Du übersdiehst dich nicht mehr -
Du übersiehst dich nicht
mehr?
Der Anfang ist vergessen,
die Mitte wie nie besessen,
und das Ende kommt schwer.
Was hängen nun die Girlanden,
was strömt nun das
Klavier,
was zischen der Jazz und
die Banden,
wenn alle Abende landen
so abgebrochen in dir?
Du könntest dich nochmals
treiben
mit Rausch und Flammen und
Flug,
du könntest -: das
heißt, es bleiben
noch einige Töpferscheiben
und etwas Ton im Krug.
Doch du siehst im Ton nur
die losen,
die Scherben, den Aschenflug
-
ob Wein, ob Öl, ob
Rosen,
ob Vase, Urne und Krug.
Die Prinzipien der Kunst
können nicht agoral und politisch verallgemeinert werden. Es ist provinzielle Unentwickeltheit des Künstlers, zu erwarten, daß die Öffentlichkeit sich für ihn interessiert, ihn ökonomisch unterstützt, seinen 60, Geburtstag mit Banketts und Blattpflanzen feiert. Er wütet in sich herum - wer müßte ihm das danken? Durchdenken Sie vielleicht auch, wieviel Egmont- und Leonoren-Ouvertüren über den Stammpolitiker hinweggebraust sind bei Eröffnungen und Festakten, ohne ihn verändert zu haben. Ich stimme daher der Monetschen Sentenz zu: Il faut décourager les arts - und James Joyce variiert einen Talmudspruch: "Wir Juden sind wie die Olive, wir geben unser Bestes, wenn wir zermalmt werden, wenn wir unter der Last unserer Fronden zusammenbrechen - ", das gilt nach meiner Meinung für die Künstler. Das sind gesunde Ideen! Man unterscheide doch endlich zwischen Kunstträgern und Kulturträgern, das schlug ich schon in einem meiner Bücher vor 15 Jahren vor. Der Kunsträger ist statistisch asozial, lebt nur mit seinem inneren Material, er ist ganz uninteressiert an Verbreiterung, Flächenwirkung, Aufnahmesteigerung, an Kultur. Er ist kalt, das Material muß kalt gehalten werden, er muß ja die Idee, die Wärme, denen sich die anderen menschlich überlassen dürfen, kalt machen, härten, dem Weichen Stabilität verleihen. Er ist meistens äußerst nüchtern und behauptet auch gar nichts anderes zu sein, während die Idealisten unter den Kulturträgern und Erwerbsständen sitzen. So schrieb ich vor 15 Jahren. Die Zukunft wird noch ganz andere Dinge offenbaren.
Der Stilder Zukunft
wird der Roboterstil sein, Montagekunst. Der bisherige Mensch ist zu Ende, Biologie, Soziologie, Familie, Theologie, alles verfallen und ausgelaugt, alles Prothesenträger. Das Getue in den Romanen, als ob es an sich weiterginge und etwas geschähe, mit dem altmodischen Begriff des Schicksals oder dem neumodischen einer autochthonen gesellschaftlichen Bewegung, ist Unfug, es geht nichts an sich weiter und geschieht nichts, der Mensch stockt und arbeitet - der Künstler ist es, der weitermuß, sammelt gruppiert - ländlich-großväterlich mit Hilfe von zeitlich-räumlichen Kategorien, aktuell-neurotisch durch absolute transzendente Schwerpunktsbildungen, Fesselungen, Drehpunktskonstituierungen - nur so schafft er etwas jenseits von Relationen und Ambivalenz. Diese Technik selbst ist das Problem und man soll sie ruhig bemerken.
Eine Dame, offenbar etwas Kluges, schrieb mir über ein Bild von Gauguin im neuen Folkwangmuseum, jetzt in einem alten Wasserschloß im Ruhrtal, es lag, wie sie hervorhob, eine Jardins-sous-la-Pluie-Stimmung um das Haus: "Eine Insulanerin, für sich allein, bis in den graziös vorgehaltenen Fächer den Ausdruck des Gemaltwerdens wiedergebend, nur die Augen träumen" - das ist es: Der Ausdruck des Gemaltwerdens muß immer hervortreten, man muß suchen und wissen, was zusammengehört, und das muß man nehmen. Wenn Sie nämlich einmal darüber nachdenken, werden Sie zu dem Resultat kommen, wir bewegen uns mehr in unserer zerebralen Sphäre als in unserer sexuellen oder intestinalen oder muskulären. Uns beschäftigen Gedanken, die brennen. Wir kommen auf sie zurück auch während praktischer Tätigkeiten, kaufmännischer, wir fahren aus dem Schlaf auf und sie sind sofort wieder da. Es ist fraglich, ob das immer so war, heute ist es jedenfalls die Lage.
Der Mensch muß neu zusammengesetzt werden aus Redensarten, Sprichwörtern, sinnlosen Bezügen, aus Spitzfindigkeiten, breit basiert -: E i n M e n s c h i n A n f ü h r u g s s t r i c h e n. Seine Darstellung wird in Schwung gehalten durch formale Tricks, Wiederholungen von Worten und Motiven - Einfälle werden eingeschlagen wie Nägel und daran Suiten aufgehängt. Herkunft, Lebenslauf - Unsinn! Aus Jüterbog oder Königsberg stammen die meisten, und in irgendeinem Schwarzwald endet man seit je. Jetzt werden Gedankengänge gruppiert, Geographie herangeholt, Träumereien eingesponnen und wieder fallen gelassen. Nichts wird stofflich-psychologisch mehr verflochten, alles angeschlagen, nichts durchgeführt. Alles bleibt offen. Antisynthetik. Verharren vor dem Unvereinbaren. Bedarf größten Geistes und größten Griffs, sonst Spielerei und kindisch. Bedarf größten tragischen Sinns, sonst nicht überzeugend. Aber wenn der Mann danach ist, dann kann der erste Vers aus dem Kursbuch sein und der zweite eine Gesangbuchstrophe und der dritte ein Mikoschwitz und das Ganze ist doch ein Gedicht. Und wenn der Mann nicht danach ist, dann können die Ehegatten ihre Frauen und die Mütter ihr Söhne und die Enkel ihre Großtanten im Lehnstuhl oder im Abendfrieden vielstrophig anreimen und selbst der Laie wird bald merken, daß das keine Lyrik mehr ist. (...)
I n t e r e s s a n t - das ist ein wichtiges Wort! Interessant - das führt nicht in diese undurchsichtige quälende familiäre "Tiefe", nicht sofort zu den "Müttern", diesem beliebten deutschen Aufenthalt - interessant ist keineswegs identisch mit unterhalten - übersetzen Sie es wörtlich. inter-esse: zwischen dem Sein, nämlich zwischen seinem Dunkel und seinem Schimmer - "Olymp des Scheins",Nietzsche.
Die wenigen Dinge, das sogenannte Zeitlose, das sickert ja überall durch, das ist selbstverständlich, aber die phänotypischen, an denen muß man arbeiten: Gott ist Form. Das Gen werden wir nie erkennen, aber das Phänotypische läßt sich als Bild erarbeiten. Nach meiner Theorie müssen Sie Verblüffendes machen, bei dem Sie am Schluß selber lachen ("Das nenne ich eine schlechte Weisheit, bei der es nicht ein Gelächter gab", Nietzsche). Sie müssen alles selber wieder aufheben: Dann schwebt es. Scharlatan - das ist kein schlimmes Wort, es gibt schlimmere: historisch und grundsuppig.
((Das Folgende unterlegt bzw. zäsuriert mit Schlagern der Nachkriegszeit))
Orpheus Tod
Wie du mich zurückläßt,
Liebste -
von Erebos gestoßen,
dem unwirtlichen Rhodope
Wald herziehend,
zweifarbige Beeren,
rotglühendes Obst -
Belaubung schaffend,
die Leier schlagend
den Daumen an der Saite.
Drei Jahre schon im Nordsturm!
An Totes zu denken, ist
süß,
so Entfernte,
man hört die Stimme
reiner,
fühlt die Küsse,
die flüchtigen und
die tiefen -
doch du irrend bei den Schatten.
Wie du mich zurückläßt
-
anstürmen die Flußnymphen,
anwinken die Felsenschönen,
gurren: "Im öden Wald
nur Faune und Schratte,
doch du,
Sänger, Aufwölber
von Bronzelicht, Schwalbenhimmeln
-
fort die Töne -
Vergessen -!"
- drohen -!
Und eine starrt so seltsam.
Und eine Große, Gefleckte,
bunthäutig ("gelber
Mohn")
lockt unter Demut, Keuschheitsandeutungen
bei hemmungsloser Lust -
(Purpur
im Kelche der Liebe -!)
vergeblich!
drohen -!
Nein, du sollst nicht verrinnen,
du sollst nicht übergehen
in
Iole, Dryope, Prokne,
die Züge nicht vermischen
mit Atalanta,
daß ich womöglich
Eurydike
stammle bei Lais -
doch: drohen -!
und nun die Steine
nicht mehr der Stimme folgend,
dem Sänger,
mit Moos sich hüllend,
die Äste laubbeschwichtigt,
die Hacken ährenbesänftigt
-:
nackte Haune -!
nun wehrlos dem Wurf der
Hündinnen,
der wüsten -
nun schon die Wimper naß,
der Gaumen blutet -
und nun die Leier
hinab den Fluß -
die Ufer tönen -
Gewisse Lebensabende
I
Du brauchst nicht immer die
Kacheln zu scheuern, Hendrickje,
mein Auge trinkt sich selbst,
trinkt sich zu Ende -
aber an anderen Getränken
mangelt es -
dort die Buddhastatue,
chinesischer Haingott,
gegen eine Kelle Hulstkamp,
bitte.
Nie etwas gemalt in
Frostweiß oder Schlittschuhläuferblau
oder dem irischen Grün,
aus dem der Purpur schimmert
-
immer nur meine Eintönigkeit,
mein Schattenzwang -
nicht angenehm,
diesen Weg so deutlich zu
verfolgen.
Größe - wo?
Ich nehme den Griffel
und gewisse Dinge stehn
dann da
auf Papier, Leinwand
oder ähnlichem Zunder
-
Resultat: Buddhabronze gegen
Sprit -
aber Huldigungen unter Blattpflanzen,
Bankett der Pinselgilde
-:
was fürs Genre -!
...Knarren,
Schäfchen, die quietschen,
Abziehbilder
flämisch, rubenisch
für die Enkelchen -!
(ebensolche Idioten -!)
Ah - Hulstkamp -
Wärmezentrum,
Farbenmittelpunkt,
mein Schattenbraun -
Bartstoppelfluidum um Herz
und Auge -
II
Der Kamin raucht
- schneuzt sich der Schwan
von Avon -
die Stubben sind naß,
klamme Nacht, Leere vermählt
mit Zugluft -
Schluß mit den Gestalten,
übervölkert die
Erde
reichlicher Pfirsichfall,
vier Rosenblüten
pro anno -
ausgestreut,
auf die Bretter geschoben
von dieser Hand
faltig geworden
und mit erschlafften Adern!
Alle die Ophelias, Julias,
bekränzt, silbern,
auch mörderisch -
alle die weichen Münder,
die Seufzer,
die ich aus ihnen herausmanipulierte
-
die ersten Aktricen längst
Qualm,
Rost, ausgelaugt, Rattenpudding
-
auch Herzens-Ariel bei den
Elementen.
Die Epoche zieht sich den
Bratenrock aus.
Diese Lord- und Lauseschädel,
ihre Gedankengänge,
die ich ins Extrem trieb
-
meine Herren Geschichtsproduzenten
alles Kronen- und Szepteranalphabeten,
Großmächte des
Weltraums
wie Fledermaus oder Papierdrachen!
Sir Goon schrieb neulich
an mich:
"Der Rest ist Schweigen":
-
Ich glaube, das ist von
mir,
kann nur von mir sein,
Dante tot - eine große
Leere
zwischen den Jahrhunderten
bis zu meinen Wortschatzzitaten
-
aber wenn sie fehlten,
der Plunder nie aufgeschlagen,
die Buden, die Schafotte,
die Schellen
nie geklungen hätten
-:
Lücken -?? Vielleicht
Zahnlücken,
aber das große Affengebiß
mahlte weiter
seine Leere, vermählt
mit Zugluft -
die Stubben sind naß
und der Butler schnarcht
in Porterträumen.
Fragmente
Fragmente,
Seelenauswürfe,
Blutgerinnsel des zwanzigsten
Jahrhunderts -
Narben - gestörter
Kreislauf der Schöpfungsfrühe,
die historischen Religionen
von fünf Jahrhunderten zertrümmert,
die Wissenschaft: Risse
im Parthenon,
Planck rann mit seiner Quantentheorie
zu Kepler und Kierkegaard
neu getrübt zusammen -
Aber Abende gab es, die gingen
in den Farben
des Allvaters, lockeren,
weitwallenden,
unumstößlich
in ihrem Schweigen
geströmten Blaus,
Farbe der Introvertierten,
da sammelte man sich
die Hände auf das Knie
gestützt
bäuerlich, einfach
und stillem Trunk ergeben
bei den Harmonikas der Knechte
-
und andere
gehetzt von inneren Konvoluten,
Wölbungsdrängen,
Stilbaukompressionen
oder Jagden nach Liebe.
Ausdruckskrisen und Anfälle
von Erotik:
das ist der Mensch von heute,
das Innere ein Vakuum,
die Kontinuität der
Persönlichkeit
wird gewahrt von den Anzügen,
die bei gutem Stoff zehn
Jahr halten.
Der Rest Fragmente,
halbe Laute,
Melodieansätze aus
Nachbarhäusern,
Negerspirituals
oder Ave Marias.
Satzbau
Alle haben den Himmel, die
Liebe und das Grab,
damit wollen wir uns nicht
befassen,
das ist für den Kulturkreis
besprochen und durchgearbeitet.
Was aber neu ist, ist die
Frage nach dem Satzbau
und die ist dringend: Warum
drücken wir etweas aus?
Warum reimen wir oder zeichnen
ein Mädchen
direkt ober als Spiegelbild
oder stricheln auf eine
Handbreit Büttenpapier
unzählige Pflanzen,
Baumkronen, Mauern,
letztere als dicke Raupen
mit Schildkrötenkopf
sich unheimlich niedrig
hinziehend
in bestimmter Anordnung?
Überwältigend unbeantwortbar!
Honoraraussicht ist es nicht,
viele verhungern darüber.
Nein,
es ist ein Antrieb in der
Hand,
ferngesteuert, eine Gehirnlage,
Vielleicht ein verspäteter
Heilbringer oder Totemtier,
auf Kosten des Inhalts ein
formaler Priapismus,
er wird vorübergehn,
aber heute ist der Satzbau
das Primäre.
"Die wenigsten, die was davon
erkannt" - (Goethe) -
wovon eigentlich?
Ich nehme an: vom Satzbau.
Restaurat
Der Herr drüben bestellt
sich noch ein Bier,
daß ist mir angenehm,
dann brauche ich mir keinen Vorwurf zu machen
daß ich auch gelegentlich
einen zische.
Man denkt immer gleich,
man ist süchtig,
in einer amerikanischen
Zeitschrift las ich sogar,
jede Zigarette verkürze
das Leben um sechsunddreißig Minuten,
das glaube ich nicht, vermutlich
steht die Coca-Cola-Industrie
oder eine Kaugummifabrik
hinter dem Artikel.
Ein normales Leben, ein normaler
Tod
das ist auch nichts. Auch
ein normales Leben
führt zu einem kranken
Tod. Überhaupt hat der Tod
mit Gesundheit und Krankheit
nichts zu tun,
er bedient sich ihrer zu
seinem Zwecke.
Wie meinen Sie das: der Tod
hat mit Krankheit nichts zu tun?
Ich meine das so: Viele
erkranken, ohne zu sterben,
also liegt hier noch etwas
anderes vor,
ein Fragwürdigkeitsfragment,
ein Unsicherheitsfaktor,
er ist nicht so klar umrissen,
hat auch keine Hippe,
beobachtet, sieht um die
Ecke, hält sich sogar zurück
und ist musikalisch in einer
anderen Melodie.
Stilleben
Wenn alles abgeblättert
daliegt
Gedanken, Stimmungen, Duette
abgeschilfert - hautlos
daliegt,
kein Stanniol - und das
Abgehäutete
- alle Felle fortgeschwommen
-
blutiger Bindehaut ins Stumme
äugt -:
was ist das?
Die Frage der Fragen! Aber
kein Besinnlicher
fragt sie mehr -
Renaissancereminiszenzen,
Barocküberladungen,
Schloßmuseen -
Nur keine weiteren Bohrungen,
doch kein Grundwasser,
die Brunnen dunkel,
die Stile erschöpft
-
Die Zeit hat etwas Stilles
bekommen,
die Stunde atmet,
über einem Krug,
es ist spät, die Schläge
verteilt
noch ein wenig Clinch und
Halten,
Gong - ich verschenke die
Welt
wem sie genügt, soll
sich erfreun:
Der Spieler soll nicht ernst
werden
der Trinker nicht in die
Gobi gehn,
auch eine Dame mit Augenglas
erhebt Anspruch auf ihr
Glück:
Sie soll es haben -
Still ruht der See,
vergißmeinnichtumsäumt,
und die Ottern lachen.
Was schlimm ist
Wenn man kein Englisch kann,
von einem guten englischen
Kriminalroman zu hören,
der nicht ins Deutsche übersetzt
ist.
Bei Hitze ein Bier sehen,
das man nicht bezahlen kann.
Einen neuen Gedanken haben,
den man nicht in einen Hölderlinvers
einwickeln kann,
wie es die Professoren tun.
Nachts auf Reisen Wellen
schlagen hören
und sich sagen, daß
sie das immer tun.
Sehr schlimm: eingeladen
sein,
wenn zu Hause die Räume
stiller,
der Café besser
und keine Unterhaltung nötig
ist.
Am schlimmsten:
nicht im Sommer sterben,
wenn alles hell ist
und die Erde für Spaten
leicht.
Außenminister
Aufs Ganze gerichtet
sind die Völker eine
Messe wert,
aber im einzelnen: Laßt
die Trompete zu der Pauke sprechen,
jetzt trinkt der König
Hamlet zu -
wunderbarer Aufzug,
doch die Degenspitze vergiftet.
"Iswolkski lachte."
Zitate zur Hand, Bonmots
in der Kiepe,
hier kühl, dort chalereux,
Peace and Goodwill,
lieber mal eine Flöte
zuviel,
die Shake-hands Wittes in
Portsmouth (1905)
waren Rekord, aber der Friede
wurde günstiger.
Vorm Parlament - das ist
keineswegs Schaumschlägerei,
hat Methode wie Sanskrit
oder Kernphysik,
enormes Labor: Referenten,
Nachrichtendienst, Empirie,
auch Charakter muß
man durchfühlen,
im Ernst: Charakter haben
die Hochgekommenen ganz bestimmt,
nicht wegen etwaiger Prozesse,
sondern es ist ihr moralischer
Sex-Appeal -
allerdings: Was ist der
Staat?
"Ein Seiendes unter Seienden",
sagte schon Plato.
"Zwiespalt zwischen der öffentlichen
und der eigentlichen Meinung"
(Keynes). Opalisieren!
Man lebt zwischen les hauts
et les bas,
erst Oberpräsident,
dann kleiner Balkanposten, schließlich Chef,
dann ein neues Revirement,
und man geht auf seine Güter.
Leicht gesagt: Verkehrte
Politik.
Wann verkehrt? Heute? Nach
zehn Jahren? Nach einem Jahrhundert?
Mésalliancen, Verrat,
Intrigen,
alles geht zu unseren Lasten,
man soll das Ölzeug
anziehen,
bevor man auf Fahrt geht,
beobachten, ob die Adler
rechts oder links fliegen,
die heiligen Hühner
das Futter verweigern.
Als Hannibal mit seinen
Elefanten über den Simplon zog,
war alles in Ordnung,
als später Karthago
fiel,
weinte Salambo.
Sozialismus - Kapitalismus
-: Wenn die Rebe wächst
und die Volkswirtschaft
verarbeitet ihren Saft
dank außerordentlicher
Erfindungen und Manipulationen
zu Mousseux - dann muß
man ihn wohl auch trinken?
Oder soll man die Kelten
verurteilen,
weil sie den massilischen
Stock
tauschweise nach Gallien
trugen -
damit würde man ja
jeden zeitlichen Verlauf
und die ganze Kulturausbreitung
verdammen.
"Die Außenminister
kamen in einer zweistündigen Besprechung
zu einem vorläufigen
Ergebnis"
(Öl- und Pipelinefragen),
drei trugen Cutaway,
einer einen Burnus.
Radio
I
"- die Wissenschaft als solche"
-
wenn ich derartiges am Radio
höre,
bin ich immer ganz erschlagen.
Gibt es auch eine Wissenschaft
nicht als solche?
Ich sehe nicht viel Natur,
komme selten an Seen,
Gärten nur sporadisch,
mit Gittern vor,
oder Laubenkolonien, das
ist alles,
ich bin auf Surrogate angewiesen:
Radio, Zeitung, Illustrierte
-
wie kann man mir da so was
bieten?
Da muß man doch Zweifel
hegen,
ob das Ersatz ist für
Levkoien,
für warmes Leben, Zungenkuß,
Seitensprünge,
alles, was das Dasein ein
bißchen üppig macht
und es soll doch alles zusammengehören!
Nein, diese vielen Denkprozesse
sind nichts für mich,
aber es gibt volle Stunden,
wo man auf keinem Sender
(Mittel-, Kurz-, Lang- und Ultrawelle)
eine Damenstimme hört
("erst sagt man nein, dann vielleicht, dann ja"),
immer nur diese pädagogischen
Sentenzen,
eigentlich ist alles im
männlichen Sitzen produziert,
was das Abendland sein Höheres
nennt -
ich aber bin, wie gesagt,
für Seitensprünge.
II
"- würden alte Kulturbestände
völlig verschwunden sein -"
(nun wenn schon)
"- klingende Vergangenheit
- "
(von mir aus)
"- in den Orten Neu-Mexikos
segnen die Farmer ihre Tiere
und Felder
mit diesen Liedern"
(angenehm,
aber ich meinerseits komme
aus Brandenburg kaum heraus).
Wir hören Professor
Salem Aleikum,
der Reporter beliebäugelt
ihn noch:
"der Preofessor liegt auf
der Terasse seines Hauses
die Laute im Arm
und singt die alten Balladen"
-
wahrscheinlich auf einer
Ottomane,
Eiswasser neben sich,
widerlegt Hypothesen, stößt
neue aus -
Die größten Ströme
der Welt
Nil, Bramahputra oder was
weiß ich,
wären zu klein, alle
diese Professoren zu ersäufen -
Ich habe kein Feld, ich habe
kein Tier,
mich segnet nichts, es ist
reiner Unsegen,
aber diese Professoren
sie lehren in Saus und Braus
sie lehren aus allen Poren
und machen Kulturkreis draus.
Gedicht
Und was bedeuten diese Zwänge,
halb Bild, halb Wort und
halb Kalkül,
was ist in dir, woher die
Dränge
aus stillem trauerndem Gefühl?
Es strömt dir aus dem
Nichts zusammen,
aus einzelnem, aus Potpurri,
dort nimmst du Asche, dort
die Flammen,
du streust und löscht
und hütest sie.
Du weißt, du kannst
nicht alles fassen,
umgrenze es, den grünen
Zaun
um dies und das, du bleibst
gelassen,
doch auch gebannt im Mißvertraun.
So Tag und Nacht bist du
am Zuge,
auch sonntags meißelst
du dich ein
und klopfst das Silber in
die Fuge,
dann läßt du
es - es ist: das Sein.
< Prélude | Drei Stunden östlich der Oder | Die schöpferische Seite des Objektiven | Alaska | Halb Tiger halb Habicht | Lassen Sie sich von Rönne nicht irre machen | Mensch, so siehst du aus | Dennoch die Schwerter halten | Die Prinzipien der Kunst | Apreslude >