Kei ("Okei") Suzuki
geb. 1950 in Tokyo als Sohn des Sho-Meisters Ôtei Suzuki, der auch sein erster Lehrer war. Studium der Kunstgeschichte (Tokyo Geijutsu Daigaku), der Sho-Kunst (Tokyo Gakugei Daigaku), Meisterschüler Yasusi Nishikawas. Leiter der Kenshin-Gruppe sowie Mitglied der Sho-Gruppen Yomiuri Shodo-Kai, Kien Bun Kai und der von seinem Vater gegründeten Gruppe Sho-jin Sha. Lebt als Sho-Meister und Sho-Lehrer in Tokyo. Preise u.a.: Preis der Mainishi-Shubun-Presse (1978 anläßlich der Ausstellung "Nihon Shodo Bijutsuin"). Yasusi Nishikawa-Preis (im Rahmen der "Kensin"-Ausstellungen 1988 und 1993), Shuuitu-Preis der Yomiuri-Presse und Nittenpreis 1994. Zahlreiche Ausstellungen und Beteiligungen. Seit 1987 auch gemeinsame Arbeiten und Ausstellungen mit Reinhard Döhl in Japan und Deutschland. Arbeiten in privatem und öffentlichem Besitz in Japan und Deutschland.

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Ausstellungen in Deutschland
Kei Suzuki: SHO - mit dem Pinsel geschriebene Bilder. Arbeiten des SHO-Meisters Kei Suzuki (Tokyo). VHS Aalen in Verbindung mit dem Verband bildender Künstler Baden-Württemberg. Torhaus Aalen 1989
Kei Suzuki/R.D.: Sho/Schreibspuren. Stuttgart: Galerie von Kolczynski 1990
Kei Suzuki/R.D.: Sho/Schwarze Bilder. Stuttgart: Galerie von Kolczynski 1992
Kei Suzuki: Sho. Stuttgart: Praxis-Galerie Przerwa/Weitzsäcker 1992/1993
Schrift Bilder Bild Schrift. 15 japanische Künstler. Stuttgart: Galerie Buch Julius. Beteiligung 1993
Einblicke - Ausblicke. 1968-1993. 25 Jahre Galerie Folkmar von Kolczynski. Beteiligung 1993
Kei Suzuki/R.D.: SHO - Japanische Kalligraphie. Im Rahmen des Japan Festivals der VHS Stuttgart 1995
SHO-Demonstration Kei Suzukis. Im Rahmen des Japan Festivals 13.6.1995
Kunstraum / Sprachraum. Kunst- und Kunstgewerbeverein Pforzheim. Beteiligung 1997
Kei Suzuki / Hiroo Kamimura / R.D.: Sho - Japanische Kalligraphie. Im Rahmen der Japanwochen in Bad Wildbad 1998
Querdenker. 30 Jahre Galerie von Kolczynski. Beteiligung 1998
Kunstraum / Sprachraum/ Internet. Kunstverein Uelzen in Zusammenarbeit mit dem BBK Uelzen. Beteiligung 1999
Kei ("Okei") Suzuki: Sho. Stuttgart: Galerie Buch Julius 2000

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Kataloge/Essays/Texte
Kunstraum / Sprachraum. In: Katalog der gleichnamigen Ausstellung, Kunst- und Kunstgewerbeverein Pforzheim 1997; Kunstverein / BBK Uelzen 1999

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Reinhard Döhl: Kei (Okei) Suzuki: SHO in der Galerie bei Buch Julius, 9.9.2000

Das westliche Verständnis von "Sho"-Kunst ist mit einigen Irrtümern besetzt. Das wird bereits deutlich, wenn wir hartnäckig "Sho"-Kunst mit Kalligraphie übersetzen. was in unserem abendländischen Verständnis ja Schönschrift meint.

Das ist in der "Sho"-Kunst durchaus anders. Sie zeigt nicht und will nicht unter Beweis stellen die Kunstfertigkeit des Schreibers, sie ist vielmehr Ausdruck eines Lebensgefühls, aus dem heraus der Schreiber das oder die Schrift-Zeichen zu gestalten versucht.

Ursprünglich waren die chinesischen Schrift-Zeichen ("Kanji"), die auch in Japan verwendet werden, Bild-Zeichen, verloren dann im Laufe der Zeit ihren Bild-Charakter immer mehr, haben ihn aber für den Kenner noch soweit bewahrt, daß ich im folgenden bewußt von Schrift/Bildzeichen bzw. Bild/Zeichenschrift. sprechen möchte. Ein Kanji mit noch deutlichem Bildcharakter ist zum Beispiel Yama (Berg), im Exponat 11 das linke Zeichen, eine Arbeit, die zusammengelesen "Bou-zan" bedeutet, was etwa mit Über weit entfernte Berge schauen zu übersetzen wäre. Sie alle kennen Yama als Bestandteil des Fudjiyama, eine Bezeichnung freilich, die ein Japaner nicht verwenden würde. Er sagt stattdessen Fudjisan.

Schrift/Bildzeichen bzw. Bild/ Zeichenschrift dienen (wie unsere mit Hilfe des Alphabets gebildeten Wörter) in ihrer Addition natürlich in erster Linie der Information, wobei es mehr auf die Bedeutung als auf die gestaltete Form ankommt. Gestaltet man das Schrift/Bild-Zeichen jedoch aus seinem individuellen Lebensgefühl heraus, nähert man sich der Bild/Schrift-Kunst, der Kunst des Schreibens, begibt man sich auf den Sho-Weg ["Sho do"]. Dabei gibt es, wie Ijima Tsutomu anläßlich einer Ausstellung schrieb, unendlich viele Möglichkeiten, die eigene Freiheit zu behaupten und dem Zeichen die Gestalt zu geben, wie sie dem eigenen absoluten "Leben" entspreche. Wobei es nicht mehr so wichtig sei, daß das Zeichen gelesen und seine Bedeutung verstanden werde, sondern daß man es als Kunstwerk betrachte und seinen ästhetischen Inhalt erfasse. Und weil es nicht mehr um Lesen, sondern um Betrachten, nicht um Information, sondern um ästhetischen Inhalt geht, ist es mit den Worten Ijuma Tsutomus auch erlaubt, daß das Schriftzeichen infolge unbeschränkter Ausdrucksfreiheit nicht mehr verständlich, das heißt unlesbar ist.

Diese Ausdrucksfreiheit an der Grenze zur Unlesbarkeit hat in Amerika und in Europa dazu geführt, die Kunst der Pinselschrift mit abstrakter, gestischer Malerei zu vergleichen und sogar zu verwechseln. Aber wo diese gestische, gelegentlich auch skriptural genannte Malerei entweder völlig gegenstandlos ist oder vom Gegenstand abstrahiert, wo sie den Schreibgestus allenfalls fingiert, geht der "Sho"-Meister immer noch vom Kanji, von seiner Struktur (Schrift) und Bedeutung (Bild) aus, um sie auf eine andere Ebene zu transponieren.

Ein drittes Mißverständnis, dem die "Sho"-Kunst im Westen ausgesetzt ist, besteht in Versuchen, an die mit dem Pinsel geschriebenen Bilder unsere ästhetischen Maßstäbe anzulegen, was in der Regel dazu führt, daß man an Äußerlichem hängen bleibt und damit das Wesen der "Sho"-Kunst gleich doppelt verfehlt.

Richtig betrachtet, ist nämlich bei jeder "Sho"-Arbeit auf die "Linie" zu achten. Die Schriftkunst, zitiere ich Zaitsu Nagatsugi, besteht aus zwei entgegengesetzten Elementen, Weiß und Schwarz, die jenseits aller Farbwerte liegen. Das Schwarz als Element gewinnt durch die Form der schwarzen Linien seine Gestalt. Da nun alle Zeichen eine bestimmte Schreib-Reihenfolge haben, nach der sich die schwarze Linie bewegt, ist die Tuschlinie eine Linie in Bewegung. Da sie nach bestimmten Richtungen mit verschiedenen Geschwindigkeiten geschrieben wird, kann man die fließende Bewegung im Sosho [...] mit den Augen selbstverständlich nachvollziehen. Insofern unterscheidet sie sich von derjenigen in der Malerei. Sie ist eine ununterbrochene Linie, denn selbst, wenn die schwarzen Linien auf dem Papier nicht verbunden sind, fließt die Idee der Linie über den leeren Raum hinweg in der Bewegung des Pinsels weiter, so als ob die Linie auf einem räumlichen Papier weitergeschrieben worden wäre. D.h. die Bedeutung des Geschriebenen ist die kontinuierliche geistige Verbindung.

Wie sich dies aus der Sicht eines Sho-Meisters darstellt, möchte ich mit den Worten Morita Shiryus belegen: Ich schreibe, sagt Morita Shiryu, das Schriftzeichen "Tod", ausgesprochen shi. Diese irdische Welt ist voll von Gegensätzen, Widersprüchen und Beschränkungen: Leben und Tod, Nichts und All. Für uns gibt es keine Freiheit, solange wir von diesen Gegensätzen und Beschränkungen gefesselt sind. Es ist unmöglich, daß unser Leben vollkommen funktioniert. Dies wird in der Tatsache klar und sinnfällig, daß zwischen meinem Ich und dem Schriftzeichen "Shi", wie ich es jetzt schreibe, ein Gegensatz besteht. Wie ich die Beschränkung dieses Schriftzeichens überwinde, wie ich mein Ich frei und vollkommen entfalten kann, darauf konzentriert sich mein ganzes Streben.

Aber, schränkt Morita Shiryu sein Streben ein: dies sei nur sein Wunsch. Denn er wisse, daß es schwierig sei, ein befriedigendes Werk zu vollbringen. [...] Zehnmal, sogar hundertmal muß ich neu schreiben. Jedesmal, wenn ich mit meiner Arbeit nicht zufrieden bin, prüfe ich meinen inneren Zustand, ehe ich die unbefriedigenden Formen und Linien entdecke. In der Tat, die meisten Fehler an meinem Werk haben ihre Ursache weit eher im inneren Seelenzustand als in der technischen Unzulänglichkeit. Auf diese Weise versuche ich durch Sho-Schreiben mein Ich zu finden.

Ich möchte hier ergänzend noch ein weiteres Zitat einschließen, das für mich einige Bedeutung gewonnen hat. Es stammt von Daisetz Suzuki und lautet: Kunst ist vollkommen erst, wo sie aufhört, Kunst zu sein, das heißt, wenn die die Vollkommenheit des Kunstlosen erreicht hat.

Nicht eingehen werde ich auch auf die Geschichte der "Sho"-Kunst, die bereits in archäologischer Zeit in China beginnt, von dort im Laufe der Zeit nach Japan gekommen ist. Einen Aspekt allerdings muß ich herausgreifen. Betrachtet man nämlich die "Sho"-Kunst in ihrer Tradition, fällt auf, daß sie - im europäischen Sinne - wenig Entwicklung zeigt, daß manche Arbeit früherer Zeit unserem Auge moderner anmutet als manche Arbeit von heute. Das hängt einmal damit zusammen, daß die "Sho"-Kunst ein größeres Traditionsbewußtsein hat als unsere abendländische Kunst. Das begründet sich aber auch aus der Tatsache, daß sie keine Epochenstile in unserem Sinne herausgebildet hat. Sie ist statt dessen eine extrem individuelle Kunst oder Kunstausübung, in der von Anfang an jeder auf seine Weise und mit seinen Mitteln versucht, sein Ich frei und vollkommen zu entfalten.

Morita Shiryus Hinweis auf mögliche technische Unzulänglichkeit bringt neben dem Was auch das Wie, die Praxis und Technik des Schreibens, die technisch-materialen Voraussetzungen der Schrift-Kunst zur Sprache.

Die Technik des Schreibens mit dem Pinsel weicht auf vielfache Weise von unseren Schreibgewohnheiten ab. Das beginnt mit der Haltung des Pinsels, den man traditioneller Weise senkrecht hält, und zwar mit gewölbter Hand. Anfängern gibt man dabei gelegentlich sogar ein rohes Ei in die Hand. Später nimmt sich der "Sho"-Meister allerdings bei der Haltung des Pinsels durchaus größere Freiheiten heraus.

Zweitens schreibt man von oben nach unten und - in der Regel - von rechts nach links. In dieser Richtung sind auch die "Sho"-Arbeiten zunächst zu lesen, will man den Verlauf der "Linie" entdecken und verfolgen.

Drittens ist beim Lesen einer "Sho"-Arbeit darauf zu achten, daß dem Schreibenden wahlweise verschiedene Schriftarten und -typen zur Verfügung stehen. Bei dem Traditionsbewußtsein der "Sho"-Meister ist es kaum verwunderlich, daß auch alte Schriften, die eigentliche historische Phasen der Schriftentwicklung markieren, heute noch wahlweise benutzt werden können.

Im bisherigen Werk Kei Suzukis sind vor allem zwei Schrifttypen zu beachten: die strenge "Tensho" und die freiere und fließende "Sosho", neben denen es noch die "Reisho, Kaisho" und, wiederum fließend, die "Gyosho" gibt.

Die Schreibmaterialien, die man auch die "Kostbarkeiten eines Literaturzimmers" ("Bumbo-shiho") nennt, sind der "Pinsel", "Pinselhalter", die "Tusche" und der "Tuschstein". Gelegentlich nennt man statt des "Pinselhalters" das "Papier", eine Viererfolge, an die ich mich halten werde.

Wählt man keine bereits gebrauchsfertige, besteht die Tusche ("Boku)" aus einem meist länglichen harten Block, der aus Kiefernholzruß und Leim unter Zugabe von Duftstoffen gepreßt ist. Dabei wird zwischen zumeist verwendeter "schwarzer" und der selteneren, da nicht ganz leicht zu handhabenden "blauen" Tusche unterschieden.

Die "Tusche" wird vor dem Schreiben auf einem Tuschstein ("Suzuri)" unter Zugabe von Wasser in kreisenden Bewegungen angerieben, bis sie die vom Schreiber für den geplanten Schreibakt gewünschte Schwärze ("Dicke") hat. Die "Tuschsteine" sind dabei oft Einzelstücke und nicht selten entsprechend wertvoll.

Im Falle des Papiers ("Gasenshi)" hat der Schreibende die Wahl zwischen dünnen oder dicken, weißen oder eher gelblichen, groben oder feinen Qualitäten, wobei die Papiere entweder aus der Rinde des Maulbeerbaums oder - in China - aus Seidelbast hergestellt sind, ein Papier, das Kei Suzuki für seine Arbeit bevorzugt. Die Wahl wird bestimmt durch das, was geschrieben werden soll. Das gilt auch für das Format. Will man z.B. ein Gedicht schreiben, wird man ein schmales Hochformat wählen, das man später auf eine Rolle aufziehen kann.

Für andere Absichten sind verschieden große Formate im Handel. Sie können aber auch durch Zuschneiden individuell hergestellt bzw. durch Aneinanderfügen und Kleben vergrößert werden.

Das läßt sich durchaus flexibel handhaben, so in dieser Ausstellung beim Exponat 24, der 18teiligen Arbeit "Iroha Uta", einem Gedicht aus dem 9. Jahrhundert. Normaler Weise wäre es auf einem schmalen Hochformat von oben nach unten geschrieben worden. Hier aber galt es, für die 18 Rahmen eine alles einbindende einheitliche Lösung zu finden. Eine Lösung, die ich mir überzeugender nicht vorstellen kann.

Um wenigstens einen Eindruck zu vermitteln, gehe ich auf einige Details ein.

Ursprünglich in "Kana" (also japanischer Schrift) geschrieben, kommen in diesem Text alle 48 Schriftzeichen nur ein einziges mal vor, ideal also, sie zu lernen. Ich versuche es:

i ro ha ni ho he to
chi ri nu ru wo
wa ka yo ta re so
tsu ne na ra (mu)
u i no o ku ya ma
ke hu ko E te
a sa ki
yu me mi shi
E hi mo se su (mu).
 

Da diese Schriftzeichen - im Gegensatz zu unseren Buchstaben - gleichzeitig etwas bedeuten bzw. bezeichnen, macht das Ganze aber auch Sinn, und der lautet in meiner Übersetzung:

Der Duft der Blüten ist rings um uns
Aber die Blütenblätter fallen ab und verwelken
Das ist der Weg des Lebens für mich und jeden anderen
Heute, ich überschritt den Berg der Abs und Aufs dieser Welt
War mein Schlaf leicht und ich blieb ohne Rausch.

Kei Suzuki hat dieses Gedicht aber nicht, wie zu erwarten, in "Kana" geschrieben, sondern in "Tensho" (also alten chinesischen Schriftzeichen), ein Schriftwechsel, der bei Beurteilung dieses Großunternehmens mit bedacht sein will.

Daß sich auch Einzelarbeiten zu größeren Kontexte superisieren lassen, haben wir im Schaufenster durch die Addition der Exponate 3/9/2

Sei-kyou
Mei-sei Kou-kou
Ro-chou
 

und im untereren Ausstellunsraum durch einen Viererblock angedeutet, der von links nach rechts und von oben nach unten gelesen lauten würde:

Bou-zan | Shin-shuku
Ankan | Yuen

in meiner Übersetzung:

Über weit entfernte Berge blickend | ausgeglichen sein
voller Frieden | eine Szene in weiter Entfernung.

Ich möchte aber noch auf eine zweite Arbeit, die ebenfalls im unteren Raum hängt, etwas ausführlicher eingehen, die eigentliche Nummer 1 dieser Ausstellung. Sie lautet, von rechts nach links gelesen O-gen, auf Deutsch: "gehen" und "kommen", eine Wortverbindung, die buddhistisches Denken nicht nur tangiert. Kei Suzuki hat, was er mit dieser Arbeit ausdrücken wollte, in einem Brief an mich wie folgt kommentiert:

Die Schriftzeichen bedeuten einfach "gehen" und "(wieder)kommen". Aber darüber hinaus fühlen wir, daß wir in unserem Leben manchmal zum Himmel (auf)steigen und auf der anderen Seite gehen wir zur Hölle. Wir leben unser Leben in der Wiederholung dieses zum Himmel Steigens und zur Hölle Gehens.

Ich weise auf diese Arbeit hin und habe ihren Kommentar zitiert, weil sich hier in der Wurzel eine Verbindung zu Überlegungen der modernen Aesthetik herstellen läßt, für die ich stellvertretend Hans Arp zitiere (der übrigens am selben Tag wie KeiSuzuki geboren ist und) der über die "Klänge" Wassili Kandinskis festgeschrieben hat, sie stellten den Leser vor ein sterbendes und werdendes Wortbild. Eben: o-gen.

Die vierte "Kostbarkeit" schließlich ist der Pinsel ("Fude)". Auch hier gibt es natürlich die unterschiedlichsten Qualitäten: weiche oder harte, lange oder kurze, schmale oder dicke Pinsel. Und auch hier wird die Wahl immer davon abhängen, was der Schreibende auszudrücken versucht, welches Format er sich gewählt hat.

Was für Überlegungen die Wahl des Pinsels bestimmen können, möchte ich mit einem bekannteren Beispiel belegen, einer chinesischen Mönchsarbeit ("Bokuseki") aus dem 13. Jahrhundert. Für seinen in "Sosho" geschriebenen Text Yün ch'ü-lai (Wolken gehen und kommen benutzte Wu-an P'u-ning, um den Duktus seiner Handschrift dem Inhalt des Textes adäquat zu machen, einen dicken, fast bürstenähnlichen Pinsel, der aber doch elastisch genug war, starke Druckunterschiede auf dem Papier in Gestalt wechselnder Strichdicke sichtbar zu machen, der andererseits aber auch einen "Fei-pai"-Effekt (einen Fransen-Effekt) an den Strichenden zuließ.

Eine ganz andere Lösung, mit einem anderen Pinsel, hat Kei Suzuki in der Arbeit 17 ("Un") in dieser Ausstellung gefunden.

Eine Ausstellung, wie die heutige, sollte eigentlich, um das je Einmalige der Arbeiten sichtbar zu machen, Arbeiten verschiedener Sho-Meister verschiedener Zeiten nebeneinander präsentieren. Sinnvoll vor allem dort, wo es sich um eine häufig gewählte Vorlage handelt, zum Beispiel "Mu" (Nichts). Kei Suzukis (ich weiß nicht wie vielter) Versuch, dieses Kanji zu schreiben, ist das Exponat Nr. 20, das übrigens anders, als die meisten Exponate, mit sogenannter "blauer Tinte" geschrieben ist.

Das Exponat Nr. 16 (im unteren Ausstellungsraum) schreibt mit "Wa" (Ausgeglichenheit, Harmonie) ein weiteres häufig gewähltes Kanji, das ich mir z.B. für meinen zweiten Stempel gewählt habe.

Kei Suzuki ist dabei, wie einige andere jüngere Sho-Meister, auch an Experimenten jenseits der Tradition interessiert. Ich verweise hier insbesondere auf die neueren Arbeiten Nr. 21 bis 23, "Kinchou to Kanwa" und "Chokusen to Kyokusen" hier oben bzw. "Shitsu ryou" im unteren Ausstellungsraum.

Zusätzlich zu den "4 Kostbarkeiten des Studierzimmers" bedarf es noch, um allmählich zum Schluß zu kommen, einer Unterlage, auf der geschrieben wird: meist ein rotes oder schwarzes oder blaues Filztuch. Man kann aber auch auf Decken oder Zeitungen schreiben. Wobei ich ergänzen muß, daß die auf welchem Untergrund auch immer ausgebreiteten Papiere natürlich fixiert sein müssen. Hier gibt es zum Fixieren verschiedene käufliche Gewichte. Man kann aber auch - wie ich gerne - Steine nehmen.

Ist endlich alles zum Schreiben vorbereitet, wobei die Vorbereitungen, z.B. das Anreiben der Tinte, bereits als erste Konzentrationsschritte aufgefaßt und genutzt werden, folgt nach einer kürzeren oder längeren Konzentrationsphase, in der, mit den Worten Kei Suzukis, der Kopf leer und das Herz voll gemacht werden muß, die für westliche Augen ziemlich zügige Niederschrift, wobei - ich wiederhole - vor allem auf die Linie zu achten ist und die Tiefe des Ausdrucks, das harmonische Ineinanderfließen von der strengen Form mit dem geistigen Inhalt.

Ist die Arbeit geschrieben, wird sie vom Künstler geprüft, und dies durchaus in dem Sinne, wie ich es mit Morita Shiryu beispielhaft zitiert habe. Erst dann und wenn das Ergebnis den Künstler befriedigt, wird signiert. D.h. im Falle der "Sho"-Kunst gestempelt. Zu diesem Zweck hat der Künstler in der Regel mehrere Stempel aus Speckstein sich geschnitten oder schneiden lassen, unter denen er je nach Arbeit auswählt. Dabei ist es durchaus nicht unbedeutend, wohin, an welche Stelle der Arbeit der Künstler seinen Stempel druckt: stets in rot.

Ich möchte mit zwei Hinweisen schließen. Gerne hätte ich, was aus Raumgründen nicht möglich ist, dieser Ausstellung eine zweite zugefügt mit jenen Arbeiten, die unser Freund Wil Frenken in den letzten Jahren, das Alphabet Hildegard von Bingens sich adaptierend, mit dem Pinsel geschrieben hat. Das sollten wir zu einem späteren Zeitpunkt unbedingt nachholen, nachdem die große Uelzener Ausstellung "Kunstraum Sprachraum Internet" die unterschiedlichen und dennoch korrespondierenden Pinselarbeiten von Kei, Wil und mir im letzten Jahr erstmals zusammengebracht hat.

Mein zweiter Hinweis ist persönlicher Natur. Als ich das erste Mal nach Japan kam, hatten Freunde für mich ein Treffen mit Kei Suzuki arrangiert. Wir begegneten uns in einem Shinto-Schrein, wo Kei Suzuki mich, auf dem Boden sitzend, umgeben von wenigen Büchern und den "Kostbarkeiten eines Literaturzimmers" erwartete und in ein längeres Gespräch über "Sho", über das, was mir bis dahin nur theoretisch und unzulänglich bekannt war, verwickelte. Plötzlich drückte er mir einen Pinsel in die Hand und forderte mich auf - zu schreiben.

Ich habe es tatsächlich gewagt. Kei Suzuki beobachtete diesen waghalsigen Schreibakt und das Ergebnis, von dem er nach einer Weile sagte, es mache auf ihn den Eindruck von gefrorenem Wasser (oder hat er Meer gesagt?). Dann ließ er es mich stempeln. Seit dieser ersten Begegnung habe ich in vielen Gesprächen, in gemeinsamen Experimenten und auch alleine immer wieder schreibend ein wenig mehr von dem verstanden, was die heutige Ausstellung in eindrucksvoller Breite zeigt. Ich habe für meinen "Sho do" eigentlich alles, also auch das, was ich hier vorgetragen habe, von Kei Suzuki gelernt. Ich habe mich dafür bisher nie bedankt. Das möchte ich hier und jetzt nachholen: Domo arigato, Kei!

Und weil Du am 16. September 50 Jahre alt wirst, wir aber, Dich zu feiern, nicht nach Japan fliegen können, möchten wir Dir als Zeichen der Freundschaft wenigstens einen Kanon mit auf den Weg geben.

Reinhard Döhl

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Die Exponate

1) O-gen (To go and to come)
2) Ro-chou (Bright an clear)
3) Sei-kyou
4) Yuu-shin (Spiritual happiness)
5) Sei-moku (Serenity) *)
6) Sei-boku (Purity and peacefulness) *)
7) Chou-zen (Aloof and solitary in the world)
8) Deku (Wooden doll / Bungler)
9) Mei-sei Kou-kou (In the evening sky the Venus is shining)
10) Ei-Jitsu no Itoma (Leisurely spring afternoon) *)
11) Bou-zan (Lokking over the far-away mountains)
12) Shin-shuku (Being modest)
13) Yu-en (Scenery far out in the distance)
14) An-kan (Peacefulness)
15) Dou (Movement)
16) Wa (Harmony)
17) Un (Clouds)
18) An (Peacefulness)
19) Hin (Cleareness) *)
20) Mu (Naught)
21) Kinchou to Kanwa (Tension and relief)
22) (Chokusen to Kyoj´kusen (Straight and curve line)
23/1-3) Shitsu-ryou (Mass)
24) Iroha Uta
*) nicht ausgestellt