1989/1990 entstanden in schneller Folge eine Reihe von "Studien" und "Skizzen für eine gekreuzigte Landschaft", überraschend für diejenigen, die Ulrich Zehs Produktion säuberlich in "Landschaften" und "SportBilder" getrennt sahen, weniger überraschend für diejenigen, die mit der Werkentwicklung des Künstlers näher vertraut sind. Immer wieder sind nämlich in dieser Werkentwicklung innovative Schübe durch eine künstlerische Auseinandersetzung mit Malerkollegen markiert.
Das war zu Beginn so in der Auseinandersetzung mit Edvard Munch und mehr noch mit Francis Bacon. Das war, in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, der Dialog mit Caspar David Friedrich, an dessen Ende Zeh der entscheidende Schritt vom Zeichner zum Maler gelingt. Und das scheint jetzt erneut der Fall zu sein in einer ästhetischen Auseinandersetzung mit Matthias Grünewaldt, genauer mit dem gekreuzigten Christus des "Isenheimer Altars".
Nimmt man jedoch die hier einschlägigen "Studien" und "Skizzen für eine gekreuzigte Landschaft" und das Triptychon alles in allem, wird der Fall komplexer. Denn im Kontext der letztjährigen Versuche Zehs, seine beiden Themen Figur und Landschaft zusammenzuführen - "Der Sturz (Ikarus)" von 1987 ist hier ein früher, noch isoliert stehender Beleg -, verweisen die "Gekreuzigten Landschaften" in ihren Figuren-Studien auf Bacon, in der Landschaft auf Caspar David Friedrich und mit der "Kreuzigung" auf Grünewaldt - in jeweils spezifischer Weise. Das macht diesen jüngsten Werkkomplex, trotz einiger Problematik des Triptychons, auf und für den Interpreten anregend. [Daß Ulrich Zeh schon 1969 eine "Kreuzigung" bzw. "Figuren unter einer Kreuzigung" gemalt und 1970 ausgestellt hat, sei hier ergänzend angemerkt.]
Da bereits von Christiane Binder ein Interpretationsvorschlag für das Triptychon gemacht wurde, soll hier ein anderer Aspekt angesprochen, der Frage nachgangen werden, wie das Grünewaldt-Zitat, die kunstgeschichtliche(n) Anspielung(en) dieser Werkgruppe zu lesen sind. Als zitierende Auseinandersetzung mit und Anverwandlung von als vorbildhaft empfundenen Arbeiten stellen Zehs Dialoge mit Munch, Bacon, Friedrich und Grünewaldt keinen Einzelfall dar. Pablo Picassos "Das Frühstück im Freien" nach Manet, Francis Bacons Anverwandlungen Diego Velazquez', Rembrandts, van Goghs, Jean Auguste Dominique Ingres', Ben Willikens' "Abendmahl" seien hier willkürlich aus einer Fülle von Belegen herausgegriffen. Ihre Bewertung setzt jeweils die Fragen nach dem Warum und Wie der Anverwandlung voraus.
Im Falle Ulrich Zehs hat die Monographie "Stadt & Landschaft weiß" für die Auseinandersetzung mit Francis Bacon und Caspar David Friedrich Antworten versucht, die hier nicht wiederholt werden müssen. Wenn beide jetzt bei den "Gekreuzigten Landschaften" noch einmal zur Sprache kommen, dann nicht als Geburtshelfer bei der Entwicklung eines eigenen Zeichen- und Malstils, bei der Entdeckung der "reinen Landschaft", sondern deshalb, weil Zehs "Gekreuzigte Landschaften" im Vergleich etwa mit Friedrichs "Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar)" den entschiedenen Abstand zu religiös überhöhter Landschaft sichtbar machen. In ihnen ist nichts überhöht, sie sind als Altar denkbar ungeeignet, wird in ihnen doch - säkular gesprochen - die Landschaft selber ans Kreuz geschlagen. Dabei deutet die bewußt/unbewußte Anspielung Bacons in den Gesichtern und Figuren über das Zitat hinaus ein Einverständnis der Sichtweise an, eine Bankrotterklärung des Menschen als eines Ebenbildes Gottes. Bezeichnenderweise ist auch die ans Kreuz geschlagene Figur Grünewaldts gleichsam gesichtslos zitiert, annähernd genau allenfalls in der Darstellung der ohnmächtig verkrümmten Hände.
Daß Ulrich Zeh Grünewaldt keinesfalls inhaltlich, sehr wohl aber ästhetisch zitiert, wird schnell deutlich, wenn man erst erkannt hat, daß Zeh im Falle der Figur zwar der "Kreuzigung", im Falle der Farbigkeit jedoch der "Auferstehung" verpflichtet ist, wodurch die gekreuzigte Figur eher verfließt, sich auflöst und mit der Landschaft verbindet. Daß und wieweit dabei Grünewaldt den Zehschen "Farblandschaften" entgegenkommt, könnte zusätzlich ein Blick auf die "Menschwerdung des Gottes (Weihnachten)" belegen, auf die sich dort zu Meer und Himmel, zu einem Himmelsmeer auftürmenden Wolkenmassen.
Nicht also um Inhalte, um die Farbigkeit geht es bei Ulrich Zehs Auseinandersetzung mit Matthias Grünewaldt. Und auch hier nicht um Bedeutung der Farbe, das Grünewaldtsche Licht = Logos zum Beispiel, sondern um Farbe an sich, den farbigen Malakt. So kann Zeh denn auch die Farbigkeit von "Kreuzigung" und "Auferstehung" austauschen, was ja inhaltlich die Trauer in ihr Gegenteil verkehren würde. Was bei Grünewaldt farbig aufschwebt, ist in Zehs "Gekreuzigter Landschaft" praktisch in den Boden gekeilt. Oder läßt die zitierte Farbigkeit doch eine gegenteilige Lesart zu?
Grünewaldt war ein erster, der diese expressive Farbigkeit wagte, und er blieb ohne Nachfolger. Wenn Zeh sich 1989/1990 auf eine Auseinandersetzung mit dieser Farbigkeit einläßt, läßt er sich - selber ein Einzelgänger - wie schon in den Dialogen mit Munch, Bacon und Friedrich, wiederum auf einen Einzelgänger ein, nicht auf dessen Inhalte, sondern auf das Malen. Die Inhalte Grünewaldts oder Friedrichs haben genauso ihren symbolischen Wert verloren wie das ideale Griechenland eines Schiller und Hölderlin*), das sich am Fuße des Hohenasperg nurmehr als Tempelruine vorfindet.
[Aus: Ulrich
Zeh. Farblandschaften und -ereignisse. Hrsg. von R.D., zus. mit Ute Bopp
und Sibylle Mockler. O.O. [Stuttgart]: Eine Edition des Schwarzen Lochs
o.J. [1991]
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*) Vgl. Disput
am Fuße des Hohenasperg