Reinhard Döhl | Von Briefstellern, Briefen und anderen schriftlichen Lustbarkeiten
2. Gottfried August BürgerGoethe an Christiane Vulpius | Goethe an Schiller

Kommentar:
Gottfried August Bürgers direkten und indirekten Beziehungen zu Stuttgart sind in Vergessenheit geraten. 1773 hatte er sich als Amtmann der Familie von Uslar in Altengleichen bei Göttingen für die Bewohner seines Gerichtsbezirks eingesetzt, daraufhin von der Familie von Uslar angegriffen und sich in einer "Verantwortung an die Regierung in Hannover" verteidigt. 1783 erneut Angriffen der Familie von Uslar ausgesetzt, arbeitete er eine zweite Verantwortung an die Regierung zu Hannover aus, die der in Botnang geborene Pfarrerssohn und Präjakobiner Wekhrlin in seiner Zeitschrift "Das graue Ungeheuer" abdruckte. 1790 schreibt Bürger als Antwort auf die Werbung der Theaterdichterin und Schauspielerin Elise Hahns aus Stuttgart die "Beichte eines Mannes, der ein edles Mädchen nicht hintergehen will".

Beichte eines Mannes, der ein edles Mädchen nicht hintergehen will

Besäße die lebhafte rasche Schwärmerin, deren Liebe schon durch ein paar Hauche meines Geistes und Herzens angefacht werden konnte, - besäße sie auch alles, was die kühnsten Ansprüche eines Mannes befriedigen möchte, Schönheit und Anmut, wie des Geistes, so des Leibes, Güte und Adel des Charakters, Feinheit der Sitten, Stand und Vermögen; hätte sie auch mit allen diesen Vollkommenheiten mein ganzes Wesen längst dergestalt bezaubert und gefesselt, daß sie notwendig das Ziel meiner heißesten Wünsche sein und bleiben müßte: so könnte, so dürfte ich dennoch dies Bekenntnis der heiligen Wahrheit nicht unterdrücken, - nein, ich dürfte es nicht unterdrücken, wenn ich auch gleich im voraus wüßte, daß sie mir dadurch zu meinem unaussprechlichen, bis ins Grab hinab dauernden Kummer, verloren ginge. Also gebeut mir der Richter, der Gesetzgeber, der Gott, den ich in meinem Busen trage, den ich nicht verleugnen kann, den ich verehren, dem ich, trotz allen widerstrebenden Neigungen gehorchen muß, wenn ich nicht unmittelbar die grausamste aller Seelenstrafen, Verachtung und Verabscheuung meiner selbst, auf mich laden will.

Teures Mädchen! so sehr ich wünsche, daß Sie die Person sein mögen; der es verliehen ist, den Nachmittag und Abend meines Lebens zu beseligen; die Person, welche nun noch auf Erden zu finden ich längst verzweifelte; so sehr ich wünschte, der einzige Mann ihres Geistes, Ihres Herzens, Ihrer Sinne, und in allen diesen der Mann Ihrer höchsten irdischen Glückseligkeit zu sein: eben so sehr drängt mich auch die Pflicht, Sie durch dieses getreue Bekenntnis von mir selbst zur strengsten Prüfung aller Ihrer Neigungen und Ansprüche erst aufzufordern, ehe der Enthusiasmus uns beide zu Schritten verleite, die uns in großes Unglück führen könnten. Ich will daher mein Inneres und mein Äußeres so schildern, daß, wo möglich, ich selbst hinfort mich nicht genauer kennen will, als Sie mich kennen sollen.

Was zuvörderst meinen Geist und mein Herz betrifft, so mögen Sie zwar wohl glauben, beides aus meinen öffentlichen Werken so hinlänglich zu kennen, um sich in Ansehung dieser Stücke volle Genüge für Ihre Wünsche versprechen zu dürfen. Allein vielleicht könnten Sie dennoch wohl irren. Ich will zwar, eben so unbefangen von Demutsziererei, als von Dünkel, gern zugeben, daß einiges unter meinen Werken befindlich sein möge, das eines edeln Geistes und Herzens nicht unwürdig ist. Allein daraus dürfen Sie auf vollkommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluß machen. Es wäre sonst eben so viel, als ob Sie von einigen schönen Blüten auf gesunde und unverdorbene Schönheit und Vollkommenheit des Baumes, welcher sie trug, schließen wollten. Auch ein wurmstichiger, mehr als halb verrotteter Stamm mag, wenn er sonst nur ursprünglich guter Art ist, noch immer deren einige hervorbringen. Nun fürchte ich sehr, daß Sie und jeder, der mich kennen lernt, trotz dem besten Vorurteil, das er vorher für mich hegte, genötiget sein werde, mich für einen solchen verdorbenen Stamm zu halten. Ungewitter und Stürme des Lebens haben hart in meine Blüten, Blätter und Zweige gewütet. O, ich bin nicht derjenige, der ich vielleicht der Naturanlage nach sein könnte, und auch wohl wirklich wäre wenn mir im Frühlinge meines Lebens ein milderer Himmel gelächelt hätte. Durch viele und langwierige Widerwärtigkeiten bin ich an Leib und Seele so verstimmt worden, daß ich oft in eine trübe melancholische Laune, und dabei in eine Ohnmacht des Geistes versinke, die mich gewiß nicht empfehlen kann. Denn ich verliere alsdann allen Mut, alles Vertrauen auf mich selbst, und halte mich für kopfleer, für herzkalt, für wortarm, kurz, für einen höchst wertlosen Stümper. Ich denke, jeder, der mich nur ansieht, spricht bei sich: "Es ist mit dem Menschen doch gar nichts anzufangen!" weil ich dies wirklich selbst glaube. Darob bin ich mir dann selbst gram; und wenn man sich selbst gram ist, so kann man unmöglich andern angenehm und liebenswürdig erscheinen. Da ich indessen ursprünglich gewiß mehr Anlage zum Frohmut, als zum Trübsinn habe: so wäre ich wohl in den letzten Jahren in mein erstes Natur-Geleise zurück gelanget, wenn ich meine gefeierte Molly-Adonide behalten hätte. Denn in dem Besitze ihrer Person und Liebe fühlte ich mich sehr merklich wieder gedeihen, wie an Reichtum des Kopfes, so an Fülle, Wärme und Kraft des Herzens. Jene Laune belästigte mich damals in weit geringerem Grade, und das Weib meines Herzens erfuhr davon, wie ich glaube, gar keine Beschwerde. Wodurch hätte ich aber nach ihrem Hinscheiden genesen sollen? - Liebe, aber ungemeine Liebe brächte vielleicht jetzt noch eine volle Wiedergeburt mit mir zu Stande. Sollte sie aber wohl möglich sein, eine so gewaltige Liebe, die es der Mühe wert hielte, ein lange verstimmt gewesenes Instrument rein umzustimmen und mit neuen Saiten zu beziehen? Und würde hernach das Instrument ihre Mühe und Kosten vergüten? - Ach, ich bin auch im Stande der Gesundheit des Leibes und der Seele nur ein gewöhnlicher Alltags-Mensch, wie sie zu Millionen unter Gottes Himmel herumlaufen! Ich erstaune, wie ein vernünftiges Publikum mich, um einiger guten Verse willen, für etwas Besonderes halten könne.

Elise meint, weil ich nicht übel schriebe, so müßte ich auch wohl artig sprechen. Nichts weniger. Ich bin ein erbärmlicher Sprecher. Meine Schrift fließt mühselig und langsam, in Prose und in Versen. Nur ein bißchen gesunde Beurteilungskraft und Geschmack machen, daß es bisweilen leidlich wird, was ich schreibe. Mein mündlicher Vortrag muß daher vollends schlecht von Statten gehen. Die Gabe, geistreich, lebhaft und witzig im Umgange zu unterhalten, mag ich, vielleicht überhaupt nicht, oder doch nur in meinen glücklichsten, seltensten Stunden, und auch da nur für solche besitzen, die mich sehr lieb haben und grade an meiner Weise Gefallen finden. Manchen mag auch bloß deswegen etwas als schön vorkommen, weil ich, der für etwas Besonderes gehaltene, es sage; ob es gleich etwas sehr armseliges ist. Ich könnte nun zwar wohl öfter und mehr mit manchem gesellschaftlichen Schwätzer und Spaßmacher wenigstens gleichen Schritt halten. Allein ich bin zu schüchtern und blöde, alle die leichte und blind gegriffene Münze auszuspenden, die gleichwohl, wie ich an andern täglich sehe, ohne Widerrede im gemeinen Handel und Wandel gilt. So oft ich mir auch selbst desfalls Mut einzusprechen suche, so tritt mir doch gemeiniglich das Gewissen in den Weg. Aus Besorgnis, durch Zucken oder Stocken die Unvollkommenheit meiner Ware zu verraten, schweige ich lieber ganz stille. Darüber mag mich wohl schon mancher und manche für einen armen Schlucker gehalten und sich gewundert haben, wie ein so langweiliger Mensch doch so leidliche Gedichte gemacht haben könne. Nun, an echter vollwichtiger Goldmünze des Geistes bin ich auch in der Tat kein Krösus, wiewohl ich an gemeinem Klappergelde nicht eben ein Bettler bin.

Mein Charakter und meine Gesinnungen möchten zwar vielleicht noch etwas mehr wert sein, als meine Geistes-Talente. Dennoch fühle ich, daß ich mit jenen noch weit unzufriedener sein muß, als mit diesen. Denn, so wie ich hier nicht nur erkenne, was zum besser und vollkommener sein gehört, so fühle ich auch gar wohl die Möglichkeit, diese Vollkommenheit zu erreichen, wenn ich nur nicht von Trägheit, Weichlichkeit und Sinnenlust mich so oft abhalten ließe. Dies verursacht, daß ich auch in Ansehung dessen worin ich vielleicht wirklich besser bin, als andere Menschen, dennoch nicht gar viel von mir selbst halten kann. Denn da ich zu wenig Herr meiner Neigungen bin, um mich von ihnen loszureißen, wenn es darauf ankommt, dem gerade gegenüber liegenden, von mir selbst erkannten, bewunderten und geliebten Guten nachzustreben: so muß ich wohl mein wirkliches Gute nur für Produkt eines unterstützenden Temperaments halten. So glaube ich, zum Beispiel, nicht, daß ich grob, beleidigend, hämisch, boshaft, zänkisch, unversöhnlich, rachgierig u.s.w. bin: aber warum bin ichs nicht? Etwa weil ich das alles für Unrecht, das Gegenteil aber für Pflicht halte? Ach, das tue ich freilich: aber darum meide ich wohl nicht jene Laster und übe die entgegengesetzten Tugenden aus, sondern vielleicht nur darum, weil mein träges und weiches Temperament Ruhe und Frieden liebt. Wie manche meiner Tugenden mag aus Eigenliebe, Eitelkeit und Ruhmsucht entspringen !

An meiner Lebensweise und an meinen Sitten ist noch ungleich mehr auszusetzen. Ich bin kein guter Haushälter: nicht, daß ich etwa zur Verschwendung geneigt wäre, sondern weil ich ziemlich unordentlich, nachlässig, träge und leichtsinnig bin, und weder meines Geldes, noch meiner übrigen Habseligkeiten sonderlich achte. Es läßt sich daher auch kein Mensch bequemer betrügen, als ich. Denn wenn ich den Betrug auch merke, so muß er schon arg kommen, ehe ich ihn nur zur Sprache bringe, besonders auch darum, weil ich mich niemanden gern unangenehm mache. In Essen, Trinken und vielen andern Gegenständen des Luxus kann ich mich, ohne daß es mir sauer wird, sehr sparsam behelfen. Etwas weniger vielleicht in der Kleidung, worin ich, wenn es sein kann, wohl etwas mehr, als meinesgleichen, modernisiere.

In dem, was die Kinder dieser Welt Artigkeit und feine Lebensart nennen, habe ich auch eben nicht viel getan. Ich glaube, ich bin ziemlich trocken, hölzern und steif in meinem körperlichen sowohl als geistigen Bewegungen. Durch sogenannte Galanterie und Politesse bin ich schwerlich im Stande, mein Glück zu machen. Was ich vielleicht auch leisten könnte, den Menschen angenehm und gefällig zu sein, das unterlasse ich doch entweder aus Stolz, oder aus Nachlässigkeit und Trägheit. Des Stolzes, wie auch des Trotzes gegen fremden Stolz und Trotz ist mir überhaupt eine ziemliche Portion zu Teil geworden. Dies wäre indessen wohl noch so übel nicht. Aber das ist übel, daß ichs aus Nachlässigkeit und Leichtsinn zum Beispiel oft an Antworten auf Briefe, an Besuchen, an Ehrenbeschickungen und Befolgung mancher Vorschriften der Etikette ermangeln lasse.

Was indessen Lebensweise und Sitten betrifft, so glaube ich, ein Weib, das ich liebte, könnte mich ohne sonderliche Schwierigkeit zu demjenigen machen, wozu sie mich nur immer gern hätte. Liebe würde meiner mächtig sein, so viel ich nur meiner selbst mächtig bin, und wohl noch mehr. Ich weiß nicht, ob es mir zum Lobe, oder zum Tadel gereichen mag, daß ich mich bei einem geliebten Weibe kaum gegen Sklaverei aufrecht erhalten würde; besonders wenn sie die Kunst zu herrschen verstände.

Übrigens kann ich nicht bergen, daß man mich für einen ziemlichen Libertin hält, und leider! nicht ganz Unrecht hat. Doch ist es darum, weil ich bisweilen eine unartige Zunge habe, bei weitem nicht so arg, als mancher glauben mag. Ich bin in diesem Punkte nicht immer, und sonderlich in früheren Jahren nicht, ganz regelmäßig, aber doch nicht auf eine niedrige und schmutzige Art ausschweifend gewesen. Denn mit allen meinen Gebrechen Leibes und der Seele war ich doch jederzeit bei Weibern und Mädchen nur zu gut gelitten, ohne erst mühseliger Anwerbungen zu bedürfen. Ich fühle indessen, daß ich dem Weibe meiner Liebe ohne sehr harte und dringende Versuchung nicht ungetreu sein könnte. Ich weiß das aus Erfahrung bei dem einzigen weiblichen Geschöpfe, daß ich vor Elisen nur allein im höchsten und vollesten Verstande des Wortes geliebt habe, wovon ich hernach reden werde.

Was ich bisher, und leider! auch zu meinem Nachteil, von mir habe bekennen müssen, könnte vielleicht noch nicht hindern, daß ein Weib, welches mich und welches ich liebte, mit mir glücklich wäre. Allein nunmehr folgt das Bedenklichste.

Wenn ich auch noch so liebenswürdig von Geist, Herz und Sitten wäre: so bin ich doch weder jung, noch schön, noch in guten häuslichen Umständen. Meine Jahre reichen völlig an das wohl bewußte - Schwaben-Alter hinan. Von hundert jungen, hübschen, zwanzigjährigen Mädchen dürften leicht neun und neunzig die Schultern davor zucken. Ob ich gleich an Gesicht und Figur nicht eben eine Fratze zu sein glaube: so bin ich doch wahrlich auch nie ein Adonis gewesen. Das Profil, das Elise kennt, soll, wie viele behaupten, mir ziemlich gleichen, wiewohl andere dies wieder leugnen. Ich kanns nicht beurteilen, weil ich nicht die Ehre habe, mich im Profil zu kennen; indessen möchte ich doch beinahe fürchten, daß man sich darnach leicht etwas hübscheres unter mir vorstellen könnte, als ich wirklich bin; etwas mehr Leben und Freundlichkeit allenfalls ausgenommen. Meine kleinen Kränkeleien geben mir oft ein weit hinfälligeres und abgeblaßtes Ansehen; wiewohl in den Zeiten, da ich mich gesunder und munterer an Leib und Seele fühle, die Leute mich auch wohl für zehn Jahre jünger zu halten geneigt sind. Denn in der Tat bin ich ursprünglich von sehr guter Konstitution, und stände vielleicht jetzt noch in eben der Blüte, in welcher andere zwischen zwanzig und dreißig stehen, wenn ich nicht Geist und Körper mit so vielen und langwierigen Widerwärtigkeiten hätte müde ringen müssen. Ich bin am ganzen Körper weit schmächtiger und magerer, als mein Gesicht vermuten läßt. Ich habe dunkelblondes Haar und blaue Augen. Von den letzten pflegten bisher Weiblein und Mägdlein, bei denen ich, Gott weiß warum, bis auf den heutigen Tag niemals übel gelitten gewesen bin, eben nicht nachteilig zu urteilen. Überhaupt soll ich bis unter die Nase herab, selbst nach Maler-Urteil, nicht uneben gebildet, der Mund aber soll ganz verzweifelt häßlich sein. Das liebenswürdigste der Weiber pflegte zu sagen: "Bürger, es ist kein anderes Mittel, als man muß dich unaufhörlich küssen, damit man nur den häßlichen Mund nicht sehe, den du bisweilen wie ein wahrer Tropf hängen lassen kannst." - Sonderbar! Mir selbst kommt nun weder der Mund so excessiv häßlich, noch Nase, Stirn und Augen besonders schön vor.

Meine ökonomischen Umstände sind noch zur Zeit sehr schlecht. Ich habe nichts, - nichts! Ja, ich würde sagen müssen: noch weniger, als nichts, wenn ich nicht noch so viel an Grundstücken besäße, daß meine Schulden damit getilgt werden können. Wenn aber auch dies geschehen ist, so wird wenig oder nichts übrig bleiben. Ich hatte ein ganz artiges Vermögen. Allein bei einer sehr wenig einbringenden Beamtenstelle auf dem Lande, wobei ich gleichwohl ziemlich viel Aufwand machen mußte, und bei einer unglücklichen Pachtung, ist mein Vermögen drauf gegangen. Auch war meine erste Frau eine eben so nachlässige Haushälterin, als ich selbst. Schon vor 5 Jahren habe ich, durch unsäglichen Verdruß genötigt, jene Beamtenstelle niedergelegt, und seitdem, freilich eben nicht im Überflusse, aber doch auch nicht in allzudrückendem Mangel, von meinem Kopfe gelebt. Ich bin nun zwar in diesen Jahren nicht weiter zurück, aber doch auch nicht vorwärts gekommen. Der Tod eines mir abgeneigten Ministers, der im verwichenen Frühjahr sich ereignete, hat verursachet, daß ich endlich hier als Professor angestellt worden bin. Wäre dies, wie billig, eher geschehen: so befände ich mich wohl schon wieder in gedeihlichen Umständen. So aber eröffnet sich mir erst jetzt eine bessere Aussicht. Ich bekomme zwar noch kein Gehalt, und muß vielleicht noch ein paar Jahre darauf warten; jedoch läßt sich durch Collegien-Lesen ein Ziemliches erwerben, und ich schmeichle mir, auf dem Wege zum Beifalle zu sein. Ich kann alsdann, wenn ich auch gleich noch keinen Heller fixes Gehalt bekäme, auf eine jährliche Einnahme rechnen, die aufs schlechteste nicht unter fünfhundert Taler herab sinken, sehr wohl und leicht aber bis über tausend hinauf steigen kann. Wenn sich nun ein gutes liebenswürdiges Weib, begabt mit etwas Vermögen und häuslichen Wirtschaftstugenden, entschließen könnte, mich armen Stümper zu heiraten: so ließen sich zwar wohl, wenn ich leben und gesund bliebe, ganz leidliche Umstände für mich, und zwar ohne des Weibes Nachteil, erwarten. Aber wie, wenn Kränklichkeit mich untätig machte, oder gar ein früher Tod mich hinnähme? Ach, dann könnte das gute Weib vielleicht nicht einmal ihr Zugebrachtes unverkürzt zurück, geschweige denn vollends eine andere hinlängliche Versorgung erhalten. Einigen Trost hiergegen gibt jedoch unsere sehr solide Professoren-Witwen-Kasse, woraus sie sich sogleich eine jährliche Pension von hundert und zehn Talern, so und bald sie in die Klasse der sechs ältesten Witwen gehörte, von hundert und dreißig Talern zu versprechen hätte, mit der Freiheit, diese Pension zu verzehren, wo sie will. Gleiche Pension genießen auch die elternlosen Waisen so lange, bis das jüngste Kind das zwölfte Jahr erreicht hat.

Zu allen diesen bedenklichen Umständen kommt noch der, daß ich nicht weniger als drei Kinder, eine Tochter von elf, einen Sohn von sieben, und eine Tochter von vier Jahren habe. Nun ließe sich zwar wohl eine Einrichtung treffen, daß eine Frau wenig oder gar nicht davon belästiget würde. Denn meine älteste Tochter wird hier in einer Pension, wo sie mir aber wohl gegen hundert und zwanzig Taler jährlich kostet, erzogen; der Sohn ist auswärts bei einer leiblichen sehr edeln Schwester von mir, und die jüngste Tochter bei einer braven Frauen-Schwester. Jedes Kind hat es da, wo es sich befindet, sehr gut, und wird dergestalt geliebt, daß ich Mühe haben würde, es loszureißen. Denn alle sind, Gottlob! Sehr gut geartete und liebenswürdige Kinder von Kopf und Herzen. Allein wenn ich wieder heiratete, so würde es mit darum geschehen, daß ich dadurch von dem Herzweh genese, welches ich so oft über die Abwesenheit und Zerstreuung meiner lieben Küchlein empfinde. Ich würde sie dann wieder um mich versammelt wissen wollen, teils um Kosten zu ersparen, teils um ihre Erziehung unter meinen Augen zu besorgen. Da ich aber diese Kinder alle außerordentlich lieb habe, und es bei mir sowohl Temperament, als Grundsatz ist, daß man nie gütig und liebreich genug gegen seine Kinder sein könne: so würde es mich an meiner empfindlichsten Seite schmerzen, wenn sie es bei einer Stiefmutter hart und übel hätten. Nun könnte eine Stiefmutter, wäre sie gleich sonst ein gutes Weib, die Kinder vielleicht dennoch nicht lieben bloß weil sie nicht Kinder ihres eigenen Leibes wären. Ganz unschuldiger Weise könnten sie ihr zuwider sein. Denn ich fühle, es könnte mir eben so gehen, wenn ich Stiefvater von manchen Kindern sein sollte, die ich unglücklicher Weise nicht leiden kann; und gleichwohl brauchte ich mich deswegen nicht für schlechter zu halten, als ich wirklich bin. Dieses ist also ein höchst wichtiger Punkt, der aufmerksame Prüfung erfodert.

Nunmehr noch etwas von meiner vorigen Lebensgeschichte. Ich habe zwei Schwestern zu Weibern gehabt. Auf eine sonderbare Art, zu weitläuftig hier zu erzählen, kam ich dazu, die erste zu heiraten, ohne sie zu lieben. Ja, schon als ich mit ihr vor den Altar trat, trug ich den Zunder zu der glühendsten Leidenschaft für die zweite, die damals noch ein Kind und kaum vierzehn bis fünfzehn Jahr alt war, in meinem Herzen. Ich fühlte das wohl; allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es, ob ichs mir gleich nicht ganz ableugnen konnte, höchstens für einen kleinen Fieberanfall, der sich bald geben würde. Hätte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun können, so wäre es Pflicht gewesen, selbst vor dem Altare vor dem Segensspruche noch zurück zu treten. Mein Fieber legte sich nicht, sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger, immer unauslöschlicher. In eben dem Maße, als ich liebte, wurde ich von der Höchstgeliebten wieder geliebt. O, ich würde ein Buch schreiben müssen, wenn ich die Martergeschichte dieser Jahre und so viele der grausamsten Kämpfe zwischen Liebe und Pflicht erzählen wollte. Wäre das mir angetraute Weib von gemeinem Schlage, wäre sie minder billig und großmütig gewesen (worin sie freilich von einiger Herzens-Gleichgültigkeit gegen mich unterstützt wurde), so wäre ich zuverlässig längst zu Grunde gegangen, und würde jetzt diese Zeilen nicht mehr schreiben können. Was der Eigensinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben würde, das glaubten drei Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung vom Verderben selbst gestatten zu dürfen. Die Angetraute entschloß sich, mein Weib öffentlich und vor der Welt nur zu heißen, und die andere, in geheim es wirklich zu sein. Dies brachte nun zwar mehr Ruhe in aller Herzen; aber es brachte auch eine andere höchst angst- und kummervolle Verlegenheit zu Wege. Ein schöner talentvoller Knabe, eben der, welchen ich unter meinen Kindern mit aufgeführt habe, wiewohl vielleicht bis auf den heutigen Tag die meisten Menschen hiesiger Gegend nichts wenigstens nichts Gewisses davon wissen, war die Folge jener Übereinkunft. Er wurde heimlich zwanzig Meilen von hier in Ober-Sachsen geboren, und seitdem von meiner Schwester erzogen. - Im Jahre 1784 starb meine erste Frau an der Auszehrung, die in ihrer Familie erblich war. Im Jahre i785 heiratete ich öffentlich und förmlich die Einzige Höchstgefeierte meines Herzens; allein nach kurzem glückseligen Besitze verlor ich auch sie am 9. Januar 1786 nach der Geburt der jüngsten Tochter an einem hektischen Fieber. Was ihr Besitz, was ihr Verlust mir war, das sagen meine Freuden- und Trauerlieder. Seit dieser Zeit lebe ich einsam und traurig mit sehnendem Herzen.

Kann Elisen der Mann noch reizen, der so vor ihr dasteht? Noch habe ich, wie mir vorkommt, mir selbst eben nicht zum Vorteile geredet. Etwas ist indessen doch wohl demjenigen erlaubt zu seinem Besten zu sagen, der keinen seiner wichtigsten Fehler vorsätzlich verschwieg. Dem Weibe, das mich, so wie ich da bin, zu lieben vermag, und welches ich mit voller Liebe wieder liebe, darf ich ein nicht unglückliches Leben versprechen. Ist es ihr süß, von mir geliebt, an meinem Busen gehegt und gepflegt zu werden, so wird es ihr nie an voller Genüge ermangeln. Denn wenn ich einmal echt und von Herzen liebe, so liebe ich gewiß unveränderlich, und keine Fülle des Genusses kann mich des geliebten Weibes satt und überdrüssig machen; so gemein auch die Bemerkung ist: der Genuß sei das Grab der Liebe. Nur Afterliebe, die den heiligen Namen nicht verdient, erkaltet im Bett der Ehe. Der wahren Liebe, meiner wahren Liebe bleibt dies immer ein Brautbett. Auch das Weib, welches ich unglücklich genug wäre, nach der unzertrennlichsten Verbindung nicht mehr zu lieben, darf wenigstens keine unedle und rauhe Begegnung von mir fürchten. Das bezeuge mir noch in jener Welt die, mit welcher ich zehn Jahre ohne ein rohes unfreundliches Wort verlebte, ob ich sie gleich nicht liebte. Eher möchte ich vielleicht fähig sein, mit der Höchstgeliebten meines Herzens, doch nur über geargwohnten Mangel an ihrer Gegenliebe, zu hadern. Gott bewahre mich vor einem Weibe, das mich für meine Liebe nicht vollauf wieder liebt! Noch bin ich in diesem Falle zwar nicht gewesen: aber mir deucht, es würde von allen möglichen der schlimmste sein. Leicht könnte ich dann der unerträglichste Mensch werden. Denn es kommt mir vor, als sei ich großer Eifersucht fähig. Freilich nicht, nach gemeiner Männer Weise, zum Hüten und Auskundschaften der Schritte und Tritte meines Weibes; nicht zur Einschränkung ihrer Freiheit in irgend einer Art des Umganges: aber heimliche Verzweiflung würde mein Herz zerfleischen, und in der grausenden Gestalt eines Höllen-Verdammten würde ich vor ihrem Angesichte umherschleichen.

Nun, Elise, prüfen Sie sich und mich! Erkundigen Sie sich, wo möglich, nach mir und meinen Umständen auch bei Andern. Doch glauben Sie eher nichts, als bis ichs Ihnen selbst bestätigt habe. Denn obgleich kaum irgend jemand mich schlimmer schildern wird, als ich selbst getan habe: so könnte mich doch wohl ein anderer minder wahr schildern, als ich, der ich mich selbst am besten kenne, zu tun im Stande bin.

Sie haben eine Mutter, und, wie mir versichert worden ist, eine rechtschaffene und kluge Mutter. Wenn Ihnen je in Ihrem Leben der Rat einer solchen Mutter teuer und wert war, so lassen Sie sichs in diesem Falle doppelt angelegen sein, auf ihre Stimme zu horchen. Sie wird vermutlich diese Darlegung mit einem offneren und unbefangneren Sinne, als Sie, liebe süße Schwärmerin, aufnehmen, und der Rat des Mutter-Kopfes wird vermutlich zuverlässiger sein, als der Rat des Tochter-Herzens. Findet die Mutter, daß der Mann, der sich mit dem Pinsel der Wahrheit hier selbst geschildert hat, ohne mit Wissen und Willen irgend einen Flecken, worauf etwas ankommen kann, auszulassen, dennoch wohl ein guter Mann für ihre Tochter sein könne: nun - so überlassen Sie sich dem vollen Zuge Ihres Herzens!

Doch nein! auch alsdann noch nicht eher, als bis Sie mich selbst gesehen haben. Meinen Sie, nach wiederholter und abermals wiederholter Prüfung dieser Beichte, daß ich, trotz allem, was an mir auszusetzen ist, dennoch der Mann Ihres Herzens sein könne, wenn anders mein Körperliches Ihnen nicht ganz und gar zuwider sein sollte, und Sie sagen mir dieses redlich, offenherzig und unbefangen: so will ich ganz in der Stille, unerkannt und unter fremden Namen, um weder Sie, noch mich selbst vor der Welt bloß zu stellen, zu Ihnen nach Stuttgart kommen. Auch ich selbst muß Sie erst sehen, wie sie leiben und leben, und ob Sie diejenige wirklich sind, die ich im Geiste freilich schon längst mit hoher Liebe umfasse. Geist, Herz, Charakter und Lebensart, Sitten, Stand, Ehre, Vermögen sind zwar wichtige Ingredienzien zu einer glücklichen Ehe; allein sie machen es doch nicht immer und ganz allein aus. Wir sind insgesamt sinnliche Menschen, und auch die Sinnlichkeit will ihr Recht haben. Unsere Sinne müssen ein wechselseitiges Behagen an einander finden, welches sich nicht gerade nach Jugend und Schönheit, sondern oft nach einem unerklärbaren Etwas richtet, das sich weder malen, noch beschreiben, sondern allein im Innersten fühlen läßt. Dieses Etwas läßt sich weder geben, noch nehmen.

Nach diesen Vorbereitungen wird es sich in der ersten Stunde unserer persönlichen Zusammenkunft ausweisen, ob wir das Publikum mit der allersonderbarsten Heirats-Geschichte zu amüsieren, - zu unserem eigenen noch größeren Amüsement zu amüsieren im Stande sind, oder nicht.

Elise, Elise! ich schließe mit einer teuern, feierlichen Beschwörung. Bei dem ewigen Gotte, bei Ihrem eigenen Wohl und Weh und bei dem Wohl und Weh eines Mannes, der nicht redlicher um das Ihrige besorgt sein kann, als er ist, beschwöre ich Sie: Wählen Sie mich nicht zu Ihrem Gatten, wofern Sie nicht bei sich fühlen, daß Sie sich mit voller Liebe in meine Arme werfen können. Ich schwöre Ihnen, in Ansehung Ihrer eben dasselbe zu beobachten.

Und so hoffe ich freudig, der Allbarmherzige werde unsern Bund, wenn er zu Stande kommt, mit seinem Segen krönen. GAB.

Kommentar:
Die als "Schwabenmädchen" in die Literatur eingegangene Elise Hahn antwortet in Versen:

Getreu wird's unter Himmelsegen
Des einzig lieben Mannes pflegen
Bis zu dem nächsten Stufenjahr,
Und Deutschland soll's zu rühmen haben,
Daß dieses Jungferlein aus Schwaben
Einst Bürgers Gattin war.
Bürger jedenfalls reist nach Stuttgart, um Elise Hahn dort abzuholen und lernt dort im April noch Christian Friedrich Daniel Schubart kennen, dessen Sohn Ludwig 1792 mit ihm wegen einer Gedichtausgabe seines Vaters korrespondiert . Die am 29. September 1790 geschlossene Ehe mit Elise Hahn wird am 31. März 1792 wieder geschieden. In Heinrich Albert Oppermanns "Hundert Jahre. 1770-1870. Zeit und Lebensbilder aus drei Generationen", Leipzig: Brockhaus 1871 ist der sehr schnell unglücklichen Ehe das Kapitel "Ein Spielabend bei Pütter und eine Gesellschaft bei Elise Bürger" gewidmet. Elise Hahns weiteres Leben als Schauspielerin und Deklamatorin wird im 1. Band der "Schwäbischen Litteraturgeschichte" von Rudolf Krauß skizziert.

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Goethe an Christiane Vulpius

Kommentar:
1797 unternehmen Christiane und Goethe ihre erste große gemeinsame Riese von Weimar nach Frankfurt, wo Christiane und Goethes Mutter sich anfreunden und seither auch in brieflichem Kontakt stehen. Während ihrer gemeinsamen Reise hat Goethe offensichtlich seine weiteren Reisepläne verschwiegen oder Christiane gar im Glauben gelassen, er bleibe in Frankfurt.

"Ich bin nur zufrieden, wenn ich mir denke, daß der gute Schatz bei der lieben Frau Rath ist, wo es Dir geht gut geht."
Als sie am 18. August die Nachricht bekommt, daß er nach der Schweiz reist, klagt sie:
"Ich und das Kind haben beide sehr geweint. Es soll nach der Schweiz auch wegen des Kriegs übel aussehen... und ich bitte Dich um alles in der Welt, gehe itzo nicht nach Italien! Du hast mich so lieb, Du läßt mich gewiß keine Fehlbitte thun. Was mich die Menschen hier ängstigen, daß Du nach Italien gingest, das glaubst Du garnicht; dem einen hat es der Herzog selbst gesagt, das andere weiß es von Dir gewiß, ich will gar keinen Menschen mehr sehen und hören. Lieber, Bester, nimm mir es nicht übel, daß ich so gramsele, aber es wird mir dießmal schwerer als jemals, Dich so lange zu entbehren; mir waren so aneinander gewöhnt. Die Wege in (den) Garten sind nicht allein groß, alles im ganzen Hause kommt mir groß und leer vor... Du glaubst gar nicht, wie lieb ich Dich habe, ich träume alle Nacht von Dir."
Goethe antwortet ihr darauf:
"Vor allen Dingen muß ich Dich bitten, mein liebes Kind, daß Du Dich über meine weitere Reise nicht ängstigst und Dir nicht die guten Tage verdirbst, die Du haben kannst. Du hast Dich mit Deinen eignen Augen überzeugt, daß ich in meiner hiesigen Lage (in Frankfurt bei der Mutter) nicht würde arbeiten können, und was sollte ich sonst hier thun?"
Er beruhigt sie:
"Ich kann Dir wohl gewiß versichern daß ich diesmal nicht nach Italien gehe. Behalte das für Dich und laß die Menschen reden, was sie wollen."
Er sagt Ihr - aus Schonung - nicht die Wahrheit. Noch hat er keine Entscheidung getroffen. Er überlegt, ob er den Winter in der Schweiz verbringt. Es wäre, heißt es an Schiller, "der geschickteste Platz..., um abzuwarten, ob Italien oder Frankreich aufs künftige Frühjahr den Reisenden wieder anlockt oder einläßt."

Goethe begegnet Christianes Ängsten mit großer Geduld. Beruhigt sie mit Versicherungen seiner Liebe.

"Du glaubst nicht, wie ich Dich vermisse Denn jetzt schon möchte ich lieber bei Dir zurück sein, Dir im grünen Alkoven eine gute Nacht und einen guten Morgen bieten und mein Frühstück aus Deiner Hand empfangen."
Auch da sagt er ihr wohl nicht die ganze Wahrheit. Er stellt ihr neue Reisen in Aussicht:
"Künftig, meine Beste, wollen wir noch manchen Weg zusammen machen."
Das schreibt er am 15. August.

Heilbronn den 28. Aug. 1797.

Zu meinem Geburtstage, den du gewiß in Ruhe und Zufriedenheit feyern wirst, aber nicht ohne Verlangen mich bey dir zu sehen, muß ich dir einige Worte sagen und dir zugleich, wie es mir bisher gegangen ist, erzählen. Freytag den 25. nahm ich früh von der guten Mutter Abschied, nicht ohne Rührung, denn es war das erstemal nach so langer Zeit, daß wir uns wieder ein wenig an einander gewöhnt hatten. Der Tag war neblig und bedeckt und sehr angenehm, ich hätte dir nur die schöne Bergstraße, in die ich kam eben als der Himmel sich aufheiterte, zeigen mögen, ich hoffe auch wir sehen sie noch einmal mit einander. In Heppenheim ward ich aufgehalten und kam deswegen spät in der Nacht nach Heidelberg. Den 26. an einem außerordentlich klaren und schönen Tag blieb ich in Heidelberg und erfreute mich an der schönen Lage der Stadt, die am Neckar zwischen Felsen aber gerade an dem Puncte liegt, wo das Thal aufhört und die großen fruchtbaren Ebenen von der Pfalz angehen. Den 27. hatte ich eine schöne aber zum Theil warme Reise hierher. Heute habe ich mich hier umgesehen, habe die Stadt ein wenig durchstrichen und umgangen. Sie liegt gleichfalls am Neckar, hat aber die schöne fruchtbare Ebene vor sich und im Rücken sehr weit ausgebreitete Weinberge. Da ich ein artiges Zimmer habe, so werde ich mich wohl verleiten lassen, morgen noch da zu bleiben.

Stuttgard am 31. Aug.

Hier bin ich vorgestern Abend im Kühlen angelangt, nachdem ich die heiße Zeit des Tags in Ludwigsburg abgewartet hatte. Ich wünschte daß du die unendliche Fruchtbarkeit zwischen Heilbronn und hier, an Feldbau, Obst, Garten und Weinbau sehen könntest, man kann wohl sagen daß auf der ganzen Tour kein Fuß breit Landes ungenutzt ist. Hier gefällt es mir sehr wohl. Die Stadt liegt in einem Kreis von Bergen, die alle bebaut sind, mitten in Gärten und Weinbergen, das Obst ist sehr gut gerathen und ich habe mich gestern zum erstenmal seit langer Zeit wieder in fürtrefflichen Mirabellen satt gegessen, die ich doch dir und dem Kinde lieber gegönnt hätte. Ich habe einige alte Bekannte gefunden und auch neue gemacht die meistens Freunde von Schillern sind.

Stuttgard d. 4. September.

Ich habe in diesen Tagen viel Bekanntschaft gemacht und mich in der Stadt so wie in der Gegend umgesehen, und es ist mir recht wohl gegangen, ich habe fleißig aufgeschrieben wovon du künftig auch einmal lesen sollst. Übermorgen gedenke ich nach Tübingen abzugehen, wo ich von deinen Briefen zu finden hoffe und woher ich dir auch wieder schreiben werde, heute will ich nur dieses Blättchen abschicken, damit du nicht länger ohne Nachricht von mir bleibst. Lebe recht wohl und küsse den Kleinen.

Um den 15ten kannst du dencken daß ich bey Meyern bin. Lebe wohl und behalte mich recht lieb.

Kommentar:
Goethe bleibt bei seiner Strategie der Beruhigung und verspricht Am 11. September:

"Mein einziger Wunsch bleibt immer, daß ich mit Dir und dem Kinde, wenn seine Natur ein bißchen mehr befestigt ist, und mit Meyern noch einmal eine schöne Reise thun möchte, damit wir uns zusammen auch auf diese Weise des Lebens erfreuen."
Er möchte Christiane zufrieden wissen. Doch ihre Klagen werden drängender. Am 25. September:
"Ich will nicht gramseln; aber ich weiß nicht, es ist mir dießmal, als wäre mir es (un)möglich, länger ohne Dich zu leben.
Am 2. Oktober:
"Des Abends ist mein letzter Gedanke an Dich und des Morgens ist es wieder der erste. Es ist mir heute so zu Muthe, als könnte ich es nicht länger ohne Dich aushalten. Es hat auch heute alles im Hause schon über meinen übelen Humor geklagt... Ich habe Dir es immer seither verschwiegen, aber länger wird es nicht gehen... Kurz, wenn Du nicht da bist, ist es alles nichts. Und wenn Du nach Italien oder sonst eine lange Reise machst und willst mich nicht mitnehmen, so setze ich mich (mit) dem Gustel hinten darauf, denn ich will lieber Wind und Wetter und alles Unangenehme auf der Reise ausstehen, als wieder so lange ohne Dich sein."
Das sind entschiedene Worte. Goethes Reisen sind ein wichtiges Element der physischen und psychischen Ökonomie seines Künstlertums, sind Teil seiner Kreativität. Das trifft selbst auf Reisen zu, die er an der Seite des Herzogs unternahm und die er Christiane gegenüber als Pflichterfüllung ausweisen konnte. Werden seine Reisen nun von Christiane diktiert? Ist sein Alleinreisen nun zu Ende? Sie will ihn stets begleiten. Wenn er das nicht zuläßt, wird sie handeln: sich hinten auf die Kutsche setzen; ein Bild, übertragbar auf anderes. Zuerst ihre Unzufriedenheit mit seiner "Jenaischen Einsamkeit". Dann ihre Ratschläge, daß er die Arbeit unterbrechen, "itzo eine Weile nichts mehr machen" solle. Nun ihr Anspruch, mit ihm gemeinsam zu reisen.
Goethe muß sich im wichtigsten Teil seiner Existenz, in seinem Schaffen bedrängt fühlen.

[Vgl. dazu ausführlich Sigrid Damm: Christiane und Goethe.Eine Recherche. Frankfurt/Main, Leipzig: Insel 1998, der ich bei meinem Kommentar dankbar gefolgt bin]

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Goethe an Friedrich Schiller

Kommentar:
Wie Goethes Aufenthalt in Stuttgart in einzelnen aussah, wissen wir aus den Briefen an Friedrich Schiller:

Stuttgard den 30. Aug. 1797

Nachdem ich Sie heute Nacht, als den Heiligen aller am schlaflosen Zustande leidenden Menschenkinder, öfters um Ihren Beystand angerufen, und mich auch wirklich durch Ihr Beyspiel gestärkt gefühlt habe, eines der schlimmsten Wanzenabentheuer im Bauche des römischen Kaisers zu überstehen; so ist es nunmehr meinem Gelübde gemäß Ihnen sogleich eine Nachricht von meinen Zuständen zu ertheilen.

Den 25. ging ich von Frankfurt ab, und hatte eine angenehme Fahrt bey bedecktem Himmel bis Heidelberg, wo ich bey völlig heiterm Sonnenschein die Gegend fast den ganzen andern Tag mit Entzücken betrachtete.

Den 27. fuhr ich sehr früh ab, ruhte die heiße Zeit in Sinsheim und kam noch bald genug nach Heilbronn. Diese Stadt mit ihrer Umgebung interessirte mich sehr, ich blieb den 28. daselbst und fuhr den 29. früh aus, daß ich schon um 9 Uhr in Ludwigsburg war, Abends um 5 Uhr erst wieder wegfuhr und mit Sonnen Untergang nach Stuttgard kam, das in seinem Kreise von Bergen sehr ernsthaft in der Abenddämmerung dalag. Heute früh recognoscirte ich allein die Stadt, ihre Anlage, so wie besonders die Alleen gefielen mir sehr wohl. An Herrn Rapp fand ich einen sehr gefälligen Mann und schätzbaren Kunstliebhaber, er hat zur Landschaftscomposition ein recht hübsches Talent, gute Kenntniß und Übung. Wir gingen gleich zu Professor Dannecker bey dem ich einen Hektor der den Paris schilt, ein etwas über Lebensgröße in Gyps ausgeführtes Modell fand, so wie auch eine ruhende, nackte, weibliche Figur im Charakter der sehnsuchtsvollen Sappho, in Gyps fertig und in Marmor angefangen, ferner eine kleine traurend sitzende Figur zu einem Zimmer-Monument. Ich sah ferner bey ihm das Gypsmodell eines Kopfes vom gegenwärtigen Herzog, der besonders in Marmor sehr gut gelungen seyn soll, so wie auch seine eigne Büste, die ohne Übertreibung geistreich und lebhaft ist. Was mich aber besonders frappirte, war der Originalausguß von Ihrer Büste, der eine solche Wahrheit und Ausführlichkeit hat, daß er wirklich Erstaunen erregt. Der Ausguß, den Sie besitzen, läßt diese Arbeit wirklich nicht ahnden. Der Marmor ist darnach angelegt und wenn die Ausführung so geräth, so giebt es ein sehr bedeutendes Bild. Ich sah noch kleine Modelle bey ihm, recht artig gedacht und angegeben, nur leidet er daran, woran wir modernen alle leiden: an der Wahl des Gegenstands. Diese Materie, die wir bisher so oft, und zuletzt wieder bey Gelegenheit der Abhandlung über den Laokoon besprochen haben, erscheint mir immer in ihrer höhern Wichtigkeit. Wann werden wir armen Künstler dieser letzten Zeiten uns zu diesem Hauptbegriff erheben können!

Auch sah ich bey ihm eine Vase aus graugestreiftem Alabaster, von Isopi, von dem uns Wolzogen so viel erzählte. Es geht aber über alle Beschreibung und niemand kann sich ohne Anschauung einen Begriff von dieser Vollkommenheit der Arbeit machen. Der Stein, was seine Farbe betrifft, ist nicht günstig, aber seiner Materie nach desto mehr. Da er sich leichter behandeln läßt als der Marmor, so werden hier Dinge möglich, wozu sich der Marmor nicht darbieten würde. Wenn Cellini, wie sich glauben läßt, seine Blätter und Zierrathen in Gold und Silber gedacht und vollendet hat, so kann man ihm nicht übel nehmen, wenn er selbst mit Entzücken von seiner Arbeit spricht.

Man fängt an, den Theil des Schlosses der unter Herzog Carl, eben als er geendigt war, abbrannte, wieder auszubauen und man ist eben mit den Gesimsen und Decken beschäftigt. Isopi modellirt die Theile, die alsdann von andern Stukaturen ausgegossen und eingesetzt werden, seine Verzierungen sind sehr geistreich und geschmackvoll, er hat eine besondere Liebhaberey zu Vögeln, die er sehr gut modellirt und mit andern Zierrathen angenehm zusammenstellt. Die Composition des Ganzen hat etwas originelles und leichtes.

In Professor Scheffauers Werkstatt (ihn selbst traf ich nicht an) fand ich eine schlafende Venus mit einem Amor, der sie aufdeckt, von weißem Marmor, wohlgearbeitet und gelegt, nur wollte der Arm, den sie rückwärts unter den Kopf gebracht hatte, gerade an der Stelle der Hauptansicht keine gute Wirkung thun. Einige Basreliefs antiken Inhalts, ferner die Modelle zu dem Monument, welches die Gemahlin des jetzigen Herzogs, auf die, durch Gebete des Volks und der Familie, wieder erlangte Genesung des Fürsten aufrichten läßt. Der Obelisk steht schon auf dem Schloßplatze, mit den Gipsmodellen geziert.

In Abwesenheit des Prof. Hetsch ließ uns seine Gattin seinen Arbeitssaal sehen. Sein Familienbild in ganzen, lebensgroßen Figuren hat viel Verdienst, besonders ist seine eigne höchst wahr und natürlich. Es ist in Rom gemahlt. Seine Portraite sind sehr gut und lebhaft und sollen sehr ähnlich seyn. Er hat ein historisches Bild vor, aus der Messiade, da Maria sich mit Portia, der Frau des Pilatus, von der Glückseligkeit des ewigen Lebens unterhält und sie davon überzeugt. Was sagen Sie zu dieser Wahl überhaupt? und was kann ein schönes Gesicht ausdrücken das die Entzückung des Himmels vorausfühlen soll? Überdies hat er zu dem Kopf der Portia zwey Studien nach der Natur gemacht, das eine nach einer Römerinn, einer geist- und gefühlvollen, herrlichen Brünette, und das andre nach einer blonden guten weichen Deutschen. Der Ausdruck von beyden Gesichtern ist, wie sich's versteht, nichts weniger als überirdisch, und wenn so ein Bild auch gemacht werden könnte, so dürften keine individuellen Züge darinn erscheinen. Indeß möchte man den Kopf der Römerinn immer vor Augen haben. Es hat mich so ein erzdeutscher Einfall ganz verdrießlich gemacht. Daß doch der gute bildende Künstler mit dem Poeten wetteifern will, da er doch eigentlich durch das, was er allein machen kann und zu machen hätte, den Dichter zur Verzweiflung bringen könnte.

Professor Müllern fand ich an dem Graffischen Portrait, das Graff selbst gemahlt hat. Der Kopf ist ganz fürtrefflich, das künstlerische Auge hat den höchsten Glanz, nur will mir die Stellung, da er über einen Stuhlrücken sich herüber lehnet, nicht gefallen, um so weniger da dieser Rücken durchbrochen ist und das Bild also unten durchlöchert erscheint. Das Kupfer ist übrigens auf dem Wege gleichfalls fürtrefflich zu werden. Sodann ist er an Auch einem Todt eines Generals beschäftigt, und zwar eines amerikanischen, eines jungen Mannes, der bei Bunkershill blieb. Das Gemählde ist von einem Amerikaner Trumbul und hat Vorzüge des Künstlers und Fehler des Liebhabers. Die Vorzüge sind: sehr charakteristische und vortrefflich tockirte Portraitgesichter, die Fehler: Disproportionen der Körper unter einander und ihrer Theile. Componirt ist es, verhältnißmäßig zum Gegenstande, recht gut und, für ein Bild auf dem so viel rothe Uniformen erscheinen müssen, ganz verständig gefärbt; doch macht es im ersten Anblick immer eine grelle Wirkung, bis man sich mit ihm wegen seiner Verdienste versöhnt. Das Kupfer thut im ganzen sehr gut und ist in seinen Theilen fürtrefflich gestochen. Ich sah auch das bewundernswürdige Kupfer des letzten Königs in Frankreich, in einem fürtrefflichen Abdruck aufgestellt.

Gegen Abend besuchten wir Herrn Consistorialrath Ruoff, welcher eine treffliche Sammlung von Zeichnungen und Kupfern besitzt, wovon ein Theil zur Freude und Bequemlichkeit der Liebhaber unter Glas aufgehängt ist. Sodann gingen wir in Herrn Rapps Garten und ich hatte abermals das Vergnügen mich an den verständigen und wohlgefühlten Urtheilen dieses Mannes über manche Gegenstände der Kunst, so wie über Danneckers Lebhaftigkeit zu erfreuen.

Den 31. Aug. 97.

Hier haben Sie ohngefähr den Inhalt meines gestrigen Tages, den ich, wie Sie sehen, recht gut zugebracht habe. Übrigens wären noch manche Bemerkungen zu machen. Besonders traurig für die Baukunst war die Betrachtung: was Herzog Carl, bey seinem Streben nach einer gewissen Größe, hätte hinstellen können, wenn ihm der wahre Sinn dieser Kunst aufgegangen und er so glücklich gewesen wäre tüchtige Künstler zu seinen Anlagen zu finden. Allein man sieht wohl, er hatte nur eine gewisse vornehme Pracht-Richtung, ohne Geschmack, und in seiner frühern Zeit war die Baukunst in Frankreich, woher er seine Muster nahm, selbst verfallen. Ich bin gegenwärtig voll Verlangen Hohenheim zu sehen.

Nach allem diesem, das ich niedergeschrieben habe, als wenn Ihnen nicht selbst schon ein großer Theil bekannt wäre, muß ich Ihnen sagen: daß ich unterweges auf ein poetisches Genre gefallen bin, in welchem wir künftig mehr machen müssen, und das vielleicht dem folgenden Almanach gut thun wird. Es sind Gespräche in Liedern. Wir haben in einer gewissen ältern deutschen Zeit recht artige Sachen von dieser Art und es läßt sich in dieser Form manches sagen, man muß nur erst hineinkommen und dieser Art ihr eigenthümliches abgewinnen. Ich habe so ein Gespräch zwischen einem Knaben, der in eine Müllerinn verliebt ist, und dem Mühlbach angefangen und hoffe es bald zu überschicken. Das poetischtropisch-allegorische wird durch diese Wendung lebendig, und besonders auf der Reise, wo einen so viel Gegenstände ansprechen, ist es ein recht gutes Genre.

Auch bey dieser Gelegenheit ist merkwürdig zu betrachten was für Gegenstände sich zu dieser besondern Behandlungsart bequemen. Ich kann Ihnen nicht sagen, um meine obigen Klagelieder zu wiederholen, wie sehr mich jetzt, besonders um der Bildhauer willen, die Mißgriffe im Gegenstand beunruhigen, denn diese Künstler büßen offenbar den Fehler und den Unbegriff der Zeit am schwersten. Sobald ich mit Meyern zusammenkomme und seine Überlegungen, die er mir angekündigt hat, nutzen kann, so will ich gleich mich daran machen und wenigstens die Hauptmomente zusammenschreiben. Denken Sie doch auch indeß immer weiter über die poetischen Formen und Stoffe nach.

Über das theatralisch-komische habe ich auch verschiednemal zu denken Gelegenheit gehabt, das Resultat ist: daß man es nur in einer großen, mehr oder weniger rohen Menschenmasse gewahr werden kann, und daß wir leider ein Kapital dieser Art, womit wir poetisch wuchern könnten, bey uns gar nicht finden.

Übrigens hat man vom Kriege hier viel gelitten und leidet immer fort. Wenn die Franzosen dem Lande fünf Millionen abnehmen, so sollen die Kaiserlichen nun schon an sechzehn Millionen verzehrt haben. Dagegen erstaunt man denn freylich, als Fremder, über die ungeheure Fruchtbarkeit dieses Landes und begreift die Möglichkeit solche Lasten zu tragen.

Ihrer und der Ihrigen erinnert man sich mit viel Liebe und Freude, ja ich darf wohl sagen mit Enthusiasmus. Und somit sey Ihnen heute ein Lebewohl gesagt. Cotta hat mich freundlich eingeladen bey ihm zu logiren, ich habe es mit Dank angenommen, da ich bisher, besonders bey dem heißen Wetter, in den Wirthshäusern mehr als auf dem Wege gelitten habe.

Den 4. Sept.

Dieser Brief mag nun endlich abgehen, hoffentlich finde ich einen von Ihnen bey Cotta in Tübingen, wohin ich nun bald zu gelangen gedenke. Hier ist es mir sehr wohl ergangen und ich habe in der Gesellschaft, in welche mich Ihr kleines Blatt eingeführt, mich recht sehr wohl befunden, man hat mich auf alle Weise zu unterhalten, mir alles zu zeigen gesucht und mir mehrere Bekanntschaften gemacht. Wenn Meyer hier wäre, könnte ich mich wohl entschließen noch länger zu bleiben. Es ist natürlich daß ich in der Masse von Kunst und Wissenschaft nun erst manches gewahr werde, das ich noch wohl zu meinem Vortheile brauchen könnte, denn es ist wirklich merkwürdig, was für ein Streben unter den Menschen lebt. Was mich aber besonders erfreut und eigentlich mir einen längern Aufenthalt angenehm macht, ist daß ich in der kurzen Zeit mit denen Personen, die ich öfter gesehen habe, durch Mittheilung der Ideen, wirklich weiter komme, so daß der Umgang für beyde Theile fruchtbar ist. Über einige Hauptpuncte habe ich mich mit Dannecker wirklich verständigt und in einige andere scheint Rapp zu entriren, der eine gar behagliche, heitere und liberale Existenz hat. Noch sind zwar seine Grundsätze die Grundsätze eines Liebhabers, die, wie bekannt, eine ganz eigne, der soliden Kunst nicht eben sehr günstige Tournüre haben, doch fühlt er natürlich und lebhaft und faßt die Motive eines Kunsturtheiles bald, wenn es auch von dem seinigen abweicht. Ich denke übermorgen von hier wegzugehen und hoffe in Tübingen einen Brief von Ihnen zu finden.

Außerdem, daß ich das was mir begegnet so ziemlich fleißig zu den Acten nehme, habe ich verschiednes, das durch Gespräch und Umstände bey mir rege wurde, aufgesetzt, wodurch nach und nach kleine Abhandlungen entstehen, die sich vielleicht zuletzt an einander schließen werden.

Leben Sie recht wohl, grüßen Sie alles und fahren Sie fort mir von Zeit zu Zeit unter Cotta's Einschlag zu schreiben, der von meinem Aufenthalt immer unterrichtet seyn wird..

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