Reinhard Döhl | Spiele
herr fischer und seine frau oder die genaue uhrzeit, 1

eine kirchturmuhr schlägt 7 uhr
eine kuckucksuhr schlägt 7 uhr
frühmusik

zeitzeichen

lautsprecher: mit dem letzten ton des zeitzeichens war es genau 7 uhr und fünfzig minuten.

ein radio wird hörbar ausgeschaltet

herr fischer: ich bin dagegen.

frau fischer: ich bitte dich.

herr fischer: ich bin verdammt dagegen.

frau fischer: ich bitte dich, was sollen die kinder denken. sie sind übrigens diese nacht wieder nicht nach hause gekommen. ich mache mir ernstlich sorgen.

herr fischer: ich bin verdammt noch mal ich bin dagegen.

frau fischer: aber was soll man bloß machen. vielleicht könnte man...

herr fischer bemerkt seine frau: ach da bist du ja. ich habe ein ganzes leben lang für dich gesorgt. ich habe gekocht, strümpfe gewaschen, fenster geputzt und dir morgens den tee ans bett gebracht. und du sitzt noch immer auf deinem topf. es ist entsetzlich. guten morgen liebling

frau fischer: guten morgen liebling. ich bin schon seit 7 uhr wach. die kinder sind diese nacht wieder nicht nach hause gekommen. ich frage mich bloß was wir machen sollen.

herr fischer: wegen der kinder?

frau fischer: die sind alt genug. schließlich kann man sich ja nicht um alles kümmern. ich frage mich, was wir machen sollen. ich frage mich zum beispiel, ob wir nicht...

herr fischer: ob wir was?

frau fischer: ob wir nicht gott lästern könnten.

herr fischer: ich bin dagegen.

frau fischer: aber das wäre doch wenigstens etwas neues.

herr fischer: nihil novi sub sole undsoweiter. du sitzt auf deinem topf. und daran wird sich nichts ändern. also bleib brav sitzen.

der mann: ich begann den tag damit, daß ich mich rasiert, mich mehrfach schnitt und eine tasse kaffee trank. ich wußte, du warst mit ihm tanzen gedanken für die nacht für eine mark eintritt. du wirst mehrere hotels zur auswahl haben. mit dem kaffee habe ich meine zunge verbrannt. darum ließ ich meine pfeife ausgehen. der mond, der diese nacht am himmel hing, mußte aus einem kühlschrank kommen, so kalt war er. aber es war zu warm im zimmer. du wirst schwitzen und angst haben, daß er es merken wird.

die frau: ich stehe in der 13. straße vor einem schaufenster. es ist heute, weil nicht mehr gestern ist. ich bin gerade aufgewacht. der tag hat angefangen, der bis morgen dauert. und dann wird es so weitergehen. ich muß jetzt eine tasse kaffee trinken. dann werde ich zeitung lesen. die geburtsanzeigen heißen regine hartwig christian karin undsoweiter.

der mann: die zeitung ist frisch und gerade ausgeworfen. pflicht und gewissen heißt das sprichwort des tages. ich stehe in der 13. straße und warte, daß der tag anfängt, der schon angefangen hat. die leute hier gehen zur arbeit, weil sie es jeden morgen tun. jetzt sind es gerade die büromädchen und die angestellten. ich bin im bilde und lese die zeitung.

die frau: es ist morgen, weil nicht mehr gestern ist. der tag hat angefangen, der bis morgen dauert. und dann wird es so weitergehen. ich muß jetzt eine tasse kaffee trinken. dann werde ich zeitung lesen. die geburtsanzeigen heißen regine hartwig christian karin undsoweiter. ich werde mich erinnern, daß mein kind abgetrieben wurde, das ich nicht gewollt habe. dann werde ich das radio anstellen und hören, wie jemand singt, daß sie tausendmal verliebt sei. ich kann es nicht ausrechnen. er hat gesagt, daß ich eine hure sei. er ist zu seiner frau zurückgegangen. ich habe auf dem platz gestanden und später an einem schaufenster gelehnt. jemand, der vorbeikam, hat mich mitgenommen, und ich bin mitgegangen, und er hat mir dreißig mark gegeben, weil er gedacht hat, daß ich so eine wäre, wie er gesagt hat.

der mann: neun verkehrsunfälle, fünf tote, sieben leichtverletzte, zweimal nur blechschaden, ein raubmord, ein sexualverbrechen, sechs keinere einbrüche. ferner: ein toter minister, zwei beendete kriege, vollversammlungen und volksversammlungen, eine filschauspielerin geheiratet und ein neger gelyncht. unruhen - beruhigende worte.

die frau: würden sie mir bitte feuer geben?

der mann: selbstverständlich. ich wunderte mich schon, daß sie mich nicht eher angesprochen haben.

die frau: ich bin nicht so eine. es ist nur, weil ich keine streichhölzer bei mir habe. und weil ich allein bin.

der mann: darum also stehen sie da?

die frau: darum stehe ich da. nur weil ich allein bin. und weil ich sonst radio hören müßte oder zeitung lesen. weil die kinos noch nicht auf sind und weil es mich verrückt macht, so rumzusitzen, morgens, nur weil morgen ist, weil da viermal die leere wand ist und weil da nachts zweimal die leere nacht war.

der mann: natürlich. so ist das.

herr fischer: man darf sie nicht aus den augen lassen

frau fischer: hm. dann interessiert: wen?

herr fischer: es ist empörend. es ist skandalös.

frau fischer: natürlich, liebling.

herr fischer: es ist, es fehlen ihm hörbar die worte, ... es ist ...

frau fischer: natürlich liebling

herr fischer hat die worte gefunden: unnatürlich. gesetzwidrig. es ist - was sage ich - es wird immer schlimmer.
und das an kaisers geburtstag.

frau fischer: führers geburtstag!

herr fischer: kaisers geburtstag! widerprich mir nicht!

frau fischer: wie du meinst.

herr fischer: kaisers geburtstag! hörst du! kaisers geburtstag! das andere ist ein schlechter teppichwitz.

frau fischer: ja, aber -

herr fischer: kein aber!

frau fischer: aber die kz's und die juden, und dann was die leute so reden, daß man menschen einfach vergast hat. oder lampenschirme gemacht hat. aus der haut. und seife. aus den knochen.

herr fischer: die zeitung ist noch nicht da.

frau fischer: und daß man sie hingeschickt hat. und sie haben ein loch in die gefrorene erde hacken müssen.

herr fischer: die zeitung ist immer noch nicht da.

frau fischer: und dann hat man sie von hinten tot geschossen und in das loch da geworfen.

herr fischer: hör schon auf damit. du bist ja nicht daran schuld. das ist doch alles bloß gerede. weil sie wollen, daß wir ein schlechtes gewissen haben sollen.
verdammt noch mal, wo die zeitung bloß bleibt.

der mann: ihre zeitung, bitte.

herr fischer: na endlich, hat auch lange genug gedauert. elende zustände.

die frau: wissen sie, erst habe ich ja auch geglaubt, daß es mir nichts ausmacht, aber dann hat er gesagt, daß ich eine hure bin. und dann mußte ich das kind wegmachen lassen, weil er weggegangen war, nachdem er das gesagt hatte, und weil ich kein geld mehr hatte.

der mann: man liest so etwas ja häufiger in der zeitung. aber warum erzählen sie mir das?

die frau: weil sie zufällig da sind. weil sie zufällig da stehen. ich dachte, daß sie auch warten.

der mann: warten? worauf?

die frau: daß etwas geschieht.

der mann: aber es geschieht doch nichts.

die frau: sie denken, es geschieht nichts?

der mann: wenn wir sagen, daß wir warten, erfinden wir eine ausrede. das schlirmne ist nur, daß wir uns jedesmal mühe geben, daß sie so klingt, als hätten wir sie gerade erfunden.

herr fischer: es geschieht wirklich nichts neues mehr. immer dasselbe: konferenzen, mord, einbruch, minister und das mädchen, das für den film entdeckt wird.

frau fischer: warum regst du dich denn auf?

herr fischer: weil nichts geschieht. das volk will sehen, daß etwas geschieht und nicht immer denselben eintopf essen. und dann das geschrei um den verlorenen krieg.

frau fischer: und die kz's und die juden.

herr fischer: hör endlich damit auf! mir reicht es. wozu haben wir bloß dieses parlament gewählt?

die frau: wissen sie, ich wollte es eigentlich gar nicht.

der mann: was wollten sie nicht?

die frau: das kind. und das, was nachher kam.

der mann: das kann ich verstehen. sie sollten nicht mehr daran denken. denken sie einfach nicht mehr daran. nehmen sie ein anderes stichwort auf.

die frau: wissen sie eins?

der mann: nein. oder vielleicht, er denkt nach. nein. ich weiß auch keines. es ist zu verrückt. es geschieht nichts besonderes. das ist es. wir sind komische figuren in einem stück, bei dem man den souffleur vergessen hat.

die frau: aber den text? den kennen wir doch?

der mann: oh nein. nur immer dasselbe. wie gestern, wie vorgestern. und morgen ist es auch derselbe text, dasselbe lied. wenn es hochkornmt, vielleicht eine andere strophe.

die frau: ich habe es wirklich nicht gewollt. altes nicht. das alles nicht. ihre stimme wird leiser und kleiner.
ich habe es nicht gewollt. dann schreiend: ich - habe -- es --- nicht ---- ge ----- wollt.

der mann: was haben sie? ist ihnen schlecht? soll ich einen arzt rufen?

die frau leise aber fest: nein. lassen sie. es geht schon wieder. das kommt jetzt manchmal. aber es geht vorüber. ich werde nicht ohnmächtig.

der mann: aber man sollte doch etwas dagegen tun.

die frau: es geht vorüber. entschuldigen sie bitte.

der mann: aber man sollte wirklich etwas dagegen tun. wollen sie sich etwas hinlegen? soll ich nicht doch einen arzt holen?

die frau: nein, danke, es ist wirklich nichts. sie versucht es zu erzählen: es ist nur die angst -

der mann: die angst?

die frau: das ist kindisch, nicht wahr?

der mann: was?

die frau: daß ich angst habe, und daß ich nicht weiß, wovor ich angst habe. ich habe versucht, es herauszufinden. aber ich habe nie eine antwort gefunden. vielleicht ist es das, daß ich keine antwort gefunden habe. aber ich weiß es nicht. manchmal denke ich... sie bricht ab. aber das interessiert sie sicher nicht.

der mann: doch. erzählen sie nur weiter.

die frau: manchmal denke ich, daß man einfach etwas anfangen müßte, daß man nicht immer das gefühl hat, daß es zu ende ist. irgend etwas müßte man tun. sich unterhalten zum beispiel. oder...

der mann: oder was?

die frau: ich weiß es wirklich nicht.

der mann: aber unterhalten wir uns nicht schon?

die frau: wir haben vielleicht damit angefangen.

der mann: wir könnten eine tasse kaffee trinken gehen.

die frau: und zusammen sprechen. ja, das sollten wir tun.

der mann: also.

die frau: kommen sie.

der mann: ich komme.

herr fischer: es wird immer schlimmer. sieh dir das nur an. den ganzen morgen stehen sie da herum und reden. mir fehlen die worte. als wenn es nichts wichtigeres zu tun gäbe. sie stehen da herum. und warten. und reden.

frau fischer: laß sie doch gewähren.

herr fischer: sie regen mich auf. der staat braucht jeden menschen. aber niemanden, der einfach herumsteht und redet.

frau fischer: und du?

herr fischer: ich habe verantwortung.

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