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Reinhard Döhl | From New York, Yellow Cabs to Canarian Islands

Was Ambrose Gwinett Bierce, der 1842 in einem Holzhaus in Ohio geborene Farmerssohn und später bissige Journalist, - was Ambrose Gwinnet Bierce von Skulpturen gehalten hat, weiß ich nicht, wohl aber, wie er über Bilder dachte. Definiert er Bild doch in seinem berühmt-berüchtigten The Devil's Dictionary, dem Wörterbuch des Teufels, als zweidimensionale Wiedergabe von etwas, das schon in drei Dimensionen langweilig ist.

Damit bin ich zugleich bei der heutigen Ausstellung, die Zwei- und Dreidimensionales, Bilder und Figuren von Daniel Wagenblast versammelt und From New York, Yellow Cabs to Canarian Islands überschrieben ist. In der Biographie Daniel Wagenblasts verläuft die Reihenfolge umgekehrt. Denn er plante seine Entdeckung Amerikas auf den Canarischen Inseln ungefähr dort, wo Columbus vor seiner folgenreichen Überfahrt Wasser faßte und eine ganze Insel abholzte, um sich seetüchtig zu machen.

Wie des weiland Columbus Schifferei ausgegangen ist, wissen wir. Die Geschichtsbücher sind voll davon und über den angerichteten Schaden wird immer noch diskutiert. Die Folgen der Wagenblastschen Reise über den Teich lassen sich jetzt in zwei Stockwerken der VHS besichtigen. Und wenigstens in einem Punkt unterscheiden sich seine Mitbringsel von denen des Columbus, sie richten keinen Schaden an oder schädigen allenfalls diejenigen, die seine Bilder kaufen.

Überschreibt man die heutige Ausstellung entsprechend der Reiseroute, müßte ihr Titel also From the Canarian Islands to New York, Yellow Cabs lauten, und brächte - so gelesen - mit der Endbetonung der Yellow Cabs den allen Bildern und Figuren dieser Ausstellung gemeinsamen Nenner - das Auto - ins Spiel. Und das in mehrfacher Hinsicht.

Zunächst einmal ließe sich bei den Exponaten trennen zwischen Blick aus dem Auto und Blick auf das Auto, zwischen Bildern also, die die Perspektive des Vorüberfahrens suggerieren und Bildern, die den Blick auf vorüberfahrende, sich nähernde oder sich entfernende Autos richten.

Zur ersten Gruppe zählen alle Bilder der Gran-Canaria-Serie, zur zweiten die New Yorker Bilder. Wobei bezeichnend ist, das in beiden Fällen der Mensch auffallend ausgespart bleibt.

Der kommt dagegen nachdrücklich in den grobschlächtigen, z.T.unter Zuhilfenahme der Kettensäge entstandenen Holzskulpturen zu seinem Recht, mit dem Auto unter dem Arm, das Auto stemmend, als Bezwinger der Empire State Building, ein Auto als Trophäe auf dem Knie. Aber auch - wenn auch nicht in dieser Ausstellung - vom Auto erdrückt (Taxifahrer 3) in einer Skulptur, die mit einem der New Yorker Bilder, der Kreuzung von 1994 korrespondiert. Wer Daniel Wagenblast kennt, weiß von seiner Vorliebe für gestreifte T-Shirts, wird hier also das Quasi-Selbstbildnis erkennen. Und damit auf einen Aspekt aufmerksam, von dem noch zu reden sein wird. Taxifahrer hat Daniel Wagenblast diese Skulpturen getitelt und damit dem Aus-dem-Auto und Auf-das-Auto als Drittes ein Mit-dem-Auto zugeordnet.

Beginnt man den Rundgang durch die heutige Ausstellung mit der Gran-Canaria-Serie, also dem Blick aus dem Auto, enttäuschen die Bilder zunächst die Erwartung. Nicht eine Landschaft und ihre Reize werden beschworen wie in den Lanzarote-Texten Christoph Lippelts, den Lanzarote-Bildern Ulrich Zehs. Es ist eine durch die Geschwindigkeit des Autos determinierte, schlierige und verwischte Landschaft ohne eigenen Charakter, bestimmt durch Verkehrszeichen, -ampeln und große Reklametafeln. Der Malborough-Mann dominiert sie und wertet sie gleichzeitig ab zur Kulisse.

Daß es Daniel Wagenblast nicht um Landschaftsmalerei geht, deutet sich bereits technisch an in seinen Versuchen, vom Pinselduktus wegzukommen durch ein Naß-in-Naß-Arbeiten, das Zerstören des Farbauftrags unter Zuhilfenahme von Schellack etc. Aber auch darin, daß er sich den Malborough-Mann als Gummistempel geschnitten und in die Bilder eingestempelt hat, stehend, aber auch liegend, einfach oder mehrfach. Besonders auffällig in diesem Zusammenhang ist eine Landschaft, vor deren trister Kulisse links ein Malborough-Mann, rechts so etwas wie ein brennender Berg, brennende Berge angedeutet sind, mit der Einstempelung DPNW links und LANZAROTE rechts. Was besagen will: auch ich, Daniel Paul Nikolaus Wagenblast, war auf Lanzarote, eine Einschrift, die das berühmte Et in Arcadia ego ebenso anspielt wie jene touristische Unsitte, sich überall durch Einschrift verewigen zu müssen.

Ich erpare mir eine weitergehende Interpretation - sie liegt auf der Hand - und weise stattdessen darauf hin, daß es sich auch hier um ein Quasi-Selbstbildnis handelt, bei dem der Maler diesmal in die Rolle einer populären Werbefigur schlüpft, eine Figur, die als Subtext bzw. - da es in diesem Fall ja um Malerei geht - als Subbild jene verlogene Erlebnislandschaft aus Männlichkeitswahn, Abenteuer und Einsamkeit aufscheinen läßt, die an Unwirklichkeit den Landschaften der Reiseprospekte in nichts nachsteht.

Ist das reale Auto, das dem Maler auf den Kanarischen Inseln den Blick auf eine von Verkehrszeichen, -ampeln und Werbetafeln verstellte Landschaft freigab, lediglich in wenigen Arbeiten zitiert, in der New-York-Serie rückt es in den Blickpunkt, einzeln und bedrohlich oder als Rudel im endlosen Strom des Verkehrs: Crossing, eine Arbeit, die es gleich zweimal, mit und ohne Stadtfolie gibt. Nicht eine Landschaft huscht mehr vor dem Fahrer-Betrachter vorüber, sondern die Autos schlieren vor dem Auge des Maler-Betrachters vorbei, besonders eindrucksvoll in Nacht/Fahrt, kommen bedrohlich und zähnebleckend auf ihn zu: Taxi mit Waschmaschine.

Taxi mit Waschmaschine ist aber noch unter einem zweiten Gesichtspunkt, dem Aspekt der Poportion interessant. Denn die Größenverhältnisse von Hochhaus, Waschmaschine und Taxi stimmen nicht mehr bzw. sind bis zur Gleichwertigkeit einander angenähert. Von hier zur gemalten Collage, der Kombination heterogener Elemente zur einer eigenen ästhetischen Wirklichkeit ist es nicht weit. Und so ist es für mich auch kein Wunder, wenn die letzten Arbeiten dieser Ausstellung sich der Sichtweise Robert Rauschenbergs nähern, gemalten Collagen, deren "Originalität durch Organisation und Gestaltung von Elementen aus vielfachen Perspektiven entsteht" (A. Jouffroy, 1962).

Ich möchte sogar so weit gehen und behaupten, daß, von hier aus gewertet, schon die Arbeiten der Gran Canaria-Serie auf diesem Weg waren. Denn die Dominanz der Verkehrszeichen, -ampeln, Reklametafeln vor der Landschaft, ihre Kombination erzeugt eine andere Realität als ein wie auch immer geartetes Landschaftsbild.

In den letzten Arbeiten dieser Ausstellung deutet sich aber noch ein weiterer Aspekt an. Ich denke dabei insbesondere an das relativ großformatige Bild, das nur noch im Ausschnitt ein schräg gestelltes Taxi zeigt und dennoch mehr über Taxi und Großstadtverkehr aussagt als jede realistisch gemalte Straßenszene. Fragment und Collage scheinen mir jedenfalls die Prinzipien, auf die Daniel Wagenblasts Malerei im Moment hinausläuft.

Nachzutragen ist noch eine Anmerkung zu den Skulpturen. Ich sagte bereits, daß das gestreifte T-Shirt einigen von ihnen den Charakter von Quasi-Selbstbildnissen verleiht. Und ich hatte dasselbe für den Malborough-Mann mit der Einschrift DPNW angenommen. Das ist nun nicht so zu verstehen, als versuche Daniel Wagenblast damit eine neue Art der Selbstdarstellung.Hier wären ihm der Taxifahrer, dem sich übrigens auch eine Taxifahrerin gesellt, und der Malborough-Mann zu unähnlich.

Die Erklärung liegt für mich im Atelier. Denn dort, und nicht vor einer Landschaft oder in New York sind diese Bilder entstanden. In diesem Atelier finden sich aber auch kleine Spielzeugautos, darunter die gelben Taxis, die den Autos der Bilder Modell gestanden haben. Daniel Wagenblasts 'Landschafts- und Stadtbilder' sind also schon von daher keine Abbildungen sondern Darstellungen einer subjektiven Sicht, die sich durch die Quasi-Selbstbildnisse gleichsam dokumentiert. Sie sind die Ergebnisse eines gleichwohl kritischen ästhetischen Spiels, eine ästhetischen Realität, in die sich der Maler mit hineinnimmt. Ich komme zu Schluß und damit zum Anfang meiner kleinen Einführung zurück. Auf die Frage, was denn eigentlich Malerei sei, hat Ambrose Gwinnet Bierce in The Devil's Dictionary unmißverständlich geantwortet: Malerei sei die Kunst, Flächen vor dem Wetter zu schützen und [sie] dem Kritiker preiszugeben.

Bierce fährt fort: Früher wurden Malerei und Plastik in einem Werk vereinigt: Im klassischen Altertum wurden die Statuen bemalt. Die einzige Verbindung zwischen beiden Künsten besteht heutzutage darin, daß der moderne Bildhauer seine Gönner anschmiert.

Ob dies auch für Daniel Wagenblasts zwei- und dreidimensionale Arbeiten gilt, möge der Betrachter mit den Bildern und Figuren Daniel Wagenblasts und mit sich selbst ausmachen.

[VHS Stuttgart, 27.10.1995]