Kommentar:
Die ersten Briefe, die ich in meinem
Exkurs wenigstens erwähnen muß, sind zwar nicht von oder nach
Stuttgarter geschrieben, haben aber sehr wohl ihren Anlaß in Stuttgart.
Ich spreche von den 1515/16 und 1517 erschienenen
EPISTOLAE OBSCURORVM VIRORUM AD
VENERABILEM VIRUM MAGISTRUM ORTVINUM GRATIUM DAVENTRIENSEM (nlat.: Dunkelmännerbriefe
an den ehrenwerten Magister Ortwin Gratius aus Deventer).
Der Hintergrund: Johannes
Reuchlin, geb. 1455 in Pforzheim, war von 1490-92 Mitglied des württembergischen
Hofgerichts, verließ 1496 Stuttgart, kehrte 1499 zurück als
Rechtsanwalt und schwäbischer Bundesrichter, wandte sich im sog. Reuchlinschen
Streit in seinem "Augenspiegel" (1511) energisch gegen die Forderung der
Verbrennung und des Verbots aller jüdischen Bücher. Das führte
zu einer scharfen, hauptsächlich literarisch ausgetragenen Fehde,
in der die konservative Theologie schließlich obsiegte: 1513 strengte
der Kölner Dominikaterprior und Inquisitor Jakob van Hoogstraeten
den Prozeß gegen Reuchlin an, l520 wurde der "Augenspiegel" in Rom
verurteilt. Reuchlin floh nach Ingolstadt, wo er als Professor für
griech. und hebräische Sprache lehrte, 15 21 war er Professor in Tübingen.
1522 starb Reuchlin in Stuttgart. Sein Epitaph findet sich in der Leonhardskirche.
Zu seiner persönlichen Rechtfertigung
hatte Reuchlin 1514 eine Sammlung an ihn gerichteter, dem "Augenspiegel"
zustimmender Briefe bedeutender Zeitgenossen als "Epistolae clarorum virorum"
(Briefe berühmter Männer), herausgeben lassen. Die "Dunkelmännerbriefe"
- 110 fingierte Briefen an den Magister Ortwin Gratius (um 1481-1542) in
Köln - sind das Gegenstück, eine humanistische Satire gegen die
spätscholastische Wissenschaft und Theologie. Der erste Teil (41 Briefe)
erschien 1515, die zweite Auflage mit einem Appendix von sieben Briefen
l516; der zweite Teil (62 Briefe) 1517. Beide Teile kamen ohne Angabe der
Verfasser heraus. Heute gilt der erste Teil in der Hauptsache als Werk
des Erfurter Humanisten Crotus Rubeanus; außer ihm waren Hermann
von dem Busche und Ulrich von Hutten beteiligt: von letzterem stammen auch
die Appendices zum ersten Teil und die meisten Briefe des zweiten Teiles.
[Notabene: Hutten hat seinerzeit auch Stuttgart und das dortige Frauenhaus
besucht.]
Die Verfasser der "Dunkelmännerbriefe"waren
humanistische Bewunderer Reuchlins. Die fiktiven Briefsteller, allesamt
geistig beschränkte Winkeltheologen und -magister, zum Teil mit überaus
sprechenden Namen versehen (z.B. Conradus Dollenkopfius, Herbordus Mistladerius,
Schlauraff usw.) bekunden ihrem Führer Ortwinus Gatius Beifall und
Bewunderung. Ihr von Germanismen strotzendes Latein ist über die Maßen
barbarisch und eine vortreffliche Karikatur der spätmittelalterlichen
Latinität. Die sachlichen Angriffe richten sich gegen die grobe Unwissenheit
und - gelegentlich sehr unflätig - gegen die mangelnde moralische
Integrität der Kölner Theologen. Aber auch die kirchliche Lehre
wird nicht verschont. Die Briefe wurden deshalb 1517 von Rom verurteilt.
Die Satire war aber zu gut gelungen, als daß ihr Erfolg in humanistischen
Kreisen hierdurch hätte beeinträchtigt werden können. Wie
Reuchlin selbst sich zu den "Epistolae" stellte, ist nicht bekannt.
**
*
An den Regierenden Hertzogen zu
Wirtemberg / etc.
H. Johan-Friderichen / etc.
Die 1 Strophe.Gleich wie ein Patron / welcher lang
Antistrophe.Alsdan / wan ewer gnadenblick
Epod.Also kan der Fürsten gunst /
Die 2. Strophe.Die mächtige streitten vmbsunst/
Antistrophe.Auch kan das thewreste metall /
Epod.Das derhalb kein vndergang
Die 3 Strophe.Jch nu das schlecht / das ich vermag /
Antistrophe.Wie aber solche reymerey
Epod.So wöllet nu gnädiglich
Kommentar:
Weckherlin, dem wir exemplarische
Gedichte des frühen Barock und Festspiele, aber auch ein erstes oder
wenigstens ein sehr frühes Gedicht in schwäbischer Mundart verdanken,
wurde und war nicht glücklich am Stuttgarter Hofe. Dafür sprechen
überdeutlich zwei Epigramme, die man um 1620, die Zeit des Wechsels
an die deutsche Kanzlei Friedrichs V. von der Pfalz in London datieren
kann:
Aus den Epigrammaten
Von und zu mir selbs.
Wan man hie keinen fort will führen
/
Dann nur wer schmaichlen kann und
schmieren;
Und wann du anderswo in Gunst /
Was bleibest du dan hie umbsunst
/
Mit Herren groß ohn lehr und
kunst?
Kommentar:
Besonders das zweite dieser Abschiedsepigramme
ist wegen seiner Wortspiele bemerkenswert:
Von und zu mir selbs. (2)
Zu rück / fort mit dir hinweg
Herrlin /
Dan wan der fuhrman selbs unnd satler
den raht geb /
Wird er sein / daß nicht lang
der Weckherlin hie leb;
So zeuch nu wider hin weg kherlin.
Kommentar:
Allerdings muß sich Weckherlin
auch am Londoner Hofe wie allgemein im Hofleben schließlich nicht
mehr wohlgefühlt haben. Das kritische "Rund-vmb" (Rondeau) "An den
Hofe" ist eine literaturgeschichtlich frühe Absage an Hof und Hofleben.
An den Hofe.
Glick zu / du Hof vnd du Hofleben
/
Da wenig Trauben vnd vil Reben /
Da weder warheit / trew noch zucht
/
Des prachts / lists vnd betrugs
erbsucht
Mit Schalckheit vnd Torheit verweben.
Du Hof / an dem die sünden
kleben /
Mit allen Lastern rund-vmbgeben
/
Du Nest der Trägheit vnd Vnzucht
Glick zu.
Dein mund ist milt / dein hertz
darneben /
Stehts falsch / will wanckelbar
vmbschweben /
Du hast vil Hofnung / wenig frucht;
Darumb von dir nem ich die flucht
/
Vnd sag dir / freyhend jetz mein
leben /
Glick zu.
**
*
Ein ander
Klagschreiben.
WErde ich
denn nimmermehr das ende meiner Pein / Qual / Marter / Angst vnd Noth ersehen?
Es bedüncket mich / meine Schöne / daß / ie länger
ich lebe / je länger sich auch meine Tage erstrecken / vnd daß
ich zugleich verliebt vnd vnglückselich noch länger im Leben
sein soll. Was soll ich anfahen / ewere allzugrosse härtigkeit leitet
mich zu solchen eussersten Mitteln / daß ich selbsten an meinem Leben
ein Verdruß führen / vnd liebend nach meinem Todt seufftze /
weil ich dieses vor das eintzige bewerteste Mittel vnd Artzney meiner Pein
empfinde. Vrtheilet / ob ich nicht Stundt für Stundt / als von der
klarheit ewerer Augen / welche die warhaffte Sonne meines Lebens ist /
beraubt / ein Eckel ab dem Tag haben soll / vnd ob nit die finstere Nächte
meine Tage / vnd schließlichen / die Trawrigkeit vnd hertzrührender
Vnmuth meine frewde seynd. [...]
Holdselige
Jungfrau.
WAnn gegenwärtige
schwartze Zeilen erröhten konten / so solten sie die Schamhafftigkeit
/ mit welcher sie zu Papier geflossen / genugsam vorstellig machen / in
dem ich mich entblöde / sie schrifftlich zu ersuchen / welches ich
mündlich mit stammlenten Lippen zu thun Bedencken getragen / und gelanget
an ihre Freundlichkeit mein gehorsames Bitten / sie lasse ihr günstig
gefallen / die zu N.N. befindliche Gesellschafft mit ihrer Gegenwart zu
N. Zeit zu Ehren / da ich Gelegenheit suchen werde / mich würcklich
zu erweisen / als E. Tugenden diensteigner N.N.
Geehrter
Herr.
DEmselben
füge ich / nechst freundlicher Begrüssung zu vernemen / daß
mich meine Hausgeschäffte seiner großgünstigen Einladung
zu geniessen / nicht fähig machen; werde doch solchen wolgeneigten
Willen mit schuldiger Dancknemigkeit zu ehren nicht unterlassen / und nachgehender
Zeit erweisen / daß ich immerdar bin / wie ich soll / Des Herrn in
Ehren verbundne Dienerin N. N.
Torismondo
an Ismenien, da er des Abends von ihr gegangen / und begossen worden.
Ma tres chere
Soeur
ICh halte
/ du hattest der alten Mahlerin eine discretion versprochen / daß
sie mich mit ihrem Nacht-Topffe abkühlen sollte / denn da ich gestern
Abend von dir gieng / und ihr Fenster vorbey passirete / tauffte sie mich
mit einem so kräfftigen Gusse / daß ich davon durchaus naß
wurde / und so schöne parfumiret nach Hause kam / daß die Magd
/ da sie mit auffmachete / wegen des guten Geruchs die Nase zuhielte. Wie
lange sie über der Balle voll muß gesammlet haben / ehe es zu
solcher Vollkommenheit gekommen / möchte ich wohl wissen; Doch ich
halte davor / es müssen über diß distillir-Gläßgen
welche von den Nachbars-Kindern pro hospite gehen / denn mich dünckt
/ es war was darunter / so ich ehrenthalben nicht nennen mag. Itzo ist
mein Diener in Ausbesserung meiner Kappe beschäfftiget / und wündschet
der alten Matrone allerhand gute Sachen zum neuen Jahre. Wenn ich wüste
/ daß du mir auff den Abend wiederumb dergleichen Ehre woltest anthun
lassen / bäthe ich mir die Freyheit aus / dir umb die gestrige Zeit
wieder auffzuwarten. Und so es gleich nicht geschehen solte / verlanget
dich doch zu sehen Dein Ergebenster Diener Torismondo
Von galanten
liebes-briefen.
1.
Galante liebes-briefe
sind schreiben, welche man mit frauenzimmer wechselt, und in welchen man
entweder eine liebe stimuliret; oder eine wahrhafftige so schertzhafft
und galant fürbringet, daß sie die lesende person für eine
verstellte halten muß.
2.
Von wahrhafftig-verliebten
briefen sind die galanten darinnen unterschieden: 1) Daß man diese
öffentlich und ohne scheu, so wohl an verheurathetes als unverheurathetes
frauenzimmer; jene aber nur an solche personen schreibet, welche nicht
allein frey seyn sondern, welche wir auch selbsten zu ehelichen in willen
haben. 2) Daß die galanten alles nur schertzend fürbringen,
was man hingegen in jenen von hertzen saget.
3.
Aus diesem
solte man urtheilen, daß ein galanter brief bey weitem nicht so durchdringend
sey, als ein verliebter. Allein es ereignet sich insgemein das widerspiel.
Denn scharffsinnige schreiben erhalten durch ihren schertz oft mehr, als
andere mit allem ihren flehen und bitten. Die ursachen sind: daß
man erstlich seine neigung darinnen viel freyer eröffnen, und sich
nicht schämen darff, wenn man gleich zwey oder dreymal abgewiesen
wird. Und denn: daß man allerhand lustige einfälle und scharfsinnige
gedancken einmischt, welche nicht allein die lesende person zum lachen
bewegen, sondern ihr auch zugleich ihren verstand zu erkennen geben, und
uns bey derselbigen erstlich eine hochachtung, nachgehends freundschafft,
und endlich eine wahrhafftige liebe erwerben. Zwar solte man in den schrancken
bleiben, und sich bloß in die klugen erfindungen, nicht aber in die
person selbst verlieben: allein es ist von einer neigung zu der andern
ein so kurtzer Sprung, daß ich einen liebhaber schon im ernste glücklich
schätze, wenn er seiner liebsten nur im schertze gefallet. Denn das
frauenzimmer ist wie die bienen. Rühret man sie schlechterdings an,
so stechen sie: blendet man sie aber vorher mit rauche, so lassen sie sich
von sich selber fangen.
Ein ander
Galantes Schreiben An eine Schöne, wegen eines geraubten Kusses.
Erzürnte
Schöne!
WOllet Ihr
mich wol aus Eurer Güte stossen, daß ich Eurem schönen
Munde den Zoll geliefert, welchen er durch den Zwang seiner Annehmlichkeiten
selber von mir gefordert? ach! daß doch die Küsse bey Euch die
Kraft wie bey mir hätten, so würdet Ihr so etwas schönes
nicht tadeln, welches wegen seiner ungemeinen
Delicatesse alle Welt
zwar empfinden aber nicht vollkommen beschreiben kan.
"Kein Redner
weiß die Lust vollkommen auszusprechen, / Wenn
sich ein edles Paar aus edlem Triebe küst: / Weil
von den Lippen auch, die doch die Küsse brechen, / Dergleichen
Götter-Tranck nicht auszusprechen ist."
So saget ein
treuer Schäfer zu seiner geliebten Schäferin. Ihr, unbarmhertzige
Silvie, aber wollet nichts von dieser Süßigkeit hören und
Euren Thyrsis mit ungnädigen Blicken ansehen, wenn er dasjenige
nimmet, was das übrige Frauenzimmer gestern willig weg gab. Doch eben
darum zürnet Ihr, weil ich es genommen? wisset Ihr nicht, empfindliche
Schöne, daß die gestohlne Früchte am lieblichsten schmecken?
und so Ihr dennoch nach strengen Rechten mit mir verfahren wollet, so kan
ich doch nicht mehr als den Diebstahl gedoppelt wieder geben. Befehlet
demnach, wenn ich schuldigen Abtrag thun soll, ich will mich alsofort darzu
verstehen; leget indessen keinen unerträglichen Haß auf Euren
Thyrsis,
der Euch kein Unrecht gethan, indem er die schönsten Lippen geküsst.
"Wenn mein
entzückter Geist auf meine Lippen fliehet, / Und,
Schönste, dich besucht, so ist es drum geschehn, / Daß
weil er in der Brunst dein Bildnis immer siehet, / Er
das Original auch immer wollen sehn."
Diese Entschuldigung
wird ein gütiges Auge bey Euch finden, und das angenehme Original
hoffet nach Mittage wieder zu sehen, Charmante Silvie, Euer Ergebener
Thyrsis