Reinhard Döhl | Stücke und Spiele | Teils-Teils
4. Alaska

Alaska

Europa, dieser Nasenpopel
aus einer Konfirmandennase,
wir wollen nach Alaska gehn.

Der Meermensch, der Urwaldmensch,
der alles aus seinem Bauch gebiert,
der Robben frißt, der Bären totschlägt,
der den Weibern manchmal was reinstößt:
der Mann.

Der junge Hebbel

Ihr schnitzt und bildet: den gelenken Meißel
in einer feinen weichen Hand.
Ich schlage mit der Stirn am Marmorblock
die Form heraus,
meine Hände schaffen ums Brot.

Ich bin mir noch sehr fern.
Aber ich will Ich werden!
Ich trage einen tief im Blut,
der schreit nach seinen selbsterschaffenen
Götterhimmeln und Menschenerden.

Meine Mutter ist eine so arme Frau,
daß ihr lachen würdet, wenn ihr sie sähet,
wir wohnen in einer engen Bucht,
ausgebaut an des Dorfes Ende.
Meine Jugend ist mir wie ein Schorf:
eine Wunde darunter,
da sickert täglich Blut hervor.
Davon bin ich so entstellt.

Schlaf brauche ich keinen.
Essen nur so viel, daß ich nicht verrecke!
Unerbittlich ist der Kampf,
und die Welt starrt von Schwertspitzen.
Jede hungert nach meinem Herzen.
Jede muß ich, Waffenloser,
in meinem Blut zerschmelzen.

Wir gerieten in ein Mohnfeld,
überall schrien Ziegelsteine herum:
Baut uns mit in den Turm des Feuers
für alles, was vor Göttern kniet.

Zehn nackte, rote Heiden tanzten um den Bau und blökten
dem Tod ein Affenlied:
Du zerspritzt nur den Dreck deiner Pfütze
und trittst einen Wurmhügel nieder, wenn du uns zertrittst,
wir sind und wollen nichts sein als Dreck.
Man hat uns belogen und betrogen
mit Gotteskindschaft, Sinn und Zweck
und dich der Sünde Sold genannt.
Und bist du der lockende Regenbogen
über die Gipfel der Glücke gespannt.

Einer sang:
Ich liebe eine Hure, sie heißt To.
Sie ist das Bräuunlichste. Ja, wie aus Kähnen
den Sommer lang. Ihr Gang sticht durch mein Blut.
Sie ist ein Abgrund wilder dunkler Blumen.
Kein Engel ist so rein. Mit Mutteraugen.
Ich liebe eine Hure. Sie heißt To. -

Don Juan gesellte sich zu uns:
Frühling: Samen, Schwangerschaft und Durcheinandertreiben.
Feuchtigkeiten ein alter Rausch.
Ein Kind! O ja, ein Kind!
Aber woher nehmen und nicht - sich schämen.
Mir träumte einmal, eine junge Birke
schenkte mir einen Sohn. -
Oh, welch ein Abend! Ein Veilchenlied des Himmels
den jungen Rosenschößen hingesungen.
Oh, durch die Nächte schluchzt bis an die Sterne
mein Männerblut. -

Vor einem Kornfeld sagte einer:
Die Treue und Märchenhaftigkeit der Kornblumen
ist ein hübsches Malmotiv für Damen.
Da lobe ich mir den tiefen Alt des Mohns.
Da denkt man an Blutfladen und Menstruation.
An Not, Röcheln, Hungern und Verrecken -
kurz: an des Mannes dunkeln Weg.

Ein Trupp hergelaufener Söhne schrie:
Bewacht, gefesselt des Kindes Glieder schon
durch Liebe, die nur Furcht war;
waffenunkundig gemacht,
uns zu befreien,
sind wir Hasser geworden,
erlösungslos.

Als wir blutfeucht zur Welt kamen,
waren wir mehr als jetzt.
Jetzt haben Sorgen und Gebete
beschnitten uns und klein gemacht.

Wir leben klein.
Wir wollen klein.
Und unser Fühlen frißt wie zahmes Vieh
dem Willen aus der Hand.

Aber zu Zeiten klaftern Wünsche,
in unserem frühesten Blut erstarkt,
ihre Flügel adlerhaft,
als wollten sie einen Flug wagen
aus der Erde Schatten.
Doch die Mutter der Sorgen und Gebete,
die Erde, euch verbündet,
läßt sie nicht von ihrem alten faltigen Leib.

Aber ich will mein eigenes Blut.
Ich dulde keine Götter neben mir.
Heißt: Sohn sein: sich höhnen lassen von seinem Blut:
Feiger Herr, feiger Herr!
Purpurgeschleiert steht meine Schönheit
Tag und Nacht für dich.
Was zitterst du?
Ich übe mir flinke Sehnen an
für deine Wünsche,
o gib sie mir!
Laß mich tanzen!
Fege meinen Saal.
Gelbe speichelnde Gerippe
weißhaarigen, griesgrämigen Bluts
drohen mir.
Ich aber will tanzen
durch dich
schleierlos
dein Blut.

Pastorensohn

Von Senkern aus dem Patronat,
aus Grafenblasen, Diadochen
beschiffte Windeln um die Knochen
beflaggte noch vom Darnmsalat.

Der Alte pumpt die Dörfer rum
und klappert die Kollektenmappe,
verehrtes Konsitorium,
Fruchtwasser, neunte Kaulquappe.

Der Alte ist im Winter grün
wie Mistel und im Sommer Hecken,
Lobsingt dem Herrn und preiset ihn
und hat schon wieder Frucht am Stecken.

In Gottes Namen denn, mein Sohn,
ein feste Burg und Stipendiate,
Herr Schneider Kunz vom Kirchenrate
gewährt dir eine Freiportion.

In Gottes Namen denn, habt acht,
bei Mutters Krebs die Dunstverbände
woher - ? Befiehl du deine Hände -
zwölf Kinder heulen durch die Nacht.

Der Alte ist im Winter grün
wie Mistel und im Sommer Hecke,
'ne neue Rippe und sie brühn
schon wieder in die Betten Flecke.

Verfluchter alter Abraham.
zwölf schwere Plagen Isaake
haun dir mit einer Nudelhacke
den alten Zeugeschwengel lahm.

Von wegen Land und Lilientum
Brecheisen durch die Gottesflabbe -
verehrtes Konsitorium,
Gut Beil, die neunte Kaulquappe!

Über Gräber

Das schuftete und backte nachts gebrochen
auf schlechtes Fleisch nach alter Bäckerart.
Schließlich zerbrach das Schwein ihm doch die Knochen.
Das Fett wird ranzig und hat ausgepaart.

Wir aber wehn. Ägäisch sind die Fluten.
O was in Lauben unseres Fleischs geschah!
Verwirrt im Haar, im Meer, die Brüste bluten
vor Tanz, vor Sommer, Strand und Ithaka.

Drohung

Aber wisse:
Ich lebe Tiertag. Ich bin eine Wasserstunde.
Des Abends schläfert mein Lid wie Wald und Himmel.
Meine Liebe weiß nur wenig Worte:
Es ist so schön an deinem Blut.

Mutter
Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.

Gesänge

1
O daß wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.

Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
vom Wind Geformtes und nach unten schwer.
Schon ein Libellenkopf, ein Mövenflügel
wäre zu weit und litte schon zu sehr.

2
Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter,
alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft.
Wir sind so schmerzliche durchseuchte Götter
und dennoch denken wir des Gottes oft.

Wie weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume.
Die Sterne, schneeballblütengroß und schwer.
Die Panther springen lautlos durch die Bäume.
Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer -

Räuber-Schiller

Ich bringe Pest. Ich bin Gestank.
Vom Rand der Erde komm ich her.
Mir läuft manchmal im Maule was zusammen,
wenn ich das speie, zischten noch die Sterne
und hier ersöffe das ganze feige
Pietzengeschlabber und Abelblut.

Weil meine Mutter weint? Weil meinem Vater
das Haar vergreist? Ich schreie:
Ihr grauer Schlaf! Ihr ausgeborenen Schluchten!
Bald sän euch ein paar Handvoll Erde zu.
Mir aber rauscht die Stirn wie Wolkenflug.

Das bißchen Seuche
aus Hurenschleim in mein Blut gesickert?
Ein Bröckel Tod stinkt immer aus der Ecke -
Pfeif drauf! Wisch ihm eins! Pah!

Das Affenlied

Ihr Spiel Gottes! Himmel sind die Schatten
der großen Wälder um euer Fell.
Schlaf, Fraß und Liebe reift still auf eurem
Blut-Sommerland. Ihr seligen Mäher! -

Ein schmerzlicher Auswuchs,
von irgend einer Seuche aufgetrieben
aus euerm kleinen, runden, furchenlosen
Leib-Gehirnchen, ist unsere Seele.

Du liebes Blut! Von meinem kaum getrennt!
Tauschbar. Durchrausche mich noch einen Tag!
Sieh: Stunden, frühere, ausgelebte,
da wir noch reif am Ufer hockten:
Da ist das Meer und da die Erde -
Seht diese ausgelebten Stunden,
O diese Landungen aller Sehnsucht
langsam um euch!

Madonna

Gib mich noch nicht zurück!
Ich bin so hingesunken
an dich. Und bin so trunken
von dir. O Glück!

Die Welt ist tot. Der Himmel singt
hingestreckt an die Ströme der Sterne
hell und reif. Alles klingt
in mein Herz.

Tieferlöst und schön geworden
singt das Raubpack meines Blutes
Hallelujah!

Da fiel uns Ikarus vor die Füße,
schrie: Treibt Gattung, Kinder!
Rein ins schlechtgelüftete Thermopylä! -
Warf uns einen seiner Unterschenkel hinterher,
schlug um, war alle.

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