reinhard döhl | gedichte | wandtexte
dies eine blatt noch und ein hauch weiß in der luft

w@ndtext fürs rickele

für diesen augen
blick im mondlicht von wolken
befreit werfen die
roten blätter des ahorns
schwarz ihren schatten mir zu

dies eine blatt noch
vergeblich mischt dagegen
seine farben der
tag aus dies eine blatt noch
und ein hauch weiß in der luft

in der frühe durch
raschelndes laub unterwegs
verfolgt vom geschrei
der häher und eingeholt
von den eigenen schritten

die späte malve
die büsche ringsum haben
längst aufgegeben
noch hält sie den frierenden
blicken der passanten stand

nature morte
als ich die schwarzen bilder
beiseite stellte
fiel ein schmetterlingsflügel
zu boden einfach nur so

der mond hat seinen
hof gekehrt hastig eilen
aufgewirbelte
flocken den zugvögeln nach
die richtung könnte stimmen

senkrecht den pinsel
haltend eingetaucht in die
leere des papiers
tuschspuren eines sonnen
untergangs im november

ich habe wörter
geschrieben die nicht zählen
und bilder aber
wer liest sie wer hört wenn wind
sie verweht meine stimme

werkstatt gespräche
bilder bilder von bildern
die wirklichkeit hinkt
hinterher mit der wahrheit
als wahrscheinlichkeitsrechnung

zwischen christstollen
und frauenkirche auf der
brühlschen terrasse
sechsunddreißig soll ich hier
schon einmal gewesen sein

ein regenbogen
im aufreißenden nebel
genau nach fahrplan
fräsen sich und kreischend die
räder der stadtbahn hindurch

vergessen können
möchte ich meine träume
die hoffnung habe
ich schon begraben nur die
abfahrtszeiten zählen noch

es wird zeit über
zusetzen die winde sind
günstig und kalt schmeckt
die scheidemünze auf der
zunge bald legen wir ab

immer wenn ich von
meiner arbeit auf und aus
dem fenster sehe
fällt schnee wie weißer schatten
über die seiten des buchs

schnee oder regen
noch will der wetterbericht
sich nicht festlegen
zwischen sonne im herzen
und schatten auf der lunge

tauwetter die sprich
wörtlichen spatzen pfeifen
es von den dächern
und die regenrinne weiß
ein lied davon zu singen

geh über wörter
wi iber a minenfeld
reiselektüre
ganz in gedanken auf dem
weiten weg nach betlehem

weihnachten zum mit
spielen fröhliche kinder
augen schwimmen auf
der festsuppe opa holt
das hackbrett von der bühne

väter und kinder
wagen mit müttern und mütter
und eine skulptur
bilder einer ausstellung
bilder einer ausstellung

hinter dem haus der
garten hinter dem garten
der bach hinter dem
bach der wald und eine halbe
zitronenscheibe mond

der wetterbericht
hat recht behalten der schnee
von gestern heute
ein grauer spiegel betreten
auf eigene gefahr

der graue spiegel
hat risse bekommen das
alte jahr wirft kei
nen schatten mehr das neue
ist auch schon abgeschrieben

ich werde meine
sonnenuhr nach dem mond und
meine monduhr nach
der sonne stellen dann ist
wenigstens dieses geklärt

noch wollen sich die
knospen der hamamelis
nicht öffnen un
geduldig sehen seit tagen
wir nach der schneeball und ich

einem stern heißt es
seien sie gefolgt und daß
sie zu dritt waren
die spur ist verweht und nichts
sagend der fahle morgen

ich habe nichts mehr
zu verlieren noch bevor
die asche kalt wird
sind die rauchzeichen gelöscht
im talschluß steigt nebel auf

[1995/1996]


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