Man könnte verallgemeinern, daß die sogenannte Kunstrevolution um die Jahrhundertwende das Terrain abgesteckt hat, innerhalb dessen seither das geschieht, was W. H. Auden einmal "colonization" nannte.
Und man könnte im Sinne einer Schwitterschen Formulierung einschränken, daß es nicht Aufgabe des modernen Künstlers sei, die Errungenschaften der sogenannten Kunstrevolution nun blindlings zu imitieren, was gleichsam durch das Abziehen einer Masche notwendig in die Situation des Epigonentums führe, - daß die Rolle des modernen Künstlers vielmehr in der Konsequenz zu sehen sei, mit der er sein Programm gestalte und durchführe.
Ein Aspekt, der sich für die Künste seit der sogenannten Kunstrevolution ergeben hat, ist, wie Helmut Heißenbüttel zum ersten Mal deutlich herausgestellt hat, daß ihre Entwicklung schubweise Bereichen zudränge, in denen jede Kunstart an die Grenze zur anderen gerät, so sehr, daß gelegentlich ein Bild von einem visuellen Text, ein akustischer Text von einem Werk der Musik, eine Partitur von einer Grafik kaum mehr unterschieden werden können.
Eine Folge dieser Tendenz zu Mischformen zeichnet sich heute in einer Vielzahl von Arbeiten ab, die man unter dem Thema "Schrift und Bild" rubrizieren kann.
Innerhalb der genannten Zusammenhänge verstehe ich auch die in den letzten Jahren entstandenen, jetzt in der Galerie Nohl in Siegen gezeigten Arbeiten Klaus Warmuths.
Was sie dabei gegenüber vielen anderen heute begegnenden "Schrift-Bildern" positiv abhebt, ist, daß sie einerseits keine gemalte Literatur sind, daß Klaus Warmuth andererseits auch nicht - wie zahlreiche andere z.T. sogar renomiertere Künstler - weil es gerade en vogue ist, sozusagen mitmischt, im Sog einer plötzlich aktuellen Tendenz mitschwimmt, bereit, seine Entscheidung sofort zu Gunsten einer nächsten oder übernächsten aktuellen Tendenz wieder aufzugeben.
Im Gegenteil m"chte ich festhalten, daß Klaus Warmuth, von Haus aus vorzüglicher (Druck)Techniker mit augenscheinlich typografischen Ambitionen, das "Schrift-Bild" als ein ihm gemäßes Thema und Programm gewählt hat.
Auch deshalb haben seine in der Galerie Nohl jetzt in einer Auswahl gezeigten Arbeiten nicht jenen peinlichen Beigeschmack des aktuell Zufälligen, des zufällig Aktuellen; erscheinen sie vielmehr im Zusammenhang der Ausstellung gleichsam als singuläre ästhetische Stationen einer künstlerischen Entwicklung, als methodische Konsequenzen eines einmal angeschlagenen Themas und bewußt durchgehaltenen Programms.
(Die "Geteilten Scheiben" von 1966 und die "Dynamogenischen Monogramme" von 1961 etwa zeigen beispielhaft dieses schrittweise Vorgehen Klaus Warmuths, die bewußte Auseinandersetzung mit den materialen Möglichkeiten und die Konsequenz der Durchführung.)
Es ist von den Kritikern und Verächtern der zeitgenössischen Kunst immer wieder vorgebracht worden, die Malerei habe seit dem Kubismus den Bildinhalt verloren, die gegenwärtige bildende Kunst sei in ihren konsequentesten Ergebnissen nicht nur gegenstandslos, sie sei in einem grundsätzlichen Sinne inhaltsleer geworden.
Eine solche Argumentation übersieht, daß die Deformation, ja selbst die Ausklammerung des Gegenstandes ex negativo Bild-Inhalt sein können.
Die Auseinandersetzung der sogenannten Kunstrevolution zielte überdies gleicherweise auf Bild-Inhalt und Malweise, und sie konnte - wollte sie aus der Auseinandersetzung heraus und in eine eigenständige Entwicklung hinein - nicht das eine ändern und das andere beibehalten.
Schrift als ein wesentlicher neuer Bild-Inhalt verlangte z.B. nach entsprechenden Techniken und hatte ja auch, historisch gesehen, die Techniken der Collage, der Decollage, eine Vielzahl von Setz- und Drucktechniken zur Folge. Auch dafür scheinen mir die ausgestellten Arbeiten Klaus Warmuths symptomatisch, indem sie eben jenen bedingenden Zusammenhang von Inhalt und Form, von Schrift und Drucktechnik deutlich machen, wobei Schrift erscheinen kann als ein die Fläche determinierender Buchstabe, als Buchstabenensemble, als Buchstabenstruktur, als Kombination vorgegebener gleichsam collagierter Texturen (etwa russischer Zeitungstexte), gelegentlich an der Grenze fiktiver Texte, die zwar entzifferbar aber nicht lesbar sind (etwa im Sinne eines visuellen Gedichts).
Und noch ein Drittes scheinen mir die Blätter Klaus Warmuths deutlich zu machen: das Alphabet, bis Ende des 19. Jahrhunderts (mit wenigen Ausnahmen) lediglich Mittel, Sprache sichtbar zu machen (und damit Inhalte zu transportieren), hat seither auch eine materiale, grafische Bedeutung (zurück)gewonnen, ist sich selbst gewissermaßen zum ästhetischen Mittel geworden.
Typographie ist heute nicht mehr nur raffinierte (und oft dem Inhalt inadäquate) Gestaltung von Sprache, sie kann auch - ihrer material-ästhetischen Möglichkeiten selbst bewußt geworden - artistisches Spiel mit der Letter sein.
Auch das zeigen meiner Meinung nach die Blätter Klaus Warmuths unter anderem dem Betrachter, wenn er neugierig und vorurteilsfrei genug ist zu sehen, was auf ihnen drauf, an ihrer Methode und damit an ihrem Hersteller dran ist.
[Galerie Ruth Nohl, Siegen, 7.4.1967]