Reinhard Döhl | Spiele
herr fischer und seine frau oder die genaue uhrzeit, 4

lautsprecher: mit dem letzten ton des zeitzeichens war es genau neunzehn uhr und dreißig minuten. wir übertragen aus dem großen sitzungssaal die rede minister fischers, in der er den politischen kurs seiner fraktion erläutern wird. wir schalten um zum sitzungssaal.

herr fischer über lautsprecher, von applaus unterbrochen:

meine damen und herren,
ich halte das - nehmen sie es mir nicht übel - für eine verrückte idee. das richtet sich ja ganz nach den ansprüchen, die man stellt. ich bin da auch bescheiden.
applaus
das ganze land, die ganze welt ist zeuge. das universum betrachtet uns. was wir hier schaffen und was einzigartig in der welt ist, diese gemeinschaft, das universum betrachtet uns.
applaus
beim anblick unserer wohnungen, autos und antennen habe ich begriffen, wie groß unsere geschicke sind. das ganze land, die ganze weit ist zeuge für den heute gelieferten beweis.
applaus
ich habe euch verstanden. ich weiß was hier geschehen ist. ich weiß was ihr habt machen wollen. meine damen und herren. es schien mir immer, als existiere zwischen diesem land und mir ein gefühl der freundschaft. ihr seid zahlreich, ihr seid jung, ihr seid nett. denken sie an meine worte, wenn sie zu den urnen schreiten. was ich gesagt habe, habe ich gesagt.
applaus
wenn ich das heutige problem sehe, bin ich fassungslos, wenn ich an meine jugend denke. ich hätte es nie gewagt, ohne smoking an den abendbrottisch meines vaters zu treten. das umstrittene problem der vergangenheit wollen wir also dadurch lösen, daß wir parlament und kabinett mit vorschlägen überraschen, wie die bisher gültigen bestimmungen umgebaut werden sollen. nehmen sie
applaus
nehmen sie diese vertrauliche andeutung zur kenntnis. niemand kann sie zwingen. aber wir empfehlen
applaus
und ich mißbillige es, daß die opposition den saal verlassen hat
applaus
lassen sie das, meine damen und herren, es wirbelt ja doch bloß unnötig staub auf. es geht jetzt um milliardenaufträge, und wenn man mir dann sagt, durch das lange verhandeln hätten fünfzig millionen gespart werden können, soll ich mich dann beklagen. das ist ja immerhin ein unterschied. gott und vaterland wollen wir nicht aus dem spiel lassen
applaus

jetzt beginnt eine tonbandaufnahme mit der stimme des herrn fischer in doppelter geschwindigkeit abzulaufen / wobei nur noch einige fragmente in der alten sprechlage deutlich verständlich sind:

darin erblicke ich das bedeutungsvolle dieser langen aussprache, daß wir feststellen konnten
völlig miteinander übereinstimmen
sich diese übereinstimmung
wenn akute fragen nun kommen werden oder bei akuten fragen die zur zeit schweben
ebenfalls ergeben werden
pflicht
verantwortung des einzelnen
darum sage ich ihnen
gott wird es schon nachen.

es läuft nur noch das tonband in doppelter geschwindigkeit / donnernder applaus.

der mann: woran denkst du?

die frau schrickt auf: woran? an nichts. daran, daß bald nacht ist.

der mann: wir haben lange geschwiegen.

die frau: ja. aber wir haben zusammen geschwiegen. darauf kommt es an.

der mann: wir werden wieder zueinander sprechen

die frau: noch oft.

das telefon läutet.

frau fischer weit weg: zum abendessen wird er sicher nicht nach hause kommen.

herr fischer ins telefon: ja, ich komme, kind, wollen wir im restaurant essen?

frau fischer weit weg: seit er nicht mehr auf seinem topf sitzt, kommt er kaum noch nach hause.

herr fischer: ja, die ist zu hause. er lacht. ich werde den wagen nehmen.

frau fischer: ich' mache morgens die betten. und dann liege ich abends meistens alleine darin. niemand wirft mir mein stichwort zu. ich warte auf ihn. und darüber schlafe ich ein.

herr fischer: das ist lieb von dir, daß du wartest. an den pelzmantel habe ich auch gedacht.

frau fischer: ich habe den ganzen tag gewartet. ich glaube, wir hätten damais wirklich gehen sollen. irgendwohin.

herr fischer: ins kino? selbstverständlich. nach dem essen. du kannst ja schon die karten bestellen.

frau fischer: vielleicht sollte ich noch etwas spazierengehen. weil ich doch nicht weiß, wann er kommt oder die kinder. vielleicht sehe ich ihn in der wochenschau. ja, da hätte ich lust drauf, jetzt ins kino und vorher oder hinterher etwas spazierenzugehen.

der mann: wir sind den ganzen tag spazierengegangen.

die frau: und haben worte gewechselt.

der mann: wir haben das du gewechselt und uns geküßt.

die mann: und aufs wasser gesehen. es ist abend darüber geworden. die leute gehen ins kino. und ich bin plötzlich so müde.

der mann: du mußt ins bett, wenn du müde bist. und schlafen.

die frau: nein.

der mann: wenn du willst, gehe ich mit dir.

die frau: nein. denn ich habe angst einzuschlafen und daß, wenn ich wach werde, der tag angefangen hat, der bis morgen dauert. und dann wird es wieder so weitergehen. ich stehe auf der 13. straße vor einem schaufenster. es ist wieder heute, weil nicht mehr gestern ist. nein. nein. nein.

der mann: nein, denn es ist viel geschehen.

frau fischer: es ist abend und er ist nicht nach hause gekommen.

der mann: was machst du?

die frau: nichts, ich bin bei dir.

der mann: ja?

die frau: was machst du?

dar mann: ich habe nachgedacht.

die frau: was hast du getan?

der mann: ich habe
platten gehört, bier getrunken, zigaretten geraucht
und an dich gedacht
mit einem finger habe ich auf dem klavier
eine melodie gespielt
für dich
habe ich einige worte notiert
auf einen zettel ohne anschrift
wer wechselt die tage in träume?
wer zahlt in kleiner münze?
wer zahlt es uns heim?
abends
wenn die hellen augen dunkel werden
von lust und schmerz
beziehen die sterne posten
die stellungen sind erprott
das horoskop ist gestellt
für tage
im voraus ist alles berechnet
wie schon gehabt habe ich
platten gehört undsoweiter
ich habe nur
vergessen für den staat zu beten
mord und ministerien zu billigen
und kinder zu zeugen, vergessen
habe ich meine steuern zu zahlen
für kirche und künftige kriege
mein gewissen zu vergessen
habe ich vergessen, dafür
habe ich mit einem finger auf dem klavier
ein liebeslied geklimpert und dir
eine taube entgegengeschickt
die nicht zurückkehrt
abends, wenn die helleren augen dunkler werden
von lust und schmerz
sind wir helle schatten in der nacht
in der sie uns erschlagen.

die frau: laß uns weitergehen. es ist warm. und die wände haben keine ohren auf der straße.

der mann: laß uns weggehen.

die frau: weggehen. ja.

frau fischer: es ist abend und er ist nicht nach Hause gekommen. auch die kinder sind nicht gekommen. und ich warte, daß er kommt oder die kinder. aber schließlich kann ich mich ja nicht um alles kümmern. immerhin haben wir inzwischen einen fernsehapparat. und ich kann mir das frage- und antwortspiel ansehen, das macht mir immer freude! manchmal weiß ich eine antwort auf die fragen. aber ich kann mich nicht blamieren, wenn die antwort falsch ist. oder wenn ich keine antwort weiß. und dann kann ich auch noch meine antworten vorsagen. und ich kann mir vorstellen, daß die teilnehmer nur auf mein stichwort warten. ich glaube, ich will mir das frage- und antwortspiel ansehen.

zeitzeichen

lautsprecher: mit dem letzten ton des zeitzeichens war es genau zwanzig 20 uhr und und fünfzehn minuten mitteleuropäischer zeit. wir bringen das abendprogramm.

monoton wie irgendeine litanei:

die hungrigen speisen
die durstigen tränken
die nackten bekleiden
die fremden beherbergen
die gefangenen erlösen
die kranken besuchen
die toten begraben

ich wiederhole:

die sünder zurechtweisen
die unwissenden lehren
die zweifelnden recht beraten
die betrübten trösten
das unrecht geduldig leiden
denen, die uns beleidigen, gern verzeihen

der mann: keine antwort?
wirklich?
keine antwort

lautsprecher: ich wiederhole:

die hungrigen speisen
die durstigen tränken
die nackten bekleiden
die fremden beherbergen
die gefangenen erlösen
die kranken besuchen
die toten begraben

die frau: nein.

lautsprecher: die hungrigen speisen
die durstigen tränken
die nackten bekleiden
die fremden beherbergen

die frau: ich kann das nicht mehr ertragen.
lautsprecher: ich wiederhole:

die hungrigen speisen
die durstigen tränken
die nackten bekleiden
die fremden beherbergen
die gefangenen erlösen
die kranken besuchen
die toten mit den toten begraben
und die kinder lieben

die frau weint.

zeitzeichen

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