Wie die aus Anlaß der heutigen Ausstellung erschienene Monographie Farblandschaften und -ereignisse belegt, reichen die Wurzeln der neuesten Arbeiten Ulrich Zehs zurück bis zu Beginn der 80er Jahre. Konkret: bis zu den 1982 hier ausgestellten "Weißen Bildern". Mit ihnen kommt ein Name in Erinnerung, der Name Max Benses. Denn zweimal hat Bense in dieser Galerie Hinweise gegeben, die sich auf merkwürdige Weise in der Werkentwicklung Ulrich Zehs bestätigt haben.
Den ersten am 27. November 1982. Bense bezog sich damals, über Benedetto Croces "Theorie vom Farbfleck" auf Vittorio Imbrianis "La Quinta Promotrice". Und er wollte mit ihm, mit seiner eigenen Formel von "Schneelandschaft und Farbfleck" sagen, daß es sich bei Ulrich Zehs einschlägigen Bildern eben nicht um Abschilderungen von Schneelandschaften, sondern primär um Farblandschaften, um farbige Ereignisse handele.
Den zweiten Hinweis gab Max Bense 5 Jahre später bei einer Vorbesichtigung der Ausstellung der "Überflugbilder", indem er sagte, sie verhielten sich zu den "Weißen Bildern" wie Malerei zu Zeichnung.
Was Max Bense mit diesen Hinweisen herausstellte, wird durch die heutige Ausstellung nachdrücklich bestätigt: Ulrich Zehs Bilder sind immer ausschließlicher nur Farbereignissse, seine Kunst eine immer konsequentere Malerei.
Ich will jetzt nicht wiederholen, was ich 1987 zu den Kategorien der Spiegelung und des Strudels gesagt habe. Sie können dies in der Monographie nachlesen. Auch ist die Spiegelung auf vielen Arbeiten dieser Ausstellung einschließlich ihrer Funktion leicht ersichtlich. Und was den Strudel angeht, so ersetzen wir ihn durch die Art der Ausstellungseröffnung. Was heißt: die drei Herausgeber/innen der Monographie werden zu einigen zentralen Aspekten der Malerei Ulrich Zehs von unterschiedlichen Standorten sprechen, so daß sich das geneigte Publikum im Laufe der Eröffnung einmal um sich selbst drehen muß und damit im Ausstellungsstrudel nachvollzieht, was eine wesentliche Kategorie der "Überflugbilder" war.
Auch ein Zweites möchte ich hier nicht noch einmal ausführen, das thematische Nebeneinander von Landschaft ohne Menschen und sportlichem Torso ohne Ambiente. Dies umso mehr, weil Ulrich Zeh in seinen letzten Arbeiten, den "Kreuzigungen" und den "Laokoon"-Variationen energisch versucht, das Nebeneinander in ein Zu- und Miteinander aufzulösen. Auf dieser Metaebene stellen sich auch die Fragen an die Kunst Ulrich Zehs anders und neu: werden die Ästhetik der Farbe einerseits und das Problem des Zitats, die Spurensuche andererseits vorrangig.
Beide Aspekte sind im Zehschen Werk nicht neu. Ich erinnere an die Hinweise Benses, an das, was wir in der ersten Zehmonographie, "Stadt & Landschaft weiß" zu Zehs künstlerischen Vorbildern gesagt haben. Allerdings, ohne von der zunehmenden Bedeutung dieser Aspekte für Ulrich Zehs malerische Entwicklung zu ahnen.
Es gibt mancherlei Möglichkeiten, in eine Ausstellung einzuführen. Die erste wäre ein Lauschangriff auf die Vernissage-Gäste, wie ihn schon 1810 Clemens Brentano auf die Besucher einer Ausstellung Caspar David Friedrichs unternahm. Mir ist dies eingefallen, als ich erfuhr, daß auf die armen Eröffner heute ein Lauschangriff mit der Videokamera stattfindet. Wie sollen die Eröffner da ihr Gesicht wahren? Was die Videokamera heute erlauscht, weiß ich natürlich nicht. Wohl aber, was Clemens Brentano aufzeichnete. Nur - das verrate ich nicht.
Eine zweite Möglichkeit, in eine Ausstellung einzuführen, besteht in einer Verbindung von Bild und Musik, wobei beides meist gar nichts miteinander zu tun hat, vor einem neuen Wilden zum Beispiel ein Brandenburgisches Konzert heruntermusiziert wird, weil die örtliche Musikschule dies gerade drauf hat. Natürlich gibt es Ausnahmen, und eine dieser Ausnahmen wären Mussorskis "Bilder einer Ausstellung". Wenn ich es mir wünschen dürfte, hätte ich mir heute inmitten dieser Zehschen Farbklänge einen Musiker gewünscht, der mir diese Farbklänge in Klangfarben umgesetzt hätte. Jedenfalls halte ich die neuen Arbeiten Ulrich Zehs in diesem Sinne auch für musikalische Malerei und darf dies hier sagen, da Frau Mockler sich der Ästhetik der Farbe unter einem etwas anderen Gesichtspunkt nähern wird.
Eine dritte Möglichkeit, sich den Exponaten einer Ausstellung zu nähern, wäre ein Dialog zwischen dem Künstler und den Kollegen, die ihn wesentlich beeinflußt haben, so wie es die Antike und Klassik in Form der Göttergespräche kannte. Was dabei herauskommt, wenn sich Schiller und Hölderlin am Fuße des Hohenasperg über (Ulrich Zehs) Malerei unterhalten, läßt sich - sogar im Originalton - in der Monographie nachlesen. Heute abend sind sie jedoch wie die für diesen Dialog zentral wichtigen Künstler aus dem Eleusium nicht abkömmlich. So daß Frau Bopp den Dialogpart, die Frage nach dem Zitat übernehmen muß. So bleibt uns nur die Wörterwelt für eine weitere Annäherung an die Bilderwelt Ulrich Zehs. Und dabei wäre zunächst von den Farben dieser Bilderwelt, danach vom Zitat zu sprechen.
Sibylle Mockler: Ästhetik der Farbe
Ute Bopp: Spurensuche
Damit wäre der Ausstellungsstrudel zu mir zurückgekommen. Daß, was wir, was vor allem Frau Mockler und Frau Bopp erörtert haben, sind zwei Aspekte, die uns bei den neuen Arbeiten Ulrich Zehs besonders wichtig scheinen. Andere Aspekte haben wir in der Monographie erörtert. Manches sicherlich auch übersehen. Auf einen Aspekt möchte ich abschließend doch noch zitierend zu sprechen kommen.
"Während der ganzen Zeit", lese ich noch einmal bei Clemens Brentano, "während der ganzen Zeit hatte ein glimpflich langer Mann mit einigen Zeichen von Ungeduld zugehört; ich trat ihm etwas auf den Fuß und er antwortete mir, als ob ich ihn dadurch um seine Meinung befragt hätte: 'Es ist gut, daß die Bilder nicht hören können, sie hätten sich sonst schon längst verschleiert, die Leute gehen gar zu unzüchtig mit ihnen um und sind fest überzeugt, sie (= die Bilder) ständen hier wegen eines geheimen Verbrechens am Pranger, das die Zuschauer durchaus entdecken müssen."
[Galerie Geiger Kornwestheim, 16.3.1991]