oder von oben nach unten scheinbar fallenden Blockgruppen eher Bedrohtsein, Gefährdung assoziieren als ein Versprechen künftiger Vorteile seitens Gottes, Christi oder der Kirche. Auf die Gefahr der Ungenauigkeit hin, die jede Verkürzung einschließt, ließe sich das Anliegen Thiele-Zolls von hier aus verstehen als ein immer neu ansetzender Versuch, sehbar zu machen, daß die Verheißungsparolen jedweder Couleur leere Versprechungen sind. Nicht von ungefähr spielt auf allen Bildern das auf ungrundierter Leinwand aufgetragene und daher in sie tief eindringende Schwarz (= Abwesenheit aller Farben) eine so dominante Rolle. Dennoch wären die Bilder Thiele-Zolls mißverstanden, würde man sie als Schwarzmalerei interpretieren. Vielmehr zeigen sie - von den "Bildern der Hoffnung" über die den "Irrsinn dieser Welt", den "Grabgesang der Erde oder die Vernunft des Menschen" thematisierenden Arbeiten bis zu den augenblicklichen "Verheißungen" - immer wieder den Durchblick (z.B. zwischen eng gestellten Blöcken, durch Fenster), das Aufreißen z.B. der schwarzen Flächen. Was in diesen Durchblicken, hinter diesem Aufreißen sichtbar werden kann, ist zwar nicht der sprichwörtliche Silberstreif am Horizont, wohl aber sind es lichte Farben, abgetöntes Weiß oder Blau. Bei der prinzipiellen Abstraktheit der Bilder kann das Blau dabei ebenso den Himmel, das Lebendige assoziieren wie das Schwarz einen Weltraum, in dem al1es Leben unmöglich ist. Umgekehrt signalisiert ein hinter dem aufgerissenen Schwarz aufscheinendes Blau durchaus Hoffnung. Nicht viel anders sind die nach unten weisender Blöcke eher ein destruktives, die nach oben geordneten eher ein konstruktives Bildmoment. Daß diese Blöcke auch als abstraktes Zeichen für Architektur, Bewohnbarkeit der Erde und im Einzelfall zugleich für die Deckplatte einer steinernen Gruft stehen können, sei kommentarlos angemerkt. Thiele-Zoll sind also keine Schwarzseher, aber ebenfalls keine blinden Verfechter eines Prinzips Hoffnung. Ihre Bilder legen über die Komposition hinaus den Betrachter interpretatorisch nicht fest, was sich auch an den häufigeren Variationen einzelner Bildlösungen zeigen ließe, die sich wie Positiv zu Negativ und umgekehrt verhalten. Notabene bilden die Arbeiten Thiele-Zolls natürlich keine wahnsinnig gewordene, aus den Fugen gegangene Welt ab, sondern stellen ihr das Muster einer möglichen, ästhetisch ambivalenten Welt entgegen.
[1985]