Reinhard Döhls "streckverse" | Im Jean-Paul-Museum wurde Geburtstag gefeiert
Reinhard Döhls "streckverse". Eine Hommage an Jean Paul
JODITZ - ,,Ich lese nichts lieber als Werke von einigen Seiten'', hat Jean Paul einmal gesagt, womit er, der Vielschreiber und Vielleser, tatsächlich meinte, dass ihm Bücher mit nur wenigen Seiten die liebsten seien. Auf ebensolche hat sich ein kleiner Verlag spezialisiert, der nach des Dichters berühmtem Schulmeisterlein benannt worden ist: die Edition Wuz in Freiberg am Neckar. Soeben hat sie den siebzehnten Band vorgelegt; er heißt ,,streck verse & lange gesichter'' und enthält ,,ein wörterspiel (mobile)'' von Reinhard Döhl. Das Heft wird im Joditzer Jean-Paul-Museum vorgestellt, wenn man dort am Samstag, 22. März, um 19 Uhr mit einem Tag Verspätung Jean Pauls 240. Geburtstag feiert: Autor Döhl liest aus seinem Werk, Verleger Armin Elhardt macht dazu Musik.
Streckverse? Kein anderer als Jean Paul hat sie erfunden. ,,Er machet'', heißt es in den ,,Flegeljahren'', ,,Gedichte nach einem freien Metrum, so nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben verlängert, seiten-, bogenlang, was er den Streckvers nennt.''
Bei Reinhard Döhl geht das so:
enten / grütze / & / schwanen / see / gang / das / breitet / sich / jetzt / aus / wie / maul / wurf / & / klauen / seuche / rot / lauf / grün / span / streck / verse / & / lange / gesichter.
26 Zeilen hat das Gedicht, so viele, wie das Alphabet Buchstaben hat. Auch sollten es ursprünglich genau 26 Gedichte sein, alphabetisch nach ihren Anfangsbuchstaben geordnet. Aber den Autor überwältigte die Dichterlust: Als eigene Buchstaben nahm er ä, ö, ü, au, äu, eu, ei, sch und st hinzu - so sind es 35 ,,Wortstelen'' geworden. Jean Paul wird dabei als Dialogpartner gleichsam zum Paten des Wörterspiels. Einschlägige Orte seiner Prosa wie Kuhschnappel (= Hof) werden erwähnt, und von ihnen zieht Döhl eine Linie zum eigenen Heimatort, dem ehemaligen Wäscherinnen- und Schweinebauerndorf Botnang bei Stuttgart.
Den Illustrationen im Heft liegen die vom Autor gern als Selbstporträt eingesetzte Mülltonne in Botnang und der Schattenriss Immanuel Kants zu Grunde. Zitiert werden auch Bilder von Paul Krüger, der nach dem Krieg als Maler in Hof lebte und ein Freund Claus Hennebergs war. Gemeinsam mit diesem wiederum organisierte der jetzt 68-jährige Döhl in den 60er Jahren die ,,tage für neue literatur in hof'', für die Jean Paul mit seinem Hofer Werk als eine Art Schutzheiliger fungierte.
Auf jene Literaturtage verweist ein den Streckversen nachgestelltes Gedicht aus Döhls ,,Botnanger Sudelheften'': ,,fabrikkunst im kaufhof / die alte anna im rathaus / und andere endspiele // oberhalb der saale / novellenlandschaft / wahlverwandtschaften // träumereien an kaminen'' - und schließlich: ,,filmrisse''; das Feiern mit Jean Pauls Lieblingsgetränk, dem Gerstensaft, gehörte ja auch dazu.
Wenn Döhl am 22. März in Joditz seine Streckverse liest, wird es schwerlich lange Gesichter geben, vielmehr: vergnügte.
Frankenpost 06.03.2003
JODITZ - Mit einem Tag Verspätung - und darum am Todestag Goethes - wurde in Joditz der 240. Geburtstag Jean Pauls und zugleich das fünfjährige Bestehen des dortigen Jean-Paul-Museums gefeiert. Zwei Verehrer des Dichters aus dem Schwabenland waren da, um ein neues kleines Buch vorzustellen. Es heißt ,,streck verse & lange gesichter'': Reinhard Döhl hat es geschrieben und illustriert, Armin Elhardt hat es verlegt. Zur Einführung trugen beide, unter Mitwirkung des Hofer Schriftstellers Claus Henneberg, einen Döhl-Text über die ,,produktive Jean-Paul-Rezeption'' vor. Das klingt sehr wissenschaftlich, doch war's unterhaltsam - eine Litera-Tour mit kundigem Reiseleiter; die Stationen: ,,Joditz - Hof - Stuttgart und zurück''. Den Schriftsteller Georg Kulka, der Prosastellen Jean Pauls so emsig ins eigene Werk einflocht, dass er von Karl Kraus beschuldigt wurde, ein Plagiator zu sein, muss man nicht kennen. Aber auch der große Arno Schmidt hat immer wieder den oberfränkischen Dichter zitiert. Schmidt sei, sagte Döhl, dem Jean Paul ,,am nächsten verwandt'' gewesen - wie dieser ein ,,Wortmetz'' und Mann der Zettelkästen. Von ihm wiederum ist's nur ein kleiner Schritt zur ,,Stuttgarter Gruppe'', der Helmut Heißenbüttel und eben Reinhard Döhl angehörten. Zusammen mit Henneberg brachten sie die 1966 gestarteten und 1970 beendeten ,,tage für neue literatur in hof'' auf den Weg.
Als sie anfingen, stand im Hofer Rathaus eine Vitrine mit Jean-Paul-Exponaten. Der Dichter, sagte Döhl, sei ,,Schutzheiliger'' der Veranstaltungsreihe gewesen. Günter Eich, der bei den ersten Literaturtagen las, spielte mit Texten Kulkas, die mit Jean-Paul-Texten spielten. Henneberg selbst hielt dem Autor, ,,dessen Leib in Wunsiedel, dessen Gemüt in Joditz und dessen Geist in Hof geboren wurde'', noch mit seinen letzten Publikationen die Treue. Für deren Umschläge wählte er Bild-Vorlagen Paul Krügers aus, die den Blick auf den Hofer Schlossplatz mit dem Jean-Paul-Haus freigeben. Früher, als er experimentelle Lyrik schrieb, machte sich Henneberg den ,,Siebenkäs'' für ,,Siebtexte'' zu Nutze. Von der Schilderung des ,,Fröhlichen Steins'' blieben nach fünfstufigem Reduktionsprozess knappe fünf Zeilen übrig: ,,sondern gingen / und sahen / was jeder sah / die Berge und die Erde und die / Wasser auf der Erde.''
Was jeder sah: Jean Paul sah viel mehr. Zu diesem Thema verwies Döhl auf einen Essay, den 1997 sein Kollege und Begleiter Armin Elhardt verfasste: Jean Paul schrieb Dinge, die sich ähnlich später in Büchners ,,Hessischem Landboten'' fanden; er begrüßte die Ideen der Französischen Revolution (und war deshalb den Weimarern Goethe und Schiller suspekt); anders als diese zeigte er, dass die Gesellschaft eine Veränderung nötig habe; auch stellte er die Unterdrückung der Frau an den Pranger.
,,Wuz'' (nach Jean Pauls Schulmeisterlein) heißt die Edition, mit der sich Elhardt, im Hauptberuf Lehrer, als Verleger betätigt. Jetzt ist der siebzehnte Band erschienen, jenes kleine Buch, das Döhls ,,streck verse'' enthält, ein ,,Wörterspiel'', das es so nicht gäbe, hätte nicht Jean Paul in den ,,Flegeljahren'' - als der Humorist, der er gewesen ist - ebenjenen ,,Streckvers'' ins theoretische Leben gerufen. Entsprechend komisch fällt Döhls Realisierung aus; zum Beispiel so: ,,eulen / & / zähne / klappern / gehört / zum / hand / werk / wie / goldener / boden / schwarze / scheu / klappen / ein / mahlendes / mund / werk / voll / gift / & / galle / knirschenden / zähnen / & / eulen.''
Das ,,Wörterspiel und -mobile'' mit seinen vielfältigen literarischen Bezügen und Anspielungen wurde im ,,studio wuz'' als Hommage an Jean Paul auch auf CD produziert - mit Jazz und einer Audiocollage von Armin Elhardt, der, bevor er sich der Literatur zuwandte, in einer Beatband musizierte. Eine Kostprobe an der Endstation der anregenden döhlschen Jean-Paul-Reise machte die zahlreichen Zuhörer happy. Den Nachschlag reichte, animiert von den Gastgebern Karin und Eberhard Schmidt, der Kronacher ,,Goethe-Schmitt'': Der Dichterfürst habe später, nach Schillers Tod, mit Respekt von seinem oberfränkischen Kollegen und Konkurrenten gesprochen. Elhardt setzte eins drauf: ,,Schiller hätte das auch, er ist nur zu früh gestorben.''
Ein schöner, harmonischer Abend. Und - weil er Lust auf Jean Paul machte - auch ein produktiver.
Frankenpost / 24.03.2003