Reinhard Döhl | Zu den Hörspielen Wolfgang Weyrauchs (1)

Zu den Hörspielen Wolfgang Weyrauchs | Anmerkungen | Materialien | Verzeichnis der Hörspiele Wolfgang Weyrauchs

Zu den Hörspielen Wolfgang Weyrauchs

"Friedemann und Liebelos, die beiden Hexeriche, treffen sich an einem Kreuzweg. Fast gehen sie aneinander vorbei, denn Friedemann hatte sich wie Liebelos, und Liebelos wie Friedemann angezogen. Als sie sich doch erkannt haben, bleiben sie stehen. Na, sagt der eine zum andern, und es ist gleich, wer es sagt. Na, antwortet der eine oder der andere. Wir beide zusammen, sagt einer, das ist alles. Also wollen wir uns über alles unterhalten, meint dieser, das heißt, über die Liebe. Und über ihr Gegenteil, meint jener. Ich habe eine Flöte bei mir, ruft Friedemann, und folglich mache ich's mit Gedichten. Ach, ruft Liebelos, ich habe nichts dergleichen, und so erzähle ich Geschichten, nein, warte, ich übertreffe dich, indem ich ein paar Verse aus meiner Hosentasche hole, die ich vor jeder Geschichte vom Blatt ablese, einverstanden? Von mir aus, antwortet Friedemann, tu, was du nicht lassen kannst. Da fangen sie an, die beiden Zwillingsbrüder." (2)

Mit dieser Einführung durch einen Sprecher beginnt Wolfgang Weyrauchs vorläufig letztes (3) Hörspiel "Sonnenblume, Fledermaus". Bereits sie verweist über ihre expositorische Funktion hinaus auf den Geschichten und Gedichte schreibenden Autor, erklärt zumindest "Sonnenblume, Fledermaus" als ein Mosaik aus beidem. Der Hinweis auf die Austauschbarkeit der Gesprächspartner (mit ihren sprechenden Namen!) deutet die Dialogarmut vieler Weyrauch-Hörspiele an, daß von Geschichten, nicht von einer Geschichte die Rede ist, ihre Handlungsarmut. Hört man "Sonnenblume, Fledermaus" zur Gänze, finden sich weitere Werkspezifika: eine in die gegenseitige Isolation mündende Ehegeschichte, der Versuch von Kindern, in den Tod zu springen. Da ist auch sonst vom Tod die Rede, vom Versuch, sich einzugraben, ein Grab auszuheben. Sprachlich treffen wir auf Reihungen wie "Du Libelle / du Atem / du Gegenüber / du Charlie / du Satz vom Kreis des Archimedes / du Hauptbahnhof / (...)", auf Wortdoppelungen der Art "wowoher", "hab Angst Angst", "erzähl erzähl mir was" (4). Schließlich trennen sich die Geschichten und Gedichte austauschenden austauschbaren Gesprächspartner.

"Der eine geht dahin, der andre dorthin, zu den Höhlen oder in die Hochhäuser, aber es ist gleich, wer von ihnen wohin geht. Auch wissen sie, daß sie sich wieder treffen werden. Dann werden sie abermals reden. Wie geht's?, sagen sie, aber sie wissen, daß sie sich nicht selber meinen." (5)

Höhle und Hochhaus, Grab und Großstadt, die Ungeborgenheit hier wie dort, auch das sind immer wiederkehrende Motive nicht nur im Hörspielwerk Weyrauchs. Und die Begrüßungsformel "Wie geht's?" erinnert an ein anderes, 1970 vom Westdeutschen Rundfunk gesendetes Hörspiel "Wie geht es Ihnen?", an eine Prosa gleichen Titels aus dem Jahre 1971. Aber auch weniger vordergründig finden sich Beziehungen zum Gesamtwerk. So hat der Flöte spielende Friedemann seine Entsprechung in dem Flötenspieler, der in "Anabasis" zusammen mit einem Stummen einen Zwei-Mann-Spähtrupp bildet, derart Weyrauchschen Pazifismus demonstrierend. Wenn auch keine 'poetica in nuce', liefert Weyrauchs "Sonnenblume, Fledermaus" dennoch genügend zahlreiche Aspekte, um als Aufhänger für ein akustisches Portrait eines Autors zu dienen, dessen Namen jeder, der sich mit der Nachkriegsliteratur beschäftigt, schon einmal gehört hat, dessen umfangreiches Gedicht-, Prosa- und Hörspielwerk dennoch merkwürdig unbekannt geblieben ist.

Eine zufällige und sicherlich nicht repräsentative Befragung einiger an moderner Literatur interessierter Stuttgarter Studenten der Germanistik ergab an Bekanntem ein paar Formeln und Titel wie "Kahlschlag", "Atom und Aloe", "Mein Gedicht ist mein Messer", die inhaltlich allerdings nicht weiter gefüllt werden konnten. "Die japanischen Fischer", ein Hörspiel an dem Schülergenerationen neben Fred von Hoerschelmanns "Das Schiff Esperanza" und Ingeborg Bachmanns "Der gute Gott von Manhattan" ihr Hörspielverständnis ausgebildet haben, war ebenfalls - wenigstens dem Titel nach - den meisten bekannt. Kaum einer der Befragten erinnerte sich an "Totentanz", für den Weyrauch 1962, als das Hörspiel der 50er Jahre in seine Krise geraten war, mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet wurde. Keiner kannte, nicht einmal dem Namen nach, "Anabasis", ein dem Repertoire zuzurechnendes, durch seine zwei Fassungen geschichtlich wichtiges Hörspiel Weyrauchs (und Ernst Glaesers).

Auch die Quellen der Sekundärliteratur fließen nur spärlich: ein Artikel in Franz Lennartz' "Deutsche Dichter und Schriftsteller unserer Zeit", eine Werkanalyse Ernst Nefs in "Schriftsteller der Gegenwart" ein Nachwort Helmut Heißenbüttels und zwei Nachworte Martin Walsers (6), dessen Laudatio zum 70. Geburtstag Weyrauchs resümiert:

"Die deutschen Maßnehmer der letzten 30 Jahre haben zuwenig vom Nu gehört, sonst hätten wir von ihnen Deutlicheres über Wolfgang Weyrauch gehört. Oder verstehn sie's bei uns nur, wenn's ihnen von Tophoven aus dem Französischen übersetzt wird?" (7)

Wenn Walsers Laudatio des weiteren versucht, Lesehilfe zu geben, einen "Vorschlag" macht, "wie man Wolfgang Weyrauch lesen lernt", dann will unser akustisches Portrait Vorschläge machen, wie man Wolfgang Weyrauch 'hören' kann, zumal wir der Meinung sind, daß Weyrauch weniger ein Autor zum Lesen als vielmehr von Anfang an ein Autor ist, dessen vor allem monologisches Schreiben eigentlich erst in der akustischen Realisation seine gemäße Darstellung erfährt. Dafür spricht bei den Veröffentlichungen (8) Weyrauchs schon rein numerisch die Dominanz von mindestens 45 Hörspielen, von denen nicht wenige, vor allem in den 50er Jahren geschriebene, zwischen 10 und 20 Aufführungen innerhalb der ARD und im Ausland erreichten (9).

Daß sich unter dieser Vielzahl Hörspiele ausgesprochene Brotarbeiten befinden, versteht sich bei einem Autor, der immer wieder versucht, als freier Schriftsteller zu leben, von selbst und wird von Weyrauch nicht bestritten. Zugleich machte er in einem Gespräch, das wir anläßlich dieses akustischen Portraits mit ihm führten, geltend, daß aus derartigem Zwang sehr wohl hörspielgeschichtlich wesentliche Arbeiten resultieren können.

"Ich habe Hörspiele geschrieben, weil ich in einer prekären finanziellen Lage war, wurde beauftragt, bekam einen Vorschuß. Und das sind dann nicht die schlechtesten geworden, z.B 'Die japanischen Fischer'. Ich habe dann Hörspiele geschrieben, ohne mich in eine irgend geartete Abhängigkeit von einem Sender, durch Vorschuß oder vertragliche Abmachungen, (...) zu begeben, und das sind dann vielleicht keine so guten Hörspiele geworden. Ich habe aber auch Hörspiele im Auftrag geschrieben, und habe sie schnell schreiben müssen, und das sind dann sehr mediokre Hörspiele geworden. Das wechselt." (10)

Zur Hörspielgeschichte hat Weyrauch wie andere namhafte Hörspielautoren der 50er Jahre, wie Günter Eich oder Hoerschelmann, schon vor 1933 mit sechs (11) Hörspielen beigetragen. Auch in den ersten Nachkriegsjahren, die einige Historiker mit Ausnahme des Borchertschen "Draußen vor der Tür" als eine eigentlich hörspiellose Zeit beschreiben, finden sich 1947 mit "Auf der bewegten Erde" und 1948 mit "Damals als die Brücke zerriß" zwei nicht uninteressante Hörspiele Weyrauchs im Programm des Nordwestdeutschen Rundfunks. Seit 1951 verzeichnen die Rundfunkprogramme fast jährlich ein, oft mehrere neue Hörspiele Weyrauchs, dazu zahlreiche Wiederholungssendungen. Weyrauch muß schon deshalb als einer der fruchtbarsten Hörspielautoren angesprochen werden, der seinen Platz durch die unterschiedlichsten Phasen und Ausformungen der Hörspielgeschichte behaupten konnte: im Weimarer Rundfunk ebenso wie im direkten Nachkriegshörspiel, im sogenannten Hörspiel der Innerlichkeit der 50er Jahre ebenso wie in der Hörspielkrise der 60er Jahre, ja schließlich sogar im Umkreis eines sogenannten Neuen Hörspiels und darüber hinaus. Das macht dieses Hörspielwerk zusätzlich interessant.

Noch in die Zeit der 50er Jahre, in denen auch Weyrauch seine größten Erfolge verzeichnet (11a), fällt mit "Anabasis" - 1959 von Heinz von Cramer für den Bayerischen und Egon Monk für den Norddeutschen Rundfunk gleich zweimal inszeniert - die Wiederaufnahme eines Stoffes, der Weyrauch schon einmal 1931, damals zusammen mit Ernst Glaeser, beschäftigt hatte. Aber nicht nur für den Fall der "Anabasis" lohnt sich der Rückblick auf die Zeit vor 1933. So führt der Tod zweier Männer bei einem asiatischen Völkerstamm in "Die Furt" eine existentielle Extremsituation vor, die, wahrscheinlich erstmals 1928 von Fritz Walther Bischoff in der dritten Sequenz der "Hörsymphonie" "Hallo? Hier Welle Erdball!!" thematisiert, hörspielgeschichtlich fast Schule machte und in der Folgezeit außer von Weyrauch z.B. auch von Eich in "Ein Traum am Edsin-gol" und nach dem Kriege noch einmal im vierten der "Träume" hörspielwirksam genutzt wurde. Und wenn Weyrauch 1963 in "Das tapfere Schneiderlein" ein bekanntes Märchen seinen Intentionen nutzbar machte, so hatte er auch dies bereits 1931 in "Die Ilsebill", einem "Märchen für Radio" versucht (12). Gleichzeitig war Weyrauchs "Ilsebill" der erste von mindestens drei Versuchen, zu Beginn der 30er Jahre das Märchen "Von dem Fischer und siene Fru" für den Rundfunk zu adaptieren, dem 1935 Eduard Reinacher in Köln und Günter Eich in Berlin folgten (13).

Bearbeitungen dieses Märchens sind nach seinem Bekanntwerden durch die Grimmschen "Kinder- und Hausmärchen" keine Seltenheit (14). Möglicherweise kannten alle drei Autoren die "dramatische Symphonie" "Ilsebill" des Schweizer Komponisten Friedrich Klose (15), die Gleichheit des Titels bei Weyrauch läßt jedenfalls diese Vermutung zu. Bemerkenswert ist die Häufung der Bearbeitungen zu Beginn der 30er Jahre vor dem Hintergrund einer seit 1930 durch die Unterstützung immer weiterer Bevölkerungskreise erstarkenden NSDAP, ihrer immer stärkeren Präsenz im Reichstag und der endgültigen Machtübernahme 1933 durch Hitler. Denn die Darstellung männlicher Hybris in der Figur der Frau des Fischers war bereits 1814 in einer "moralischen Erzählung" vom unaufhaltsamen Aufstieg und Fall Napoleons erprobt (16). Und die "Erläuterungen zur deutschen Literatur" gehen davon aus, daß schon Runges Märchen "eine Persiflage auf den Lebenslauf Napoleons" sei (16a). Für seine Bearbeitung hat Weyrauch in dem schon zitierten Gespräch allerdings jegliche politische Absicht oder Anspielung verneint.

"Ich habe nur das intendiert, was im Märchen schon enthalten ist, nämlich die Bewahrheitung (schönes Wort) des Spruchs, des Sprichworts 'Hochmut kommt vor dem Fall'."

In zwei ähnlichen Stellungnahmen zu seinem Hörspiel 1931 in "Der Deutsche Rundfunk" und 1932 in "Rufer und Hörer" (17) gab Weyrauch noch eine weitergehende Erklärung für die Wahl eines Märchenstoffes als Hörspielvorlage. Anschließend an einige Überlegungen zum Verhältnis, zur "Beziehung von Radio und Hörerschaft", von "Masse" und Radio, von "Chaos" und "Ordnung" (die hier wohl mit Sinnorientierung übersetzt werden muß), argumentiert Weyrauch:

"Zweifellos wohnt in dem Chaos eine verborgene Ordnung. Ich glaube, die Ordnung läßt sich am ehesten in den Märchen finden, in den volkstümlichen Darstellungen der Gegebenheiten denn sie enthalten in der Regel sittliche Parabeln, welche die Begebenheiten gleichnishaft erläutern. Ebenso gleichnishaft wie auch volkstümlich erschien mir das Märchen vom Fischer und seiner Frau von Runge. Eine moralische Parabel schien mir darin gegeben zu sein. Sein Inhalt, daß nämlich das Gute belohnt werde, das Böse aber bestraft, gibt eine Ordnung an, die sich über das gesellschaftliche Chaos der Hörer erhebt und gleichzeitig dem inhaltlichen Chaos des Rundfunks einen Gehalt setzt. Der Sinnfälligkeit der angegebenen Moral halber habe ich das alte Märchen in eine Stadt unserer Tage verlegt." (18)

Die rückblickend etwas vertrackt klingenden Wendungen vom "gesellschaftlichen Chaos der Hörer", dem "inhaltlichen Chaos des Rundfunks" sind in ihrer Mißverständlichkeit wohl nur aus der damaligen Situation zu erklären, aus der Perspektive eines moralisch engagierten Autors, der einer aus den Fugen geratenen Zeit Im Märchen gleichsam ein Licht aufstecken möchte und dabei, damit sich der Adressat in diesem Spiegel auch erkennt, das märchenhafte Geschehen "in eine Stadt unserer Tage verlegt". Dies signalisiert angesichts damaliger gesellschaftlich politischer Zustände zugleich eine politische Unsicherheit, wie wir sie auch bei zahlreichen anderen, ideologisch nicht gebundenen Autoren dieser Jahre antreffen. Erinnert sei im Bereich des Hörspiels an Karl August Düppengießers "Toter Mann", wo gegen Ende eine Schar Jugendlicher das "Mit uns zieht die neue Zeit" des Hermann Claudius intoniert, an Hermann Kasacks naives Arbeitslosenhörspiel "Der Ruf" von 1932, das 1933 mit wenigen Änderungen und Zusätzen von Ottoheinz Jahn im Sinne des Nationalsozialismus umgedeutet wurde, oder an Günter Eichs "Weizenkantate" , der sogar im "Völkischen Beobachter" eine Besprechung zuteil wurde (19).

Für die Werkgeschichte bedeutsam ist die Tatsache, daß Weyrauch - anders als kurze Zeit später Reinacher und mutmaßlich Eich - "das alte Märchen in eine Stadt unserer Tage verlegt" und damit zum ersten Mal einen Hintergrund wählt, der in den Hörspielen der Nachkriegszeit eine immer dominierendere thematische Rolle spielen wird, so in "Große Stadt" (1951), in "Totentanz" (1961) und "Das tapfere Schneiderlein" (1963), in "Wie geht es Ihnen?" (1970), "Im Konjunktiv" (1972) und "Orientierungspunkte" (1977), um hier die wichtigsten zu nennen. Was diese Hörspiele zunehmend thematisieren, ist die Stadt, sind bestimmte Plätze, ihre langen Straßen, in denen sich der Einzelne in bedrückender Isolation und Kontaktlosigkeit bewegt. Als "entsetzliche Bedrohung" empfindet Weyrauch sie im Gespräch:

"Wenn (...) ein kleines Individuum, sagen wir eine Apothekergehilfin (...), wenn die sich einer Stadt gegenüber befinden, dann ist diese Stadt für sie, wenn sie nur ein bißchen sensibel sind, eine entsetzliche Bedrohung. (...) Sie können

davon verschluckt werden. Deshalb setzen sie sich ja in die Kneipen und trinken ein Bier nach dem andern. (...) Oder sie gehen gar nicht von zu Hause weg, nachdem sie vom Beruf zurückgekommen sind. Sie haben Angst vor der Stadt."

Daß Weyrauch im Falle der "Ilsebill" auf die Stadt als 'Kulisse' seines Märchens verfiel, ist allerdings kein Zufall, sondern bei dem Frankfurter Gymnasiasten, Schauspielschüler und späteren Berliner Studenten der Germanistik, Romanistik (und Geschichte) bereits früh als Leseeindruck angelegt.

"Ich bin schon als sechzehnjähriger Junge von meinem damaligen Deutschlehrer Reinhold Zickel, der auch Deutschlehrer von Adorno (war), der damals in dieselbe Schule ging, wenn auch viele Klassen über mich (sic), von dem ich mal, als ich fragte, was ich denn mit meiner Zukunft anfangen sollte, dahin belehrt worden, daß er sagte, (...) gehn Sie in die Rothschildsche Bibliothek, das gab's damals, eine private, jüdische, fabelhafte Bibliothek mit moderner Literatur, und lesen Sie die Gedichte des Expressionismus. Und da stieß ich natürlich auf Dutzende, viele Dutzende von Gedichten über die Stadt, nicht nur (von) Heym, (...) sondern auch Schickele, Ehrenstein, Klabund undsoweiter."

Neben diesen Gedichten - von formalem Einfluß dürfte auch August Stramm gewesen sein, an dessen Lektüre sich Weyrauch in einem "Autobiographischen Nachwort" (20) erinnert -, neben dieser expressionistischen Großstadtlyrik hat vor allem Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" wesentlichen, auch thematischen Einfluß ausgeübt, was Weyrauch gesprächsweise mit dem Hinweis belegte, daß er "diesen Roman immer wieder gelesen habe und daß" er "sogar eine Hörspielfassung gemacht habe von diesem Roman". (21)

Für das Hörspiel "Anabasis" druckte, einem damaligen Usus entsprechend, "Rufer und Hörer" im Anschluß an die Sendung eine ausführliche Notiz über die Intention der beiden Verfasser, in der Ernst Glaeser für heutige Ohren recht mißverständlich formuliert hat:

"Als Miterlebender einer besonders verzweifelten und moralisch zerfahrenen Zeit, in der jeder einzelne sich zu retten versucht vor einem Schicksal, das nur gemeinsam zu bannen ist, halten wir es für unsere künstlerische Pflicht, durch das große Mittel des Rundfunks das Hohelied jener menschlichen Solidarität zu singen, die Europa heute allein noch vor dem Rückfall in eine ausweglose Barbarei retten kann. In der 'Anabasis' zeigt sich zum ersten Mal in der uns bekannten hellenischen Geschichte die Masse als Held, und es wurde zum ersten Mal der Beweis angetreten, daß eine durch einen Gedanken gebundene und disziplinierte Masse mehr vermag als der Einzelne." (22)

Es geht hier nicht darum, die Reizworte dieses Zitats im einzelnen herauszugreifen und in ihren geistes- und hörspielgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen, zumal nicht Weyrauch sondern Glaeser für diese Notiz verantwortlich zeichnet. Immerhin sei angemerkt, daß sich Reizworte wie "gemeinsames Schicksal", "menschliche Solidarität", "Masse als Held" durchaus nach zwei Seiten lesen lassen, daß die damalige Hörspielproduktion immer wieder einmal "kollektives Geschehen" (H.G. Funke) aufgriff in einem Spektrum, das, will man es von 'links' nach 'rechts' lesen, von Friedrich Wolf und Bertolt Brecht über Ernst Johannsen, Walter Erich Schäfer, Glaeser/Weyrauch bis zu Eberhard Wolfgang Möller fächert und auf der 'rechten' Seite schließlich in Hermann Pongs Stuttgarter Antrittvorlesung über "Das Hörspiel" (1930) eine theoretische Begründung findet, die Film und Rundfunk als "Organe des modernen Kollektivgeistes" begreift, von denen besonders der Rundfunk trotz Einzelempfangs in der Lage sei, in einem Spannungsfeld von "Aktualität" und "politischem Widerstreit" ein "überparteiliches Gemeinschaftsgefühl" zu erzeugen und zu stärken (23).

Im Rückblick erinnerte sich Weyrauch bei einem Vergleich der beiden "Anabasis"-Versionen von 1931 und 1959 an eine für die Einschätzung der ersteren interessante Arbeitsteilung, nach der Glaeser vor allem "die Massenszenen, so im Sinne einer für alle, alle für einen" zu schreiben und Weyrauch "die subjektiven, die privaten, die individuellen Szenen" zu gestalten hatte. Eine solch "subjektive, private, individuelle Szene" ist bereits die erste Sequenz:

Thomaison: Schäfst du, Aristarch?
Aristarch: Wie du, Bruder Thomaison, denke ich an Griechenland. Ich kann nicht schlafen.
Thomaison: Wenn du an Griechenland denkst, siehst du Athen?
Aristarch: Ja.
Thomaison Die blühenden Mandelbäume um die Akropolis und den Zug der Schafe nach den Wiesen des Gebirges?
Aristarch: Ja.
Thomaison: Die Mädchen auf der Straße nach dem Piräus und das Spiel der Jünglinge in den Gymnasien der oberen Stadt?
Aristarch: Ja - und die Mädchen tanzen im Hafen, und die Schiffer und die Matrosen singen, und um die Gymnasien schleicht Sokrates, lüstern nach den Herzen der Jünglinge, und Megas, der reiche Händler, liegt zwischen zwei braunen Partherknaben im Garten unter den Zedern und Pinien.(24)
Diese einleitende Sequenz ist für uns schon deshalb interessant, weil sie die Dialogarmut Weyrauchscher Hörspiele von Anfang an demonstriert. Denn das dreimalige "ja" des Aristarch hat keine dialogische Funktion. Weder Dawider noch Dafür, zäsuriert es lediglich akustisch die Erinnerungen des Thomaison, die Aristarch nach seinem dritten "ja" nun seinerseits aufgreift und nahtlos fortsetzt, so daß man es hier eigentlich mit einem akustisch geschickt aufbereiteten Monolog zu tun hat, auf Stimmen aufgeteilt und damit radiogerecht gemacht. Nicht als "Dialog mit dem Unsichtbaren" (25) - eine Formel, die Weyrauch später gerne zurückgenommen hätte - sondern als auf Stimmen aufgeteilte Monologe erweisen sich denn auch bei genauerem Hinhören die meisten seiner anderen Spiele.

"Es sind Monologe, aufgeteilte Monologe der Stimmen, die sich innerhalb des Autors befinden, und die da befreit werden sollen und befreit werden, wenn's klappt", formulierte es Weyrauch im Gespräch und exemplifizierte für "Woher kennen wir uns bloß?" (1952):

"Wenn da der Jude und der SS-Mann sich unterhalten, eine halbe Stunde lang, und dann kommt ein Resümée, dann sind (...) diese Figuren ja doch, lassen Sie mich's pathetisch sagen, Emanationen des Autors. Der Autor ist ja der Jude, der Autor ist ja der SS-Mann."

Einsicht in diese Monologstruktur hat 1974 den Regisseur Otto Kurth zu einem erwähnenswerten Experiment gereizt. Für die Stimmen des Hörspiels "Das Signal" - das Hörspiel schildert die letzten Minuten vor der mutmaßlichen Hinrichtung des der Verschwörung angeklagten Dichters Dostojewskij, dessen Begnadigung im letzten Augenblick längst beschlossene Sache ist -, für die Stimmen dieses Hörspiels, den Mann aus der Menge, den Zaren, den Exekutionsoffizier, den Untersuchungsrichter und den angeklagten und verurteilten Dostojewskij, hat Kurth nur einen Sprecher eingesetzt, um zu belegen, "wie in jedem von uns ein Ich und dessen Gegenpart steckt, sowie alles, was es um uns herum und durch uns hindurch gibt" (26).

Die Nachkriegsversion der "Anabasis" - um damit noch einmal auf dieses hörspielgeschichtlich wichtige Stück zurückzukommen - beginnt, als habe Weyrauch als alleiniger Autor jetzt auch die Massenszene Glaesers übernommen - im Gleichschritt, (was allerdings in den beiden Inszenierungen verschieden realisiert wurde):

Hauptmann: Marsch
Soldaten: Marsch, Marsch
marschieren, marschieren, marschieren,
linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß.
Hauptmann: Links, rechts, links.
Soldaten: Einatmen, ausatmen, einatmen,
ein, aus, ein.
Soldaten: Zweihundert Tage lang,
Marsch, Marsch,
zehntausend Stadien von Griechenland weg,
marschieren, marschieren, marschieren. (27)
Der Fortgang des Hörspiels zeigt allerdings schnell, daß diese Einleitung keine Glaesersche Massenszene ist. Sie ist als Marsch-Sequenz gleichsam das Gegenteil jener zukunftsträchtigen Märsche, wie man sie von Hörspielschlüssen des Weimarer Rundfunks, von Alfred Döblin, von Kasack oder Düppengießer noch in Erinnerung, wie man sie als "wahrhaft liturgische Gebärde" (Wilhelm Stählin) nicht nur im Hörspiel des nationalsozialistischen Rundfunks bis zum Überdruß im Ohr hatte. Die Soldaten, die 1959 in der "Anabasis" (oder schon 1947 in "Auf der bewegten Erde") zurück marschieren - die Duplizität läßt dabei ein Trauma des Autors vermuten -, marschieren in eine andere Richtung, nach Hause. Gleichzeitig bezieht die von Weyrauch besonders herausgearbeitete Figur des Schriftstellers Xenophon eine radikale Gegenposition zur Glaeserschen "Masse als Held". Zivilist und Schriftsteller, ist Xenophon einer jener beispielhaft leidenden Helden, die Weyrauch in den 50er Jahren mehrfach gestaltet hat. Negativ in der "Indianischen Ballade" (1956) in der Figur des zu einem amerikanischen Nationalhelden aufgebauten Indianers "Schwarze Schlange". Positiv in den "Japanischen Fischern" (1955) in der Figur des Susushi, der in der Katastrophe allein den Mut aufbringt, die Fischer aus dem Atomregen nach Hause zu führen. Oder später in "Alexanderschlacht" (1965) in der Figur des Narren, der - zeitweilig seine Rolle mit der des großen Alexander tauschend - sich schließlich beide Hände abschlagen läßt, damit er mit ihnen "keinen diktatorischen Unfug anrichten kann". Als "indirekte", als "Antihelden" möchte Weyrauch diese Figuren verstanden wissen:

"Also wenn z.B. ein Soldat einem anderen Soldaten gegenüber liegt, und der eine oder der andere oder beide verzichten auf den Schuß, der den anderen töten soll, dann ist das (...) für mich ein Held. Und die Hauptfigur der neuen 'Anabasis'-Fassung, der Schriftsteller Xenophon ist insofern für mich ein Held, also ein Antiheld, indem er die Soldaten, die Griechen, 10.000 waren es, glaube ich, (...) ohne Pfeilschuß, ohne Zusammenstöße, mit Intelligenz und Friedfertigkeit durch die angeblichen Feinde hindurchführt bis zum Ufer des Mittelmeers, wo dann die Leute die Schiffe bestiegen, um nach Hause zu gelangen."

Dem Zivilisten Xenophon wird von Weyrauch ein Berufsmilitär, der Hauptmann der einleitenden Sequenz, konfrontiert. Doch gerät auch diese Konfrontation Weyrauch keineswegs zu einem differenzierenden, konflikthaltigen oder konfliktlösenden Dialog, worauf bereits Bernard Willms in der bisher einzig vernünftigen (leider ungedruckten) Analyse dieses Hörspiels hingewiesen hat (28).

Ein weiteres Problem der Hörspiele Weyrauchs sind ihre politischen Implikationen. Wenn Weyrauch auch für sein Märchenspiel "Ilsebill" jeden politischen Bezug leugnet, ein zeitkritisches Movens kann auch er nicht in Abrede stellen, erst recht nicht für "Anabasis". In den Nachkriegshörspielen nehmen zeitkritische bis politische Ambition eindeutig zu. Auf die erste Wasserstoffbombenexplosion reagiert Weyrauch mit der "Minute des Negers" (1953), und ein Jahr später formuliert "Vor dem Schneegebirge" (1954) mehr als deutlich die Angst vor ihrem strategischen Einsatz:

Kiderlen (mit anderer, entfernter Stimme)
Geheim.
Standort: Grenzwache Schneegebirge.
Datum: siehe Lagebericht.
Uhrzeit: 08.05 Uhr.
Zwischenbericht: Registrierung von zwei außerordentlichen Begebenheiten:
1. Temperaturschwankung.
2. Himmelserscheinung.
Zu 1.: um 07.45 Uhr minus 30 Grad, um 07.49 Uhr plus 1 Grad, um 07.51 Uhr minus 30 Grad.
Zu 2.: gleichzeitig zwei Minuten dauerndes, überhelles Licht, das alles Sichtbare ausnahmslos mit einem giftgrünen Schimmer überzieht.
Zusätzliche Bemerkungen:
a) vermute Zusammenhang zwischen außerordentlichen Begebenheiten zu 1. und 2.,
b) Schimmer der Himmelserscheinung überzieht alles wie mit Glasur aber Glasur ist keine Glasur, sondern sieht bloß so aus,
c) alle Glasteile an Blockhaus und Geräten geschmolzen.
Funktelegraphische Durchgabe des Zwischenberichts an Zentrale: um O8.10 vollzogen.
Unterschrift: Kiderlen, Leutnant.
Geheim. (29)
Die Folgen der amerikanischen Wasserstoffbombenversuche von 1954 thematisieren ein Jahr später in poetischer Form "Die japanischen Fischer". Den Nachweis, daß auch die Neufassung der "Anabasis" trotz der historischen Ferne ihres Sujets auf die politischen Verhältnisse außerhalb und innerhalb der Bundesrepublik bezogen werden muß, versucht in der schon genannten Analyse Bernard Willms.

"Ohne dem Text allzuviel politiktheoretische Reflexion zu unterstellen, läßt sich doch festhalten (...): Er stellt Feinde - freilich wie eine Art Naturgewalt - hin, er läßt Soldaten Soldaten sein und ihre Waffen nur dem Selbstschutz und der Abschreckung dienen. Er unterstellt das Militär einer zivilen Führung, die freilich mit äußerstem Heroismus ausgestattet wird. (...)

Konkret auf die Zelt bezogen, würde die Interpretation bedeuten, daß das Feindverhältnis von West zu Ost festgehalten wird, daß folglich der Wiederbewaffnung - eventuell auch mit Atombomben - zugestimmt wird, daß aber die Aggressivität der eigenen Seite in den bloßen Schutz des Friedens und der eigenen Sicherheit aufgehoben wird." (30)

Wir müssen bei der abschließenden Frage nach dem Verhältnis der Hörspiele zum anderen Werk noch einmal auf das Thema Monolog zu sprechen kommen. Immer wieder lassen sich - wohl auch aus Gründen möglichst ökonomischer Verwertung - im Werk

Weyrauchs Mehrfachfassungen antreffen. Dem Hörspiel "Auf der bewegten Erde" liegt eine Prosa gleichen Titels aus dem Jahre 1946 zugrunde. Zur Entstehung seines Hörspiels "Orientierungspunkte" (1977) berichtet Weyrauch, er habe aus einem Buch sieben großstadtbezogene Geschichten ausgewählt und sie mit neugeschriebenen Texten eines "großstädtischen Stimmengewirrs" zu einem Ganzen verbunden. Ganz ohne Eingriffe ging die Hörspielverwandlung der Ballade "Die Minute des Negers" vor sich:

"Ein Gedichtband war erschienen, mit einem Gedicht, 'Die Minute des Negers'. Und eines Tages (...) rief mich ein junger Mann namens Martin Walser, den niemand kannte damals, (...) an und sagte: wir möchten gerne (...) dieses Ihr Gedicht als Hörspiel senden. Ich freute mich einerseits, sagte ihm das auch. Andererseits hatte ich Angst, daß ich soviel arbeiten mußte. Das war vorbei, war aus. Da sagte er: Sie müssen gar nichts daran arbeiten, das machen wir. Wir setzen einfach vor die einzelnen Passagen (...) die jeweiligen Namen, die diese Passagen sprechen, und das Hörspiel ist fertig. An diesem Hörspiel wurde nichts geändert, nicht ein Wort."

Wie hörspielgeeignet in der Tat diese Vorlage war, vermag schon der Schluß des Gedichts anzudeuten.

Erstens
fragt der Springbock,
habt Ihr Euch eine Photographie
des Himmels gekauft?
Ihr könnt sie an jeder Ecke kaufen,
Ihr werdet sehen,
daß der Himmel zerschlissen ist,
die Engel frieren,
der liebe Gott hat TBC.

Zweitens,
fragt der Erdwolf,
habt Ihr Eure Schatten umarmt?
Eure Schatten sind mehr wert
als Ihr selber.

Drittens,
fragt der Regenpfeifer,
laßt Ihr die Epileptiker liegen?
Oder liebt Ihr sie? -
Hebt sie auf,
küßt sie.

Viertens,
fragt der Fischadler,
habt Ihr Eure Tyrannen ermordet?

Fünftens,
fragt der weiße Stier,
seid Ihr mit Euren Köpfen
durch Eure Wände gestoßen?

Sechstens,
fragt der Silberfisch,
habt Ihr die Kerne
der Atome untersucht?
Pfirsiche sind darin,
nicht Pfirsichtode.

Siebtens,
fragt der Hornvogel,
habt Ihr Betten, Zimmer,
Wohnungen, Häuser, Städte
aus do-re-mi-fa-so gebaut?

Ha he hoo
ja je jo

Meine Fragen
meine Fragen
meine Fragen
tönen
tönen
tönen
durch die
durch die
durch die
Lautlosigkeit
Lautlosigkeit
Lautlosigkeit

ha he hoo
ja je jo. (31)

Sicherlich täte man Weyrauch Unrecht, wollte man ihn angesichts der genannten und weiterer Beispiele einen Alles-in-allem-Verwerter nennen. Die Erklärung für die mehrfache Verwendungsmöglichkeit Weyrauchscher Texte - und mit einer solchen haben wir es fraglos zu tun - liegt woanders. Walser, der auch bei mehreren Hörspielen Weyrauchs, u.a. der "Minute des Negers", Regie führte, hat in seinem Versuch einer Lesehilfe darauf aufmerksam gemacht: "Ob Geschichte oder Gedicht oder Hörspiel oder Essay, sei darauf gefaßt, daß du einem Monolog begegnest." (32) Und als Leseeinstieg hat er die laute, schnelle Lektüre eines Weyrauchtextes vorgeschlagen, da nur so der Weyrauch eigene "Rhythmus" faßbar werde.

Wir möchten noch einen Schritt weitergehen und vermuten, daß das meiste, was Weyrauch geschrieben hat, sogar Nachworte von ihm, Teile eines lauten Selbstgespräches in Variationen sind, das sich erst eigentlich in seiner akustischen Realisation erschließt. Daß in ein solch endloses Selbstgespräch Autobiographisches einfließt, daß eigene Erfahrungen es steuern, liegt auf der Hand. Zahlreiche 'Ehegeschichten' , von der ersten Veröffentlichung bis zum letzten gesendeten Hörspiel, lassen es vermuten. Textliche Parallelen z.B. zwischen "Autobiographischem Nachwort"(33) und dem Hörspiel "Auf der bewegten Erde" belegen es. Der Schriftsteller Xenophon, der Dichter Dostojewskij, der Autor W im "Totentanz" sind mehr oder weniger verhüllende Masken Wolfgang Weyrauchs.

W. (nach einer langen Pause) Kann ich jetzt aufstehen?
T Steh auf.
W. Kann ich weggehen?
T. Geh.
W. Nach Hause?
T. Ja.
W. Zu meinem Tisch, zu meinem Bett, zu meinem Stuhl?
T. Ja.
W. Zu Block und Bleistift?
T. Was willst du schreiben?
W. Von Menschen, die fragen, statt zu antworten, die denken statt zu vertilgen. (Nach einer langen Pause) Kann ich gehen?
T. Geh.
W. Wohin wirst du gehen?
T. Ein Salamander wird es mir sagen.
W. Leb wohl.
T. Auf Wiedersehn. (34)
Die sich hier ansatzweise formulierende Aufgabenstellung ist unüberhörbar. Es ist - um damit zugleich den größeren Zusammenhang anzudeuten, in dem diese Aufgabenstellung zu hören ist - aus dem Erschrecken darüber, "daß die Antworten da sind, bevor die Fragen gestellt werden" (35), es ist auf der einen Seite die Eichsche Option "für die Frage" (36), auf der anderen die Heißenbüttelsche Erkenntnis, "daß es nicht auf definitive Lösungen ankommt, sondern darauf, die Fragen soweit voranzutreiben, daß sie ganz deutlich werden oder daß die Sache ganz deutlich wird, auf die die Fragen zielen" (37).

Das Weyrauchsche Werk selbst kennt die Frage, das Fragen in den unterschiedlichsten Formen, als sprachlichen Gestus, als gebündeltes und gleichzeitig akustisch gliederndes Fragen (etwa am Schluß der "Minute des Negers"), als schon in der Überschrift vorgegebenes Generalthema eines Spiels ("Woher kennen wir uns bloß?", 1952; "Wie geht es Ihnen?", 1970; "Wer fängt an?", 1975), von denen wegen seiner offenen Form, also der Möglichkeit, vom Konsumenten weitergespielt zu werden, vor allem "Wie geht es Ihnen?" hervorgehoben sei.

Auch rein formal hat sich Weyrauch gelegentlich in eigener Sache geäußert, u.a. mit einem Hörspielkonzept, das - häufiger zitiert - auf verblüffende Weise an Hörspielvorstellungen des kaum noch bekannten Hörspielpioniers und Germanisten Arno Schirokauer (38) anknüpft:

"Es wird Zeit, daß ich bekenne, was das Hörspiel meiner Meinung nach sein kann. Vor allem kann es eines: es kann alles. Ich meine es nicht abfällig, wenn ich das sage, im Gegenteil. Es kann die Zeit schneller oder langsamer machen, es kann den Ort entlokalisieren. Wie es die Zeiten kombinieren und kontrastieren kann, so kann es auch die Orte, von denen her die Stimmen rufen - fern, nah, oben, unten, innen, außen, real, imaginär, - koppeln, parallelisieren, trennen, mischen; wer dies ohne Ökonomie tut, kommt darin um und liefert obendrein den Hinterwäldlern Material zur Intrige gegen die Künste des Jahrhunderts. Das Hörspiel kann die Stimmen klein machen. rot, bucklig. Es kann auch die Stimmen entmaterialisleren, sie in Instrumente verwandeln, in eine Partitur der gesprochenen, gerufenen. geschriebenen, geflüsterten, gelallten Wortnoten. Das Hörspiel kann die Kategorien mengen, harmonisieren, gegeneinandersetzen: das Kollektive, das Individuelle, die Topographie, die Lyrik, den Bericht, das Tagebuch, den Chor, das Fragenbündel, die Predigt, das Verhör..." (39).

So verstandene Hörspiele fordern die Frage nach ihrer sinnvollen Inszenierung geradezu heraus. Und es ist auffallend, daß der ehemalige Schauspielschüler und Schauspieler - das Hörspiel "Neumarkt" von 1968 thematisiert z.B. ein Erlebnis des Schauspielers Weyrauch in Münster -, daß der gleichsam akustische Autor bei einem derartigen Hörspielverständnis sich erst relativ spät kritisch mit den Inszenierungen seiner Hörspiele auseinanderzusetzen, eigene Vorstellung und Realisation zu vergleichen, beginnt.

"Erst so seit 'Ich bin einer, ich bin keiner'(...) habe ich angefangen, mir zu überlegen, ob denn die Regietätigkeit oder die Resultate dieser Tätigkeit meinen Vorstellungen entsprächen. Sie haben fast immer nicht entsprochen, indem sie früher ein gewisses unterirdisches Pathos, das bei mir damals vorkam, noch betonten, indem sie ihrerseits zu breit sprechen ließen, zu pathetisch, zu gewichtig, zu zäh. Nicht staccatohaft, wie es hätte sein sollen. In der letzten Zeit (...) hat sich das, glaube ich, gebessert. Also: (...) die 'Orientierungspunkte' in Hamburg (...), das war eine gute Inszenierung, (...) die mir entsprechend zu sein schien, die das Staccato womöglich so staccatohaft machte, daß es bis zur Unverständlichkeit ging. Besonders bei dem Stimmengesumm."

Es bleibt demnach festzuhalten, daß sich Intention und Inszenierung erst mit Weyrauchs erstem stereophonen Hörspiel "Ich bin einer, ich bin keiner" anzunähern beginnen, daß die vor der Hörspielkrise der 60er Jahre inszenierten Spiele dagegen, wenigstens von einem rückblickenden Standpunkt aus, den Vorstellungen Ihres Autors nicht entsprechen mit der einen Ausnahme der "Japanischen Fischer".

"Da muß ich eine komische Antwort geben, eine seltsame Antwort. Ich liebe dieses Hörspiel, Ich finde das gut, das Ding, find' ich gelungen, von mir aus. Und deshalb verzeih' ich, wenn da Verdickungen und Tranigkeit oder Gezogenes und Pathetisches vorkamen. Das überhör' ich. Ich merk's gar nicht - bei diesem einen."


Anmerkungen

1) WDR 16.10.1978 und 22.12.1980. Druck in: Zu den Hörspielen Wolfgang Weyrauchs. Zus. mit B. Willms u.a. Veröffentlichungen des Forschungsschwerpunkts Massenmedien und Kommunikation (MuK) an der Universität / Gesamthochschule Siegen, H. 14, 1981

Anmerkungen | Materialien | Verzeichnis der Hörspiele Wolfgang Weyrauchs werden nachgestellt