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Wolfgang Ehehalts & Reinhard Döhls Ansichts- & andere Sachen

Bei der Vorbereitung dieser Ausstellung stellte sich für Wolfgang Ehehalt und Reinhard Döhl einmal mehr die Frage,

Ein Objekt dieser Ausstellung ist von Wolfgang Ehehalt "Hülle des Malers und Poeten" getitelt worden und mehrfach geeignet, zur heutigen Ausstellung hinzuführen, hat der Betrachter erst einmal Aber diese Zuordnungen laufen merkwürdig ins Leere: Die "Hülle" zeigt also, könnte man in einer ersten Bestandaufnahme sagen, was zurückbleibt, wenn die Künstler und ihre Künste gegangen sind.

Aber es gibt Weiteres, was die "Hülle" birgt und auszeichnet: darunter

Wolfgang Ehehalts & Reinhard Döhls Ansichtssachen und Klerrijuhs aus der kleinen Stuttgarter Versschule, die erste Gemeinschaftsarbeit der heutigen Aussteller aus dem Jahre 1985, vorgestellt in - wenn man so will - einem melancholischen Doppelportrait.

Es ist dies - wenn ich hier die "Hülle des Poeten" zunächst verlassen darf - nicht das einzige Portrait oder gar Selbstbildnis in dieser Ausstellung. Da finden sich bei Wolfgang Ehehalt zum Beispiel

oder bei Reinhard Döhl was wiederum Bild, Musik und Literatur ins rezeptionelle Spiel brächte, ein Spiel in dem allerdings der Betrachter es sei denn den Verweis, daß sich künstlerische Hervorbringungen durch Begaffen - sagt es ein chinesisches Sprichwort - nicht nur schänden, daß sich Künstler und Kunst in einem wörtlichen Sinne sogar einverleiben lassen, konsumierbar sind.

In diesem Kontext spielen das maskenhafte "Selbstbildnis mit Stieglitz", hinter dem sich natürlich der Künstler Wolfgang Ehehalt versteckt, und der "Poet als Buchhalter", hinter dem sich - wörtlich als Buch- und Feder-Halter verstanden - der Literat Reinhard Döhl verbirgt, dessen Bücher hier denn auch in einer Vitrine präsent sind,

In diesem Kontext, sagte ich, spielen beide Künstler ihre wechselnden, ihre unterschiedlichen und auch vertauschbaren Rollen.

In diesem Spiel streckt z.B. Wolfgang Ehehalt im "Selbstbildnis mit Stieglitz" oder in "Selbst mit Dodo" nicht, wie er es an anderer Stelle und früher mehrfach getan hat, der Welt die Zunge heraus. Er zeigt der Welt auch nicht den Vogel, vielmehr präsentiert er sich mit Vogel, und zwar in unterschiedlicher Intention.

Wolfgang Ehehalt hat es im Falle des "Selbstbildnis mit Stieglitz" nicht bei der Radierung belassen, sondern seine Arbeit vertikal und horizontal als Rollage ausgefaltet. Rollagen dieser Art gehören - seit Jiri Kolar' bekannter gewordenen Portraitvarianten - technisch gesprochen zur größeren Familie der Collagen.

Für die Einladung zu dieser Ausstellung haben Wolfgang Ehehalt und Döhl das "Selbstbildnis mit Stieglitz" und die "Mülltonne in Botnang" also nicht ohne Grund gewählt, wollten sie damit doch

verweisen und in ikonographischer Anspielung ihren Abstand von traditionellem Kunst- und Literaturverständnis andeuten.

Denn Ehehalts "Selbstbildnis ..." ist vom angespielten Rembrandt ebensoweit entfernt wie die mit dem klassischen Schattenriss spielende Botnanger "Mülltonne" von ihrem Vor-Bild: einem Kant-Portrait in Seitenprofil - notabene einer Radierung.

Die "Mülltonne in Botnang" aus dem Jahre 1988 wurde 1989 in Wolfgang Ehehalt / Reinhard Döhls Ausstellung der "Kunst&Kompostkarten" in Stuttgart gezeigt und ist, kurze Zeit später als Postkarte gedruckt, nach dem Apfel der 60er Jahre inzwischen zu einem zweiten Wasserzeichen Döhls geworden, das nicht von ungefähr

Nicht zuletzt auf diese "Mülltonne..." war auch auf der Einladung zur zweiten gemeinsamen Ausstellung Ehehalt/Döhls, 1889, ein Zitat und ein kurzer Dialog bezogen, die ich zitieren darf: "Zwischen Mülldeponie und Kompostprinzip läßt sich im spätkapitalistischen Kulturbetrieb allerdings nur schwer noch differenzieren. Der Kehrichthaufen der Geschichte, von dem Trotzki einst verächtlich sprach, erweist sich als der Humus des affirmativen Kunstbetriebes."

Also, lieber Wolfgang, wenn Du mich fragst, so zwischen Neckar und Nesenbach...
Dein Reinhard

Lieber Reinhard,
ich frage Dich aber nicht, auch zwischen Wald und Reben...
Dein Wolfgang

Was uns an der apodiktischen These Detlev Claussens störte, und der kurze Nonsens-Dialog sollte dies wenigstens andeuten, waren vor allem der gegen den vor allem Wolfgang Ehehalts Objekte und Objektkästen der 80/90er Jahre, in denen der Abfall unserer Zivilisation eine immer größere Rolle spielte, deutlich Stellung bezogen - auch um den Preis, als Abfallkünstler etikettiert zu werden, seine Kunst als Gemischtwarenladen abqualifiziert zu bekommen.

Daß das nicht von allen so gesehen wurde, möchte ich im Vorbeigehen mit zwei Zitaten belegen. Das erste stammt von Heinz Hirscher und lautet:

"Für Wolfgang Ehehalt ist die Frage des Abfalls unserer Zivilisation entscheidend. So lautet eines seiner Bilder einfach 'Bestandsaufnahme' und zeigt alles, was ihn ringsum beschäftigt hat oder gar beschäftigen mußte. [...]"

Und wie in Reinhard Döhls Apfel ein Wurm steckt, ist bei Wolfgang Ehehalts Beschäftigungen stets eine Fliege mit von der Partie [vgl. die "Notiz über Fliegen" in "fliegenfänger für wolfgang ehehalt"]

Das zweite Zitat von Winfried Roesner deutet an, daß solche "Bestandsaufnahmen" durchaus nicht beziehungslos neben einander stehen müssen, wenn man sie richtig zu lesen versteht:

"Man muß sich vor Wolfgang Ehehalts Blätter setzen, wie man sich zu Tisch setzt, und muß sie Blatt für Blatt, Gang für Gang genießen: Wie aus der Idee einer Speisekarte die Porträts von Koch und Mamsell entstehen, wie der bewirtungsbereiten Gastlichkeit des ersten Blattes die Gäste des zweiten erwachsen, willkommene und - in gestrichelter Kritik - die unwillkommenen. [...]"

Freilich spinnen sich Ehehalts Arbeiten nicht in jedem Fall auseinander fort, gelegentlich scheint es bei ihnen sogar größere Sprünge zu geben, die bei genauerem Hinsehen allerdings dennoch in einem umfassenderen Zitier- und Verweissystem nachzuvollziehen sind, auf das ich wenigstens stichwortartig eingehen will.

So ist der dem Hut aufgestülpte Trichter in der "Hülle des Malers und Poeten" nicht einfach künstlerische Willkür sondern

Ein solches Spiel mit Redensarten kennt die bildende Kunst seit langem. Sie hat sogar einen eigenen Typus von Sprichwortbildern ausgebildet, dessen wohl bekanntestes, Pieter Bruegels "Die [niederländischen] Sprichwörter", rund hundert Sprichwörter beim Wort nimmt, unanständige und derbe Redensarten wie "Auf Kohlen sitzen" oder "Wer Feuer frißt, läßt Funken fahren".

Durchaus Vergleichbares finden wir in den Arbeiten Wolfgang Ehehalts, wenn er zum Beispiel in einem Triptychon die schwäbische Redensart "Zum aus der Sau ausreiten" in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. [Vergleiche dazu im Internet auch Reinhard Döhls "schweinkram"] Ehehalts einschlägige Arbeit ist hier und heute nicht ausgestellt aber ein anderes Sprichwortobjekt: "Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach", dem man als politische Gegenstücke Reinhard Döhls allerdings nur im Netz zu findende "A bird in the hand is worth two in the bush" oder "U ASS A" kontrastierend an die Seite stellen könnte.

Wobei Ihrer Aufmerksamkeit sicherlich nicht entgangen ist, daß die Möglinger Zehntscheuer neuerdings nicht nur von Ausstellungsbesuchern, sondern auch von Tauben bevölkert wird. Auf die ornithologische Fehlverbindung von Taube und Dodo hatte ich bereits aufmerksam gemacht.

Wie schon für Bruegel gilt auch für Wolfgang Ehehalt, daß die hier einschlägigen Bilder sich nicht mit der Illustration des Sprichworts begnügen, sondern in der Regel Vorwand für etwas Hintersinnigeres sind: ästhetische Spiele.

Den Sprichwortbildern Ehehalts entsprechen in dieser Ausstellung Radierungen Döhls, die zu denen Aphorismen Blaise Pascals, den "Pensées", seit 1990 in jährlichem Abstand entstanden sind, zum Beispiel

Ähnlich ist der Unterschied, wenn man das 'Maskenspiel' der beiden Aussteller, ihr Spiel mit Masken vergleicht. Für Döhl etwa, der auch vom Theater her kommt [vgl. die Bibliographie seiner Stücke und Spiele], gehen Masken- und Rollenspiel in eins, wenn er z.B. im Rahmen eines Projekts in die Rolle des Fauns aus Stéphane Mallarmés "l'apres midi d'un faun / Der Nachmittag eines Fauns" schlüpft, um ihn schließlich 'bühnenwirksam' in Text und Bild sterben zu lassen: "la mort d'un faun": Couple, adieu; je vais voir l'ombre que tu devins.
Lebt wohl! der Schatten naht in dem ihr untergingt.
Eine Buchfassung dieses Projekts liegt in der Vitrine aus, ein Spiegelportrait aus der Serie der "kleinen Faune" ist im Nebenraum zu sehen, eine Textpermutation im Internet zu finden.

Durchaus anders ist dies bei Wolfgang Ehehalt, dessen Werkgruppe der "Masken" zugleich eine Reihe von Assoziationen abruft. Der Jahreszeit entsprechend mag man an die schwäbische Fasnet und ihre Masken denken. Man mag sich an Theater erinnert fühlen, dessen Masken sich auf rituelle, magisch-kultische Wurzeln zurückführen lassen, in jedem Fall das Bühnengeschehen aus dem Bereich des Alltäglichen herausheben sollten. Was ebenso - bei jeweils anderen kultischen Voraussetzungen - für die Masken der sogenannten Primitivkulturen gilt. Doch gibt es daneben - im Falle der Ehehaltschen Werkgruppe gleichermaßen von Interesse - noch einen vierten Typus, Masken, die für einen bestimmten Zweck getragen werden, z.B. die Atemmaske, die Schutzmaske, die Gasmaske.

Den Anstoß zu der umfangreichen "Masken"produktion Ehehalts hat sicherlich seine erste Afrikareise gegeben, deren Reisebericht die Möglinger Ausstellung einleitet. Doch begegnen vereinzelt Masken bereits zu Beginn der 70er Jahre, dann im Kontext der sogenannten "Hüllen", einer Werkgruppe, der zum Beispiel die "Hülle des Malers und Poeten" zugehört.

Denn sieht man genauer hin, erweist sich, daß die beiden "Masken" der heutigen Ausstellung,

wie Ehehalts "Hüllen" aus Zivilisationsmüll und -schrott zusammengesetzt sind. Aus - nehme ich die Werkgruppe alles in allem - Kesseln, Eimern und sonstigen Behältnissen, aus Korbwaren, Bügeleisen, Spielzeug, Haushaltsgegenständen wie Handfegern und Kehrblechen, aus Pinseln und Atelierrequisiten.

Ja sogar die roten und gelben Plastiknetze, in denen man seine Zwiebeln, Kartoffeln, Apfelsinen und anderes vom Markte heimträgt, lassen sich bildkünstlerisch umfunktionieren, ebenso wie Teile von Obstkisten zu Bildträgern mutieren können, so zu meiner Rechten

In einer Zivilisation, die sich zunehmend über den Anspruch des Machbaren definiert, sind die Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, wenn sie defekt sind, wertlos, weil unbrauchbar. Erfüllen sie ihren Zweck nicht mehr, werden sie weggeworfen. Wenn Ehehalt sie aber aufhebt, zu Kunstwerken verarbeitet, bekommen sie, was ihnen zunächst nicht zugewiesen war, einen Sinn, besser: ihren Gegensinn, der ihre ursprüngliche Zweckbestimmtheit unterläuft und konterkariert.

Das erinnert von ferne an eine der ursprünglichen Funktionen der Maske: das Herausheben aus dem Bereich des Alltäglichen. Nur: die Zeit des Mythos ist unwiderbringlich dahin. An seine Stelle sind die trivialen Mythen einer anthropozentrischen Welt, die Trivialmythen der Wegwerfgesellschaft getreten. Die Riten und Totems dieser Gesellschaft sind banal.

Von hier aus kann man vielleicht in einem ersten Schritt den unsinnigen "Masken" Ehehalts hinter den Sinn kommen. Gemessen am ursprünglichen Zweck ihrer Materialien sind sie unbrauchbar, stellen aber, positiv gewendet, einer zweckorientierten Zivilisation die Forderung nach Sinn entgegen: in Form einer Poesie des Banalen.

Dieser eingeforderte Sinn ist keine ausformulierte Botschaft. Das wäre nicht möglich. Er besteht vielmehr in einem Spielangebot. Und dieses Spielangebot rückt Wolfgang Ehehalts "Masken" in eine letzte, von mir bisher noch nicht genannte künstlerische Tradition, die sich seit den Tagen des Dadaismus herschreibt.

"Da die Zeit", schreibt Hugo Ball angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs im Tagebuch seiner Zürcher Exils, "Die Flucht aus der Zeit", -

"Da die Zeit wie keine vorher auf die Vernichtung des Generösen" abziele, sei "dem Dadaisten jede Art Maske [...] willkommen."

Und er begründet dies unter anderem mit der unmittelbaren Wirkung, die die Masken auf die Künstler selbst ausübten, eine Wirkung, der auch ich mich beim ersten Besichtigen der Ehehaltschen "Masken" kaum entziehen konnte. Das ist das eine, ein Zweites war für die Zürcher Dadaisten eine fast automatische Konsequenz:

"Wir waren", zitiere ich jetzt wieder Balls Tagebuch, "alle zugegen, als Janco mit seinen Masken ankam und jeder band sich sogleich eine um. Da geschah etwas Seltsames. Die Maske verlangte nicht nur sofort nach einem Kostüm, sie diktierte auch einen ganz bestimmten pathetischen, ja an Irrsinn streifenden Gestus. Ohne es fünf Minuten vorher auch nur geahnt zu haben, bewegten wir uns in den absonderlichsten Figuren, drapiert und behängt mit unmöglichen Gegenständen, einer den anderen in Einfällen überbietend. [...] Die Masken verlangten einfach, daß ihre Träger sich zu einem tragisch-absurden Tanz in Bewegung setzten."

Daß solche Provokationen auch von Wolfgang Ehehalts "Masken" ausgehen können, zeigte sich bei ihrer ersten Ausstellung, 1995, in der Stuttgarter Galerie Folkmar von Kolczynskis, bei der, nachdem die Eröffnung zunächst von überraschend einbrechenden Hästrägern unterbrochen wurde, Wolfgang Ehehalt und Reinhard Döhl plötzlich mit vorgehaltenen Masken aufeinander zutanzten.

Andere profihaftere Tänze mit Wolfgang Ehehalts "Masken" sind wenigstens in Fotos festgehalten worden und für die "Arbeitsmaske des Elektroschraubers" in einem Beispiel in der heutigen Ausstellung dokumentiert, während für die "Elefantenmaske" drei Exponate zeigen, wie sich Abbildungen einer "Maske" zu einer "Elefantenrunde" collagieren, in einen "Gläubigen" oder "Goldenen Elefanten" spielerisch verwandeln lassen.

Daß das Thema Tanz auch in anderer Form in dieser Ausstellung angeschlagen wird, will ich wenigstens andeuten mit Hinweis auf

Und natürlich hat Wolfgang Ehehalt auf seinen zahlreichen Reisen sich nicht nur von Masken (Afrika) sondern auch von Tänzen (Bali) anregen lassen.

Ihre Reisen haben im Œuvre beider Künstler die unterschiedlichsten Spuren hinterlassen, bei Wolfgang Ehehalt z.B.

Anders als Ehehalt beschäftigen Reinhard Döhl bei seinen Reisenotaten, die es natürlich ebenfalls in größerer Menge gibt, oft spezielle, inhaltliche oder formale Themen, so in den "Römischen Tage- & Skizzenbüchern" unter anderen die Themen die dann oft in Serien aufarbeitet und in Ausstellungen gezeigt werden: z.B. in der Hommage "Rom, Siebensachen", die sich aus 7 Serien aus 7mal7 Arbeiten zusammensetzt, hier und heute allerdings aus technischen Gründen nicht gezeigt werden kann. Andererseits hat Döhl das Prinzip des Reisens in der Mappe "stuttgarterleben oder Zerstreute Einsichten in die Kultur der Eingeborenen" aber auch ironisch umgedreht. Drei Blätter dieser Mappe hängen im Nebenraum.

Wie bei den anderen Exponaten haben wir uns auch beim Thema "Reisen" bemüht, die Arbeiten aufeinander beziehbar zu halten, indem wir dem "Afrikanischen Reisebericht" Ehehalts eine Auswahl aus Döhls "Römischen Tage- & Skizzenbüchern" folgen lassen und diese wiederum gegenüber Ehehalts "Italienischen Tagblättern" plaziert haben, so daß sich der Betrachter selbst seinen Reim darauf machen kann, wenn er sich auf das Beziehungs- und Verweissystem unserer Hängung einlassen will.

Vielleicht entdeckt er dabei auch, und damit möchte ich schließen, in der zweiten Vitrine auch den Katalog "das schwarze loch" und schräg gegenüber, daß die Fußbekleidung unter der "Hülle des Malers und Poeten" auf einem schwarzen Loch steht.

[Zehntscher Möglingen 14.2.2003]