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Die künstlerische Entwicklung Reinhard Döhls sei, hat es Sibylle Mockler notiert, charakterisiert durch "Neugier, das Probieren müssen, die Experimentierlust". "Die überwiegende Produktion Döhls", fährt sie fort, entstehe "dabei in Werkgruppen". "Dieses Arbeiten in Serien" erkläre "sich aus der meist experimentellen Versuchsanordnung". Und sie ergänzt, daß "die Themenstellung oft ein bildnerisches und literarisches, gelegentlich sogar wissenschaftliches Einkreisen zur Folge" habe, was über sehr lange Zeitspannen "Themenkonstanten" ergebe
Werkgeschichtlich beginnt Döhl, nach zögerlichen Versuchen mit Linolschnitten, in den 50er Jahren zu fotografieren und bewirbt sich, u.a. mit diesen Arbeiten, 1955 vergeblich an der Hamburger Kunstakademie. Ein Fotoroman "neon" in der Tradition des Collage-Epos "Berlin Alexanderplatz", dessen Text Döhl später verwirft, sollte Literatur und Bild verbinden. 1997 dokumentieren Ausstellung und Katalog "foto/bild" diese fotografischen Anfänge und, nach ihrem Abbruch, die Umsetzung und Bedeutung der Fotografie im Werk Reinhard Döhls.
Döhls Hinwendung zur bildenden Kunst, zu Collage und Typopografie, wird wesentlich mitbedingt durch die schockartige Begegnung mit der aktuellen radikalen Kunst auf der documenta 1959, über die auch Döhls erste Kunstkritik andeutungsweise Auskunft gibt. Als Döhl wegen des missa-profana-Skandals die Universität Göttingen verlassen muß und, einer Einladung Max Benses folgend, nach Stuttgart zieht, macht er schnell die Bekanntschaft mit Künstlern der ehemaligen "Gruppe 11" (Atila, Günter C. Kirchberger, Georg Karl Pfahler, Friedrich Sieber) und dem Druckern Klaus Burkhardt, später Hansjörg Mayer, konzentriert sich seine künstlerische Produktion jetzt entschieden auf vor allem Collagen und Drucksachen. (Vgl. Ausstellung und Katalog "BilderBuch", Wendlingen/Stuttgart 1970).
Gleichzeitig entsteht der Wunsch nach einer eigenen Galerie, die im Ausstellungskonzept "mobil" und einer kleinen Artikelfolge, "Albrechts Privatgalerie", in der Heidelberger Studentenzeitschrift "forum academicum" zwar Spuren hinterließ, sich konkret aber nicht verwirklichen ließ. [Der Name erklärt sich übrigens daraus, daß Georg Karl Pfahler Döhl in gemeinsamen Gesprächen Albrecht zu nennen pflegte.] Döhls folgendes, häufig intensiveres Mitarbeiten in "benachbarten Galerien", vor allem als Ausstellungseröffner, läßt sich durchaus auch als Kompensation des unerfüllbaren Wunsches nach einer eigenen Galerie erklären. Sein Engagement in Computer- und Netzkunst hat Döhl in den letzten Jahren zu künstlerischen Experimenten auch mit dem Computer veranlaßt, die erstmals in "Albrechts Netzgalerie" versammelt sind, womit er sich zugleich den Wunsch nach einer eigenen Galerie erfüllt.
Döhls Interesse an einem künstlerisch produktiven Einsatz des Computers datiert bereits seit Ende 1959, als in Stuttgart erste Experimente mit "Stochastischen Texten" (Theo Lutz) und bald auch mit computergenerierter Grafik (Frieder Nake, Georg Nees) veranstaltet wurden, Experimente, von denen sich leicht eine Verbindungslinie zu den Stuttgarter Internetexperimenten von vor allem Johannes Auer und Döhl ziehen läßt. (Vgl. Vom Computertext zur Netzkunst). Döhl hat in seiner jahrzehntelangen Medienforschung immer wieder darauf hingewiesen, daß Medienkünste, die ihren Namen wirklich verdienen, nicht Übersetzungen ins jeweilige Medium sind, sondern zu den Bedingungen des jeweiligen Mediums entstehen und auch unter diesen Bedingungen bewertet werden wollen. Entsprechend setzt er nicht einfach Bilder mit Hilfe des Scanners ins Netz (die heute übliche Netzpräsentation von Künstlern und Galerien), sondern seine Netzbilder bzw. Netzbildfolgen sind zu den Bedingungen des Computers als seines Handwerkzeugs - copy, paste und cut auf der einen, grafischer Programme und Manipulationsmöglichkeiten auf der anderen Seite - entstanden.
Den Exponaten der Netzgalerie entsprechen im bildkünstlerischen Werk Döhls vor allem die Collagen auf der Basis von Pressefotos, mit ihren Spiegelungen, Gegenläufen, auch Brüchen, aber ebenso die häufig unsinnigen Bildergeschichten in ihrer Verbindung von Bild und Text. Das Scrollen entspricht dem vorfilmischen Daumenkino, und der Reiz des langsam entstehenden Bildes bei den gelegentlich längeren Ladezeiten ist durchaus ästhetisch erwünscht, wie Döhl allgemein einem nicht perfekten Bild, einer "imperfekten Bildfolge" gegenüber einer perfekten Bildpräsentation den Vorzug gibt. Was Rolf H. Krauss für die frühen Fotos von Döhl festhielt - Döhl benutze "das Medium zwar, um sich kreativ auszudrücken [...], aber nicht im Rahmen dessen, was die Konvention ihm" vorgebe, er setze "die Kamera vielmehr ein, um bestimmte Konzepte zu visualisieren", - gilt auch hier: eine Nutzung der Möglichkeiten und Bedingungen des PCs zur Visualisierung bestimmter Konzepte.
Dabei begegnen wie im anderen bildkünstlerischen Werk Döhls Themen, die bereits in den frühen Fotos angeschlagen wurden, vor allem das Portrait, Landschaft, Struktur und Kalligraphie, wenn auch oft in eigenwilliger, nur mit dem Mitteln des PC möglichen Ausformungen. Kalligraphie etwa in "schattenrisse", aber spurenhaft auch in "interface", Strukturen begegnen als wiederholtes Kompositionsprinzip, Landschaft bei "bäume 1, 2", Portrait bei dem Fahndungsplakate anspielenden "wantee!". Döhl greift dabei gelegentlich sogar frühere Arbeiten zur Weiterverarbeitung auf, analog zu dem von André Thomkins übernommenem Motto, daß "Kunst aus Etwas etwas Anderes" mache, z.B. bei Arbeiten, die bereits unter diesem Motto entstanden waren ("die belämmerten ziegen", "das europäische hoch 1, 2, 3"), Wobei es sich bei ihnen ebenso wie wie beim "raffaelosaal" (bzw. "raffaelo 1, 2, 3, 4") um Fortführungen kunstgeschichtlicher Vorgaben handelt.. Die Fortführung eigener Arbeiten (z.B. in "birnenkrebs" oder "morgen war gestern") sind, im Kontext der immer wieder auftretenden Schatten ("kopfsteinschattenpflastertreter", "schatten", "schattenrisse", "schattenspiel"), hinter allem Spiel auch persönliche Mitteilung. "TanGo" basiert auf zwei Postkarten Martina Kieningers, deren Pointe darin besteht, daß "tango" im Japanischen "Wort" bedeutet, und verweist auf das mit Stuttgarter Assistenz realisierte TanGo-Projekt. Doch wird Doehls Japan-Interesse mit "no" auch in anderer Form noch Bild.
Auf Dichtung spielen die
anläßlich des Todes von Ernst Jandl ("le
tür d'amour [...]", "ottos mops trotzt";
vgl. auch Döhls "Vorhang
für Ernst Jandl") und H.C.Artmanns ("ungereimtes
trauersonett") an. Die Waldsequenzen ("der wald
1, 2"). weisen auf Döhls Interesse an
konkreter Poesie zurück und zugleich zu einem spezifischen Textverständnis,
das auch gereihte Bilder und ihre Variation noch als Geflecht, als Text
versteht ("zum brillen komisch 1, 2,
3")
ja über das einzelne Exponat hinaus die ganze Ausstellung als einen
offenen Text verstanden wissen möchte, dessen einzelne Teile ausgetauscht
oder ergänzt werden können. Wer einen Anfang will, mag mit "aufstieg
und fall des mikel soft" beginnen und dabei erkennen, daß die
Exponate durchaus auch politische Implikationen enthalten können (deutlicher
noch in der "bushmanstory" und ihrer Fortsetzung).
Für das Ende des Besuchs und beim Verlassen der Galerieräume
empfehlen sich "vorhang 1, 2.
3",
vertikal oder horizontal, je nach Geschmack der Ausstellungsbesucher.
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