Reinhard Döhl | Spiele
Herr Fischer und seine Frau oder die genaue Uhrzeit, 2

lautsprecher: es ist jetzt acht uhr und vierzehn minuten. in dieser denkwürdigen minute bekommt herr fischer den titel eines ehrendoktors verliehen und wird bürgermeister der stadt. herr fischer hält daraufhin eine kleine rede, wie die zeitungen berichten werden. frau fischer aber geht zur schneiderin und läßt sich ein graues kostüm schneidern.

der mann: wir haben zusammen kaffee getrunken. und uns unterhalten. ich habe ihr zugesehen, während sie kaffee trank. und wenn sie sprach, habe ich ihr zugesehen. da war keine bitterkeit, wenn sie sprach, und wenn sie trank und über den tassenrand hinweg mich ansah, war sie ruhig. es war angenehm, mit ihr kaffee zu trinken. und zu sprechen.über das wetter zum beispiel.

die frau: es wird ein schöner tag. sonne und wind.

der mann: wir können zum fluß gehen.

die frau: ja, ich will zum fluß gehen. und hineinsehen. wie ich es jeden tag tue. ich werde so lange aufs wasser sehen, bis ich seine bewegung in meinen augen spüre. dann gibt es kein wasser mehr, wenn ich die augen schließe, nur bewegung. kennen sie das auch?

der mann: nein, aber ich will es versuchen.

herr fischer brüllt: bringen sie endlich diese verdammte akte in ordnung. ich muß da eine genaue aufstellung haben.

frau fischer: bitte, liebling, reg dich nicht so auf. du weißt, daß ich das nicht vertragen kann.

die frau: ich habe mit ihn kaffee getrunken. er war sehr aufmerksam zu mir. er hat mir zucker in den kaffee getan und milch, bis ich genug gesagt habe. dabei hat er mich angesehen. und er hat mich nicht ausgefragt, wie sie das sonst immer machen. ob ich einen freund habe oder so. und er hat auch nicht gefragt, weil er mir noch eine antwort schuldig war, ja, da hat er etwas gesagt. wie war das.

der mann: wir leben nach unserer letzten erfahrung. aber wir haben angst vor dem was kommt, dem wir nicht ausweichen können.

die frau: glauben sie, daß ich deshalb solche angst habe?

der mann: möglich. ich weiß es natürlich nicht genau. aber es ist sehr gut möglich.

die frau leise: zwischen zwei erfahrungen. so ist das also.

der mann leise: ja, so ist des.

das telefon läutet / der hörer wird abgenommen.

herr fischer: ja? was kann ich für sie tun?

bitte? also das ist es. selbstverständlich. für die stimmen meiner fraktion verbürge ich mich, ich hatte schon weisung, sie zu unterstützen.

aber ja, bitte sie. das ist doch korruption. man könnte es jedenfalls so auffassen.

ach, so meinen sie das. natürlich ist es dann etwas anderes.

aber nein, ich bitte sie, wie bitte? aber nein doch.

am besten ist wohl, wenn ich gleich morgen einen artikel laciere.

nein, sie brauchen sich nicht darum zu bemühen. das kann ich von hier aus erledigen.

bitte unbekannterweise nm grüße an die frau gemahlin.

nein, sie haben mich nicht im geringsten gestört. auf wiederhören.

legt den hörer auf.

frau fischer weit weg: kommst du heute zum mittagessen?

herr fischer: unmöglich, ich habe eine konferenz. völlig unmöglich.

das telefon läutet.

herr fischer: hallo.

nett, daß du anrufst. ja ja, bin pünktlich zum essen da. was gibt es denn?

ja, den pelz habe ich gekauft, er wurde gerade gebracht.

also bis bald.

legt den hörer auf.

die frau: sehen sie die vögel, das wasser. man merkt, daß es nicht mehr weit bis zum meer ist. manchmal sind möwen dazwischen.

der mann: es ist schön hier draußen. ich bin noch nie hier gewesen.

die frau: ich gehe oft hierher.

der mann: ich danke ihnen, daß sie mich mitgenommen haben.

die frau: und sie haben mich zum kaffee eingeladen.

der mann: das war etwas anderes.

die frau: es war etwas anderes. aber der unterschied ist nicht sehr groß. es kommt darauf an, wie man es betrachtet.

der mann: vielleicht.

die frau: wollen wir weitergehen?

der mann: nein. ich möchte gerne noch ein wenig hierbleiben.

frau fischer: er kommt nicht zum mittagessen, weil er eine konferenz hat. auch die kinder sind noch nicht da. ich muß mich daran gewöhnen. aber es ist gar nicht so einfach.

während des folgenden satzes ändert sich die akustik. frau fischer erinnert sich. ihr sprechton bleibt aber leicht kommentierend.

und es ist ein weiter weg vom anfang bis heute. es fing so an, daß er blutete, als ich ihn zum erstenmal traf, und die häuser brannten, oder was von ihnen übrig war. wir haben uns geliebt. in den ruinen.

wieder normale akustik der mann-frau szenen.

der mann: sie bluten ja an ihrer hand.

die frau: wo? von den disteln? ach ja, es ist nicht so schlimm. geben sie mir ihr taschentuch.

der mann: selbstverständlich. bitte.

die frau: danke. ich werde es wieder auswaschen und ihnen dann zurückgeben.

frau fischer in veränderter akustik, leicht kommentierend: die häuser brannten, oder was von ihnen übrig war. die flammen warfen unseren schatten an die wand, seinen kopf an die wand, zwei köpfe an die wand aneinander aneinander vorbei. und er blutete, als wenn er nie wieder aufhören würde, aber ich hatte ihn bis in mein zimmer gekriegt und aufs bett gelegt. auch das blut habe ich stillen können. nur seinen hunger nicht und dann nicht unsere lust, als es ihm wieder besser ging, als er sich über mich beugte...

der mann und die frau berichten jetzt wie im traum. frau fischer bleibt leicht kommentierend bis zum ende der erinnerungssequenz /alles in verändertet akustik.

der mann: ...sie schrie nichtt auf. sie bewegte sich kaum. sie hatte die augen weit auf und sah mich an. sie faßte mit ihrer rechten hand in meine haare.

die frau: laß sie kürzer schneiden. ich würde es lieben, wenn du sie kürzer schneiden ließest.

der mann: ich sah die augen, in denen etwas war, das ich nicht kannte.

frau fischer: keine tränen. ich erinnere mich nicht an tränen.

der mann: deine augen, du hast sie auf.

frau fischer: er lag ruhig. warum sollte er damals unruhig sein?

der mann: sie nahm die hand aus meinen haaren und fuhr mir mit den fingern über den mund.

die frau: ich sehe dich.

frau fischer: damals war alles so einfach wie wenn man ja sagt oder du.

die frau: darum habe ich die augen offen.

der mann: sie hielt die finger fest auf meine lippen gepreßt, als ich etwas sagen wollte.

die frau: was du jetzt sagst, ist nie wichtig, es würde nie wichtig für mich sein. nicht einmal ein kind.

der mann: ich schüttelte meinen kopf. es war alles einfach geworden.

frau fischer: die tapeten waren alt und zerrissen. durch die zerbrochenen fenster hörte man das feuer knistern und die menschen schreiend hin und her rennen. aber es war alles einfach geworden.

der mann: ich versuchte mit einer hand, ihre augen zu schließen, aber sie machte sie wieder auf. sie sah mich an.

die frau: ich würde es hassen, wenn meine augen zu sind. ein jahr lang habe ich meine augen zumachen müssen, um dich zu sehen. begreifst du das nicht?

der mann: ich begriff es nicht ganz. ich begriff nur, daß altes auf einmal so einfach war. daß sie die hand in meinem haar hatte: laß es kürzer schneiden.

die frau: es ist nicht schön das erste mal.

der mann: ich weiß. es ist nie schön im anfang. alles nicht.

die frau: aber du wirst es wiedermachen. immer wieder. ich will es.

frau fischer: draußen knisterte das feuer, und er suchte auf dem nachttisch nach seinen zigaretten.

der mann: willst du eine zigarette?

die frau: nur ein paar züge aus deiner. die tapeten sind wirklich scheußlich.

frau fischer: er drehte sich auf den rücken und starrte an die decke. der verputz war durch die erschütterungen abgebröckelt. ich legte meinen kopf auf seine brust, damit er meinen atem auf seiner haut spüren konnte. und mein haar, das weich war, weil ich es abends zuvor gewaschen hatte.

die frau: ich habe noch nie einen mann so gesehen.

der mann: hast du die augen jetzt geschlossen?

die frau: ja. ich bin müde.

der mann: willst du schlafen?

die frau: nein. ich bin nicht schläfrig. nur müde.

der mann: du hast noch nicht an der zigarette gezogen.

die frau: ich mochte auch nicht. du denkst an etwas. bist du fertig mit rauchen?

der mann: ja.

frau fischer: er starrte noch immer an die decke. ich nahm den kopf hoch und sah ihn an.

die frau: du sollst jetzt nicht daran denken.

der mann: ich habe sie geliebt.

die frau: aber

der mann: es war ein gesellschaftsspiel fur sie.

die frau: ich hasse sie. ja, kenne sie nicht aber ich weiß, daß ich sie hasse.

der mann: sie konnte nichts dafür. sie konnte die wahrheit nicht finden. sie betrog sich mit anderen männern, sie hat es vor mir getan. und hinterher.

die frau: ich hasse sie.

der mann: und dann hat sie gesagt, daß sie zurückkäme, wenn sie wüßte, daß es liebe war. sie wird es nicht wissen. sie ist nicht zurückgekommen.

die frau: du sollst nicht darüber nachdenken.

frau fischer: ich bewegte mich leicht. so daß er es spüren mußte, ich schob mich behutsam unter ihn.

die frau: bitte.

der mann: ich sollte vielleicht wirklich nicht mehr daran denken.

die frau: ja, bitte. tu es.

der mann: ich spürte, wie ihr atem schneller kam. wie sie sich an mich klammerte. bist du glücklich?

die frau: ich weiß nicht. aber ich glaube, daß ich es bin.

der mann: ihr atem kam sehr schnell. sie sah mich an. sie machte die augen nicht zu. sie krallte sich mit ihren fingernägeln in meinen rücken. ich spürte den schmerz. der tat mir gut. sie atmete wieder. tiefer und ruhiger. aber ich spürte den schmerz noch immer.

frau fischer: er hörte nicht auf zu atmen.

es war nicht mehr so laut draußen. man hörte das knistern des feuers und wenn die häuserwände einfielen. stimmen riefen noch vereinzelt auf der straße. ich hörte nicht darauf. da war ein abgrund, vor dem ich keine angst mehr hatte. ich stand auf und steckte eine kerze an. ihr licht warf unsere köpfe an die wand, seinen kopf an die wand und meinen kopf, aneinander aneinander vorbei. er war eingeschlafen. ich kannte nicht einmal seinen namen. ich wußte nichts von ihm. aber es war mir gleichgültig.

das feuer knisterte immer noch und häuserwände fielen ein.

damals hätten wir weggehen sollen. irgendwohin. ich habe mal gelesen, daß menschen ihr ganzes leben in höhlen gewohnt haben. aber wir haben steine gesucht und die wände wieder aufgebaut und geflickt. und löcher wieder zugemauert. jetzt klingt es hohl, wenn ich dagegen schlage oder zu laut rede. und wir können nicht mehr weg. nur damals, da hätten wir weggehen sollen, als wir unsere namen noch nicht kannten, weil wir noch voller furcht waren. aber niemand gab uns den befehl zu gehen. und wir haben es vergessen.

der mann und die frau und frau fischer sprechen wieder normal.

der mann wie heißt du?

die frau: und du?

das telefon läutet.

herr fischer brüllt: fischer. ja doch.

es klopft.

herr fischer: herein. einen moment bitte. ich telefoniere.

ins telefon: was? ja das ist ganz in unserem sinne.

zu dem besucher: nehmen sie am besten zwei kränze. einen für die fraktion: seinem treuen mitglied etcetera etcetera. auf meine schleife schreiben sie

ins telefon: erinnern sie die leute an die diäten!

zum besucher: achso, die schleife. da schreiben sie am besten

ins telefon: die lage ist hoffnungslos aber nicht ernst. ich sagte ihnen doch bereits, daß das ganz in unserem sinne ist. ja, selbstverständlich halte ich die rede. auf wiedersehen.

legt den hörer auf. zum besucher: neinnein, das schreiben sie nicht auf die schleife. schreiben sie, sagen wir mal, vorbildlich in seinem pflichtbewußtsein.

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