Reinhard Döhl: Hermann Finsterlin. Eine Annäherung / 44
Eher bescheidene Erfolge

Den ersten Nachkriegsausstellungen 1953 in Stuttgart und 1954 in Wuppertal-Barmen folgt 1957, wiederum im Kunsthaus Fischinger, eine dritte Ausstellung, die für längere Zeit die letzte Einzelausstellung Finsterlins bleiben sollte. Besonders eine Kritik hatte es Finsterlin damals angetan. Er bezeichnete sie am Rande des Zeitungsausschnittes als "Eine der originellsten, wenn auch etwas einseitige Betrachtung", und er erinnerte sich ihrer Überschrift noch Jahre später in einem kleinen Essay, den er für die Borsi-Monographie schrieb: "Ein freundlicher Kritiker hat mich einmal Klingsor Finsterlin genannt." (329) Diese Kritik von Karl Diemer in den "Stuttgarter Nachrichten" lautet:

"Hermann Finsterlin, Magier, Hexenmeister, Jongleur mit Märchen und Mythen, ist, ein echter Klingsor, mit neuen Beschwörungen und Bildern aus seinem Zaubergarten im Kunsthaus Fischinger eingezogen. König Laurin im Purpurmantel wird mit einer schlangenhaft lispelnden und lächelnden blaßrosa Sphinx konfrontiert, der "Fliegende Holländer", mongolengesichtig, treibt mit flackerndem schwarzen Segel im Stillen Ozean. "Steinbock" heißt ein in kühnem Schwung in die Bilddiagonale gespanntes Fabeltier, über dem sich spitze kristalline Pyramiden erheben. Dann der augenzwinkernde Spott des Maler-Dichters und sympathisch-humorvollen Surrealisten: "Angriff der transzendentalen Subjekte auf das Rosenroß" [von Finsterlin korr. aus: Riesenroß, R. D.]. Die Romantik, die Spätromantik und Neuromantik zumal in der Retorte eines eudämonischen [von Finsterlin korr. aus: diabolischen, R. D.] Spaßvogels - so etwa könnte man Finsterlin definieren -, wo mit allerlei orientalischem und fernöstlichem Gewürz zusammengebraut und zum Siedepunkt hochgetrieben wird, doch nie so weit,

daß sie wagnerianisch Feuer finge -: Das Dionysische als Apollinischer Humor [von Finsterlin korr. aus: Heidenspaß, R. D.]! Die Farben sind kräftiger geworden auf diesen Bildern aus den letzten beiden Jahren. Die Zeichnung hat den alten jugendstil-arabeskenhaften über den Rahmen hinausdrängenden Schwung. Das will zum Wandbild; und Wandbildentwürfe sind mit ausgestellt, dynamisch figürliche Kompositionen, die den neuen Kursaal in Schömberg bei Wildbad schmücken sollen."

Während die meisten Zeitungen, die im Mai 1957 über die Einweihung des neuen Kurhauses in Schömberg berichten, lediglich erwähnen, daß "die großen Wand- und Deckenfresken" von Finsterlin geschaffen seien, widmet eine Zeitung sich ausführlicher den "Gemälden von Professor Finsterlin" und zitiert nach einer kurzen Vita und Beschreibung der Wandmalereien den Chef-Gonservator Jean Cassou des Museums für moderne Kunst in Paris, mit einem Gutachten, das sich in Übersetzung in mehrfacher Abschrift im Nachlaß befindet und vollständig lautet:

"Ganz gewiß haben uns die Fotos der Arbeiten Herrn Finsterlins sehr beeindruckt; es liegt die Aussprache eines besonderen Geistes vor, eines sehr feinfühlenden, außerordentlich poetischen Künstlers, der von der verborgenen Seite der Dinge hingerissen ist; im übrigen ein beliebtes Gebiet des deutschen Lyrismus."

Es liegt nahe, daß dieses Gutachten mit einer Ausstellungsbeteiligung zusammenhängt. Denn im Juli 1957 (Vernissage-Cocktail 4.Juli, Reception 14.Juli) stellt "Le Centre Internationale de Culture et d'Fchange" in der "Galerie du XVI" in Paris Malerei von Eliane Bruston-Vergara, Jochems (La Haye) und Finsterlin aus, zusammen mit Tapisserien Lauvins. Keinesfalls handelt es sich also, wie spätere Katalogangaben suggerieren, um eine Einzelausstellung Finsterlins, sondern um eine Ausstellungsbeteiligung im Rahmen eines internationalen Kulturaustauschs.

Reaktion der Kritik ist nur aus zweiter Hand überliefert. Aber offensichtlich war die Ausstellung Anlaß für Pläne. "Finsterlin und Jochems", schreibt eine abschriftlich erhaltene Zeitungsnotiz, "wollen sich im Herbst in Nizza einfinden, um dort neue Farbtöne zu entdecken und neues Spiel im Licht."

Aus diesem Plan scheint nichts geworden zu sein. Und auch Finsterlins rührend weltfremder Versuch, dem "Centre International de Culture et d'Echange" durch Fürsprache beim Bundespräsidenten Hilfe zu erbitten, ist fehlgeschlagen. Immerhin führte Finsterlins Bemühen zu einem kleinen Briefwechsel mit dem damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, der mit einem Brief Finsterlins vom 20.Juli 1957 beginnt:

"Hochverehrter Herr Bundespräsident!

Im Bewußtsein Ihres umfassenden iniativen Interesses für alles Kulturgeschehen muß ich annehmen, daß Ihnen auch die Existenz des "Internationalen Kulturaustausch-Zentrums" in Frankfurt und Paris bekannt ist. Ich komme soeben aus Paris, wo ich als Gast des I.K.A.Z. meine Bilder ausstellte. Ich fühle mich verpflichtet, Eure Exzellenz als Schirmherrn aller kulturellen Erscheinungen mit der Gefahr bekannt zu machen, welche vor allem der Pariser Zentrale droht. Die Raumverhältnisse wie die zur Verfügung stehenden Betriebs- und Repräsentationsmittel stehen in grassem [sic, R. D.] Gegensatz zu der Weltwichtigkeit dieser einmaligen Mission, deren Inauguratoren in allen Ländern, wo sich Tochterorganisationen befinden, im Begriffe sind, an ihrem Idealismus zugrunde zu gehen.

Der Leiter des Pariser Salons und Präsident des französischen I.K.A.Z. Georges Greciano ist gezwungen, in einem viel zu kleinen Raum, welcher auch der Begegnung internationaler Kulturträger zum Zwecke geistigen Austausches und völkischer Annäherung dienen soll, jeweils 3 bis 4 Künstler auszustellen, um durch die den Verhältnissen der meisten Künstler rücksichtsvoll angepaßten Beiträge wenigstens einen kleinen Teil der erforderlichen Betriebsmittel zu decken. Herr Greciano ist ein Mann von seltenen geistigen und organisatorischen Fähigkeiten, von uneigennützigem, fast selbstmörderischem Idealismus und mit weitesten gesellschaftlichen Verbindungen. Was heute schon an kulturellem Leben in dem kleinen Salon in der Rue de la Tour blüht, ist einzig der Initiative dieser faszinierenden Persönlichkeit zu danken. Seine Gesuche um kleine Subventionen, Zuschüsse oder Repräsentationsgelder sind sowohl von Bonn wie von Paris und Amsterdam und anderen Ländern, deren Künstler er im Pariser Salon zu Wort kommen ließ, abgelehnt worden. So aber kann Herr Greciano die Musenstätte nicht länger mehr aufrecht erhalten. Alle ausländischen Künstler wissen, wie schwer es ist, in Paris auszustellen oder sich dichterisch Gehör zu verschaffen, und doch ist Paris das wertvollste Sprungbrett zur internationalen Bekanntheit. Sowohl der internationale Kunsthandel wie das private Interesse weiter Kreise nehmen in den Pariser Salons in ganz anderem Maße am Kulturleben Anteil als in allen anderen Ländern. Neue Zentren sind gegenwärtig im Entstehen in München,

Wien, Hannover, Brüssel und New York.

Meine intervenierende Bitte, Exzellenz, ginge nun dahin, wenn Ihre persönlichen Informationen meine Darlegungen bestätigen, Mittel und Wege zu suchen, dieses wichtige, aber noch sehr keimhafte internationale Kulturzentrum in Paris nicht der Auflösung anheimfallen zu lassen, sondern es zu erhalten und - wenn möglich - zu einer wahrhaft weltweiten Organisation auszugestalten. Der große Dank der kosmopolitischen Kulturträger wäre Ihnen sicher, und nur Sie, Herr Bundespräsident, könnten heute solch vordringlichen Bestrebungen das nötige Gewicht verleihen."

Der Antwortbrief ist so höflich wie zurückhaltend, läßt auch erkennen, daß Finsterlin seinen Brief nicht ohne Beilagen in eigener Sache abgeschickt hatte. Unter dem Datum des 25.Juli antwortet Heuss:

"Sehr geehrter Herr Professor Finsterlin!

Freundlichen Dank für Ihre Zeilen und die Sendung, die mich noch an dem Tag erreichte, an dem ich für einige Wochen, nun freilich ganz ohne "Apparat", zur Erholung in die Schweiz fahre. Ich kann Ihnen jetzt nur den Eingang Ihrer Sendung bestätigen. Die organisatorischen Voraussetzungen der l.K.A.Z., von der Sie schreiben, sind mir keineswegs vertraut. Es gibt ja eine Unsumme von Organisationen und Vereinigungen, die damit rechnen, daß ich mit Ihnen vertraut bin, aber auch mein Fassungsvermögen gegenüber dem heutigen Betrieb ist, wie Sie mit Nachsicht zugestehen mögen, begrenzt. Ich werde mich erst nach meiner Rückkehr orientieren können, welcher Art die Anlage dieser Sache ist.

Mit einer finanziellen Leistung von mir können alle die Leute nicht rechnen, die eine etwas phantastische Vorstellung von den mir gegebenen Möglichkeiten haben. Die Leistung begrenzt sich auf individuelle Sozialhilfe, und ich mußte schon unendlich viele Menschen enttäuschen, die für Sach- oder Organisationsfragen eine finanzielle Stütze vom Bundespräsidialamt erwartet haben.

Ich habe den Essai über Ihre eigene Arbeit (vgl. Anm. 4) gelesen, die mir ja gelegentlich schon begegnet ist. Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen einen Vortrag, "Zur Kunst der Gegenwart", zuzusenden, freilich in der Vermutung, daß Sie ihn im Grundsätzlichen seiner Nüchternheit verwerfen werden, aber er markiert einigermaßen die Linie, auf der sich mein Betrachten und Bewerten künstlerischer Schöpfung bewegt."

Mit dieser Antwort endet praktisch die Korrespondenz. Zwar fand Heuss nach seiner Rückkehr aus der Erholung einen weiteren Brief Finsterlins, diesmal mit 21 Fotos nach seinen Arbeiten, vor, aber er ließ "wegen Überfülle" der

"gegenwärtigen Beanspruchung" durch seinen persönlichen Referenten antworten:

"Der Herr Bundespräsident dankt Ihnen für Ihre freundliche, für sein Gefühl etwas zu enthusiastische Beurteilung seines "Kunstbuches" und für die Übersendung der Bildreproduktionen von Ihrer Hand. Sowohl die gelungenen Porträts wie auch die Wandbilder in ihrer Mischung von Dekorativem und Illustrativem haben ihn interessiert. Sie wollen es jedoch nicht mißverstehen, wenn er Ihnen diese Bildsendung zurückgibt, wie er das immer tut, denn bei ihm häuft sich sonst zu viel Papier, dem er schon jetzt vorbeugt, weil er ja in zwei Jahren wieder in eine räumlich beschränkte Privatwohnung zurückkehren wird."

Für das I.K.A.Z. war Finsterlins Fürsprache jedenfalls ebenso ergebnislos wie die Pariser Ausstellungsbeteiligung für ihn selbst. In einem Briefentwurf, wohl an Greciano, resigniert er deutlich:

"Die Drehbühne in der Rue de la Tour hat sich nun wieder bewegt, und mit ihr ist auch Finsterlin wieder in der Versenkung

verschwunden."

Der gleiche Briefentwurf spricht von Ausstellungsmöglichkeiten in Barcelona und Zürich, die sich wohl zerschlagen haben, da sich keine weiteren Hinweise darauf fanden. So ist die nächste Ausstellungsbeteiligung, nicht Einzelausstellung, wie die Kataloge schreiben, vom 18. Mai bis 30.Juni 1958 (nicht 1959) in der Ludwig-Uhland-Bücherei in Stuttgart-Vaihingen, wo Finsterlin zusammen mit Max Ackermann, mit dem er auch sonst gelegentlichen Kontakt hatte, mit Erwin Aichele, Wilhelm Blutbacher und Fritz von Graevenitz ausstellte. Einiges zu dieser Ausstellung wurde bereits gesagt. Nachzutragen ist, daß Finsterlin gebeten war, die Eröffnung zu übernehmen und "ein paar Worte zu sagen über die Art und Weise, wie wir bildenden Künstler unsere Arbeiten betrachtet und erlebt wissen möchten".

Finsterlins einleitende Worte wiederholen, was er schon oft gesagt hatte, daß wahre Kunst, die "wirklichen großen Schöpfungen [...] immer zeitlos" seien, daß es "letzten Endes [...] doch einzig auf das Können eines Ausdrucks" ankomme. Aber sie klingen dort, wo sie sich gegen die zeitgenössische, die aktuelle Kunst wenden, gemessen am kämpferischen Ton von früher, eher wie eine rhetorische Pflichtübung:

"Seit viel zu langer Zeit schon duldet der schaffende Künstler diese Sektion und Vivisektion seiner Muse. Und es ist an der Zeit, daß der alte Dionysos wieder einzieht in unsre musischen Tempel. Und nicht nur den Schöpfern Pinsel und Meißel führt, sondern vor allem auch Auge und Herz der Empfangenden wieder lockert, ihnen wieder den Mut giebt zum persönlichsten Ja oder Neinsagen aus der einmalig subjektiven Seelenhaltung heraus, unüberdeckt von fremder Kritik, von sog. objektiven, leider meist so fantasielosen Besserwissern, von dem hypnotisierenden Terror künstlich gezüchteter Richtungen und Moden."

Finsterlin war müde, sein künstlerisches Werk nach dem Kriege allgemein nicht bekannt geworden. Das begründet sich nicht nur aus der Entwicklungslosigkeit des Werkes, sondern auch mit der verpaßten Chance, seine in den 20er Jahren gefundene eigene Spielform des Informel weiterentwickelt zu haben. So stand Finsterlin, als sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre Informel und Tachismus durchsetzen und 1959 bereits auf der 2. Documenta nobilitiert werden, mit seiner Malerei deutlich im Abseits, wurde es still um den bildenden Künstler, der erst mit der Wiederentdeckung des utopischen Architekten ins Gespräch kommt, allerdings - mit Ausnahme der Münchner Retrospektive von 1964 - stets nurmehr im Zusammenhang und deutlich im Schatten der Architekturen, deren besondere Bedeutung und Brisanz man jetzt erst eigentlich zu begreifen beginnt.

< Ein Gedichtwerk will geordnet werden | Eingeholt von der Geschichte >


Anmerkung 329
329 Borsi (s. Anm. 6), 5.292.