reinhard döhl | gedichte | die vase, blaß, geborgen aus nacht und fahrt und licht
Der Leiermann dreht seine Leier immer noch

gestern war morgen
heute ist umsonst
der Vogel Tag

Stufen | In der Falte die Farbe | Alte Parabel | Dinge, aus Erinnerung | Das Brückenspiel | Requisiten | Bestimmungen | Polonaise | Schritte unter dem Fenster | Dazwischen liegt die Zeit

Stufen

Das Grab von Gestern hatte keinen Stein,
kein Monument gesetzt der Sterblichkeit,
das Grab lag aufgeworfen und allein.

Das Grab von heute hat keinen Sinn,
Palast des Todes, - und die Erblichkeit
deiner Krankheit weht drüber hin.

Das Grab von Morgen hat keine Erde,
schwarze Vögel decken es zu,
fallen herab mit müder Gebärde.

Mein Grab soll in den Wüsten sein,
Wüsten aus Sand, wie du, -
und in den Stunden zerrinnen zu Stein.
 

In der Falte die Farbe

Das ist nachts,
wenn der Schlaf mich flieht
und ich mit den Schatten spreche,
das ist nachts,
wenn der Vogel zieht,
der dunkle Vogel.

Bild und Raum
ins Wesen gekehrt,
Sprache und Licht der Schatten,
doch das Licht ist jenen verwehrt,
wenn alles Nacht ist.

Faltentuch
und das Gelbe hebt
müde die schweren Lider,
wenn ein Traum durch die Träume webt
von fremden Dingen.

Gelb und Grün,
und was du zählst,
sind keine Zahlen, nur Farben.
Farben der Angst,
die du dir erwählst,
nachtblasse Farben.
 

Alte Parabel

Bögen spannen sich über Täler,
weite Bögen ins Land,
und alle baute meine Hand, -
Bögen hab ich gezogen,
Kinderbögen im Sand.

Müde alte Hände,
Madonnen malen sie nicht,
alles war, und das Ende
sind Striche in deinem Gesicht.

Dort sind die Bögen gezogen,
eine schlechte Kopie
von einem Bilderbuchbogen, -
Bilder von gestern früh.
 

Dinge, aus Erinnerung

Irgendwo liegt die Erinnerung,
auch für die Tage,
die rauschlos leer an dir vorübergehn,
und wartet.

Eine alte Sage
erzählt die Mutter abends,
und im Zimmer stehn
ins Dunkel einer Kindernacht gereiht,

Wort und Wort,
Bild und Bild,
Dinge, aus Erinnerung befreit:
alter Helm und schwerer Schild.

Irgendwo liegt die Erinnerung,
auch für die Tage,
die rauschlos leer an dir vorübergehen.
 

Das Brückenspiel

Laß alles ruhn, faß nach dem Bild
und reiße es in viele Stücke,
der Fluß, der tiefer fließt, geht wild,
und Fetzen taumeln von der Brücke.

Vielleicht ist es, daß etwas grüßt,
ein Auge, das aus diesem Wasser blickt.
das trübe, braun sich wälzt und weiterfließt,
und du hast dich hinabgebückt.

Und schon in Fallen ist es leer
und weggewischt, du fällst verloren
in kalten Tod, und du fällst schwer,
aus deiner Hoffnung nicht geboren,

und bist der Blick, den mancher sieht
und sucht, und wie in einem Spiel
aus seiner Einsamkeit entflieht
und fällt, fällt ohne Ziel.
 

Requisiten

Stunde ist es im Beginn,
im Vorübergehn,
und dazwischen bleibt ein Sinn,
Sinn für wen?

Frage, seit es Anfang ist,
Tage werden blaß,
Frage, die du selber bist,
fragst du: was?

Einsamkeit, seit Zeiten sind,
Zeiten sehen zu,
alle Fenster wurden blind,
und du?

Abgebrochne Feder, du,
auf Papier,
abgebrochner Satz: wozu
bleibst du hier.
 

Bestimmungen

Nie will ich Dichter sein,
nur meine Hände auf Seiten legen,
die sich brennen lassen,
und ihre Asche wie den Regen
als Augenblicke immer wieder fassen.

Die alte steile Treppe sein,
wie Stufen unter Schritten knarren
und ungehört im Haus verklingen,
wie Räder eines alten Karren
durch Straßen immer weiter singen.

Wie eine Turmuhr sein,
mit langen Schlägen
die nie geteilte Zeit zerteilen
und Pausen in die Stunden legen
und nie an einem Punkt verweilen.

Wie eine letzte Frage sein,
wenn alle Fragen längst verloren,
und unerkannt im Raume stehn
will ich, und dann mit tauben Ohren
durch Angst und Nacht nach Hause gehn.
 

Polonaise

Manches geht an dir vorbei,
Lied und Wanderstab,
manchem stehst du still dabei,
Lied und Grab.

Eines ist, das andre wie,
beides faßt du kaum,
Frage, Antwort, Ende, - nie
grünt der Baum

Ewigkeiten, Nacht und Wind
gehen drüber hin,
Ewigkeit, da Menschen sind,
seit Beginn.

Immer sagst du: da und hier,
ach, du fragst zu viel,
was dich sucht und faßt nach dir,
ist nur Spiel.
 

Schritte unter dem Fenster

Abends scheinen die Lichter
endlos, an langen Straßen
aufgereiht, müde Gesichter,
Nässe auf atmendem Rasen.

Fläche atmender Nacht,
Spiegel silberner Schatten,
und im Dunkel der Schacht,
schlaflos liegen die Satten.

Wenn die Schritte der Pärchen
in dem Dunkel verklungen -
ewig nächtliches Märchen,
an den Wiegen gesungen.

Nachtauf mein Fenster steht weit,
müde bin ich und leer,
fern aus der Dunkelheit
bellt ein Hund zu mir her.

Abends scheinen die Lichter
endlos, sie schlafen nicht,
auf dem Meer der Gesichter
treibt auch mein Gesicht.
 

Dazwischen liegt die Zeit

Morgen, sagen die Andern,
und in den Worten,
die sie wie Schätze horten,
gehen sie wandern.

Gestern, schreien die Satten,
und sie zerreißen
die weißen
Tücher, die sie einst hatten.

Heute, sage ich,
und in den Rosen
und Herbstzeitlosen
finde ich mich. 


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