Es gab einmal einen deutschen Dichter, der so leidenschaftlich gern Schlittschuh lief, daß er darüber gleich mehrere Oden verfaßte. Besonders drei dieser Oden wurden von der Literaturgeschichte als "makellose Begleitbilder des zugehörigen gymnastischen Vorgangs", als "Tänze und Läufe des Geistes" bewertet, die den "Bewegungen des Leibes aufs Akurateste folgen. Und da sich" der Dichter "auch um die künstlerische Vollendung des Eislaufsports unermüdlich" bemüht habe, könne man von ihm "mit Fug behaupten, er habe auf diesem Gebiete der musischen Betätigung wirklich der antiken Orchestik [Tanzkunst] Ähnliches angestrebt: ein Gesamtkunstwerk aus Tanz, Dichterwort, Mimik und Musik" (Kindt, 220).
Der Eislaufliebhaber, von dem hier die Rede ist, hieß Friedrich Gottlieb Klopstock. Und seinem Beispiel folgten alsbald die Fans aus der Generation des jungen Goethe, indem sie den Eislauf zur modischen Lieblingsbeschäftigung der Winterzeit machten, ja sogar, als Schlittschuhläufer portraitiert, in die Kunstgeschichte eingingen. Das ist lange her.
Es gab einmal ein Land, in dem obsaß ein Minister der Kultur. Und wenn er nicht der Kultur obsaß, dann oblag er dem Sport. Diese friedliche Ab- und Nachfolge von Haupt- und wichtigster Nebensache der Welt ist ebenso märchenhaft wie jene Gentilphase der griechischen Gesellschaft Vergangenheit ist, in der die Sportstätten direkt an Kultstätten angeschlossen waren. Pindars berühmte Olymüische Oden oder der Diskuswerfer von Myron sind heute allenfalls noch Gegenstand altphilologischer, archäologischer oder kunsthistorischer Seminare. Und wer heute noch verlangt, daß auf der Schule Schillers "Kraniche des Ibykus" behandelt oder gar auswendig gelernt werden, und die beginnen ja bekanntlich
Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
Der auf Korinthus' Landesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll...
wer das verlangt, wird den Schülern erklären müssen, was Wagenrennen und Gesang miteinander zutun haben und hatten. Dabei war Pierre Baron de Coubertin seinerzeit durchaus guten Willens gewesen, hatte sich immer wieder nachdrücklich dafür stark gemacht, daß mit den neu eingerichteten Olympischen Spielen und Wettkämpfen auch Kunstwettbewerbe sich verbinden sollten. Denn dies und nur dies entspräche - war er überzeugt - dem griechischen Ideal einer harmonischen Einheit von Körper und Geist.
Um es kurz zu machen: die von Coubertin geforderten Kunstolympiaden kamen tatsächlich zustande. Und man konnte auf ihnen ebenso wie bei den sportlichen Wettkämpfen Gold-, Silber und Bronzemedaillen gewinnen. Aber die Qualität der Beiträge ließ - reziprok zu den sportlichen Leistungen - zunehmend zu wünschen übrig. So wurden 1949 die Kunstolympiaden eingestellt.
Ich will hier nicht untersuchen, ob dies an den Künstlern lag oder an der Entwicklung des Sports, ob es sich um eine gesellschaftlich notwendige Entfremdung handelt oder auf beiden Seiten von falschen Voraussetzungen ausgegangen wurde. Ich möchte aber festhalten, daß sich
1. die idealistische Vorstellung einer Verbindung von Sport und Kunst nie ganz verloren hat. Daß immer wieder einmal, jetzt zumeist auf nationaler oder regionaler Ebene, Versuche unternommen wurden, beides miteinander in Beziehung zu setzen. Die heutige Ausstellung im Rahmen des 58. Schwäbischen Landesturnfestes wäre zum Beispiel ein solcher, beinahe schon im Anlauf gescheiterter Versuch. Das
2., das ich festhalten möchte, ist die Tatsache, daß sich seit spätestens den 20er Jahren die bildende Kunst des Themas Sport immer wieder einmal und zum Teil recht intensiv angenommen hat. Daß dabei Künstler des deutschen Südwestens besonders beteiligt waren, kann, muß aber kein Zufall sein. Ich denke dabei besonders an Willi Baumeister, dessen umfangreich dem Sport gewidmetes grafisches Werk ja erst kürzlich in der Staatsgalerie in Stuttgart zu besichtigen war. Und ich denke an ihn besonders deshalb, weil sich an seinem grafischen Werk sehr eindrucksvoll studieren läßt, daß Sportbild nicht Sportbild ist. Und ich meine das nicht nur ästhetisch, sondern auch gesellschaftlich.
Denn während Baumeisters berühmte Lichtdruck-Mappe "Sport und Maschine" den Künstler 1929 als einen der vielen ausweist, die Sport und Maschine für die beiden "zeitgemäßen Erscheinungsformen menschlichen Geistes" hielten, während Baumeister mit dieser Mappe also gewissermaßen in war, war er 1934, als die Nationalsozialisten ihre Olympiade ausrichteten, out, wurde er von Leni Riefenstahl verdrängt. Und so müssen seine zahlreichen Arbeiten dieses und der folgenden Jahre auch interpretiert werden als ästhetischer Gegenentwurf, als ohnmächtiger Protest mit ästhetischen Mitteln gegen eine politische Indienstnahme des Sports.
Man sollte sich also bei einer Ausstellung von Sportbildern, bei der Frage Kunst und Sport oder auch Literatur und Sport nicht mit der Feststellung begnügen, daß Literatur und Kunst im 20. Jahrhundert zunehmend auch den Sport als aktuelles Thema entdecken, wobei nur noch zwischen der jeweiligen Machart zu differenzieren wäre. Die Künste als ästhetischer Reflex auf eine den Künstler umgebende Wirklichkeit spiegeln diese Wirklichkeit kritisch oder zustimmend und wirken im günstigen Fall auf diese Wirklichkeit zurück.
So scheint mir kein Zufall, daß sich die Kunst und Literatur dem Sport erneut und zunehmend zu einem Zeitpunkt zuwenden, an dem der Sport sich vom Elite- zum Breiten- und vom Breiten- zum Sport für die Massen entwickelt, an dem der Sport zunehmend seinen ursprünglichen Amateurstatus zugunsten der Profikarriere aufgibt. "Die Angst des Torwarts beim Elfmeter" ist heute, dank Peter Handke, sprichwörtlich. Und Ludwig Hang machte selbst dem größten Fußballmuffel klar, daß Netzer aus der Tiefe des Raumes kam, nachdem er schon vorher den 1. FC Saarbrücken literaturfähig gemacht hatte, ein Kunststück, daß kurze Zeit später Ferdinand Kriwet für Fortuna Düsseldorf und Ror Wolf für Eintracht Frankfurt wiederholten, während Fritz Genkinger dem VfB Stuttgart zur Ausstellungsreife verhalf. Womit ich auch bei dieser Ausstellung wäre.
Im Rahmen des Landesturnfestes thematisiert sie natürlich das Turnen, in größerem Umfang sogar, wie Sie bei einem ersten Rundgang sicherlich schon festgestellt haben. Aber sie thematisiert es nicht ausschließlich. Und nicht in einer einzelnen Technik, sondern als Ölbild bei Ulrich Zeh, als Lithographie, Sieb- und Offsetdruck bei Fritz Genkinger und als Collage bei Reinhard Döhl.
So unterschiedlich die Techniken, so verschieden sind auch die Temperamente, die sich hier mit dem Thema Sport auseinandersetzen. Dynamisch bei Ulrich Zeh, eher meditativ bei Fritz Genkinger, eher analytisch in den Collagen. Für Genkinger scheint dabei der Sport ein abgeschlossenes Thema zu sein. Günther Wirth hat in seiner Bestandaufnahme der "Kunst im deutschen Südwesten" auch Genkingers Entwicklung als Sportmaler und -drucker skizziert, und ich darf - faul und unsportlich wie ich bin - ihm hier ein paar Sätze lang folgen.
"Zunächst erschienen", schreibt Wirth, Fußballer "als naive Formulierungen, als Dorfkicker. Doch" lade Genkinger sie "mit mit einer neuen Formidee auf, die sich mit dem Begriff 'zentrierte Kraft' umschreiben" lasse. Diese versammle er "nicht nur in einem einzigen Spieler, der fast das ganze Spielfeld" ausfülle, "sondern bis hin zu einem Spielerrücken mit überbetonter Plastizität, Jahre darauf in einer Rückennummer. Beim Spieler als Ganzfigur" werde "die 'zentrierte Kraft' simultan in Bewegung gesetzt. Aus den Dorfkickern" seien "Ende der sechziger Jahre längst Profis geworden, ablesbar zum Beispiel am 'Bomber mit dem großen Schuh'." Doch obwohl sich "um 1970 [...] zu den Fußballern" mit "Stabhochspringern, Turnern und Athleten" auch Vertreter "anderer Sportarten" gesellten, bleibe "das Thema Sport, so populär es in seiner Wirkung" sei, "im Grunde nur Vorwand für Malerei, die in ihren Verfremdungen ironische Aspekte" aufweise. "Ein Kopf" werde "zum Ball, ein Ball zum Gestirn, der ins Weltall" fliege, "ein Spielerrücken zum Feld. Elementare Farbspannungen interessieren den Maler, der sich im Formalen ein Vokabular gegensätzlicher Elemente erarbeitet, wie von Ruhe und Bewegung, Fläche und Raum, Szene und Isolation, Positiv- und Negativform, Nah- und Fernsicht, Ausschnitt-Anschnitt, Volumen und Schicht [...], Organischem und Konstruktivem". Schließlich - so Günther Wirth - verändere ein Parisaufenthalt 1973 Genkingers Kunst, ende die Phase der Sportbilder. (Wirth, 88).
So einleuchtend diese Skizze scheint, sie beantwortet zwei Fragen nicht: die Frage nach dem Anlaß, Sport zu thematisieren, und die Frage nach dem Grund, das Thema Sport abzuschließen. Ich möchte dies nachtragen.
Wie die meisten Künstler, die sich dem Thema Sport nähern, Baumeister zum Beispiel boxte und spielte Tennis; Ulrich Zeh zum Beispiel gehörte zunächst einem Turnverein, dann der Leichtathletikmannschaft von Salamander Kornwestheim an und gewann in der 4x100 Meter-Staffel die Württembergische Jugend-, im Fünf- und Zehnkampf die Württembergische Juniorenmeisterschaft in der Nannschaft -
wie die meisten Künstler, die sich dem Thema Sport nähern, sagte ich, hat auch Fritz Genkinger Sport - genauer Fußball gespielt - als Amateur. Er kannte also, was er in seinen Fußballbildern und -blättern thematisierte, aus eigener Erfahrung: die Angst der Torwarts beim Elfmeter, oder - wie er sehr viel richtiger darstellt, - die Angst des Schützen beim Elfmeter, dem man den nicht verwandelten Strafstoß weniger verzeiht als dem Torwart den nicht gehaltenen.
Entsprechend gehören denn auch die beiden dies thematisierenden Blätter in dieser Ausstellung zusammen. Und auf deren zweitem, auf dem das Tor ins Lilliput-Format zusammengeschrumpft ist, vom Torwort fast zu Gänze ausgefüllt, sind alle 'Jugendsünden', die einem Elfmeterschützen beim Antritt einfallen mögen, in Form von Bällen gegenwärtig, vom Tennisball angefangen, mit dem der Jugendliche kickte, bis zum Ball des Profispiels.
Dieses 'Psychologische', das sich hier andeutet, ist bei fast allen Sportbildern und -drucken Genkingers mitzubedenken, zunehmend bei den Turnerbildern. Technisch dienten sie - und hier hat Wirth recht, wenn er davon spricht, daß für Genkinger Sport nur Vorwand für Malerei sei - technisch dienten sie dem Versuch, eine neue Farbigkeit aufzubauen. Aber zugleich sind sie Katalysator für äußere und innere Probleme des Künstlers. Für äußere zum Beispiel, wenn im Blatt "Dreistufenrakete" Kopf, Ober- und Unterkörper voneinander getrennt sind, die Arme den vergeblichen Versuch, den Kopf wieder einzufangen, das Blatt insgesamt die Unmöglichkeit, eine Einheit wiederzufinden, thematisieren.
Man muß auf Genkingers Blättern auf Einzelheiten, oft Kleinigkeiten achten, um ihnen hinter den Sinn zu kommen. Auf die Ringe zum Beispiel, die zum Symbol für verheiratet verschränkt sind, während unter ihnen eine Turnerin auf einem leblosen schwebenden männlichen Körper ihr Programm absolviert und dabei einen Kopf balanciert, der mit Ausnahme der Farbe und des geöffneten Auges dem Kopf des leblosen schwebenden Mannes entspricht. "Schwebebalken" heißt das Blatt.
Als Genkinger das Thema Sport für sich abhakte, endete auch für Ulrich Zeh eine erste intensive Auseinandersetzung mit dem Sport, vornehmlich der Leichtathletik. Und es dauerte immerhin fast zehn Jahre, bis Ulrich Zeh sein Thema wieder aufgreifen konnte. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe für das Abbrechen, die künstlerische Entwicklung zu diskutieren, die Zeh durchlaufen mußte, um 1984 erneut sich dem Thema Sport zuwenden zu können.
Die jetzt zumeist großen Formate ermöglichen Zeh Malbewegungen aus dem Körper heraus, eine kreisende Gestik, deren Radius der Malarm ist. Das zieht einmal den Betrachter gleichsam in den Strudel des Bildes hinein, schön zu sehen etwa bei dem Stabhochspringer. Das erinnert aber auch an action painting und hinterläßt zufällige Malspuren, die fast kalligraphisch wirken können. Das scheint mit dem Thema Sport wenig zu tun zu haben, entführt es doch den Bildgegenstand in eine eher ästhetische Dimension. Aber indem die Malbewegungen gleichsam spurenhaft stehen bleiben, korrespondieren sie mit den Bewegungsabläufen der Sprinter, der Stabhochspringer, der Radfahrer, der Turner an den Ringen, die das Bild 'abbildet'. Es entsteht zwischen abgebildeter Bewegung und der Bewegung des Abbildens ein wechselseitiges Spannungsverhältnis. Die Anspannung des nur torsohaft gezeigten Sportlers erfährt ihre Entsprechung in der ästhetischen Spannung des Bildes, zu der die sichtbaren Reste der grauen Grundierung das Ihrige hinzutun.
Daß hier im Werk Zehs noch einige Überraschungen möglich, eine weitere Entwicklung wahrscheinlich sind, deuten die in letzter Zeit entstandenen Turnerbilder an in ihrer fast pastellhaften Chromatik, in der zunehmenden Reduktion des Torsos auf Farbflächen und -flecken, im nachträglichen Aufreißen der Farbflächen durch Farbstifte, wobei ich vor allem an den reduzierten Turner an den Ringen denke. Er macht denn auch zusammen mit dem Stabhochspringer am deutlichsten, daß es Zeh - wie schon Genkinger - nicht um Abbildung von Sportlern geht, aber auch nicht um ein wie immer geartetes Bild, das er sich vom Sport gemacht hat. Es geht ihm um die ästhetische Umsetzung, um das ästhetische Äquivalent von sportlichen Bewegungsabläufen, das malerische Erfassen spezifischer Haltungen, spezifischer Bewegungsmomente höchster Anspannung und ihrer Dynamik. Und das ist - wie immer man es sieht - bei Zeh ebenso wie bei Genkinger - auch ästhetisches Vergnügen, Sport in seiner ursprünglichen Bedeutung. Schließlich stammt dieses Wort wie vieles, was wir darunter subsumieren, aus dem Englischen. Und dort heißt sport
1. Belustigung,Mit dem Werb to sport verhält es sich nicht anders. Auch hier müssen wir zuerst mit sich belustigen, dann mit scherzen und spielen und unterhalten übersetzen.
2. Spaß, Scherz,
3. Bewegungsspiel, und erst in der Mehrzahl sports bedeutet es
4. Sport in unserem Sinne.
In diesem Sinne mit ästhetischen Mitteln unterhalten will auch die heutige Ausstellung, wenn auch - wie ich anzudeuten versuchte - hinter der Unterhaltung gelegentlich durchaus Ernsthaftes sich verbirgt, undzwar jeweils anderes hinter den Bildern und Grafiken Fritz Genkingers, den Bildern Urich Zehs und den Collagen Reinhard Döhls, für den ich ansonsten, weil mit ihm verwandt, vom Recht der Aussageverweigerung Gebrauch mache.
[Kunsthalle Heilbronn, 25.6.1989]