Hermann Finsterlin, jetzt 85 1/2 Jahre alt, gehört einem anderen Geschlechte an als wir Jüngeren, Nachgeborenen. Hermann Finsterlin hat alle seine Mitstreiter und Freunde überlebt. Als die Letzten starben Scharoun und Neutra. Finsterlin gehörte zum Künstlerkreis der "Gläsernen Kette" um Bruno Taut und Paul Scheerbart.
Hermann Finsterlin gehört noch zu den Über-Menschen. Er gehört zu jener Generation nach Nietzsche, die in einem ungeheuren Aufschwung die Macht der Menschen üher die Natur ausweitete, die die ersten ungeheuren prometheischen Taten des technischen Menschen erlebten, daß zum Beispiel Flugzeuge aufstiegen in den Himmel, in den Palast der Götter und des Olymp. Hermann Finsterlin verkehrt noch mit den Göttern und deshalb ist sein Denken überirdisch-großkosmisch. Aber noch in einem ganz anderen Sinne als wir Nachgeborenen, die den Verkehr mit den Göttern durch die Installierung des Kosmos als technisches Maschinenlaboratorium mit banalen Astronauten entweiht haben.
Das Aktionsfeld des künstlerischen Denkens von Hermann Finsterlin ist nicht die kleine hiesige Erde. Es setzt sich mit der größeren Welt der kosmischen Räume, des Reiches der Götter und der Sterne auseinander. Lieblingsbegriffe sind das All. Finsterlin spricht davon sogar in der Mehrzahl: von den Allen Er erlebt die Welt und das Universum wieder neu als Schöpfung. Nicht umsonst hat Finsterlin für sich im Taut-Kreis den Namen Prometheus gewählt. Er fühlt sich als Weltenschöpfer, er fühlt sich als Gott. Er baut und experimentiert im Einklang mit der Weltschöpfung.
Wie sich Hermann Finsterlin nun diese Vorgänge vorstellt, erfahren wir aus zweierlei Quellen seiner künstlerischen Tätigkeit und Äusdrucksmöglichkeiten: Einmal aus seinen Gemälden und dann aber auch aus seinen Gedichten. Beide gehen Hand in Hand. Gedichtzitate können seine Weltposition erhärten. Er dichtet:
Nun aber raus aus dieser
kleinen Erde,
Raus, raus aus dieser engen
Menschelei!
Vor meinem Traum scharr'n
schon die Sonnenpferde,
Und mit den Pháetonen
ist's vorbei.
Die Löwenkräfte,
endlich sind sie wach
Und bändigen in Liebe
ihre Sonne,
Das All ist offenbar und
Gotteswonne
Strömt ein in mich,
wild und vieltausendfach.
Ursprünglich kommt Hermann Finsterlin von den Naturwissenschaften her. Er kannte noch Ernst Haeckel und studierte Chemie bei Bayer, Physik bei Röntgen, Medizin, Philosophie und Indologie. Als Künstler idendifizierte sich Finsterlin mit der Welt, mit den Dingen in eigentümlicher Weise. Er selber macht die Wandlungen und Seinsumschwünge zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos mit. Er kennt diese ungeheuren Seinsspannungen und Gedankensprünge. Einmal spricht Finsterlin von seiner Existenz:
Ich hab mich so an mich gewöhnt,
Daß es mir schwer
fällt ganz mich zu verlassen,
Ich such' mich dann wohl
in erebischen Gassen
Bis ich mit meinem Nichtsein
ausgesöhnt.
Drum üb' ich mich beizeiten,
mich zu fühlen
In aller Kreaturen Lust
und Leid,
Kann ioh als Wurm mich durch
die Erde wühlen,
Als Adler mit den tollsten
Winden spielen,
Dann bin ich auch für
einen Gott bereit.
Die Mikrobiotik und die Sternenwelt vermischen sich zu einer allumfassenden Einheit. Mit folgenden Versen umschreibt er diesen Seinszustand:
Wer sagt Euch denn, daß
ich den Mond will morden?
Wer hat den Raum der Zeiten
so entstellt?
Soll ich verzweifeln, weil
das Licht der Norden
Verschläft den Urbeginn
der neuen Welt?
Ihr Koboldhorden mit der
blanken Qual,
Der Ohnmacht Prahlerei in
Faltenseelen,
Ja, wär' ich nur ein
Einfürallemal,
Doch ich bin aus dem All
nicht fonzustehlen.
Die Gottheit m u ß
mich seh' n, wo ich auch sei,
Sie muß mich als Mikrobe
kreiseln fühlen,
Sie muß als Flammenstern
mich liebreich kühlen,
Und wo sie gottet, bin auch
ich dabei.
Auch diese Spannung manifestiert sich im Wandel der Bildformate: Einmal riesige Monumentalmalereien, dann wieder winzige Miniaturen. Hermann Finsterlin sagte zur mir: "Je größer die Wand, je schöner. Ein so kleiner Kerl denkt immer in großen Bildern."
Auch die Gegenbewegung ist möglich, vom Unermeßlichen zum Maß zurückzukommen. Da heißt es:
Aus diesen Wirbeln schwangerer
Chaoten
Verführt mich sanft
ein Wille zu dem Einen,
Ich mag nicht mehr ins Uferlose
loten,
Vom Unbegrenzten schleich
ich zu dem Kleinen.
Ich will nicht ewigen in
dem sanften Tal,
Kein Ahasver genießt
die milde Gnade -
Ich muß nur rasten
vor der reichen Qual,
Mich reinigen in einem lethischen
Bade.
Dann, wenn des Maßes
Wohllaut mich zerschönigt,
Wenn's peinigend gesetzelt,
dann verfall'
Ich neu den Spielspiralen,
urbekönigt,
zerstäubend in dem
Kräftetanz des All.
Hermann Finsterlin fühlt sich in der überirdischen Welt vollkommen zu Hause und überschrieb aus diesem Bewußtsein heraus ein Gedicht "Erinnerung aus dem Olymp". Hier identifiziert sich Finsterlin ausdrücklich mit der Welt und spricht diese Weltidentifikation mit allen Konsequenzen aus in den schwerwiegenden Sätzen:
Die Welt bin ich, was vielfacht
um mich her,
Sind nur verzerrte Spiegelbilder
-
Der Gott bin ich, ein großer,
wilder,
Ein Jauchzegott, ein rasender.
Ich schlage dieses Sein in
Trümmer
Und bade mich im Schein
des Nichts,
Ich bin des Urstoffs kühnster
Schwimmer
Und der Verewiger des Lichts.
-
Ein zwergig Echo klebt im
Alle
An irgendeinem Sterne fest
-
Und wo ich woge, wo ich
walle
Begrüßt mich
ohne Rast mein Rest.
Unendlichkeit hab ich entpolet,
Ich nehm das Schöpfungswort
zurück.
Und das Entnamte, das mich
holet
Versinkt in meinem Augenblick.
Hermann Finsterlin hält ein großes Zwiegespräch mit dem Schöpfer von Himmel und Erde. Es ist ein lebendiger Austausch der Meinungen. Er zieht sogar Gott zur Rechenschaft:
Aus sammetschwarzen Rachen
röchelt die Rache auf,
In spröden Wellen wegt
sie sich wärts,
Daß alle, alle Filigranen
des Geistes fippern,
Wunschgläser dichten
sich ums Herz,
Die Klangschicht gluckst
wie vom Züngeln zuckender Vipern.
Ein heller heiliger Keil
verspelzt die schwüle Schwäre,
Ganz blauts mich an,
Die Düfte sind unsäglich,
Wo ballt die Lust sich,
die ich so gebäre?
Ich finde "Mich" und wieder
bin ich möglich!
Leuchtende Falter gaukeln
durch seidige Nacht,
Schmachtend singen die Blumen,
die Stern-Abweidenden,
Gegen alles Gesetz bin ich
erwacht,
Und so schau ich die Wunder
der Menschen-Vermeidenden.
Zieh nur die Sterne nicht
so auf, o Gewaltiger,
Schau, wir glauben Dir schon,
daß Du das kannst,
Bist Du doch auch so ein
wonniglich Vielgestaltiger,
Wenn Du Dich schon der falschen
Erde verbandst.
Ja, Hermann Finsterlin scheut nicht davor zurück, die Weltidentifikation sehr konkret und anschaulich an seinem eigenen Ich vollziehen zu lassen. Über diesen tollen Vorgang dichtet er folgende Verse:
Auf Schiffen war ich im Begriff
Verteilt ins All hinauszusegeln,
Ein jedes Glied nach andern
Regeln,
Der Kopf zur Sonne, Aug'
zum Riff
Der Beteigeuze, zur Astarte
Das unverzeihlichste Organ,
Die Lunge zum Saturn, na
warte
Mein Herz, Du kommst schon
auch noch dran!
Die Proportionierung des Ichs zur Weltdimension wird immer wieder neu abgesteckt:
Die Welt wird immer kleiner
um mich her,
Schon ist die Sonn', der
Mond zum Greifen nahe,
Schon schrumpfen Sternenriesen
und ich sahe
Den Zoodiack mich gürten
wie Ge-Wehr -
Und plötzlich rag ich
jenseits der Gestirne
Gereckten Haupts in unfaßbares
Licht -
Ich habe kein Gehirn mehr
in der Stirne,
Denn dieses Unsagbare denkt
sich nicht.
Im gleichen Streben heißt es ein andermal:
Ich will mein Glück
so in den Himmel treiben
Wie die Rakete eines Feuerspiels,
Sie soll mir eine Lichterbahn
beschreiben,
Einmalig Wunder eines Lebensziels.
Erst an des Herzens Grenzen
soll sie enden
Und dann versprühn
ins unbekannte All,
Du Frau hältst dieses
Feuer in den Händen,
Entgleit' es Dir, folgt
nichts mehr diesen Bränden
Ins Unbetretne,
Göttliches Fanal.
All diese kosmische Denkarbeit, all dieses sich in's All-Verströmen, all diese Zuneigung zu den Sternen, blieb aber auch nicht ohne Folgen für den Künstler und speziell für den Maler Hermann Finsterlin. Denn aus den Sternenräumen schöpft auch der Maler Finsterlin seine Anregungen. Von den Sternen herunter malt er gleichsam zu uns irdischen Menschen herab!
Denn dort, im Weltenall, vermutet er noch ganz andere Farben wie hier auf dieser Erde. Er ist auf der Suche nach "unbekannten Klängen". Hermann Finsterlin läßt nichts unversucht. Er meint dazu:
Das Unerhörte, wenn
mir das gelänge - -
Ja, dann möcht ich
wohl lang lebendig sein,
wenn über meinen Schatten
ich mal spränge,
Und finge unbekannte Klänge
Ein,
Und Zwänge
Ungeschaute Farben plötzlich
Ins Blickfeld der Bewohner
auf dem Stern.
Und Dome türmten sich,
verwandt ergötzlioh
Selbst dem Idee gewohnten
Weltenherrn,
Ja, Bauten, die vom Zweck
noch nicht geschändet
Nur einem Sinne hörig,
schön zu sein,
Vor' Ihm begonnen, und von
mir vollendet,
Amöbe Gottes, fall
mir endlich ein!
Und das höchste Bestreben Finsterlin's ist es, in seinen Malereien diese Ahnung aus der kosmischen Sternenwelt uns zu vermitteln. Ein großes, schweres, fast unmögliches Beginnen. Doch Finsterlin fühlte in sich die Kräfte und hat sich an's Werk gemacht. Und wie Hermann Finsterlin es gelungen ist, diese Ahnung tatsächlich in seinen Gemälden zu bannen und auch für uns Beschauer ergötzlich und beglückend zu realisieren, dies ist Inhalt und Zweck dieser Ausstellung.
Und nun müssen wir uns fragen. Wie verhält sich Finsterlin als Maler, der als irdischer Mensch überirdische, unbekannte, kosmische Farbenpracht uns vermitteln will. Dies ist das Kernproblem. Dabei kann man feststellen, daß Finsterlin sich zum Beispiel an die äußerste Grenze des realen Himmels vorwagt und sich mit der Farbe des Himmelgewölbes selbst ganz identifiziert und die blaue Farbe in dem Sinn der extremsten Naturfarbe, wie sie später Yves Klein gebrauchte, empfand.
Kunde von diesem an die kosmische Schichtzone grenzenden Verhalten geben folgende Verse:
Ich bin ein unbeschreibliches
Blau
Und fließe im Raum
umher,
Nirgend ein Auge, das mich
erschau
Und glücklich darüber
wär.
Vergißt du noch immer
nicht, kleiner Geist,
Der Erde beschränkten
Plan?
Erst wo du gar nimmer weiter
weißt,
Fangt das Besondere an.
Oder ein anderes Erlebnis läßt die naturalistische Ur-Farbe Blau erstehen:
Seestern, groß und
prächtig
Schwebt über einer
Frau,
Bald ist sie von ihm trächtig,
Und wirft ein ganz herrliches
Blau.
Ein Blau ohne Form und Düfte,
Ohne Geschmack und Stoff,
So wie das Blau der Lüfte,
Das ich im Traume soff'.
Oder ein andermal ist Beige die Weltfarbe, die alles umschließt. Keine Weltenzone noch so nah oder fern wird davon verschont. Diese farbige Imprägnierung der Welt feiert Finsterlin mit folgenden Versen:
Beige ist alles um mich her,
Beige der Himmel, beige
die Erde,
Beige die Häuser, beige
die Pferde,
Beige der große Himmelsbär.
Beige das Herz in dem ich
wohne,
Beige die ganze große
Welt,
Und wenn einst mein Leib
zerfällt,
Werd' ich singende Bigione.
Ein ganz besonderes Verhältnis hat Finsterlin zu der Farbe Gelb. Diese Farbe fällt auch in den stets heiter-hellen Klängen seiner Gemälde auf. Von Gelb schreibt Finsterlin:
Das Gelb steht über
mir mit großen Schwingen
Und lebt sich ein in meiner
Augen Pracht,
Und da beginnt der Stein
ein Lied zu singen,
Wie die Igallen der Johannis-Nacht.
Ganz breitet sich ein Panter
vor mir aus,
Ein Schachbrett mit phantastischen
Figuren,
Der König ist die goldne
Fledermaus,
Und herrlich leuchten ihrer
Züge Spuren.
Ich spiele mit dem hergelaufnen
Blitz,
Und bis ich siege, ist das
Gelb verflogen,
Und stumm der Stein auf
seinem Herrschersitz -
Und ich wach auf als Seele
wilder Wogen.
Und das schöne Gedicht über das Gelb des Zitronenfalters:
Sag mir, wo Du das Gelb gestohlen,
Duftfroher Falter Citronell,
Ich will mir auch davon
was holen
Und wär' es nur ein
Tausendstel.
Denn weißt Du, Gelb
ist meine Wonne,
Ist meine Nahrung, meine
Kraft,
Gelb ist das Licht, das
Gold, die Sonne
Und aller Mitte Eigenschaft.
Der kostbarsten Farbe, die schon die Irdischkeit von sich geworfen hat, der Goldfarbe, mißt Finsterlin eine besondere Bedeutung zu. Immer wieder erscheint sie mit feierlichem Akzent in seinen Gedichten. Er spricht vom "Segeln durch vielgoldne Räume, güldene Schäume":
Die tolle Zikadelle,
Sie saugt aus goldnem Vliess,
Aus dem Gewidderfelle
Das letzte Paradies.
Den Nebentag, den Gegentag,
Den Untag, der nicht weichen
mag
Aus dem Gebet der Hölle.
Entenbäume. Kenterträume
Segeln durch vielgoldne
Räume,
Güldne Schäume
Voll von Egeln,
Die mit elf Saturnen kegeln.
Beigeschmäcker stehn
umher
Um das Ziladellenmeer.
Das Gold ist da, daß es die dunklen, schwarzen Kräfte der Welt bannt und überwindet. Es ist die höchste Himmelsfarbe, weit über dem Blau. Da heißt es:
Fosforescierst Du wieder,
eitler Unhold?
Die Nächte sind doch
weich, warum sie schwärzen?
Im quinto nox entzünden
sieh elf Herzen
Und Willenskräfte bauen
sich zu Gold.
Des Goldes Gilde erbst Du
in Aeonen.
Die Farao im Faro sieh ersang,
Und willst Du nicht in Herztrabekeln
wohnen,
Dann bette Dich im Duft
"Ilang-Ilang". -
Und dann gehört das Gedicht hierher, wo das glanzlos Irdische in die Höhe der Seinsstufe des Goldes gehoben werden soll. Dieser Gedanke wird im folgenden Vorgang vorgeführt:
Ich möchte, daß
die Katze golden wird,
Ich möchte, daß
die große Katze leuchtet,
Glänzt, flammet, strahlt,
wie eine Sonne flirrt,
Und daß ihr Lieht
die darre Welt befeuchtet
O güldne Riesenkatze,
nimmer kann ich Dich vergessen,
Nimmer bann ich Dich, vermessen
Schleicht sich ein scharlachrotes
Weib dazu,
Und wieder kommt mein schwehlend
Herz zur Ruhe. -
In diesem Zusammenhang ist das Rot die Gegenfarbe, die irdische Farbe. In folgendem Gedicht bekennt er sich dann totalkreatürlich zur ganzen Welt der Farben.
Wüßtest ihr, wie
ich von Farben lebe!
Ach, sie sind mir Nahrung,
Licht und Luft,
Liebe, Schlaf und Wohnung,
ja, ich gäbe
All mein Hab und Gut um
ihren Duft.
Enden Jahre, die die Form
verdarben,
Diese Form, die mich so
oft beengt,
Ach, dann laß' mich,
großer Geist, in Farben
Farbe sein, die sich als
Leben denkt! -
Ein Künstler, der so sehr dem All sich verpflichtet fühlt wie Finsterlin, erlebt den Schöpfungsvorgang unendlich intensiver als die an die Erde geketteten, zaghaft nüchternen Menschen. Finsterlin kann heiter und überschwenglich sein. Er stürzt sich mit Wonne in den Werdeprozeß der Schöpfung. Er ist das Gegenteil der besonnenen, kleinlich rechnenden, berechnenden modernen Naturforscher, diesen langweiligen, geistentwöhnten, ausgedörrten, seelenlosen und kalten Analytikern.
Finsterlin wird von Rausch und Jubel erfaßt, er kennt noch das Jauchzen des Schöpfungsaktes, der völligen Hingabe. Er möchte tanzen, jauchzen und jubeln.
Dem Tanz hat er ein eigenes Lied gewidmet.
Tanzen wie Sonnenstaub -
Wie Cavalloni glückhafter
Böen,
Wie gilbes Laub im Rauscheföhn
-
Wie Jon -
Tanzen wie Panthercorybanthen,
Tanzen wie Feuerlurche auf
Gluten,
Erdenfern - sonnennah -
Tanzen wie ich keinen noch
tanzen sah -
Tanzen wie Shiva, der Gott,
nein, ach nein -
Tanzen wie ich,
Wie ich allein.
Im Windessang, im Wellenlied,
Im Sphärenchor der
stillsten Nächte,
Auf Messerschneiden im Pangelächter,
Im Wirbel des Pyr-amid -
Nein, nein - wie meine Blutstromschnellen
Durch sieben Himmel und
tausend Höllen -
Tanzen, tänzeln,
Mit Toden scherwänzeln,
Tanzen
Wie wilde Feuerpflanzen,
Tanzen wie Fransen
Am Gottesmantel,
Tanzen wie eine Sternentarantel
-
Tanzen wie Mücken,
Im Schwarm sich verstricken,
Im Mairauschticken
Der Weltenuhr -
Auf der Gottheit goldner
Spur -
Tanzen nur. -
Finsterlin verspürt noch in sich den "Kräftetanz" des All, wie die Künstler seit der Romantik nicht mehr wissen, in welcher Kunstgattung, ob in Malerei, Plastik, Architektur, Dichtung oder Musik sie vor lauter Schöpferkraftfülle sich äußern sollen, so ergeht es auch Finsterlin. Er beschreibt dieses alle Ketten der Einengung sprengende schöpferische Hochgefühl folgendermaßen in seinem Gedicht "Der Seismo-Graf":
Es brodelt in mir ein Vulkan,
In jedem Augenblicke kann
er platzen,
In meinem Innern lauern
tausend Katzen
Auf irgend einen Wahn
Ich weiß nicht, wie
er sich befreit,
In einem Fresco, farbenprächtig?
Symphonien, Epen, mächtig?
In Degenwirbeln, todbereit?
In heißer Jagd auf
Daphne's Fuß?
In wildem Ritt durch öde
Steppen?
Kann solch' Dynamo noch verebben
Eh' er total verbrennen
muß?"
Aus dem Bewußtsein
heraus, daß alle Kunstschöpfung und Lebensbereiche aus der selben
Urquelle stammen und zusammenhängen, kam Finsterlin auf seine Art
und Weise zu einer Kunstgattung, die sonst von Malern und Dichtern selttener
aufgegriffen wird: zur Architektur. Und schon in frühen Jahren erfand
Finsterlin Architektur-Modelle, die sich durch die Verbindung von Naturlandschaft
vegetabilem Wachstum und Architektur~Gedanken auszeichnen. Diese Architektur-Modelle
wurden in der heutigen verfahrenen Situation der Architektur-Entwicklung
berühmt und die junge Generation stürzt sich mit einem Heißhunger
auf Finsterlins Architektur-Theorie, die die technische Entwicklung der
Architektur verabscheut. Finsterlin legte seine Architektur-Theorie in
einer Reihe von Aufsätzen nieder, die 1969 in dem italienischen Verlag
"Libreria Edítrice Fiorentina" von Franco Borsi unter dem Titel
"Hermann Finsterlin: Idea della architektura, Architektur in seiner Idee"
in italienischer und deutscher Sprache herausgegeben wurden. Apokalyptisch
hält dort Finsterlin Abrechnung mit der Welt-Architektur und kommt
zum Schluß, daß die bisherige Entwicklung einseitig steril
war und trostlos verwasoben ist.
Böse, anklagende Sätze sind hier zu finden:
(S. 226) "Wir sind bei allem eingebildeten Geistesreichtum so grenzenlos verarmt, daß wir das All nicht mehr ertragen, das göttlich Bodenlose, die göttliche Befreiung in einer unbedingten rücksichtslosen Schöpfung selbst."
Finsterlin greift zu biblischen Anreden an den Leser:
(S. 238) "Sagt mir, was Liebe ist..- und ich will euch sagen, was bauen heißt."
Es wird der konsequenzenreiche Satz ausgesprochen, den sich das ganze technische Zeitalter hinter die Ohren schreiben kann:
(S.230) "Zweck verarmt."
(S. 261) "Wir haben bisher auf der Erde gebaut als Roboter und für Roboter. Unsere Gotteskäfige und Wohnkisten, Sachsärge und Wohnschachteln haben keine Beziehung zu Organismen und Organen."
(S. 266) "Wir brauchen wieder eine menschenwürdige Baukunst." "Eine Koexistenz von Zweck und Spiel."
(S. 271) "Ob meine Zukunfts-Architektur ein Geschenk der Götter war, muß erst die Zukunft lehren."
(S. 287) "Seit Beginn des technischen Zeitalters hat sich die Architektur anormalerweise nicht weiterentwickelt - die Technik hat wie eine Krebszelle die Entwicklungen aller Kunstgebiete mit ihrem Selbstzweck überwuchert und lahmgelegt."
Hermann Finsterlins Architektur-Ideen sind recht alt. Eigentlich schon historisch. Sie sind vor einem ganzen, guten halben Jahrhundert entstanden, zwischen 1917 und 1924. Sie stehen am Anfang der modernen Kunst, derjenigen Kunst, der wir bis jetzt unsere Referenz gezollt haben und als die unsrige ansehen. Doch die moderne Kunst ist komplex. Sie zeigt zwiespältige Züge.
Es gibt eine offizielle Moderne und es gibt eine inoffizielle Moderne.
Auf die Architektur bezogen gibt es die rationalistische, hochtechnisierte, abstrakte, unmenschliche, funktionale, aber unkreatürliche, unorganische Architektur (Bauhaus, Kandinsky, Mondrian, Mies van der Rohe, Rasterbau) und eine Idee einer organischen, fantasievollen Ur-Architektur.
Finsterlin gehört zur inoffiziellen (unmodern) Modernen! Er vertritt das Gegenteil, den Gegenpol seiner Zeit. Trotzdem, daß er kurz am Bauhaus war.
Nun aber ist die entscheidende Frage zu stellen. Wer und Was hat sich historisch bewährt? Hat sich der sogenannte Fortschritt, der Sieg der Ratio, der Industrialisierung, der Technisierung oder Finsterlins Ur-Architektur (Das Ewig Alte) sich bewährt? Was ist das Ziel? Das Paradies? Was ist der eigentliche Mensch?
Nun - diese Frage ist für uns heute, nach 50 Jahren keine unbeantwortbare Frage und vage Hypothese mehr. Wir haben das Glück, nicht in dunklen Zukunftsträumen zu wandeln, sondern die 50 Jahre moderner Kunstentwicklung sind dabei, diese Frage zu beantworten.
Dabei ist sehr zu beachten: Die Moderne (der Fortschritt) ist kein Wunschbild der Zukunft mehr, sondern nach 50 Jahren schon eine vollzogene und damit geschichtlich vollzogene Tatsache, schon Historie.
Wovor sich die Moderne so sehr großsprecherisch gesträubt hat und wogegen sie angegangen ist und sie verwettert hat, ist sie selber geworden; sie ist nicht ewig jung geblieben, sondern ist alt geworden. Ist sogar verknöchert, schwach, ausgehöhlt, steril und sogar abgangsreif geworden! Durch den berechtigsten Vorwurf der Unmenschlichkeit! Durch die Proklamierung eines weltphilosophisch unethischen und deshalb falschen Weltbildes. Die Taten (und Untaten) der Moderne haben ihre realen Folgen, d.h. ihre Schäden schon enthüllt.
Hat die Waage der Geschichte zur extremen Seite des Rationalismus von Kandinsky und Mondrian geneigt oder zu Gunsten des anderen Extrems: zu Finsterlin?
Die Alternative lautet: Hybrider, unmenschlicher Rationalismus oder organische, natürliche Urgrundphantasie?
Bei dieser Frage nach dem Wesen der Architektur nimmt Finsterlin ohne Zweifel die bessere, geschichtlich langatmigere, tiefer begründbare, tiefer schürfende Grundposition ein. Über die Ursprünge des architektonischen Denkens, die aus den Ursprüngen der menschlichen Seele (und nicht aus dem Nicht-Ursprung der Ratio, die kein menschlicher Ur-Urspung ist) kommen, weiß Finsterlin einfach als Weltdenker besser Bescheid.
Finsterlin denkt anthropologisch tiefer! Nicht zweckbedingt kausal, nicht hohlfunktional. Finsterlin geht von ganz anderen Prämissen aus in seinem Grunddenken. Er geht vom Ur-Sein des Menschen in der Mutterleibhöhle aus.
Aber Finsterlin ist allerdings kein solcher Phantast, daß er nicht wüßte, daß ein langer Weg von der Architektur des Embryos über die Architektur des Neugeborenen, über das Kind bis zum menschlich intakten Erwachsenen und gar zum technisierten (menschlich unintakten, sogar kranken und geschändeten) technisch modernen Über-Menschen ein langer, langer, sogar ein allzu langer Weg und auf der letzten Strecke des technisiertaa Über-Menschen sogar leider ein Fehlweg des architektonischen Denkens stattfindet und stattgefunden hat.
Finsterlin geht es zunächst gar nicht um die Ausführbarkeit seiner Architekturen. Sie bewegen sich grundsätzlich im Vorfeld. Es geht ihm um etwas viel wichtigeres: Um das menschliche Ur-Denken über so etwas, was Architektur in unserem geläufigen Sinne einmal werden könnte. Wie der Mensch erst erwachsen wird, wie der Mensch über seine Ursprünge als Embryo, auch als Erwachsener, auch als technischer Über-Mensch nie verleugnen kann, so darf sich seine Architektur-Vorstellung auch nicht allzu weit vom Ursprung entfernen. Sonst wird der Mensch eine Vogelscheuche und ein Un-Mensch seines Menschseins.
Heute ist ein gigantischer Kampf zwischen Seele und Ratio, zwischen Kunst und Technik, zwischen Kunstwerk und Maschine im Gange. Die Seele, das Vegetabile, das unverbraucht Organische will sein Recht! Dieses Wollen ist nicht nur ein Wollen, es ist sogar ein Ur-Müssen; es ist die Frage der Existenz des Menschen im Ganzen oder sein Untergehen als Mensch, ein nur Dahinvegetieren als menschliches Abziehbildchen, als Ratioskelett ohne Fleisch und Blut.
Praktisch gesprochen: Der Blumentopf ist dabei über das astrakte Bild zu siegen, die flammenförmige Bemalung der Autos über die langweilige Duodez-Karosserie. Das lebendige Leben der Naturformen wird über die tote Abstraktion siegen. Immer aus der Frage heraus: Was ist der Mensch?
Indem Hermann Finsterlin für sich und für seine Kunst einen sozusagen überirdischen Standpunkt wählte und diesen in seinem reichen Gesamtschaffen manifestierte, ist Hermann Finsterlin etwas Hocherstaunliches und fast kaum Glaubhaftes gelungen.
Finsterlin hielt sich grundsätzlich aus dem kleinlichen kleinlichen niedringen Tagesgetriebe der modernen Kunstströmung heraus. Finsterlin hatte es seiner Weltbildposition gemäß nicht nötig, die Stilhetze der Moderne mitzumachen. Er brauchte sich keiner Stilrichtung anzuschließen, weder dem Kubismus, dem Dadaismus, dem Surrealismus, dem Futurismus, dem Konstrukturismus, dem Abstrahismus, noch dem Pop, noch dem Realismus jüngster Prägung.
Hermann Finsterlin als Gegner der Technik brauchte in seiner Kunst nicht den Tribut zu bezahlen und den vielen Spielvarianten der Zerbrechung des künstlerischen Weltbildes durch die Technik zu huldigen.
Hermann Finsterlin steht über dem falschen Tagesgeklingel der Modeströmungen, da der Ort seiner Kunst in tieferen und deshalb immer gleich gültigen Seinsproblemen, in einem überirdischen und deshalb auch überzeitlichem Raume liegen.
Wer, wie der moderne technische Mensch sich der Vergänglichkeit oder gar der Supervergänglichkeit, der Schnelligkeit, verschreibt, darf sich nicht wundern, wenn er schneller als er denkt und ihm lieb ist, vergänglich wird und vergeht und damit die Zukunft verspielt
Hermann Finsterlin kann auch nach der weltethischen Scheiterung der an sich kunstfeindlichen und deshalb unkünstlerischen technischen Welt ebenso modern sein wie vor 60 Jahren, als er begann. Seine künstlerische Erscheinung hat ein anderes Verhältnis zur Zeit - Hermann Finsterlin altert nicht. Er hat das Glück, ewig jung und wahr zu sein!