UA 25. September 1995 im Max-Bense-Saal / Wilhelmspalais durch Wortissimo Stuttgart mit G. Lange als Else Lasker-Schüler, P. Gorges, S. Speer und F. Röhlig als Teils 1, 2, 3, am Flügel: F. Röhrig. Regie G. Sobek Beutter
Zu Teils-Teils
Teils-Teils ist ein literarisches
Portrait Gottfried Benns in zweifachem Sinne. Es folgt chronologisch der
Biographie des Autors und ist mit Ausnahme der zitierten Tagebücher
Oskar Loerkes und einiger Gedichte Else Lasker-Schülers ausschließlich
aus Texten Benns collagiert/montiert. Dieser Montageduktus rechtfertigt
sich formal aus der späten Lyrik Benns, zugleich ist er aber auch
geeignet, die Spannungen des Bennschen Werkes, seine verschiedenen Stillagen,
Sprünge und Widersprüche hörbar werden zu lassen. Eingeleitet
von einem Prélude, stellen die einzelnen "Sätze" des Portraits
wie eine musikalische Suite in unterschiedlichen Tempi und Stimmungen Stationen
der Bennschen Biographie, die Jugend östlich der Oder, den Studenten
der Medizin, die Liebesbeziehung zu Else Lasker-Schüler usw. vor.
Vor allem unterschlagen sie die NS-Zeit, Benns politischen Irrtum nicht.
Damit kann aber auch hörbar gemacht werden, daß Benn bei Korrektur
seines Irrtums nicht nur literarischen Widerstand leistet, sondern in den
frühen 40er Jahren bereits jene Gedichtmontagen entwickelt, mit denen
er in den 50er Jahren bekannt wurde. Teils-Teils zielt also auf auch eine
Korrektur des traditonellen Benn-Bildes, wie es die Expressionismusforschung
in den 50er/60er Jahren festgeschrieben hat. Entsprechend wird der Hörer
manches ihm (allzu)vertraute Gedicht, manchen Schlager aus dem Sprecherrepertoire
vermissen, mit anderen Texten dagegen zum ersten Mal bekannt werden. Reinhard
Döhl, der Verfasser der Montage, ist mit Benn nicht nur als Literaturwissenschaftler
vertraut, er wurde auch, wie viele andere Autoren seiner Generation, in
seiner Werkentwicklung zunächst nachhaltig von Benns Gedichten und
ihrem spezifischen Ton geprägt (vgl. den Zyklus "zeit
auf den händen"), bis es ihm gelang, sich Ende der 50er Jahre
davon freizumachen. Die kleine Montage "Der einsame
Backzahn einer Dirne" (in "Prosa zum Beispiel") aus dem Jahre 1964
wäre ein hier zu nennender Beleg, der zugleich darauf hinweist, daß
das Werk Benns auch in den Diskussionen der Stuttgarter Gruppe/Schule praktisch
und theoretisch Gegenstand war. Nicht von ungefähr stammt einer der
wichtigsten Nachkriegsbeiträge zu Benn von Max Bense, "Versuche über
Prosa und Poesie", ein Essay, der eigentlich für den "Merkur" bestimmt,
von diesem aber abgelehnt wurde. Er ist die heute immer noch lesenswerte
Einleitung zu Benns "Frühe Prosa und Reden". Das gibt der Präsentation
von "Teils-Teils" im Max-Bense-Saal des Wilhelmspalais einen zusätzlichen
Reiz.
[Leu]: Eiter aus der Wunde. Gottfried Benn, literarisch porträtiert im Stuttgarter Wilhelmspalais
Dafür sitzt Friedemann Röhlig am Klavier, aufgerufen, mit ein bißchen Schubert, Chopin und anderen Tönen die Wogen der von Unrat wabernden Texte zu glätten. Röhlig, der zusammen mit Peter Gorges und Michael Speer in die "Teils"-Benn-Rolle schlüpft, dosiert die Qualität seiner Pianobeiträge sorgfältig, auf daß die Töne nur ja nicht an der Dominanz des Textes kratzen. "Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde", harmlos hineingespielt in das Wortfeld um Krankheit und Tod, um Biographisches auch, das in Benns Leben hineinleuchtet. Hier kriegt sich einer in der ersten Reibe kaum noch ein, obwohl die Vermeldung. der Radfahrerbund habe tausend Mitglieder und der Leser Fragen in bezug auf den Wadenkrampf, so toll denn auch wieder nicht ist. Selbstgemalte Plakate - "Chaos", "Banane" und "Stadtarzt" - wandern, getragen von den zu Nummernboys mutierten "Teils"-Benns, deren Schritte mehr oder weniger rhythmiseb zu "Ich hab' das Fräulein Helen baden seh'n" über die Bühne des Bense-Saals der Stadtbücherei Stuttgart von rechts nach links. Das ist doch lustig und deshalb der mimisch-rhythmisch mitzuckenden Heiterkeit in der ersten Reihe eine Prise für die Nase wert.
Mit Gabriele Lange, die Dame gibt Else Lasker-Schüler, hat "Wortissimo Stuttgart" (Leitung: Gerdi Sobek-Beutter) Vollzähligkeit erreicht. Die den ganzen Bense-Saal auf verschiedenen Ebenen und in allen Ecken ausnutzende Regie kalkuliert die Ausrichtung des Auditoriums auf Else, so daß ein ostentativer Platzwechsel quer durch den Saal schon nicht mehr stört. "Gottfried Benn ist der dichtende Kokoschka", verkündet Gabriele Lasker-Schüler-Lange barfuß und spreizlippig von ihrer Steinkanzel. Giselheer, Gottfried Benn also, wird dies gefreut haben.