Ansichts- & andere Sachen /
Finissage
zus. mit Wolfgang Ehehalt, Johannes
Auer, Armin Elhardt
Programm | Ehehalt / Döhl | Döhl / Döhl (1) | Döhl / Döhl (2) | Auer / Döhl | Elhardt / Döhl
Ehehalt / Döhl
Aus dem Tagebuch einer Fliege
- Traktat von Vögeln
Aus Ansichtssachen & Klerri-juhs
/ Diaprojektor
- Klerrijuhs (Auswahl)
Döhl / Döhl (1)
Aus Reinhard Döhl Lesebuch
- Prager Chansons
- Gedichte aus dem Stubaital
- Gäste von weither
Döhl / Döhl (2)
Bildergedichte / Geschichten in Bildern
/ Beamer
- Der Wald. Kein deutsches Requiem
- Gedicht der Stille
Auer / Döhl
Kill the poem / Beamer
- Applepie
- Kill the poem
- Pietisten Tango
Als Überleitung zu Elhardt/Döhl
- Mülltonne in Botnang (Abb.
aus Streck Verse)
- Fastschrift Heißenbüttel
/ Eingangsseite
- Manierierte Heringe
Elhardt / Döhl
Streck Verse / Tonträger
- Tondokument / Titel 1 (mit Armin
Elhardt / Elhardt live)
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Aus dem Tagebuch einer FliegeAnfang/Mitte der 80er Jahre haben Wolfgang Ehehalt und ich begonnen, künstlerisch einander zuzuarbeiten und dann auch miteinander zu arbeiten. In welcher Form dies bildkünstlerisch geschehen ist und geschieht, dokumentieren einzelnen Exponate der Ausstellung, vor allem die Kunst&Kompostkarten, die wir seit nunmehr 18 Jahren austauschen.
Traktat von Vögeln
Aus Ansichtssachen & Klerri-juhs / Diaprojektor
Klerrijuhs (Auswahl)
Wie dies in einer Verbindung von bildender Kunst und Literatur geschehen kann, will ich im folgenden mit ein paar Beispielen aus unserem gemeinsamen "Ansichtskarten und Klerri-juhs aus der kleinen Stuttgarter Versschule" (1985) und aus Wolfgang Ehehalts "Tagebuch einer Fliege" (1986) andeuten.
Besucher der Ausstellung bemerken schnell, daß und in welchem Umfang Tiere im bildkünstlerischen Werk Wolfgang Ehehalts ihre Rolle spielen. Das beginnt mit der überall anwesenden Fliege, die derart gleichsam zum Wappentier Wolfgang Ehehalts geworden ist, setzt sich fort über Einhörner, Haus- und Wildschweine und schließt immer wieder Vögel mit ein in Funktionen, über die ich bei der Vernissage ausführlicher gesprochen habe. In Ergänzung dazu möchte ich heute ein Portrait Ehehalts aus den frühen 80er Jahren vorstellen, das im "Tagebuch einer Fliege" nachzulesen ist. Sein Titel:
traktat von vögeln oder unvollständiges porträt wolfgang ehehalt in 13 schnappschüssen, kopfnüssen und fußnoten
1/ der vogel ist ein gefiedertes, zweibeiniges wirbeltier mit zwei flügeln und einem schnabel. wolfgang ehehalt ist ein zweibeiniges wirbeltier ohne flügel, welches nur ungern seinen schnabel aufmacht. die nicht mit der oberschwäbischen bettenindustrie zu verwechselnde schwäbische oberbettenindustrie garantiert, daß er noch nie gefedert wurde. auch schmückt er sich nachweislich nicht mit fremden federn. ganz selten läßt er die flügel hängen.
[...]
3/ bringt man die vogelfluglinie in anschlag, ist wolfgang ehehalt schon deshalb ein seltener vogel (lat. rara avis), weil er so selten avisiert wird. manche behaupten sogar, er sei ein schräger vogel (avis pisae), was aber jeder vernünftigen grundlage entbehrt. auch, daß er ein komischer kauz sei, können nur vogelscheuchen behaupten. da er hohe bäume meidet, nicht auf jeden leim geht und allem anschein nach humor besitzt, kommt er im busch vor.
4/ besser die taube auf dem teller als den sperling unter dem dach, sagt sich wolfgang ehehalt, was leichter gesagt als getan ist, seit das taubenfüttern verboten wurde. keinesfalls indiziert das höfliche lüften des hutes ein angeborenes spatzenhirn. deshalb schießt wolfgang ehehalt auch nicht mit kanonen auf spatzen, wie diese sprichwörtlich von allen dächern pfeifen, was nicht ausschließt, daß er bei gelegenheit kässpatzen in der pfanne hat.
5/ eulenpfingsten ist ihm die liebste jahreszeit und beim hu-hu-brum-brum-hu-hu der rohrdommel ist er bestimmt ausgeflogen. manchmal brutzelt er auch nur in der angströhre still vor sich hin. während die auguren noch dabei sind, aus dem kaffeesatz spärlicher informationen den tatbestand herauszufiltern, zeigt wolfgang ehehalt seinen engsten freuden den vogel, den er abgeschossen hat. böcke sind selten. auch seinen bilder zeigen, daß er einen vogel haben muß.
[...]
8/ besonders die lustigen, aber auch die vögel mit zugvorrichtung haben es wolfgang ehehalt angetan. täglich hält er ihnen, seinem großen vorbild franz von assisi nacheifernd, eine luftige gardinenpredigt über die lilien auf dem felde der ehre, den himmel voller geigen, die vogel-strauß-politik (mit bindestrichen) und wirft seiner vogelspinne das netz aus. ein schwalbenschwanz, pflegt er dann wohl zu sagen, macht noch keinen sommer und ein drosselbart keinen zaunkönig.
9/ in wirklichkeit hat wolfgang ehehalt mehr als einen vogel. nicht im brehm und bei seinen nachfahren nachzuschlagen war, ob andererseits die vögel mehr als einen wolfgang ehehalt haben. es großgeschrieben zu tun und es kleingeschrieben zu lassen, zählt weniger zu den problemen der rechtsprechung als der rechtschreibung. der vogel, die vögel, das vögeln ist dagegen je nach standpunkt immer noch eine frage des genus oder des genusses.
10/ stets weiß wolfgang ehehalt, was die kuckucksuhr geschlagen hat. während die strichvögel und nachteulen noch auf dem federball sind, teilt er sich seine zeit schon mit der eieruhr ein. seine jahre verrinnen mit den strandläufern um die wette im sand. als er gestern den kiebitz machen mußte, schwante ihm bereits dunkel, daß es heute gilt, sich in die entenbrust werfen, seine gänsehaut zu markte zu tragen und die hühneraugen weit offen zu halten.
11/ wolfgang ehehalt brät andern gerne einen storch mit schnabel, pfauenauge, rabenbein, krähenfüßen und teufelskralle. mit leidenschaft nimmt er, während sich die läufigen touristen in der drosselgasse wie gott in frankreich fühlen, auf dem amselfeld die starparade der schmutzfinken ab. lästerzungen von feinschmeckern behaupten, er habe kritikerinnen ins bein gebissen. wenn auch die folgen noch nicht abzusehen sind, nimmt das erbleichen der haus- und gartenrotschwänzchen zu.
[...]
13/ als spottvogel äußerst unbeliebt ist wolfgang ehehalt nur bei vogelbauern, vogelhändlern, vogelkundlern und dem krähwinkler landsturm, weil er anderen krähen nicht die augen aushackt. sein lieblingsvogel ist der dodo, sein lieblingsbuch der vogel selbdritt, sein leibgericht rabenaas mit entengrütze und gänsewein. Und gerne spielt er das eierbrettspiel. er weiß die zeichen der
kreuzschnäbel und vogelzüge zu deuten und zeigt der welt aus der vogelperspektive den fundevogel.
[1985]
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Ebenfalls noch Anfang/Mitte der 80er Jahre haben sich Wolfgang Ehehalt und ich, provoziert von dem in Stuttgart besonders auffälligen kulturellen Kurzzeitgedächtnis, in Teamarbeit daran gemacht, eine kleine Stuttgarter Literatur-, besser Autorengeschichte in Bild und Text zu entwerfen, wobei wir uns bei den Texten an das dem Limerick nahestehende Clerihew gehalten haben, einen Vierzeiler mit verbindlichem Reimschema (aabb) aber freiem Metrum. Im Clerihew werden Gestalten der Welt- und Kulturgeschichte auf komische, groteske, ironische oder unsinnige Weise charakterisiert (MLL).
Beispiel: Frau von Stein / Went to bed at nine / If Goethe went too / Nobody knew. Und wenn ich schon einmal bei zitieren bin, hier noch die Definition des Clerihews in Form eines Clerihews: Biography /Is different from Geography. / Geography is about maps / While Biography deals with chaps Ich stelle jetzt, mit Wolfgang Ehehalt am Diaprojektor, eine kleine Auswahl aus den Stuttgarter Klerri-juhs vor:
Klerri-juhs & Marterln aus der kleinen Stuttgarter Versschule
niklas von wyle
reingeschmeckt ist wie viele
die italien lieben
auf der strecke geblieben.
johannes kapnion reuchlin
hatte schon ein bäuchlin
als er der helligkeit verpflichtet
an dunkelmänner briefe gerichtet.
ulrich von hutten
kannte auch nutten
und stuttgarts frauenhäuser er
pries
sie als irdisches paradies.
philipp nikodemus frischlin
zog's unter manchen tisch hin
ad fontes er wollte volles
urbs jacet ad nicri colles.
georg rodolph weckherlin
dankte seinem herrn auf knien
daß nach durchgezechter nacht
er in london aufgewacht.
julius wilhelm zincgref
kannte aus dem effeff
der teutschen scharpfsinnige kluge
sprüch
nur keinen gegen die pestgerüch.
johann ulrich könig
residierte nachdem er ein wenig
in hamburg leipzig weißenfels
gewesen
als hofrat und dichter in dresden.
christian friedrich daniel schubart
spürte seines fürsten schuh
hart
auf dem nacken auf hohenasperg
darnach am theater noch als hofzwerg.
friedrike luise herbord
zog es plötzlich hinfort
mit pauken trompeten und im bauch
sowohl als auch.
lange bevor er im seminar
nurmehr gasthörer war
las in der stiftstraße goethe
aus hermann und dörte.
friedrich (später von) schiller
war nach den räubern kein stiller
im land doch statt stammheim
kam er nach mannheim.
jean paul friedrich richter
zagt im regen nie als dichter
und wäre das glücklichste
wesen der welt
wär er krautpflanze gwä
oder gerstenfeld.
johann christoph friedrich haug
liebte sturm nicht noch klamauk
weil unbedrängt als hofrat im
besitze eines sitzes
er spiele vorzog bar der laune voll
des witzes.
friedrich hölderlin
mußte susettes wegen fliehn
jahrlang ins ungewisse dann nahm
autenrieth sich des restes an.
georg friedrich wilhelm hegel
hob es ab mit vollem segel
und prisen welche hanfverstärkt
wie man an der sprache merkt.
nikolaus franz niembsch, edler von
strehlenau
nahm seine gefühle zu genau
beim kurzbesuch wie überall
mit abstecher nach winnenthal.
moses baruch auerbach
mochte keine halbe sach
seit die suppe angebrennt
weils barfüßle davongerennt.
cäsar stuart flaischlen
hatte zehn zehn
und sonne im herzen
das war zu verschmerzen.
max bense
hüter der stuttgarter gänse
die rot stets sahn wenn schwarze sich
nahn
hinterließ augenblicks einen
lebensroman.
reinhard döhl
verwandte in waldbröl
denkt bei schweinebauer und wäscherin
manchmal noch an wekhrlin.
[1979-1984]
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Was wir Ihnen hier vorgestellt haben, war nur eine kleine Auswahl. Mehr fände sich in unserem gemeinsamen Buch "Ansichtssachen und Klerri-juhs aus der kleinen Stuttgarter Versschule" und seit einigen Jahren auch im Internet. Undzwar in dem von Johannes Auer und mir eingerichteten Stuttgarter Poetenwinkel, dem Stuttgardian Poets cornerle. Dort sind allerdings an die Stelle der Ehehaltschen Bilder jetzt Textbeispiele getreten.
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Aus Reinhard Döhl LesebuchEin Teil der Ausstellung ließe sich, wie bereits bei der Vernissage ausführlicher vorgetragen, unter dem Stichwort Reise/Reisen zusammenfassen. Denn Ihre Reisen haben im Werk von Ehehalt und mir unterschiedlichste Spuren hinterlassen, bei Wolfgang Ehehalt z.B.
- Prager Chansons
- Gedichte aus dem Stubaital
- Gäste von weither
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Was die Ausstellung nicht zeigen konnte und ich hier ergänzen möchte, sind Reisegedichte, Reisenotizen, Texte die während meiner Reisen in Notizbüchern oder Kalendern notiert werden oder am Zielort entstehen. In dem unlängst erschienenen "Reinhard Döhl Lesebuch" ist hierzu manches zu finden, z.B. die "Prager Chansons", die zugleich das Ende des Prager Frühlings thematisieren.
prager chansons
ich sage: der rauch
vergeht. und das gras,
das auf den wiesen steht,
wird geknickt. das
sage ich auch:
es vergeht
der rauch
im wind. und das gras
im regen wird naß.
dann sage ich, daß
wir vergehn wie der rauch,
und das gras
richtet sich auf.
es ist der rauch,
der vergeht. und das gras
wird geschnitten wohl auch,
aber wächst. und kein
fluß ist zu breit
und kein weg ist zu weit,
wasser ist naß,
und feuer macht rauch,
und wo rauch ist
sind wir das feuer.
dann sage ich, daß
wir vergehn wie der rauch,
und das gras
richtet sich auf.
ich sage: der rauch
vergeht. und das gras,
das auf den wiesen steht,
wird geknickt. das
sage ich auch:
es vergeht
der rauch
im wind. und das gras
im regen wird naß.
dann sage ich, daß
wir vergehn wie der rauch,
und das gras
richtet sich auf.
prag, meine liebe
einen langsamen walzer
haben wir getanzt
auf deinem kopfsteinpflaster
auf deinen katzenaugen
haben wir einen
langsamen walzer getanzt
prag, meine liebe
und über die karlsbrücke
sind wir gelaufen wie
kinder leichthin und
sorglos haben wir
nepomuk unsere wünsche
ins ohr geflüstert
sorglos und leichthin
nachts auf der brücke
was wußten wir schon
von was uns trennen würde
auf jahre hinaus was
wußten wir schon von
uns von uns was wußten
wir schon von winter
und frost, den bruder
mördern der liebe
immer nur waren die
stunden gezählt zählten
die stunden und was uns
zustand war in den pässen
geregelt wurde uns zugeteilt
für das was zeit braucht
die uns verwehrt war
in einsamen jahren
prag, meine liebe
ein fremdling werde ich
zu dir zurückkommen aus der fremde
mit leeren händen werde ich
zurückkommen in die fremde
zu dir nach prag meine
liebe komm ich zurück zu
einem letzten walzer mit dir.
Gedichte aus dem Stubaital
Vor allem im Stubaital sind in den 70er/80er Jahren auf Bergfahrten, auf Bergbauernhöfen, Hütten oder im Serviten-Kloster Maria Waldrast am Fuße der Serles zahlreiche Gedichte entstanden, wobei ich als Anmerkung vorwegschicke, daß es sich bei dem im zweiten Gedicht genannten Jakob nicht um einen reellen sondern um einen ideellen Bergkameraden handelt: nämlich den neulateinischen Dichter Jakob(us) Balde, der bereits im 16. Jahrhundert ein Gedicht "Die Waldrast. Ein Marien-Kloster auf den Tyrolergebirgen" schrieb.
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seit wir von den flößen
auf die hufe gekommen sind
fühle ich mich wie gerädert
punkt punkt komma strich
eine fußnote im kuhstall
andere orte haben andere vorteile
aber der berg ruft
die fram hat sich abgeseilt
ich bringe gletschererfahrungen vor
auch habe ich mich auf
sonnenaufgänge spezialisiert
untergänge sind mir ebenfalls
geläufig
spengler hatte ich werden wollen
schon wegen der haken
oswald riet mir ab
(er soll melker gewesen sein)
so bleibt's bei frühtau
der zunahme weißer blutkörperchen
und einem groben scherzwort auf der
mischbach
allein komme ich schneller voran
nur das umgehen der spalten kostet
zeit
wir werden uns das gipfelglück
in hellern teilen müssen
pfennige zählen hier nicht
zu spät für fridtjof und
das packeis
ohnedies ist mit caspar david
die letzte hoffnung gescheitert
punkt punkt komma strich
wie gesagt seit wir von den flößen
auf die hufe gekommen sind
gehen die routen anders
maria waldrast
auf der flucht nach ägypten vermutlich
ich komme von stuttgart herüber
und jakok von münchen
so kreuzen sich wege
in einer schüssel gerstensuppe
die wandfluchten der serles
als fluchtpunkte eines gedichts
das muß erst einmal verdaut
werden
in der führe zählt klassik
weniger
und die flucht nach ägypten mehr
talwärts
jakob will hier sterben
oder vom hohen felsen
es liegt an der gerstensuppe
ich bin mit ihr verabredet
und mit jakob der flucht nach ägypten
aber mehr talwärts
[Aus] Gäste von weither / Guests
from far places
[Senriyama-renku]
Mein letztes Gedicht zum Thema Reisen entstand 1996 in Senriyama / Japan in einer japanisch / englisch / amerikanisch / deutschen Dichterrunde, an der ich als Gast teilnahm. Lesen werde ich allerdings nur meine Beiträge zu dieser Kettendichtung in japanischer Renga-Tradition, ohne dabei auf die poetologischen Vorschriften weiter einzugehen.
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Licht fällt
durch
lichtere Blüten
wie in einer Allee
von Kirschbäumen
Traumverloren
gehe ich
durch die Straßen
Naniwas
Ein Spatzenquintett
für Windspiel,
Bambus, Flöte,
Hundebellen
und mich
Im Vorübergehen
überraschend
einige Takte
Schwanensee
Seinen Arm um
ihre Schulter
gelegt
vor dem Gott,
der bindet
Eine schmutzige
Hacke
noch in der
Bildnische
Im gesprungenen
Spiegel
reitet der Mond
heute Nacht
einen Wolkenstrudel
Westwärts
fliegen Kraniche
über die
offene See
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Wenigstens hinweisen möchte ich darauf, daß wir auch in Stuttgart mit solchen, wie wir es nennen, "poetischen Korrespondenzen" international experimentiert haben,
Bildergedichte / Geschichten in Bildern / Beamer1994 begannen Johannes Auer und ich in Folge eines Stuttgarter Symposium über Max Bense die reproduktiven und produktiven Möglichkeiten des Internets zu diskutieren, wobei erstens für uns nahe lag, vom Gedanken der poetischen Korrespondenz, der poetischen Vernetzungen auszugehen, wobei uns zweitens der bewußte Verzicht auf technisches Überziehen vorrangig war zu Gunsten präziser experimenteller Reflexion der grundlegenden Möglichkeiten von Computer, Netz und Literatur.
- Der Wald. Kein deutsches Requiem
- Gedichte der Stille
Grundsätzlich unterschieden und unterscheiden wir bei erweitertem Textbegriff zwischen Texten, die nicht für das Netz geschrieben aber für eine Realisierung im Netz geeignet sind, und Netztexten, also Texten, die mit Hilfe des Computers zu den Bedingungen des Internets erstellt werden.
Ich gebe im folgenden für beide Möglichkeiten Beispiele. Zunächst für
Mein zweites Beispiel, das
entstand anläßlich des Todes unseres Freundes Jiri Kolár, undzwar für die ihm im Netz eingerichtete Trauerseite. Sein Ausgangsmaterial waren zwei in Anspielung auf japanische Kanji gefaltete japanische Papiere, die eingescannt, mit dem Computer technisch bearbeitet und schließlich in Form eines Sonetts arrangiert wurden.Kill the poem / BeamerÜberzeugt davon, daß die experimentelle Literatur des 20. Jahrhunderts die ästhetischen Spielmöglichkeiten des Internets bereits antizipiert, haben wir aber sehr schnell auch einzelne
- Applepie
- Kill the poem
- Pietisten Tango
Wenn in Johannes Auers "Worm Applepie" der vollgefressene Wurm sich zu seiner ursprünglichen Größe zurückverdaut, karikiert er in der endlosen Wiederholung des Vorgangs auch diesen Kurzschluß. Denn daß er das andere auch und zustimmend gesehen hat, belegt seine einschlägige Postkarte (mail art), die einen Apfel abbildet mit der Zuschrift: "Drei Stunden später begann der dritte Weltkrieg".
Die folgenden Beispiele sind unserer gemeinsamen Publikation "kill the poem / digitale visuelle-konkrete poesie und poem art", die, 2000 im Zürcher update Verlag erschienen, zwischen 2 Buchdeckeln nurmehr eine CD-ROM enthält.
Gegeben ist erstens ein permutationeller Text:
"keine faxen mit tango ist ernst kein tango ist ernst mit faxen keine faxen ist tango mit ernst mit tango ist ernst ohne faxen mit ernst sind faxen ohne tango mit tango ist faxen ohne ernst mit faxen ist ernst [...]".
Gegeben ist zweitens die Möglichkeit, mit martialischem Gestus schrittweise einzelne Wörter aus diesem Text herauszuschießen, zunächst "faxen", dann - ich fasse zwei Schritte zusammen - die Wörter "ohne" und "mit", dann - ich fasse wieder zwei Schritte zusammen - die Wörter "kein(e)" und "ist/sind", dann "ernst" und als letztes "tango", bis schließlich der ganze Text abgeschossen ist, mit der Möglichkeit freilich, ihn danach neu zu laden.
Was Johannes Auer dem bildschirmaktiven Leser über das Spiel hinaus demonstrieren will, was der Leser bei seinem Tun erkennen soll, ist, wenn ich es recht verstehe, einmal die Demontage eines Artefakts und zugleich die Demonstration seiner Unzerstörbarkeit. Wir sind jedenfalls davon überzeugt, daß auch Kunst sterben darf und zugleich (in neuer, in anderer Form) wieder aufersteht, und fordern dies sogar als ihr Grundrecht.
Diese Buchstabenkombinationen treten in der Realisation in 6 Spielfeldern, die den 6 Silben des Wortes "Pietistentango" entsprechen, zu wechselnden Konstellationen zusammen, und zwar in einem Rhythmus, der dem "Schritt, Schritt, Wiegeschritt" des Tango in etwa entspricht.
Gleichzeitig sind die 6 zwischen Schwarz und Weiß wechselnden Spielfelder besetzt mit den Wörtern "urbs" (2mal), "niger, umbra, umbrae" und "vitae", die von oben nach unten gelesen folgende Kombinationen ergeben:
Links "urbs niger", was natürlich Stuttgart meint und mit Nikodemus Frischlins bekannterem Stuttgart-Gedicht, genauer der Zeile "urbs jacet ad nicri colles in valle reducta" (die Stadt liegt an den Ufern des Neckar in zurückgezogenem Tal) spielt. Rechts zitiert "umbra vitae" (Schatten des Lebens) die nachgelassene, von Freunden zusammengestellte und dabei textlich manipulierte, düster gestimmte Gedichtsammlung Georg Heyms, mit der er posthum populär wurde. Die in der Mitte plazierte "urbs umbrae" (Stadt der Schatten, vulgo Stuttgart) verbindet beides.
Wenn man so will, laufen beim Pietistentango also zwei Texte gegeneinander, die sich kommentieren,die sich aber auch, wenn man versucht, lediglich den Vorgang auf dem Bildschirm wirken zu lassen, unambitioniert als kinetische Kunst auffassen lassen.
Streck Verse / Beamer / Tonträger1990 begann ich in der Cité International des Arts in Paris mit der Arbeit an einem kleinen Wortmobile, dem Wörterspiel der "Streck Verse", das die "Pariser Spiele" abschließen sollte. Es war dem Erfinder der Streckverse, Jean Paul gewidmet, dem auch das 1988 entstandene Selbstportrait "Mülltonne in Botnang" zugedacht ist.
- Kommentar zur Entstehungsgeschichte
- Tondokument / Titel 1 (mit Armin Elhardt / Elhardt live)
Die ursprüngliche Konzeption der "Streck Verse" sah für den Fall einer Inszenierung vor, daß die Flöte des Fauns, ein monoton getrichenes Cello f und 26 verschieden eingestellte Metronome Sprecher als Wörtermarionetten in Gang setzen und sie in wechselnden Tempi mit und gegeneinander in ein variables Wörterspiel: ein Wörtermobile und -ballett bringen, das nach einer Weile so schlagartig erstarrt, daß die folgende Stille hörbar wird.
Das ließ sich damals weder als Spiel realisieren noch fand sich ein Verleger für dieses Unternehmen. Ich habe in der Folgezeit dann verschiedene Präsentationsformen versucht
1. in Form von Lesungen z.B. im Rahmen einer Gemeinschaftausstellung mit dem hier in Möglingen ja auch bekannten Dieter Göltenboth (1994) oder im Rahmen einer Gemeinschaftslesung mit Franz Mon in der Alten Schmiede in Wien (1998), wobei die Texte wiederholt geändert und auch vermehrt wurden. Da die Streckverse als Wortstelen gedacht sind, deren jede mit einem anderen Buchstaben des Alphabets beginnt, kann man sie
2. aber auch zu kleinen Texten aus Texten gruppieren oder auch Namen mit Hilfe solcher Wortstelen buchstabieren. Das brachte mich auf die Idee, die Streckverse für Akrosticha zu verwenden, bei denen ein Name aus den ersten Buchstaben aufeinanderfolgender Verse/Strophen gebildet wird. Und ich habe dies zusammen mit Johannes Auer erstmals 1996 in der "Fastschrift" zu Ehren Helmut Heißenbüttels versucht, undzwar auf zweifache Weise. Einmal, indem man über Anclicken eines Buchstabens den entsprechenden Streckvers abrufen kann
Dann aber auch in einemNoch eine andere Präsentationsform, dialogisch und mit Musik, versuchte ich schließlich 1997 im Rahmen eines Jazz Session. Von ihr haben sich sogar Tondokumente erhalten, die Armin Elhardt z.T. weiterbearbeitet hat, wie Sie gleich hören werden.
Armin Elhardt hat aber auch - und das ist zugleich das letzte Buch, das ich heute vorstelle - in seiner Edition Wuz den Streckversen jetzt eine endgültige Leseform gegeben. Wobei die Streckverse um ein "Noten-Souterrain" erweitert wurden, was aus dem Hör-Spiel schließlich ein Lese-Spiel, ein Spiel für und mit dem Leser macht.
Da dieses aber nur jeder für sich und mit dem Buch spielen kann, verabschieden wir uns mit dem Schluß der akustischen Realisation von 1997, deren Tondokument von Armin Elhardt für diesen Zweck überarbeitet und aufbereitet wurde
Zehntscheuer Möglingen, 14.3.2003