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Reinhard Döhl | Schichten der Weiblichkeit. Einige Vermutungen zu den Collagen Yong Sa's

Schichten der Weiblichkeit | Fließen und Mandala | Emanzipation und Akkulturation | Quadrat und Kreis | Inhalte | Säkularisierte Mandalas | Abspann

Schichten der Weiblichkeit

Die Ausstellung Yong Sa's ist "Schichten der Weiblichkeit" überschrieben. Das klingt aktuell, emanzipatorisch. Die Schichtenlehre der Psychologie mit ihrer Unterscheidung von Leib, Seele, Geist, oder von Ich, Es und Über-Ich scheint nicht weit. Aber das illustrieren die Arbeiten der Ausstellung kaum, allenfalls am Rande.

Was Frau Yong Sa zeigen will, wird deutlicher, wenn man andere Werkgruppen-Titel hinzunimmt: die "Die VierGesichterFrau" oder "Frauengesichter - Frauengesichte", Titel, die mit der Doppelbedeutung von Gesicht spielen: mit Physiognomie, aber auch dem, was man leiblich aber auch geistig zu sehen glaubt, ja sogar mit philosophischer Idee. Der Titel will die Ausstellung also nicht festlegen, lediglich eine Richtung anzeigen, in die Yong Sa ihre Arbeiten gedacht hat, andeuten, daß die Exponate vielschichtiger, vielgesichtiger sind, als sie auf den ersten Blick vielleicht scheinen.

Im Zentrum der Ausstellung stehen neben einigen Triptycha vor allem Collagen, die sich in Vierergruppen ordnen, auf die ich mich hauptsächlich konzentrieren werde. Anderen Exponate gehören ins Vorfeld der Werkentwicklung, die zweiteiligen "Einhörner" (mit ihren Implikationen) sind auch eine Hommage auf Schwäbisch Gmünd.

Als Künstlerin begonnen hat Yong Sa mit gestickten Tafelbildern, von denen sie zu Flächenbildern überging, zu einem sehr eigenen Umgang mit Stoffen bei der Herstellung von Skulpturen, Reliefs und Collagen, was Si Rosenkranz als Gesten ihres Weiblichseins gedeutet hat. Eine Formel, die die Tätigkeit des Stickens ebenso einschloß wie die Wahl des Materials Stoff.

Andere Autoren wie Ed Sommer haben sogar, ausgehend vom Stoff und den Strukturen, die Yong Sa ihm in ihren Arbeiten gegeben hat, in einem übertragenen Sinne von Fließfeld, von Fließbildern gesprochen und damit unbewußt auf einen Zusammenhang gewiesen, in dem die künstlerische Arbeit Yong Sa's auch gesehen werden kann.

Fließen und Mandala

Ich denke hier einmal an den Stellenwert, den das Fließen in der modernen Kunst hat. In Stichworten angedeutet etwa in der öffentlichten Lektüre, die Mechtild von Magdeburgs Buch des "Fließenden Lichtes der Gottheit" durch die Zürcher Dadaisten erfuhr, oder in der Einschätzung, die Kandinskys "Klänge" durch Arp erfuhren: Durch die Wortfolgen und Satzfolgen wird dem Leser das stete Fließen und Werden der Dinge in Erinnerung gebracht, öfters mit dunklem Humor, und, was das Besondere [...] ist, nicht lehrhaft, nicht didaktisch. [...] Wir erleben in diesen Gedichten den Kreislauf, das Werden und Vergehen, die Verwandlungen dieser Welt. Die Gedichte Kandinskys enthüllen die Nichtigkeit der Erscheinung und der Vernunft.

Daß das Sticken, das Arbeiten mit Stoff nicht ausschließlich als Geste der Weiblichkeit gewertet werden darf, zeigt die Phase gemeinsamen Arbeitens von Sophie Taeuber und Hans Arp in Zürich zur Zeit des ersten Weltkriegs, in der sich beide ausschließlich mit Papierbildern, Stoffbildern, Stickereien [...] beschäftigten, die auf sie wie eine Reinigung, wie geistige Übungen, wie Exerzitien wirkten. Uns schwebten, sagt es Arp an anderer Stelle, Meditationstafeln, Mandalas, Wegweiser vor. Unsere Wegweiser sollten in die Weite, in die Tiefe, in die Unendlichkleit zeigen.

Emanzipation und Akkulturation

Das ist ein Denken und eine Kunstauffassung, die sich öffnet für nicht abendländische Wurzeln. Die Stichworte sind ein weiteres Mal das Fließen, vor allem aber das heute in esoterischen Zirkeln mißbrauchte Mandala.

Unter dem Himmel, schreibt z.B. das 78. Kapitel des Laotse lediglich zugeschriebenen "Tao-Te Ching", ist nichts weicher und schwächer als das Wasser*), aber um Hartes und Festes anzugreifen, gibt es nichts Wirksameres als Wasser*).



*) also das Fließende.

Und wenn Arp und Sophie Taeuber bei ihren gestickten, geklebten Stoff- und Papierarbeiten Mandalas vorschwebten, dachten sie an etwas, das in der buddhistischen Tradition, die neben Konfuzianismus und Taoismus die geistige Heimat Yong Sa's ist, eine zentrale Rolle spielt. Von Yong Sa's Kunst zu reden, bedeutet also, die Blickrichtung erst einmal umdrehen. Geboren 1945 in Korea, kommt Yong Sa einundzwanzigjährig nach Deutschland. Wer sich je ernsthaft, und das heißt: unter den gegebenen Bedingungen zu den gegebenen Bedingungen, in einem asiatischen Land und seiner Kultur umgesehen hat, kann in etwa nachvollziehen, was ein solcher Schritt in umgekehrter Richtung bedeutet. Zehn Jahre brauchte es immerhin, bis der cultural lag (der Kulturschock) so weit überwunden war, daß Yong Sa beginnen konnte, ihn künstlerisch abzuarbeiten. Von Emanzipation und Akkulturation spricht hier die Kultur- und Sozialgeschichte und meint damit nicht ein kulturelles Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch, das in seiner Integration zu einem Weder-noch führen kann.

Daß ich mich hier nicht theoretisch versteige, belegt ein Thesenpapier Yong Sa's, in dem sie als Grundmöglichkeiten der Entscheidung trennt zwischen

1. einem Entweder-Oder, das uns [...] auf einfache, meist gewohnte Alternativen festlege,
2. einem Sowohl-Als-Auch, in dem sich bislang verborgene Zwi- schenbereiche entfalten und
3. einem Weder-Noch, das auf entweder gar nichts oder etwas außerhalb von 1 und 2 verweise.

Quadrat und Kreis

Wenn ich mich jetzt den Arbeiten Yong Sa's zuwende, fällt mir als erstes auf, daß sie überwiegend zu Vierergruppen zusammengeordnet sind, Quadrate, die zu einem Quadrat zusammentreten, wobei die Rahmen der einzelnen Arbeiten die horizontalen und vertikalen Mittelachsen des Gesamtbildes bilden, das derart mehr ist als die Summe der (unselbständigen) Teile. Doch ist auch das Gesamtbild noch nicht das Gesamte, denn

1. lassen sich die Mittelachsen als Fensterrahmen, die Bilder als Fensterbilder deuten.

2. ist mit Hilfe der Collage der Viererkonstellation ein Kreis eingeschrieben, der in der Regel nicht geschlossen wird, nach innen oder nach außen offen gehalten bleibt, meist durch ein Collageelement, das sich gelegentlich phallisch interpretieren läßt und entweder in den Kreis, die leere Mitte weist, aber auch den Blick nach außen lenken kann auf die im Idealfall weiße Fläche um die quadratische Viererkonstellation herum.

Inhalte

Die inhaltlichen Elemente des eincollagierten Kreises sind relativ überschaubar. Dominant sind es Frauengestalten, Frauengesichter, die je einen eigenen Bildbezirk dominieren. Diese Frauen werden zitiert, es sind Frauenbilder der Kunstgeschichte. Man kennt sie und die Rollen, die ihnen die Künstler zugewiesen haben als Mutter, als Gattin, als abendländische Maitresse oder japanische Geisha, als Göttin oder Bettlerin, als Hexe oder Schamanin. Entscheidend ist die Spannung, die Beziehung, in die sie in der Collage gebracht werden, meist kontrastiv aber immer auf dem Kreis. Und dieser Kreis formuliert durch seine Elemente marmorierten Papiers den Gedanken des Fließens, nimmt den jeweils zugeordneten Rollen ihre Ausschließlichkeit, verbindet nicht nur mythologische Amazone und christliche Dulderin, Geisha und Maitresse, sondern auch Abendland und Morgenland.

Elementar sind den Frauen Landschaftsausschnitte, Flußläufe oder Bergketten, also wiederum Bilder des Fließens, zugeordnet, gelegentlich Tiere, ferner Ginkgoblatt und Bambus, zwei Grundsymbole vor allem japanischer Literatur und Kunst, die aber gelegentlich auch von abendländischen Künstlern zitiert werden, so bereits im "Buch Suleika" des "Westöstlichen Divans".

Ich meine das Gedicht "Gingo Biloba", dessen zum geflügelten Wort verkommener Schluß vom eins und doppelt sich erst erschließt, wenn man nicht vergessen hat, daß Goethe*) in der ersten Strophe geheimen Sinn und Wissen bindet und, sehr wahrscheinlich, von einen Aufsatz des Heidelberger Professors Creuzer angeregt wurde, in dem Einheit durch Zweiheit als das Grundgesetz benannt wird, dem die Natur gehorcht.



*) Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Viererkonstellation, in der sowohl Goethe als auch ein Ginkgoblatt gemeinsam vorkommen, während andre Arbeiten Goethe ausschließlich zitieren.

Wer will, darf hier durchaus an das entsprechende Yin und Yang denken. Und bei dem Collage-Element Bambus daran, daß es symbolisch auch steht für etwas, das sich dem Wind beugt aber wieder aufrichtet, in seiner Nachgebigkeit also stark ist wie das fließende Wasser.

Als letztes wichtiges Collage-Element wäre die Sprache zu nennen, die in Form unterschiedlich vollständiger Schriftbänder, also wiederum an Fließen gemahnend, dem Betrachter auf deutsch oder französisch das Anliegen der Künstlerin signalisiert: Die Viergesichterfrau / La femme aux quattre vissages oder Frauengesichter Frauengesichte / visage des femme vision de femme.

Säkularisierte Mandalas

Daß Yong Sa die beschriebene Grundstruktur ihrer Collagen auch beibehielt, als sie Anfang der 90er Jahre ihre Arbeit nicht ausschließlich dem Thema der Weiblichkeit sondern in den Projekten "Tian Anmen" und "Kunst für ein freies Tibet" allgemein den Menschenrechten widmete, erwähne ich nicht nur, weil auch zu diesen Themen Arbeiten in die Ausstellung aufgenommen wurden, sondern und vor allem, weil sich über diese Arbeiten eine zentrale Dimension der Kunst Yong Sa's erschließen läßt. Dann nämlich, wenn man Tibet auch als Hinweis versteht auf ein Denken, in dem das Mandala wichtigstes Sinnbild für den Zusammenhang von Mensch und Kosmos ist, ein Mittel zur Meditation, mit dessen Hilfe der Tantriker die Visualisierung spiritueller Prinzipien anstrebt, tiefer einzudringen versucht in geheime Lehren, die es ihm ermöglichen sollen, den leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten zu verlassen und Erleuchtung zu erlangen.

Ich möchte hier gerne zeigen, kann aber nur beschreiben eine musikalische Grafik des 1951 in Nürtingen geborenen Klaus Feßmann, der er den Titel "Satori" gegeben hat, was aus dem Japanischen wörtlich übersetzt Erkenntnis, Erleuchtung bedeutet und den Zen-Weg zur Befreiung bezeichnet. Formal ist in dieser Grafik einem Quadrat ein Notenkreis eingeschrieben, der seinerseits eine Quadrat-Konstellation umschreibt. Die deutlich noch erkennbaren diagonalen Verbindungslinien der Ecken des äußeren Quadrats sind Mittelpunkt des Kreises und Schnittpunkt der Seitenlinien der eingeschriebenen Quadrate. Die Bewegung des Betrachters geht also von Außen nach Innen.

Anders in einer vergleichbaren Arbeit Yong Sa's aus der Serie "Frauengesichter - Frauengesichte", in deren Viererkonstellation der Kreis eingeschrieben ist, dessen Innenraum leer bleibt, so daß der Blick des Betrachters um ein leeres Zentrum kreist oder - durch die Öffnung des Kreises - auf etwas sich richten kann, das außerhalb und unsichtbar ist.

Beide Arbeiten zeigen eine auffällige Ähnlichkeit mit traditionellen Mandalas und unterscheiden sich dennoch von Ihnen. Feßmanns "Satori" weniger formal als vielmehr durch die Tatsache, daß er eine Mandalastruktur zur Grundlage einer Komposition nimmt, also das Meditationsmittel erst Laut werden muß.

Yong Sa dadurch, daß sie anders als das traditionelle Mandala nicht dem Kreis ein oder mehrere Quadrate, sondern einem aus Quadraten zusammengesetzten Quadrat einen Kreis einschreibt.

Was die Collagen Yong Sa's mit den traditionellen Mandalas fernerhin gemeinsam haben bzw. was sie unterscheidet, kann ich im Rahmen einer Eröffnung nur skizzenhaft andeuten, verweise den Interessierten aber auf eine vor einigen Jahren erschienene grundlegende Arbeit Martin Brauens: "Das Mandala. Der Heilige Kreis im Tantrischen Buddhismus" (Köln: DoMont 1992), in der Brauen gleich einleitend anhand lexikalischer Stichproben vorführt, wie schwierig es offensichtlich ist, in einer kurzen Definition dem Mandala gerecht zu werden.

In der Regel, definiert Brauen, sei ein Mandala (dkyil'khor) ein streng symmetrisches, auf die Mitte konzentriertes, zumeist in vier gleichgroße Sektoren geteiltes Diagramm, aufgebaut aus konzentrischen Kreisen ('khor) und Quadraten, deren Mitte mit dem Mittelpunkt (dkyil) der Kreise zusammenfalle. Die meisten Mandalas seien Hilfsmittel für Meditationen, Visualisationen sowie Initiationen, doch bezeichne der Begriff Mandala [...] auch andere Strukturen, verstehe man darunter auch einfach Kreise oder Scheiben, die eine sakrale Mitte enthalten oder deren Basis bilden.

In der Regel umschließen mehrere konzentrische Kreise [...] einen quadratischen Bereich, dem wiederum ein Kreis eingeschlossen sein kann. In diesem quadratischen Bereich entstehen dadurch, daß je zwei gegenüberliegende Eckpunkte des Quadrats durch eine Linie verbunden werden, vier gleichgroße Dreiecke, deren Spitzen sich in der Mitte des Mandala berühren. Jedes Dreieck fällt mit einer Himmelrichtung zusammen und weist eine ihm eigene Farbe auf. [...] Jede der vier Außenseiten des Quadrats wird in der Mitte durch eine T-förmige Ausformung unterbrochen. Dabei handelt es sich um Eingangstore, denn das Quadrat im Mandala ist nichts anderes als ein Gebäude bzw. der Grundriß eines Palastes.

In den meisten Mandala-Darstellungen sind Gottheiten abgebildet, doch finden sich auch solche, in denen die Gottheiten nur angedeutet sind - etwa durch ihre Symbole, durch Punkte bzw. kleine Kreise, durch ihre Keimsilben - oder gänzlich leere Mandalas, was natürlich ein größeres Vorstellungvermögen erfordere.

Die überwiegend zweidimensionalen Mandalas werden entweder auf einen Stoffgrund gemalt oder mit farbigem Pulver auf eine ebene Fläche gestreut - und dann am Ende des entsprechenden Mandala-Rituals zerstört, während die gemalten Mandalas über längere Zeit hinweg aufbewahrt werden können. Doch gibt es auch dreidimensionale Mandalas, da sich die Mandalas von ihrem Grundaufbau her - vgl. die T-förmigen Öffnungen des als Gebäudegrundriß' zu deutenden eingeschriebenen Quadrats - gerade durch Räumlichkeit auszeichnen.

Von den grundlegenden Vorstellungen, also den geistigen Voraussetzungen des Mandala-Gebrauchs nenne ich als die zentralen die Forderung des Ich-Verzichts, also das Ideal der Selbstlosigkeit, die Vorstellung des gemeinhin Wirklichkeit Genannten als wesenlos, als nicht wirklich, an dessen Stelle aber eine andere Realität existiere: Die Leere oder das Leere.

Keinesfalls kann sich, wie selbst in westlichen Lexika nachzulesen ist, der Tantriker zügellos über alle Konventionen hinwegsetzen. Er ist im Gegenteil zahlreichen ethischen Regeln verpflichtet, darunter einer Selbstlosigkeit, die nicht Ziel sondern Voraussetzung sei, auf geeignete Weise auch die anderen Wesen vollständig zu befreien. Wobei auf dem Weg zur Selbstlosigkeit der Beziehung zwischen dem Schüler und seinem geistigen Lehrer - dem Guru oder bla ma - große Bedeutung zukomme.

Wenn ich abschließend wieder auf die Collagen Yong Sa's zu sprechen komme, lautet meine These, daß wir es bei ihnen mit säkularisierten Mandalas zu tun haben, mit Arbeiten, die - durchaus an die Struktur des traditionellen Mandala und vielleicht sogar, das habe ich Frau Yong Sa noch gar nicht fragen können, an das weibliche Mutter-Anuttara-Yoga-Tantra anknüpfend - mit Arbeiten, die zwar Mittel zur Meditation sein wollen, aber in eine andere Richtung weisen. Nicht Ich-Verzicht, die andere Realität der Leere sondern das Selbstverständnis der Frau bestimmen die Richtung. An die Stelle abgebildeter Gottheiten sind Frauen oder besser: sind - diachron und synchron durch alle Kulturen - Gesichter von Frauen getreten.

Die Collage verbindet dabei, was nur sie kann, zitierend noch das Disparateste: die Geisha mit dem frommen Magdalena, die Amazone mit der Dulderin, die Hure mit der Göttin, die Gattin mit der Schamanin. Und ihre Meditation funktioniert in doppelter Richtung.

Sich selbst ergründend forscht sie nach den hinter dem weiblichen Ichbild [...] verborgenen Gesichtern, die, nur oder noch blass und verschwommen, im kunsthistorischen Zitat verfügbar sind. Für den Betrachter aber sind diese Erkundungen der eigenen Welt und Gegenwelt Vorschläge, Versuche durch Selbsterfahrung auf geeignete Weise auch andere Wesen vollständig zu befreien.

Die Stelle, an der sich Betrachter und Künstler treffen, ist das leere Zentrum der jeweiligen Collagen-Konstellation, der nicht geschlossene Kreis die Möglichkeit, aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten herauszutreten, den die in den Collagen gezeigten unterschiedlichen zeitlosen Grundtypen der Frau markieren.

Für mich ist es keine Frage, daß in einem künstlerischen Denken, in dem der Weg das Ziel ist, die Frauen-Collagen Yong Sa's auf dem Weg vom Sowohl-Als-Auch nach einem Weder-Noch sind: auf dem Weg zur Leere, wenn ich in den Kreis eintrete, auf dem Weg zu etwas, das außerhalb von Entweder-Oder und Sowohl-Als-Auch liegt, wenn ich den Kreis verlasse. Dabei übernimmt die Künstlerin im Selbstversuch für den Betrachter die Rolle des Gurus, des Therapeuten. Denn nicht von ungefähr spielen in der Psychologie Carl Gustav Jungs und seiner Schüler Mandalas als wirkliche oder natürliche Ganzheitssymbole eine gewichtige Rolle, sind Mittelpunkt, Kreis und Vierheit altbekannte Gottessymbole.

Abspann:

Beim Mandala handelt es sich im Grunde genommen um etwas Geheimes. Wenn du dich damit beschäftigst, um dir Ansehen zu verschaffen, und Stolz empfindest, das von dir Erarbeitete anderen Menschen zu zeigen, hast du nicht die richtige Einstellung. Falls deine Arbeit jedoch aus dem Bemühen entspringt, anderen Menschen Hilfe zu bieten, ist dies die richtige Geisteshaltung, die zu deiner und anderer Befreiung beiträgt. [Der Mönch Khenpo Thubten, zit. nach "Das Mandala", S. 9].

[Schwäbisch Gmünd: Museum für Natur- und Stadtkultur, 26.7.1997]