reinhard döhl | gedichte | die vase, blaß, geborgen aus nacht und fahrt und licht
Erste Versuche [1950]

Remittenden | Nächtliche Wände | Leere Welt | Leere TageDeine Nacht ist draußen | Invention | Wir | Arbeiter, morgens | November spiegelt im Asphalt | Weihnacht | Schlaflied

Remittenden

Ich liebe diese alten Gassen,
wo müde sich ein Haus ans andre lehnt,
als wolle es sich tragen lassen,
wo silbrig das vergilbte Fenster gähnt.

Ich bin sie oft entlang gegangen,
ich hab die Häuser angefaßt,
und alle meine Schritte klangen
nur zögernd dort und ohne Hast.

Nun habe ich sie lang nicht mehr gesehen
und sehne mich nach ihrer Heimlichkeit,
ich möchte gerne durch die alten Gassen gehen -
und ruhig werden mit der Zeit.
 

Nächtliche Wände

Mir ist es manchmal so, als ob die Wände weinen,
dann klagt es leise durch das Haus,
das letzte Licht ist lang schon aus,
und auch der Mond will nicht mehr scheinen.

Und selbst die Mäuse lassen dann ihr zages Nagen,
es ist ein langer weher Ton,
erst später geht er schwer davon
und läßt sich von den Dächern tragen.

Es ist, als ob die Wände eine Seele hätten,
als ob sie das gehörte Leid
nicht greifen könnten durch die Zeit,
und einen Gott um Gnade bäten.

Mir ist es manchmal so, als ob die Wände weinen,
dann klagt es leise durch das Haus,
das letzte Licht ist lang schon aus,
und auch der Mond will nicht mehr scheinen.
 

Leere Welt

Ich weiß nicht, es ist, als ob's Abend wär,
ich bin allein in der Nacht,
eine Sehnsucht ruft, doch die Welt ist leer,
weil niemand daran gedacht.

Eine Klage wächst, ich weiß nicht woher,
und wartet, daß es tagt,
ich bin allein, und das Herz ist schwer,
und meine Seele klagt.
 

Leere Tage

Leise zittert die Weide,
und ein Stern ist erwacht,
ahnt sie von meinem Leide
in der atmenden Nacht?

Leise zittert die Klage,
und der Nachthauch geht schwer,
und wir rufen die Tage,
aber die Tage sind leer.
 

Deine Nacht ist draußen

Kalt geht die Luft,
aber drinnen,
dort bei den Menschen
ist's warm.

Rauhreif fällt die Nacht,
hoch über dir
flackern Sterne
immer weiter,

glänzen matt auf weißem
reifverhangnem Dächerfeld.
Eine Kirchturmuhr
schlägt heiser und hart.

Es ist die Nacht
wie damals,
jene Nacht, - und wieder
irrt es durch die Welt.

Aber du fühlst es nicht,
bist glücklich,
wenn dir Kinderaugen
selig strahlen.

Draußen irrt das Leid.
 

Invention

Du lebst dahin und läßt dich treiben
Und bist doch nur ein Teil von dir,
du möchtest gerne stehen bleiben,
und dennoch bleibst du niemals hier.

Laß doch dein Zögern, weil die Nächte
so dunkel sind und ohne Licht,
und hoffe nicht auf andre Mächte,
sie stehen da und helfen nicht.

Erschrecke nicht und suche nur
nach dir, auch wenn du dich nicht siehst,
und laß das bange Klagen,

in dunkler Nacht starrt eine Spur,
sie hält dich nicht, wenn du sie fliehst,
du mußt im Dunkel wagen.
 

Wir

Wir wissen nicht, daß wir leben,
und ahnen nur etwas davon
und möchten viel dafür geben
und wissen nicht, daß wir leben,
und suchen nach ewigem Lohn.

Wir kennen alle das Sterben
und möchten am liebsten weg,
wir sehen uns alle verderben
und kennen alle das Sterben
und suchen ein gutes Versteck.

Wir haben nichts mehr zu suchen
und fürchten uns vor dem Gericht,
wir möchten am liebsten fluchen
und haben nichts mehr zu suchen
und suchen ein liebes Gesicht.
 

Arbeiter, morgens

Wenn der Morgen langsam seine Läden aufschiebt,
wenn die Bäume noch die kalten Blätter hängen lassen,
so, als ob sie ihre Pflicht vergaßen,
wenn in jedem Winkel es noch schwarze Nacht gibt -

stehen sie mit hochgeschlagnem Kragen
an den alten kalten Ecken,
und sie spielen mit sich selbst Verstecken,
während sie verkratzte Mappen tragen,

in den Taschen ballen sie die Hände,
und sie warten auf die Straßenbahn,
und der Tag fängt sehr früh an,
und sie warten auf sein Ende.
 

November spiegelt im Asphalt

Wie ein Lampion
hängt der Mond
zwischen zerfetzten Wolkenstreifen
wie zwischen Gardinen.

Ab und an
flimmert hoch
droben auch
schon ein Stern.

Schwarz glänzt noch,
schwer von Regen,
Straßenpflaster
im Laternenlicht.
 

Weihnacht

Durch eisig-starre Nacht
schwingt
von der Stadt
ein Glockenton, -

streift über Tannen,
streift herab
zerstiebend
eine Last von Schnee,

klingt in den Lüften.
 

Schlaflied

Schließe still die Augen zu
schlafe sachte ein,
über allem waltet Ruh,
über allem Sein.

Wenn der Abend schlafen geht,
schaut der Mond herein,
wenn die Nacht am Himmel steht,
schlafe ruhig ein.

Über deinem Schlafe schwebt
stiller Träume Wacht,
bis der goldne Morgen webt,
bis es wieder tagt.

Über allem geht die Ruh,
Gottes Flügel schlägt,
schattet alles schlummernd zu,
hebt, was müde trägt.


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