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Reinhard Döhl | Zehehalt in Hechingen

Man könnte, in diese Ausstellung einführend, von den beiden aufgelegten Serigrafien ausgehen. Das wäre im Falle Wolfgang Ehehalts sogar eine kleine Bildgeschichte: das langsame Herauswachsen und Sichentfalten eines Fliegenpilzes aus einem Rasenstück. Wobei die spiegelverkehrte Herzform von Rasenstück und Pilzhut Aufmerksamkeit verdient. Im Falle Ulrich Zehs wäre es eine dreigegliederte Schneelandschaft, deren Aufbrüche oder Taustellen - von links nach rechts zunehmend - sofort ins Auge fallen.

Die beiden Serigrafien ließen sich sogar lokalisieren. Ulrich Zehs Schneelandschaft auf dem schwäbischen Härtsfeld, Wolfgang Ehehalts Fliegenpilz auf einen Punkt 61° 26' nördlicher Breite / 28° 8' östlicher Länge. Allerdings brächte dies, über die Pointe hinaus, zum Verständnis der Arbeiten nichts bei. Denn angesichts des verschneiten Härtsfeldes griff Ulrich Zeh nicht etwa zum landschaftsabbildenden Zeichenstift, sondern zum Fotoapparat, um sich mit diesem technischen Hilfsmittel die Bildidee "Schneelandschaft" zu notieren. Und was Wolfgang Ehehalt im fernen finnischen Salmela reizte, war nicht ein konkreter Fliegenpilz. Was ihm kam, war vielmehr der Gedanke, das Wachsen eines Fliegenpilzes auf seine Art und Weise zu zeichnen. Dabei signalisieren die Herzform von Rasenstück und Pilzhut deutlicher als Ulrich Zehs untergliederte aufgebrochene Schneefläche, daß es nicht um Abbildung von real Vorgefundenem geht.

Um was aber geht es dann?

Sieht man sich auf den vier Stellwänden dieses (unteren) Raumes weiter um, wird die Serigrafie Ulrich Zehs durch eine zweite Schneelandschaft und einschlägige Radierungen ergänzt, vor allem aber durch vier Wasserfarbenbilder kontrastiert. Diese eher technische Bezeichnung stammt von Ulrich Zeh selbst und will besagen, daß es sich bei ihnen weder um Aquarelle noch Gouachen handelt. Der Einsatz der Wasserfarben, ihre Machart verweist bereits deutlich auf eine spätere Realisation als Ölbild, so daß ihre Charakterisierung als Wasserfarbenbilder auch jenseits der Werkstatterminologie vernüftig ist.

Ulrich Zehs neueste Arbeiten, die in dieser Ausstellung zum ersten Mal in größerem Umfang gezeigt werden, sind das Ergebnis eines Weihnachtsurlaubs auf der kanarischen Insel Lanzarote, deren schwarze Farbigkeit Ulrich Zeh wie eine ästhetische Gegenwelt seiner weißen Landschaften erscheinen mußte. Wobei man sicherlich den Schneelandschaften des Härtsfeldes die Kälte, den schwarzen Landschaften von Lanzarote die Wärme assoziieren darf - ja sogar die Hitze. Denn in der Realität handelt es sich dort um Lava-, also um Eruptivgestein in unterschiedlich verwittertem Zustand.

Das Gesagte muß hinreichen, zu belegen, daß Ulrich Zehs Arbeiten nicht Landschaften abbilden, sondern zum Anlaß haben. Sie als weiße oder schwarze Landschaften zu bezeichnen, wäre ein erster Schritt ihrer ästhetischen Charakterisierung. Ein zweiter Schritt, sie als farbige Zustände in zufälliger Form von Landschaft zu beschreiben. Daß solche farbigen Zustände auf Ulrich Zehs Arbeiten in durchaus unterschiedlicher Form zu beobachten sind, machen die Wasserzeichen im weiteren Verlauf der Ausstellung deutlich. Wenigstens erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang auch die hier nicht gezeigten Sportbilder, von denen der ausgelegte Katalog aber einige abbildet.

Nimmt man, um jetzt wieder von Wolfgang Ehehalt zu sprechen, den Fliegenpilz sprachlich auseinander, gewinnt man als erstes die Fliege. Sie ist ein für alle Arbeiten Ehehalts charakteristisches Bildelement, das noch dort, wo es, wie auf der Serigrafie nicht in Erscheinung tritt, wenigstens nominell und damit indirekt vorhanden ist. Ihre zentrale ikonographische Bedeutung zu erklären, bedarf eines Exkurses.

Wie Menschen zu etwas stehen, ist häufig bereits ihrer Umgangssprache, ihren Redensarten abzuhören und abzulesen. Erstere unterscheidet zum Beispiel zwischen dicken, lästigen oder zudringlichen Fliegen, die (natürlich unangenehm) summen und sich auf das Fleisch, die Nahrungsmittel und andere unerwünschte Stellen (auch des Körpers) setzen. Deshalb muß man sie fangen, verjagen, totschlagen und dergleichen. Möglichst sieben auf einen Streich, wie im Märchen, oder zwei mit einer Klappe, wie in der Redensart. Fühlt man sich erschöpft, ist man matt wie eine Fliege. Brechen eine Epidemie oder ein Krieg aus, sterben bzw. fallen die Menschen wie die (ergänze: vergifteten, erschlagenen) Fliegen. Soll jemand verscheucht werden, empfiehlt man ihm, die/eine Fliege zu machen. Und erregt die kleinste Kleinigkeit, ärgert man sich bereits über die Fliege an der Wand. Und so fort. Lediglich dem von Natur aus gütigen, dem ungleichen Kampf aller gegen alle abholden Menschen sagt man geringschätzig nach, er könne keiner (was heißen soll: nicht einmal einer) Fliege etwas zu Leide tun.

Verfolgt man den Krieg der Menschen gegen die Fliegen bis zu seinen Anfängen, trifft man auf die Vorstellung, daß sich Dämonen und Totenseelen den Menschen in Gestalt von Fliegen nähern, was auch als bildhaft gewordener Ausdruck der Angst vor der Fliege als Krankheitsüberträger deuten läßt. Die alten Griechen pflegten zunächst den Fliegen Brandopfer zu bringen, um rituell und konkret ihr Verschwinden zu erbitten und zugleich zu veranlassen. Später opferten sie den Fliegen jagenden oder fliegengestaltigen Heroen und Sondergöttern z.B. in Olympia, um (während der Spiele) vor Fliegenplagen geschützt zu sein. Schließlich wurden zu diesem Zweck ganze Stiere dem Zeus geopfert, dessen Donnerkeil auf einem Münzgewicht aus dem späten 5. Jahrhundert vor Christus im unteren Teil als Fliege gestaltet ist. Die wenigen, aus der Volksmedizin belegten Indikationen - Fliegensalbe gegen Haarausfall und Hautkrankheiten, Spanische Fliege gegen Erektionsschwäche und Rheuma - konnten auch die Kreuzzüge gegen die Fliege nicht aufhalten, auf denen man dem Gegner nach dem Rauch von Opferfeuern mit profanem Rauch, später mit individuellem Tabakrauch, dann mit klebrigen Fliegenfängern über dem Tisch und in der Speisekammer zu Leibe rückte, um schließlich zu einer erfolgreichen chemischen Kriegsführung überzugehen.

Aus dieser Niederlage heraus setzt Wolfgang Ehehalt, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, zu einem ohnmächtigen Gegenzug an, indem er einmal die Fliege zu seinem Wappentier machte und seither als Markenzeichen aller seiner Arbeiten verwendet. Indem er zum anderen auf selbstklebender durchsichtiger Folie in privaten und öffentlichen Gebäuden dem von der Zivilisation gemordeten Insekt überraschende Denkmäler setzt. Das ist zugleich auch die erste Funktion der Kunstfliege Wolfgang Ehehalts: ihr antizivilisatorisches Protestpotential. Daneben soll sie zweitens das Vorurteil des Ekels durchbrechen, den Betrachter auf die Schönheit des konventionell als häßlich Abgestempelten aufmerksam machen. Indem Wolfgang Ehehalt die Fliege zum Markenzeichen seiner Arbeiten macht und den schönen Schein der Zivilisation mit einem als Störung und Bedrohung empfundenen und bekämpften unscheinbar Schönen beklebt, kehrt er praktisch den Fliegenfänger in seiner Funktion um, signalisiert er, daß seine Kunst Gegenkunst ist.

Daß bis in neuere Zeit der Fliegenpilz, in Milch eingelegt, als Fliegengift diente, führt den Exkurs zu seinem Ausgangspunkt zurück.

Der zweite Bestandteil des Kompositums Fliegenpilz ist der Pilz. Und auch er verweist - soweit nicht giftig - auf ein vielen Arbeiten Wolfgang Ehehalts zentrales Thema - das Essen. Bereits die in diesem (unteren) Raum ausgestellten Radierungen und Zeichnungen deuten in etwa die Variationsbreite dieses Bildthemas an. Aber: neben Fliegen und Eßbarem gilt es, auf Wolfgang Ehehalts Radierungen, Zeichnungen, Bildern und Objekten durchaus anderes zu entdecken. Fast eine kleine Menagerie zum Beispiel von Vögeln (oft mit ihrer Hinterlassenschaft), von Käfern, von Wildschweinen, Rehen, Hirschen, von Löwen, von Pferden und Einhörnern. Daneben Herzen, zum Beispiel in Form eines Pilzhutes, aber auch zahlreiche Gegenstände des täglichen Ge- und Verbrauchs.

Nicht zu übersehen ist, daß einzelne Bildelemente ikonographisch erheblich vorbelastet sind: das Herz und seine Durchbohrung zum Beispiel in der Volkskunst, das Einhorn in der Mythologie oder der Malerei des Manierismus. Doch verwendet Ehehalt ausschließlich die Elemente, nicht ihre traditionelle Bedeutung. Und er läßt die Elemente bei ihrem Einsatz oft verblüffende Mutationen erfahren wenn nicht ein Pfeil das Herz, sondern ein Fliegenpilz ein herzförmiges Rasenstück durchbohrt. Wenn sich das Pferd als derangiertes Stuttgarter Rößle, der Löwe als Bayerisches Wappentier entpuppen, wobei es in der Regel bis zum Zitat der Staatsflagge auch nicht mehr weit ist.

Vor allem in ihrer Kombination entwickeln die Bildelemente zumeist einen hintergründigen Witz, dem eingeschriebene Texte und Textfragmente zusätzlichen Kommentar liefern. So ist zum Beispiel der Serigrafie, von der ich ausging, in normaler und in Spiegelschrift ironisch eingeschrieben: "Schützt den erotischen Wald". Oder es wird in einer der beiden Zeichnungen (links oben) aus Bertolt Brechts berühmter "Erinnerung an die Marie A." zitiert:

An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum.
Natürlich ist, soweit haben wir uns jetzt schon in die Arbeiten Wolfgang Ehehalts eingesehen - natürlich ist das, was dort von unten rechts in die Zeichnung hineinknospt, kein Pflaumenbaum, und schon gar nicht im September. Aber nicht nur in diesem Punkt erweisen sich Zitatkontext und Zeichnung als diskrepant. Brechts Gedicht nämlich, und vielleicht haben Sie es im Ohr, setzt fort: Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
Nichts aus dieser Strophe ist, außer in Textspuren, Gegenstand der Zeichnung geworden. Im Gegenteil: von der endlichen Unendlichkeit der Liebe, die Brecht in einem Naturbild zu fassen versucht, ist für den Betrachter zunächst nur die Vergänglichkeit geblieben: eine tote Fliege und ein Käfer, ein toter und ein flatternder Vogel. An Stelle der Wolke, die Brecht als sehr weiß und ungeheuer oben auszeichnete, erscheint ein Flugzeug: Lärm unterbricht die im Gedicht beschworene Stille.

Allerdings wäre Ehehalts Intention verkannt, läse man die Zeichnung als Parodie des Brechttextes. Für diesen Zweck wäre eine Zeichnung das ungeeignete Mittel. Ehehalts Intention wird in dem Augenblick deutlicher, in dem man den ein geschriebenen Text (wie allgemein alle Textspuren in Ehehalts Arbeiten) als ein den Fliegen, Vögeln, Einhörnern undsoweiter gleichwertiges Bildelement, als Textbild in einem wörtlichen Sinne begreift, das zu den anderen Bildelementen ebenso in Beziehung tritt wie diese zu ihm. Das aber heißt in der exegetischen Anwendung, daß nicht nur die Zeichnung den Text, sondern auch der Text die Zeichnung in Frage stellt. Mit anderen Worten: Zwar weisen die in der Zeichnung versammelten bildlichen Zitate einer uns umgebenden alltäglichen Wirklichkeit das Naturbild Brechts als eine, gemessen an der Realität fragwürdig gewordene Idylle aus. Aber im Gegenzug beklagt das Bildelement Text für die uns umgebende Wirklichkeit des Alltags den Verlust der Stille und der Liebe. Nicht das eine oder das andere, erst beides zusammen macht die Aussage der Zeichnung.

Man könnte hier die Exegese durchaus weitertreiben. Da gäbe es auf der Zeichnung noch manches zu entdecken, das Witz entwickelt oder Widersprüchliches aufdeckt. Ich möchte aber lieber auf einen eher technischen Aspekt der beiden in diesem (unteren) Raum ausgestellten Zeichnungen aufmerksam machen und dabei zu erklären versuchen, daß es Wolfgang Ehehalt nicht um eine (wie auch immer geartete) kritische Bestandaufnahme uns umgebender Wirklichkeit geht. Daß seine Arbeiten vielmehr unsere Wirklichkeit in Frage stellen bis an eine Grenze, wo Wirklichkeit selbst zur Frage wird.

Im Kontext der in der Regel ironisch gebrochen zitierten Realitätselemente und -fragmente auffällig ist die Neigung Ehehalts, mit Trompe-l'oeil-Effekten zu arbeiten. Seit der Antike bekannt, subsumiert die Kunstgeschichte unter diesem Terminus alle künstlerischen Versuche, die Augen eines Betrachters zu täuschen und in die Irre zu führen. Als ein naheliegendes Beispiel nenne ich neben dem marmorierten Holz barocker Altäre die Bibliothek ohne Bücher im Kloster Schussenried, die die Mönche des Klosters zu einer den ersten Augenschein überschreitenden Einsicht führen sollte.

Von solchen Arbeiten hebt die Kunstgeschichte als l'art pour l'art alle jenen Arbeiten ab, deren Trompe-l'oeil-Effekte das ausschließliche Ziel haben, technisches Können unter Beweis zu stellen. Und sie rechnet hierher auch das sogenannte Quodlibet (wörtlich übersetzt: was beliebt). Ein solches Quodlibet stellte im 18. und noch im frühen 19. Jahrhundert Wirklichkeitsabfälle und vergleichsweise Wertloses - Malpinsel, Schreibfedern, Notizzettel, zerrissene Einladungskarten undsoweiter - in scheinbar sinnloser Komposition zu einer gezeichneten oder gemalten Collage zusammen, wobei Schattenbildung ebenso wie der Abstand zwischen Bildgrund und Oberfläche des gezeichneten Bildgegenstandes vorgetäuscht wurden. Zum Beispiel mit einer auf imitiertem Glas oder Papier angebrachten Schmutzstelle, aber auch einer aufgesetzten Fliege, z.B. in Antoine Berjons "Stilleben mit Melone" (1797).

Daß man ein solches Quodlibet nicht ausschließlich als l'art pour l'art abqualifizieren darf, sondern auch als Opposition gegen den heroischen Bildgegenstand der offiziellen Malerei interpretieren muß, haben in diesem Jahrhundert die ready-mades der Dadaisten und, in ihrer Nachfolge, Pop-Artisten wie Robert Rauschenberg ein für allemal klar gemacht.

Durchaus in dieser Tradition weist die zweite in diesem (unteren) Raum ausgestellte Zeichnung gleich mehrere solcher Trompe-l'oeil-Effekte auf: das scheinbar zerknitterte und eingeklebte bräunliche Papier, die scheinbar eingeklebten Skizzen, der scheinbar verwendeten Tesafilm undsofort.

Daß dies nicht nur technische Pointen sind, macht die gezeichnete Collage, zu der Ehehalt die scheinbaren Realitätsabfälle zusammentreten läßt, schnell deutlich. Indem er sie nicht collagiert, sondern in die ästhetische Realität der Zeichnung umsetzt, nimmt er ihnen aber auch sozusagen ihr Sein, macht er auf die ästhetische Verwertbarkeit noch des nebensächlichsten Abfalls unserer Zivilisation aufmerksam.

Aufgezeigt an ihren Abfallprodukten erweist sich ihr Sein als Schein. Aber der Schein trügt. Darf man Ehehalts Anliegen auf diese Formel bringen, ist nur noch ein kleiner Schritt zu der Einsicht, daß das, was wir Wirklichkeit nennen, insgesamt ein Schein ist. Daß dies nicht mehr der schöne Schein eines Barockaltars, einer aufgemalten Klosterbibliothek ist, demonstrieren Ehehalts Bildelemente dabei ebenso wie sie die Augen des Betrachters zu der weiteren Einsicht führen, daß die Elemente unserer Scheinwirklichkeit im Grunde genommen äußerst trivial sind.

Gemessen daran erscheinen die weißen und die schwarzen Landschaften Ulrich Zehs, seine Wasserzeichen im weiteren Verlauf der Ausstellung leicht zugänglich, ja fast vertraut. Aber auch dieser Eindruck täuscht. Denn auch sie enthalten bei genauerem Zusehen ein entscheidendes Moment, das der vermeintlichen Idylle schnell den Garaus macht, dem Betrachter den sicher geglaubten Boden entzieht. Ich möchte dieses Moment, von den Wasserzeichen herleitend, die Untiefe der Zehschen Bilder nennen, wobei die Vorsilbe un- in der deutschen Sprache die doppelte Bedeutung der Verneinung und der Verstärkung hat, letztere vor allem, wenn dem Grundwort bereits eine negative Qualität zukommt. Ist zum Beispiel, was ich hier sage, nicht richtig, ist es unrichtig (Verneinung). Ergrimmt, was ich hier Unrichtiges sage, die beiden Künstler, zieht sich möglicherweise über meinem Kopf ein Wetter, ein Gewitter, in verstärkter Form ein Unwetter, ein Ungewitter zusammen.

Diese ambivalenten Untiefen der Zehschen Bilder springen neben den "Wasserzeichen", wo sie sich automatisch assoziieren, in den weißen und in den schwarzen Bildern besonders durch die wirbel- oder strudelähnlichen Stellen besonders ins Auge. Natürlich sind auch reale Parallelen schnell zur Hand. Bei den Schneebildern zum Beispiel eine Taustelle, ein vom Wind freigewirbeltes Stück gefrorene Erde. Im verwitterten Lavagestein Lanzarotes die ausgehobenen Trichter, in denen Wein angepflanzt ist, der dort durch den nächtlichen Tauniederschlag bewässert wird. Aber auch jene schwarzen Trichter am Rande der Insel, die sich durch den schwarzen Sand hindurch mit Meerwasser aufgefüllt haben, das, ständig nachdrückend, mit der Zeit eine dunkelgrüne, hochkonzentrierte in allen Farben spiegelnde Salzbrühe ergibt, die kein Leben mehr zuläßt. Für beides bieten die in diesem (unteren) Baum ausgestellten Wasserfarbenbilder je einen Beleg. Nur - das ist nicht Ulrich Zehs Thema, allenfalls der Anlaß. Was seine Bilder vielmehr zeigen, ist der Schmutzfleck im Weiß, der Farbfleck im Schwarz. Sorgt die abstrahierte Landschaft in beiden Fällen einerseits dafür, daß Zehs Malerei nicht zum rein abstrakten Farbspiel wird, garantiert sie andererseits, daß der Betrachter den Schmutzfleck im Weiß, den Farbfleck im Schwarz nicht nur als farbliche Untiefe erkennt.

Vom Wirbel im Malstrom hat ein Kritiker angesichts der weißen Bilder Ulrich Zehs gesprochen und damit - bewußt oder unbewußt - auf eine für die moderne Ästhetik zentrale Erzählprosa Edgar Allan Poes angespielt. In ihr geht es vordergründig um den Untergang eines Fischerbootes und die merkwürdige Rettung eines der beiden Eigner. Hintergründig um das Umschlagen des Schrecklichen in Schönheit. Ich darf einen kurzen, zum Verständnis der Zehschen Bilder jedoch zentralen Abschnitt zitieren.

Das Boot schien wie durch ein Wunder an der inneren Oberfläche des Trichters zu hängen, der von weitem Umfang und unerkennbarer Tiefe war, und dessen glatte Flächen man für Ebenholz gehalten hätte ohne die erschreckende Schnelligkeit ihres Herumwirbelns und den grausigen Schimmer, der von ihnen ausging in den Strahlen des Vollmonds, der aus der kreisrunden Wolkenöffnung, die ich schon beschrieben habe, eine Flut goldenen Scheines auf die schwarzen Wände und weit hinunter in die innersten Winkel des Abgrundes ergoß.

Zuerst war ich zu verwirrt, um irgend etwas genau beobachten zu können. Die plötzliche Erscheinung schrecklicher Größe war alles, was ich begriff. Als ich wieder zu mir kam, wandte sich mein Blick unwillkürlich nach unten. [...] Die Mondstrahlen schienen den untersten Grund des tiefen Schlundes zu durchsuchen. Aber noch immer konnte ich nichts genau sehen, durch den dicken Nebel, der alles einhüllte und über dem ein herrlicher Regenbogen hing wie die schmale, schwankende Brücke, die nach dem Glauben der Mohammedaner den einzigen Pfad zwischen Zeit und Ewigkeit bildet.

Selbstverständlich ist der von Poe in der Erzählung vorgeführte Prozeß eines Umschlagens des Grauens in Erstaunen und schließlich ins Bestaunen des Schrecklich-Schönen weder auf Ulrich Zehs weiße, noch auf Ulrich Zehs schwarze Bilder direkt anwendbar. Dreht man jedoch Poes Gleichung "Grauen und Schönheit" um in die Gleichung "Schönheit und Grauen", ist man einig, daß wenn Schreckliches schön, Schönes auch schrecklich sein kann, erhellt, was Ulrich Zehs Bilder und Edgar Allan Poes Erzählung (die Zeh natürlich gelesen hat) miteinander zu tun haben. Denn umgekehrt wie der Lofotenfischer könnte der Betrachter die Schmutzflecken der weißen Bilder, die Farbflecken, die starke Farbigkeit der schwarzen Bildar durchaus als Wirbel, als Untiefe begreifen, als ein in das Schöne eingeschlossenes Erschrecken. Ulrich Zehs weiße Bilder umfassen die Kälte des Schneefeldes und zugleich - physikalisch gesprochen - die Anwesenheit aller Farben im Weiß. Um dies sichtbar zu machen, bedarf es der Taustelle oder des Schmutzflecks (je nach Standpunkt des Betrachters). Ulrich Zehs schwarze Bilder umfassen die Wärme der Lavafläche und zugleich - physikalisch gesprochen - die Abwesenheit aller Farben im Schwarz. Um dies sichtbar zu machen, bedarf es des Trichters oder des Farbflecks (je wiederum nach Standpunkt des Betrachters). Auf einer weiteren Stufe aber sind - da sich der Schmutzfleck auf das Schwarz und der Farbfleck auf das Weiß reziprok beziehen lassen - die weißen wie die schwarzen Bilder Ulrich Zehs nur Variationen eines Themas.

Ich komme zum Schluß. Was ich in groben Linien versucht habe, war eine Annäherung an die scheinbar so unterschiedlichen Arbeiten der seit ihrer Stuttgarter Akademiezeit befreundeten Maler Wolfgang Ehehalt und Ulrich Zeh, die heute und hier nicht zum ersten Mal gemeinsam ausstellen. Was beide seit über 15 Jahren miteinander verbindet, ist kein Programm oder Thema. Was sie verbindet, und des belegen, außer gemeinsamen Ausstellungen, auch zwei in den 70er Jahren unter dem Namen Zehehalt edierte Grafikmappen, - was sie jedoch verbindet, ist ihre Entschiedenheit, mit ästhetischen Mitteln, jeder auf seine Weise, eine von uns allen wahrgenommene Wirklichkeit zu befragen. Was sie verbindet, ist zweitens ihre Entschiedenheit, die Oberfläche dieser nur zu oft für wahr genommenen Wirklichkeit durchsichtig zu machen auf das, was in ihr auch enthalten ist, was hinter ihr, durchaus erschreckend, sichtbar werden kann. Wie unterschiedlich dabei die Wege und Mittel sein können, hoffe ich annähernd deutlich gemacht zu haben.

Daß man sich den Arbeiten Wolfgang Ehehalts und Ulrich Zehs auch ganz anders nähern könnte, versteht sich von selbst. Aber keine dieser denkbaren Annäherungen kann einem individuellen Betrachter die anregende, wenn auch nicht immer einfache Aufgabe ersparen, selber nachzusehen, was an einem Künstler dran und was auf seinen Arbeiten drauf ist.

[Rathaus Hechingen, 24.2.1985]