reinhard döhl | gedichte | wandtexte
notizen an den nachsommerrand geschrieben

mirce

alle töne der
tonleitern schenke ich dir
minor und major
reichen die töne nicht aus
nimm die buchstaben hinzu

berge besteigen
mit dir die hohe tatra
zum beispiel warum
denn nicht hand in hand jetzt nach
den mühen der ebenen

cypriš zypresse
ein paar buchstaben bist du
im alphabet mir
entgegengekommen laß
dich bitte nicht aufhalten

du hast mich verhext
seit du mich das erste mal
ansahst erinnerst
du dich hab ich mich ins grün
deiner augen verloren

eins ums andere
fallen die blüten blätter
auf das briefpapier
sie betrachtend wie kann ich
dir schreiben was mich bewegt

früh morgens träume
ich manchmal von dir lästig
sind dann die vögel
den tag begrüßend den ich
fern von dir verbringen muß

gestern war morgen
war sonntag die gezeiten
wechseln mit dem mond
die sonnenuhren gehen
falsch du mußt sie vorstellen

handlinien kann
ich nicht lesen schon beim buch
stabieren der lach
fältchen um deine augen
versagen meine lippen

immer wenn der kuk
kuck ruft verstecke ich mich
und zähle eins und
eins zusammen wie leicht hat
man sich dabei verrechnet

jenseits von eden
werden auch äpfel gepflückt
einen schenke ich
dir den wurm mußt du in kauf
nehmen jenseits von eden

kalenderträume
hundsposttage wie nahe
liegen metzgerbach
und cesky brod wie weit sind
sie von einander entfernt

listig falte ich
dir ein schiff aus papier und
mir eine schwalbe
abends lasse ich sie fliegen
und hoffe auf guten wind

manchmal wenn ich
alleine in einem raum bin
spüre ich ganz
überraschend deine nähe
fühle ich dich mir entgleiten

nepomuk etwas
muß ich falsch gemacht haben
grüß ihn im vorbei
gehen und flüstre heimlich
ihm unsre wünsche ins ohr

orion und die
plejaden nördlich von ihm
eine fehlt sie fiel
als sternschnuppe mir zu ich
lasse sie nicht aus der hand

panzer habe ich
gesehen am wenzelsplatz
und auf dem pflaster
des hradschin mit dir getanzt
jetzt müssen wir wort halten

quendel solltest du
in deine schuhe legen
wenn du zu mir kommst
für eine johannisnacht
ein kränzchen quendel im haar

reste von gestern
ein brief für dich den ich nicht
abschickte und ein
gedicht für dich das mißlang
morgen rufe ich dich an

siebensachen wie
regenbögen die wochen
tage den sieben
schläfer das siebengestirn
drei wünsche hast du noch frei

treibsand hier endet
die fährte die antworten
und der indikativ
liegen hinter uns nur der
konjunktiv gilt noch frag mich

unsere tage
sind gezählt und die nächte
kürzer geworden
tausendundeine nacht zähl
es nach tausendundein tag

vergißmeinnicht und
immortellen sag warum
hätte ich sie dir
schenken sollen blühten sie
nicht immer schon nur für dich

wenn du über den
schatten gesprungen bist und
ich über meinen
haben wir fast das ende
des regenbogens erreicht

xenien sind es
nicht und auch keine tankas
kleine notizen
nur sind es geschrieben für
dich an den nachsommerrand

yeti möchte ich
sein ein flüchtiger schatten
an der schneegrenze
wenn die sonne aufrötet
abends hole ich dich ein

zwischenräume wie
haut und geruch die räume
zwischen rechtschreibung
zeichensetzung satzbau sprach
los im haus unserer sprache

[1994]


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